Nach WeChat und Alibaba: Jetzt kommt die nächste Generation chinesischer Super-Apps

Meituan-Dianping, Toutiao, Douyin: Was können die neuen App-Zugpferde aus Asien?

Alibaba Wechat Meituan Dianping Toutiao Douyin China Apps OMR
Alibaba Wechat Meituan Dianping Toutiao Douyin China Apps OMR
Inhalt
  1. Meituan Dianping: Der Alleskönner schielt jetzt schon auf den deutschen Markt
  2. Meituan ist überall dabei – von der Autowäsche bis zum Karaoke-Abend
  3. Meituan: Hart erkämpfte Marktführerschaft im O2O-Geschäft
  4. Bytedance: Ein Imperium smarter Unterhaltungs-Apps von Toutiao bis Douyin
  5. Toutiao ist keine News-, sondern eine Entertainment-App
  6. Infeed Advertising wird wichtiger als Performance Marketing
  7. Shooting Star Douyin: 150 Millionen User in weniger als zwei Jahren
  8. Chinesische Behörden sorgen sich um Medien-Kontrollverlust

Neun der zwanzig wertvollsten Internet-Firmen weltweit kommen inzwischen aus China. Baidu, Alibaba und Tencent kennt jeder, aber was ist mit Meituan-Dianping, Toutiao und Douyin? Welche Geschäftsmodelle verfolgen die chinesischen Companys? Was unterscheidet sie von westlichen Apps und was macht sie so wertvoll? OMR stellt die Überflieger aus dem Reich der Mitte vor und zeigt, wie sie westliche Märkte ins Visier nehmen.

Angeblich will Meituan Dianping noch im Juni 2018 an die Hongkonger Börse gehen und dort zehn Prozent seiner Unternehmensanteile für sechs Milliarden US-Dollar platzieren. Das entspräche einer Unternehmensbewertung von 60 Milliarden US-Dollar – und würde dieses einzelne chinesische Unternehmen fast so wertvoll machen wie alle deutschen börsennotierten Digital-Unternehmen zusammen. Was macht die beiden Apps der Company so besonders?

Meituan Dianping: Der Alleskönner schielt jetzt schon auf den deutschen Markt

Öffnet ein chinesischer Tourist die Meituan-App in Berlin oder Hamburg, sieht er seinen Städtetrip schon fast fertig geplant auf seinem Smartphone-Screen. In klarem UX-Design stehen da das Brandenburger Tor, der Reichstag, die Museumsinsel oder das Miniaturwunderland samt Ticketpreisen, Nutzerfilmen und –fotos, mit Routenvorschlägen und Tourbustickets. In seinem Umkreis sieht er alle Restaurants samt Bewertungen und Telefonnummer. Wenn er shoppen möchte, bietet ihm Galeria Kaufhof einen Rabatt von vier Prozent auf alle Einkäufe, und bei Swarovski und Samsonite winken sogar Rabatte von zehn Prozent – die Standorte der Läden werden natürlich angezeigt. Bald schon kann der Meituan-User dorthin auch mit einem orangenen Leihfahrrad von Mobike fahren, denn das chinesische Bikesharing-Startup wurde gerade von Meituan gekauft und soll schnellstens in die App integriert werden.

Für einen deutschen Touristen in Peking wäre das so, als ob seine Accounts bei Google Maps, Booking.com, Trip Advisor, Zalando, Groupon, Yelp, Deliveroo, Mytaxi, Stadtrad und nebenan.de zu einer einzigen App verschmolzen wären. Sie würde ihm Vorschläge machen, wie er am schnellsten in die Verbotene Stadt kommt, mit welchem Busunternehmen zur Großen Mauer, ob es Gruppenrabatte für seine Freunde gibt, wo die Shopping Mall mit den garantierten Einkaufsrabatten liegt, wo er die am höchsten bewerteten Seidenstoff-Läden und wo er deutsche Bäckereien finden kann. So viel geballter Service für seine 320 Millionen chinesische Nutzer, fast jeder vierte Chinese, dürfte einer der Gründe für die angepeilte Bewertung von Meituan in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar sein.

Meituan ist überall dabei – von der Autowäsche bis zum Karaoke-Abend

Meituan (übersetzt etwa „Schönes in der Gruppe“) startet 2010 in China als einfacher Groupon-Klon für Schnäppchenjäger und kauft 2015 das von Yelp inspirierte Bewertungsportal Dianping. Seitdem ist Meituan Dianping mit seinen zwei Apps im riesigen chinesischen O2O-Geschäft, dem „Online to Offline-Business“, der agilste Player und hat seit Gründung so ziemlich alle Einzelhandelsbranchen und –Dienstleistungen einmal durchgepflügt. Über das anfängliche Gruppeneinkaufsmodell und seine Essens-Lieferplattform ist Meituan schon lange hinausgewachsen. In den vergangenen Jahren probierte es sich im Verkauf von Kino- und Besichtigungs-Eintrittstickets aus, lieferte Lebensmittel, vermittelte Restaurant-, Hotelbesuche und Autowäschen, engagierte sich in der Hochzeits,- Beauty- und Karaokebranche und stieg in den E-Commerce ein. 

