Werbekampagne führt zu Chaos beim Startup-Verband NRWalley

Florian Rinke17.3.2022

Dem alten Vorstand wird vorläufig die Entlastung verweigert – nun versucht ein Gründerinnen-Trio den Neustart

Ausschnitt aus einem Motiv der Werbekampagne von NRWalley. Foto: NRWalley
Ausschnitt aus einem Motiv der Werbekampagne von NRWalley. Foto: NRWalley
Inhalt
  1. NRWalley musste plötzlich auf eigenen Beinen stehen
  2. Monatelange Arbeit an einer Homepage
  3. „Als Unternehmer hätte das keiner von uns gemacht“
  4. NRWalley sucht nach der eigenen Identität
  5. Der Bundesverband Deutsche Startups denkt über NRW-Auftritt nach

Der Startup-Verband NRWalley ist die wichtigste Stimme der Startups in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Doch ausgerechnet im Jahr der Landtagswahl gibt es interne Querelen. Höhepunkt sind Diskussionen um eine gefloppte Plakatkampagne. Und als wäre all das nicht genug, droht mit dem Bundesverband Deutsche Startups ein nationaler Verband dem NRW-Verein Konkurrenz zu machen. Nun versucht ein neuer Vorstand aus drei Gründerinnen den Neustart.

Drei Garagenhöfe, bunte Farbe und ein markiger Spruch – fertig ist die Image-Kampagne. „Revolution starts here“ heißt es vollmundig auf den Plakaten, die im vergangenen Jahr an vielen Orten in NRW zu sehen waren. Nur wo genau diese Revolution jetzt starten sollte, das wurde auf den ersten Blick nicht ganz klar. Denn ob die Garagen nun in Bottrop, Berlin oder Bremen stehen, war für Betrachter nicht so ganz ersichtlich.

Und so fand die Revolution am Ende auch weniger in den Garagen in NRW statt als beim Auftraggeber der Kampagne: dem Startup-Verband NRWalley. Denn dort bekamen einige Mitglieder große Augen, als ihnen die Rechnung präsentiert wurde: 40.000 Euro. Allein die Kosten für den Designer schlugen mit mehr als 10.000 Euro zu Buche. Plus Mehrwertsteuer. Und so eskalierte in den vergangenen Monaten hinter verschlossenen Türen die Situation. Der alte Vorstand hatte sich überworfen und wollte nicht erneut antreten. Nach einigem hin und her wurde inzwischen zwar ein neues Team gewählt, doch dem alten Vorstand verweigerte man gleichzeitig vorläufig die Entlastung. Die wichtigste Stimme für Startups in NRW beschäftigt sich gerade viel mit sich selbst – und das ausgerechnet im Jahr der Landtagswahl. Und als wäre all das nicht schon genug, denkt man beim Bundesverband Deutsche Startups darüber nach, eigene Strukturen in NRW aufzubauen, womit man dem bisherigen Kooperationspartner plötzlich Konkurrenz machen würde.

NRWalley musste plötzlich auf eigenen Beinen stehen

Dabei gab es so große Pläne, als der Verein 2020 gegründet wurde. Damals hatte sich NRWalley gerade vom Bundesverband Deutsche Startups abgespalten. Diesen plagten damals Finanzprobleme. Teure Fehlentscheidungen hatten tiefe Löcher in die Kasse gerissen. Es kam zu Entlassungen, einem Führungswechsel, bei dem der Investor Christian Miele (hier im OMR Podcast) an die Spitze rückte – und zu einem Sparkurs, dem auch der seit 2018 als Landesgeschäftsstelle geführte NRW-Ableger zum Opfer fiel. Doch eine Gruppe Ehrenamtler beschloss, die Dinge nun einfach in die eigene Hand zu nehmen.

„Wir waren bei der Gründung total motiviert“, sagt Felicia Kufferath, eines der drei bisherigen geschäftsführenden Vorstandsmitglieder. Doch vielleicht habe man auch zu hohe Erwartungen gehabt am Anfang. „Wir wollten NRWalley wie ein Unternehmen führen“, sagt sie. Startups sollten umsonst Mitglied werden können, dafür wollte man umgekehrt Sponsoren finden, die den Verein finanziell unterstützen. „Wir hatten sogar mal die Idee, eine Service-Agentur neben dem Verein aufzubauen. Wir wollten mehr für die Gründer leisten als der Bundesverband Deutsche Startups damals“, sagt sie. Doch das war am Ende im Ehrenamt praktisch nicht zu leisten – zumal sich parallel zur Gründung von NRWalley das Coronavirus in Deutschland rasant verbreitete.

