Chinatown Market ist die neue Hype-Brand aus den USA – dank Fake-Produkten

Martin Gardt1.11.2019

Das Unternehmen ist mit Fakes großer Marken gestartet, heute kollaborieren Nike, Puma, Crogs und Co. freiwillig

Chinatown Market Smiley
Das Symbol von Chinatown Market ist der klassische gelbe Smiley

Was ist das Geheimnis hinter Brands, die innerhalb kurzer Zeit einfach explodieren (also im positiven Sinne)? Michael Cherman, der Mann hinter „Chinatown Market“, scheint es geknackt zu haben. Seine erst Ende 2016 gegründete Fashion-Marke hat heute über 420.000 Instagram-Follower und arbeitet mit einigen der weltweit größten Mode-Hersteller zusammen – obwohl seit Beginn gefälschte Produkte zur DNA der Marke gehören. Wie Chinatown Market auf den Spuren von Hype-Brands wie Supreme wandelt und doch ganz anders arbeitet, warum der gute alte Smiley so eine wichtige Rolle spielt und wie Superstar LeBron James die Marke richtig bekannt gemacht hat.

„Wir schauen auf uns selbst als leuchtendes Beispiel für Glück und positiver Gefühle in einer negativen Welt“, sagt Chinatown-Market-Gründer Michael Cherman gegenüber Urban Outfitters. Schon als Teenager hat Michael Cherman selbstgestaltete T-Shirts aus seinem Kofferraum verkauft, später gründete er das erfolgreiche Label ICNY, aus dem er nach eigener Aussage von einem Investor heraus gedrängt wird. Mittlerweile ist das Unternehmen tot. Bei ICNY hatte Cherman Streetwear mit reflektierendem Material gemacht, damit die Käufer nachts auf dem Fahrrad oder beim Laufen für Autofahrer sichtbar blieben – mit seinem neuen Label Chinatown Market geht er in eine ganz andere Richtung.

„ICNY war meine Leidenschaft und Chinatown Market ist meine Reaktion auf den Marktplatz. Ich habe drei Jahre lang versucht, den Kids technische Sportkleidung zu verkaufen und realisiert, dass sie das nicht wollen“, sagt Cherman gegenüber The Hundreds. „Sie wollen einfach ein großartiges Produkt, das ein bisschen anders ist, zu ihnen passt und ihnen das Gefühl gibt, dazuzugehören.“ 

Viraler Start mit Nike-Fälschung

„Ein großes Ding für Chinatown Market ist das gelbe Smiley. Wir haben eine globale Lizenz dafür und stehen da sehr dahinter.“ Der Smiley ist zum Symbol der Marke geworden, prangt auf fast jedem Produkt. Ein Verkaufsschlager scheint ein Basketball in Form des gelben Smileys zu sein. Der 28-jährige Cherman gründet die Brand Ende 2016, den Namen entlehnt er der New Yorker Canal Street, die ganz in der Nähe von Chinatown liegt. Die Gegend ist bekannt für ihre kleinen Shops und Stände, die gefälschte Klamotten mit Logos von Nike, Adidas & Co. verkaufen. Genau diese Fake-Markt-Kultur inspiriert Cherman zu seinen ersten erfolgreichen Produkten.

Chinatown Market Frank Ocean

So mischt Chinatown Market verschiedene Marken

Weil er zuvor schon in einem Nike-Shop Erfahrung mit individuellem Bedrucken von T-Shirts gesammelt habe, sei er sofort auf eine Anfrage von einem Freund angesprungen, der ein paar Fake-Shirts haben wollte. Die beiden entwickeln ein paar Ideen und zeigen ihre Designs auf einem kleinen Stand der Lifestyle-Messe ComplexCon. Darunter sind Shirts und Pullover, die Nikes Swoosh-Symbol mit dem Namen des Sängers Frank Ocean mischen. Am Ende des Messetages hätten die beiden alles ausverkauft – innerhalb von 24 Stunden bringt der Online-Verkauf der Frank-Ocean-Shirts nach der Messe 45.000 US-Dollar (große Lifestyle-Magazine hatten berichtet). Von dem Geld bleibt Michael Cherman nichts, weil folgerichtig Markenrechts-Klagen reinflattern. Er habe aber gemerkt, dass er da an etwas dran sei und es einen Markt für das Mischen verschiedener Brands und Popkultur-Zitate gebe.