Im vergangenen Jahr stieß Meituan dann noch in die Bed-and-Breakfast-Branche und ins Taxibusiness vor und begann, Handyauflade-Geräte zu verleihen. Im April 2018 kaufte das Mega-Startup dann noch das Bikesharing-Unternehmen Mobike mit seinen orangefarbenen Leihfahrrädern, die auch schon auf deutschen Großstadtstraßen fahren. „Bei Dienstleistungen des täglichen Lebens deckt Meituan inzwischen die Sparten Essen, Wohnen und Reisen komplett ab“, beobachtet ein Branchenkenner.

Meituan: Hart erkämpfte Marktführerschaft im O2O-Geschäft

Meituan kämpft in harten Märkten mit kleinen Margen und extremer Konkurrenz, was sich auch im Pekinger Unternehmen selbst zeigt: Es ist berüchtigt für seine schroffe Unternehmenskultur, strukturierte sich nach dem Dianping-Merger um, führt seine Mitarbeiter streng nach Umsatzzielen und feuert sie kurzerhand, wenn sie diese nicht erreichen. Das ist offenbar der Preis für die O2O-Marktführerschaft, wo es nicht um Spitzentechnologie, sondern um den Einzelhandel geht. Chinesischen Medienberichten zufolge kauften bei Meituan im Jahr 2017 320 Millionen Menschen bei 4,37 Millionen Händlern Waren und Dienstleistungen mit einem Bruttowarenwert von umgerechnet 56 Milliarden US-Dollar ein. 

Zu den Investoren gehört unter anderem Tencent, was erklärt, warum man sich bei Meituan mit seinem WeChat-Konto anmelden und mit Mobikes fahren kann. Tencent war vorher schon in den orangenen Bikesharer investiert. Trotzdem vermuten chinesische Beobachter der Tech-Branche, dass der Börsengang zu früh und nur deswegen kommt, weil Meituan dringend Cash braucht. Das Tech-Unternehmen solle sich demnach erst einmal auf die Integration seiner vielen Geschäftsbereiche konzentrieren.

Bytedance: Ein Imperium smarter Unterhaltungs-Apps von Toutiao bis Douyin

Ganz anders als Meituan Dianping präsentiert sich Bytedance, das AI-Unternehmen hinter den Unterhaltungsapps Toutiao, Douyin und Musical.ly mit einer Bewertung von derzeit 30 Milliarden US-Dollar. Mit Hilfe von personalisierten Empfehlungsalgorithmen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, will es seinen Usern aggregierte Medieninhalte so unterhaltsam und sticky wie möglich servieren. Kurze Videos werden dabei für das Startup immer wichtiger. Im Gegensatz zu allen anderen China-Unicorns haben bislang weder Alibaba noch Tencent in Bytedance investiert und Übernahmegerüchte durch Baidu bestätigten sich bislang nicht. 

Gründer Zhang Yiming tritt als streitfreudiger junger Tech-Star auf, der sich gerade mit dem Tencent-CEO einen öffentlichen Schlagabtausch geliefert hat. Bytedance erscheint im Vergleich zu Meituan als modernes, junges, international ausgerichtetes Medienunternehmen, das im vergangenen November die vor allem in Amerika gefeierte Kurzvideo-App Musical.ly für kolportierte eine Milliarde US-Dollar übernahm. Gründer Zhang Yiming, ein 36 Jahre alter Softwareingenieur aus der südlichen Küstenprovinz Fujian, will sein Unternehmen „so grenzenlos wie Google“ machen.

Toutiao ist keine News-, sondern eine Entertainment-App

Superstar im Portfolio von Bytedance ist die News-App Jinri Toutiao („Tägliche Überschrift“) mit 120 Millionen täglichen Nutzern. Gestartet 2012, bediente sich Toutiao erst einmal bei den Nachrichten auf allen großen und kleinen Newsportalen in China und aggregierte sie ausschließlich mobil – bis die chinesischen Publisher 2015 gesammelt klagten und Toutiao Copyright-Vereinbarungen mit den einzelnen Medienhäusern aushandeln musste. Ende 2017 waren 1,1 Millionen Content Creators auf Toutiao registriert

Auch wegen bestehender Copyrightkonflikte setzt Toutiao inzwischen massiv auf User Generated Content, vor allem in Form von kurzen Videos. Was so viele Millionen Chinesen süchtig nach der App macht, ist ihr fein justierter Empfehlungsalgorithmus. Toutiao quillt nur so über von allem, was man in China in der Freizeit liebt: Essen, Gaming, Karaoke- und Tanzvideos. Harte Nachrichten werden pflichtbewusst am Feedanfang gezeigt, dann aber nachrangig ausgespielt. Im Gegensatz zu den Feeds von Facebook und Instagram beruhen die Empfehlungen dabei aber nicht auf dem Verhalten und Interessen von Freunden.