Monatelange Arbeit an einer Homepage

Öffentlich wurde es damals zwischenzeitlich recht still um NRWalley, obwohl man doch eigentlich die Stimme der Startups in NRW sein wollte. Schon 2020 machten Gerüchte die Runde, dass einige Vereinsmitglieder mit dem Kurs des Vorstands haderten, sich mehr Tempo wünschten. Doch speziell der damalige NRWalley-Vorsitzende Torsten Jensen pochte darauf, sich zunächst auf den Aufbau der internen Strukturen zu konzentrieren – und auf die Entwicklung einer neuen Homepage. Es dauerte neun Monate, bis diese vorgestellt werden konnte. Die Arbeit des Vereins musste in dieser Zeit ausschließlich per Videokonferenz und Telefon geregelt werden.

Plakat-Kampagne von NRWalley

Das waren die Motive der Plakat-Kampagne von NRWalley. Fotos: NRWalley

Anschließend reifte die Idee einer großangelegte Image-Kampagne. Unterstützung bekam man dabei von zwei Fördermitgliedern des Vereins, dem Kölner Außenwerber Ströer und der Düsseldorfer Agentur Saatchi & Saatchi. Auch dank dieser Hilfe sollte die Botschaft „Revolution starts here“ ganz NRW erreichen, von Aachen bis nach Ostwestfalen-Lippe. Doch statt der Mitgliedszahlen stiegen zunächst nur die Kosten, bis einzelne Mitglieder die Notbremse zogen. „Wir haben uns bei der Kampagne einfach verkalkuliert“, sagt Felicia Kufferath: „Wir hatten darauf gesetzt, dass wir neue Mitglieder gewinnen. Bei den Startups hat das zumindest ein bisschen geklappt, aber bei den Fördermitgliedern gar nicht. Dabei hing unsere Werbung sogar in Köln am Hauptbahnhof.“

„Als Unternehmer hätte das keiner von uns gemacht“

NRWalley ist ein junger Verein, für den Ehrenamtler viele Stunden ihrer Freizeit geopfert haben. Doch ähnlich wie bei einem Startup klappt nicht alles auf Anhieb. Die Werbekampagne als solche wird deswegen von vielen als „teures Lehrgeld“ verbucht, das einige andere Dinge erschwert. So wollte man eigentlich einen hauptamtlichen Geschäftsführer einstellen, um den ehrenamtlich tätigen Vorstand zu entlasten. Die Stelle ist jedoch bis heute offen, nachdem zwischenzeitlich sogar der NRWalley-Vorsitzende Torsten Jensen Interesse an dem Posten bekundet hatte – dann aber zurückzog, als es Widerstand im Verein gab. Viele sahen einen Interessenkonflikt. Torsten Jensen wollte sich auf Anfrage zu diesem und anderen Themen nicht äußern. Für den neuen Vorstand dürfte die Besetzung aktuell kaum noch Priorität genießen, denn die 40.000-Euro-Kampagne soll das Vermögen des Vereins zu großen Teilen aufgezehrt haben.

Der NRWalley-Vorsitzende Torsten Jensen (rechts) übergibt im August 2021 ein Positionspapier an NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart. Foto: NRWalley

Der NRWalley-Vorsitzende Torsten Jensen (rechts) übergibt im August 2021 ein Positionspapier an NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart. Foto: NRWalley

Intern werden daher speziell die Dimensionen der Werbekampagne kritisch gesehen. Im Fokus steht dabei speziell Torsten Jensen, der als NRWalley-Vorsitzender auch im Digital-Beirat von NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sitzt. Einige Mitglieder werfen ihm ein übersteigertes Geltungsbedürfnis vor. „Als Unternehmer hätte das keiner von uns so gemacht“, sagt ein Vereinsmitglied, das namentlich nicht genannt werden möchte. Ein anderes Mitglied sagt: „Von den Kosten hätten wir locker zwei Werkstudenten finanzieren können“. Zwar gibt es bislang keinen Hinweis darauf, dass es bei der Planung Verstöße gegen die Satzung gegeben haben könnte. Dennoch wurde dem Vorstand auf der Mitgliederversammlung vorläufig mit 10:11 Stimmen die Entlastung verweigert. Der neue Vorstand wollte die Möglichkeit haben, direkt am Anfang noch einmal die Abläufe zu prüfen. Die entscheidende Stimme kam dabei laut mehreren Beteiligten ausgerechnet von Torsten Jensen, der sich selbst die Entlastung verweigerte, um die Dinge nachträglich aufzuklären.