Durchbruch mit falschen Chucks

Nach der Gründung des Unternehmens sorgt die Marke mit Sitz in Los Angeles in der Fashion-Szene schnell für Aufsehen. Shirts und Pullover mit ironischen Sprüchen („Born Again Christian Dior“, „Call My Lawyer“, „Thank You Have A Nice Day“) oder großen bunten Grafiken fallen einfach auf. Und immer als Element dabei: Der gelbe Smiley und Namen und Logos anderer Marken oder Persönlichkeiten. Gucci, Dior, Louis Vuitton, Nike, Micky Maus, Supreme – sie alle landen auf Chinatown-Market-Produkten.

Den großen Durchbruch hat die Marke dann durch einen unbezahlten Influencer: NBA-Star LeBron James trägt im Juni 2018 zum Aufwärmen vor einem Spiel der NBA Finals ganz besondere Chucks (die bekannten Schuhe von Converse). Michael Cherman hatte extra für James ein Paar mit einem Chinatown-Market-Smiley und zusätzlichem Nike-Swoosh verziert. Ein Bild des Superstars beim Schnüren der Schuhe landet auf allen Fashion-Blogs und vielen Instagram-Accounts. Der Instagram-Kanal von Chinatown Market wächst in den Tagen rund um den Marketing-Coup von 82.000 auf 96.000 Follower – und startet einen Wachstumsschub. Seit Juni 2018 ist der Account von unter 100.000 Abonnenten auf über 422.000 gewachsen. Mittlerweile wurden auch Kanye West oder Lil Wayne in Chinatown-Market-Klamotten gesehen. Solche Sichtungen sorgen immer wieder für virale Effekte. 

Trends erkennen und sofort aufspringen

Alleine durch das Remixen von Logos anderer Marken und ein paar Sprüchen auf Klamotten lässt sich der Erfolg von Chinatown Market aber nicht erklären. Laut Cherman sei entscheidend, dass seine Stücke genau zum richtigen Moment auf den Markt kommen. Und wer mit Popkultur-Verweisen spielt, muss agil bleiben. 

„Wir waren an einem Punkt [bei ICNY], an dem wir alles genau geplant haben, sechs Monate bis zu einem Jahr am Design einer Jacke gesessen haben. Jetzt haben wir heute eine Idee und können morgen die Produkte verschicken“, sagt Cherman gegenüber der South China Morning Post. „Ich kaufe zum Beispiel eine Bomberjacke und drucke per Hand Verzierungen drauf. Das unterscheidet uns von allen anderen. In diesem Business sollten wir nicht immer die großen Risiken eingehen und nur vier Kollektionen pro Jahr machen. Wenn nur eine nicht funktioniert, musst du ein Quartal bis zur nächsten warten.“ Zuletzt hatte Chinatown Market zum Beispiel ein T-Shirt anlässlich der Album-Veröffentlichung von Kanye West auf den Markt gebracht – genau zum Start der neuen Platte. 

Genug für alle statt künstliche Verknappung

Trotz kleiner Stückzahl mancher Produkte setzt Cherman nicht auf limitierte Drops. Hype-Marken wie etwa Supreme (hier hatten wir die Brand vorgestellt) setzen voll darauf, künstlich verknappte Kollektionen zu einer genauen Tageszeit auf den Markt zu werfen. Das sorgt immer wieder für einen Run auf die Produkte und schnellen Ausverkauf (hier alles zum Drop als Marketing-Instrument). „Für mich geht es darum, von der Idee der limitierten Drops wegzukommen“, sagt der Chinatown-Market-Gründer. „Ich will, dass die Kids Zugang zu den Produkten haben und sich so als Teil einer Community fühlen können.“ Er wolle mit seiner Marke Vorbild für den Nachwuchs sein, der selbst im Do-It-Yourself-Stil an Mode arbeiten soll. 