Infeed Advertising wird wichtiger als Performance Marketing

Mit großer Sorge dürfte die Suchmaschine Baidu den Aufstieg der „Empfehlungsmaschine“ Toutiao auf dem chinesischen Anzeigenmarkt beobachten. Denn Infeed-Advertising, das die Markenwerbung unterstützt und sowohl im Newsfeed von WeChat als auch bei Toutiao zu sehen ist, wird in China gerade wichtiger als Performance Advertising, von dem die Suchmaschine lebt. Lagen die Anzeigenumsätze von Toutiao 2017 bei angeblich über umgerechnet zwei Milliarden US-Dollar, sollen sie 2018 um fast das Doppelte auf rund vier Milliarden US-Dollar anwachsen. Zwar waren Baidus Anzeigenumsätze im vergangenen Jahr mit umgerechnet 13 Milliarden US-Dollar noch um ein Vielfaches höher als die von Toutiao, wuchsen aber wesentlich langsamer.

Shooting Star Douyin: 150 Millionen User in weniger als zwei Jahren

Bytedance unterhält inzwischen eine Armada von neun Kurzvideo-Apps, einige auf den chinesischen, einige auf den internationalen Markt ausgerichtet. Der Shooting Star in China ist Douyin (deutsch: „Triller“, international unter Tik Tok bekannt), eine App für 15 Sekunden lange Selfie-Videos, in denen mit Vorliebe Teenager singen, tanzen, Life-Hacks vorführen und mit Gesichtsfiltern herumalbern. Creators mit mehr als 50.000 Followern dürfen ihre Videos livestreamen und Fragen der Fans beantworten, die dafür zahlen. Influencer werden von Douyin großzügig dabei unterstützt, Follower zu sammeln. 

Im September 2017 startete Douyin erfolgreich mit ersten Infeed-Branding-Kampagnen für die Marken Airbnb, Harbin Beer und Chevrolet. 150 Millionen tägliche Nutzer zählte die App am 12. Juni 2018, und war im ersten Quartal 2018 mit 45,8 Millionen Downloads die weltweit am meisten heruntergeladene App in Apples App Store – vor Youtube, Whatsapp und Instagram. Ihre Nutzerzahlen hatten sich seit Januar 2018 vervierfacht. Douyin ist in Deutschland ebenso wenig verfügbar wie die internationale Version Tik Tok, ähnelt aber Musical.ly – wie bereits erwähnt seit Ende 2017 im Besitzt von Bytedance und in China bereits in Douyin integriert. 

Chinesische Behörden sorgen sich um Medien-Kontrollverlust

Wer den rasanten Aufstieg von Bytedance als Medienunternehmen völlig neuen Typs jetzt noch stoppen könnte, sind die chinesischen Behörden, die sich um ihren Kontrollverlust von Medieninhalten in den neuen Super-Apps sorgen. Oft und scharf werden Toutiao, der Mutterkonzern Bytedance und der Gründer Zhang Yiming von den chinesischen Medienaufsichten wegen „seichter, vulgärer Inhalte“ der Apps kritisiert. Erst im April musste Bytedance eine seiner Short-Video-Apps vom Markt nehmen und Zhang sich wegen dort veröffentlichter unangemessener Inhalte öffentlich entschuldigen. Die chinesische Regierung versucht, ihre Nachrichten derweil mit eigenen Kurzvideos auf Douyin attraktiver zu gestalten. Angeblich wurden die Propaganda-Videos bislang 1,6 Milliarden Mal angeschaut – ein Beweis für die Lernfähigkeit der chinesischen Regierung und den Erfolg von Kurzvideos als neue Medienform.

AlibabaChinaTencentWeChat
Corinna Bremer
Autor*In
Corinna Bremer
Alle Artikel von Corinna Bremer

Ähnliche Artikel

Kostenlose Online-Seminare

Kai Spriestersbach

Perfekte Prompts für ChatGPT & Co: 5 Tipps, die du kennen musst

27.11.2024 11:00 - 12:00 Uhr
Stephan Böhme

Ideenfindung leicht gemacht: Kreativitätstechniken für jeden Tag

3.12.2024 10:00 - 11:00 Uhr
Aktuelle Stories und die wichtigsten News für Marketeers direkt in dein Postfach!