NRWalley sucht nach der eigenen Identität

„Die Mitgliederversammlung war für mich ein Schock“, sagt Felicia Kufferath: „Es hatte sich im Vorfeld überhaupt nicht abgezeichnet, dass es Probleme bei der Entlastung geben könnte. Sonst hätten wir uns auch nochmal ganz anders vorbereitet, um zu zeigen, dass alles sauber gelaufen ist.“ Im Umfeld des Vereins heißt es, vermutlich handele es sich bei der verweigerten Entlastung um eine Momentaufnahme. Schon bei der nächsten Sitzung dürfte diese nachträglich erteilt werden. Ein unglückliches Bild gibt der Verein dennoch ab.

Entsprechend groß sind die Herausforderungen, die nun auf den neuen Vorstand warten. Gleichzeitig ist die Wahl auch eine Chance. Denn mit Madeleine Heuts, Maria Mann und Nele Mletschkowsky stehen drei Frauen an der Spitze – eine Quote, von der viele Unternehmen nur träumen können. Die drei Gründerinnen waren vorher nicht Mitglied bei NRWalley. Die Vergangenheit wollen sie daher möglichst schnell hinter sich lassen. „Es gibt schon sehr gute Strukturen im Verein. Der Vorsitz hat uns stark unterstützt“, sagt Nele Mletschkowsky. Das sei für die Übergabe sehr hilfreich. Umgekehrt ist auch der bisherige Vorstand erleichtert, dass die Nachfolge geklärt ist. „Wir sind sehr froh, dass die gute Arbeit der letzten Jahre in einem neuen Vorsitz weitergeführt wird“, sagt Markus Gick, der zusammen mit Felicia Kufferath und Torsten Jensen zuvor den geschäftsführenden Vorstand gebildet hatte. Torsten Jensen sagt, die Besetzung sei extrem stark.

Der Bundesverband Deutsche Startups denkt über NRW-Auftritt nach

Die drei Gründerinnen müssen dem Verein nun einerseits ein neues Programm verpassen und erklären, in welche Richtung sie NRWalley steuern wollen. Soll der Verein, so wie es sich einige Mitglieder wünschen, stärker auf das Ehrenamt setzen und sich mehr auf die Arbeit an der Basis konzentrieren? Oder verfolgt man weiter den eher unternehmerischen Traum der Anfangszeit von NRWalley? „Wir wollen auf politischer Ebene als Interessenvertretung und starke Stimme für alle Startups in NRW auftreten“, sagt die neue NRWalley-Vorsitzende Madeleine Heuts: „Die Monate vor der Landtagswahl im Mai sind deshalb sehr wichtig für die Entwicklung des Ökosystems hier.“

Der Erfolg bei der Umsetzung dürfte entscheidend sein, denn dem Verein könnte schon bald Konkurrenz aus dem eigenen Lager erwachsen. Beim Bundesverband Deutsche Startups, längst in anderen Bundesländern mit eigenem Personal unterwegs, sieht man die Kooperationsvereinbarung mit dem Verein schon länger kritisch. „Unser Anspruch ist, auch in den Bundesländern präsent zu sein“, sagt Christoph Stresing, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutsche Startups: „Das sehen wir in NRW aktuell durch die Kooperationsvereinbarung nicht ausreichend abgedeckt. Es ist daher natürlich eine Option, als Verband vor Ort auch selbst aktiv zu werden.“

Bei NRWalley gibt es einige, die mit einem Zusammenschluss sympathisieren. Vertreter:innen des Vereins waren vor der Wahl des neuen Vorstands sogar auf den Bundesverband zugegangen, um die Möglichkeiten auszuloten. Am Ende entschied man sich doch gegen die Option – unter anderem, weil die knapp 300 Mitglieds-Startups plötzlich beitragspflichtig geworden wären. Die neue NRWalley-Vorsitzende Madeleine Heuts sagt, sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem Bundesverband. Gleichzeitig betont sie den Wert eines eigenständigen Vereins im bevölkerungsreichsten Bundesland. Madeleine Heuts sagt: „Aachen ist zum Beispiel ganz anders als Wuppertal oder Bielefeld. Deshalb können wir vor allem durch NRWalley einen stärkeren Fokus auf die Bedürfnisse in NRW legen.“

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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