Wer in den Shop von Chinatown Market schaut, findet dort deshalb auch jede Menge lieferbare Produkte zu typischen Streetwear-Preisen. Shirts kosten um die 40 US-Dollar, Hoodies 80. Insgesamt ist Chinatown Market trotzdem nicht so günstig, wie es der Name vielleicht suggeriert. Eine Winterjacke kostet auch schon mal 450 US-Dollar. Bleibt die Frage, warum es die Marke überhaupt noch gibt, obwohl viele Produkte mit fremden Markennamen bestückt sind. Das Unternehmen dürfte zum Teil deshalb ungeschoren davonkommen, weil es Produkte nicht im klassischen Sinne fälscht – also kopiert. Stattdessen vermischt Chinatown Market immer wieder verschiedene Marken, zitiert sie sozusagen auf den Klamotten (wie beim Spruch „Born Again Christian Dior“). Es scheint aber so, dass einige Brands zumindest Unterlassungserklärungen schicken und Chinatown Market einfach den Verkauf der jeweiligen Produkte stoppt. Das Kanye-West-Shirt, das oben erwähnt wurde, ist zum Beispiel recht schnell wieder aus dem Shop und vom Instagram-Kanal verschwunden. Auch die erreichte Bekanntheit dürfte Chinatown Market helfen – jede Klage wäre kostenloses Marketing. Das wissen auch die anderen Brands.

Heute sind die Großen freiwillig dabei

Ein weiterer Grund für ausbleibende Klagen dürfte sein, dass einige der vorher ungefragt einbezogenen Marken mittlerweile ganz bewusst mit Chinatown Market arbeiten. Im Juli 2019 landeten offiziell von der Brand gestaltete Chucks auf dem Markt. Die Converse verändern ihre Farbe, wenn sie mit UV-Licht beleuchtet werden und sorgten für riesige Aufmerksamkeit in der Sneaker-Szene. Der Traffic im Chinatown-Market-Shop stieg im Juli und August – also rund um den Verkaufsstart des Schuhs – laut dem Analyse-Tool Similar Web von 60.000 auf mehr als 200.000 Visits. Weitere Kooperationen, die für immer neue Aufmerksamkeit für das junge Unternehmen sorgen, laufen mit Puma, Crocs (das gemeinsame Produkt: Crocs mit Kunstrasen-Bezug) und ganz aktuell mit der deutschen Marke Beastin (die Beastin-Gründer waren schon bei uns im Podcast). Letztere Kooperation zeigt, dass die Brand auch in Deutschland anzukommen scheint. 

Insgesamt ist Chinatown Market ein Symbol für den aktuellen Remix-Trend in der Streetwear-Branche. Brands packen ihre Logos bei Kooperationen gemeinsam auf Shirts oder Pullover (zum Beispiel Champion und Wood Wood). Der Designer Demna Gvasalia wirft immer wieder Produkte auf den Markt, die von anderen Marken inspiriert sind. Mit seinem ersten Label Vetements gehörten Shirts mit „Polizei“-Aufschrift oder im Look von DHL-Fahrer-Kleidung zu Aufmerksamkeits-Bringern. In seinem neuen Job bei Balenciaga brachte er die Modewelt mit einer Ikea-Tasche für 2.000 Euro um den Verstand. In einer Welt mit Instagram als wichtigstem Viral-Tool scheint das Fälschen, Remixen oder wie man es auch immer nennen will, ein guter Weg zu sein, sich von der Masse abzuheben. 

DropFashionInstagramInstagram Marketing
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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