Diese Startups wollen den Browser neu erfinden und haben Millionen-Fundings eingesammelt

Wie die Browser Company, Beam, Synth und Mighty zum nächsten Chrome werden wollen

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Wer kennt es nicht: nur ein Klick zu viel im Browser und der Notebook-Lüfter springt auf höchster Stufe an (Szene aus einem Werbe-Video von Mighty)
Inhalt
  1. Kann der Browser neu erfunden werden?
  2. Ein Browser als „Multi-Player-Experience“
  3. „Seit 20 Jahren hat sich das Interface nicht verändert“
  4. Beam: Vom Browser zur Wissensdatenbank
  5. Erhöhung der Produktivität als B2B-Geschäftsmodell
  6. Mighty: Schneller durch Browser-Streaming?
  7. 42 Millionen US-Dollar Funding, Marktanteil im Promille-Bereich

Es ist die vielleicht am häufigsten und intensivsten genutzte Software-Art der Welt und Basis-Plattform für viele essenzielle Technologien und Web-Anwendungen: der Browser. Umso erstaunlicher, dass sich seit dem Siegeszug von Google Chrome in der Browser-Welt lange nicht allzu viel bewegt hat. Doch nun schickt sich eine ganze Riege junger Startups an, den Browser von Grund auf neu zu erfinden. Obwohl alle von ihnen noch in geschlossenen Beta-Tests sind, haben einige schon Millionenbeträge von namhaften Investoren und Unternehmern der Tech-Szene eingesammelt. OMR stellt die selbst ernannten Browser-Revolutionäre vor und versucht einen Blick hinter die Kulissen.

Linkedin-Mitgründer Reid Hoffman. Instagram-Mitgründer Mike Krieger. Zoom-Gründer Eric Yuan. Stripe-Mitgründer Patrick Collison. Facebook-Vorständin Fidji Simo. Google-Maps-Schöpfer Bret Taylor (heute President und COO bei Salesforce). Github-CEO Nat Friedman. Und Emilie Choi, President und COO von Coinbase. – Die Liste der Geldgeber, die an der jüngsten Funding Runde der Browser Company beteiligt waren, besteht aus einigen der bekanntesten Namen der US-Tech-Szene.

Kann der Browser neu erfunden werden?

13 Millionen US-Dollar hat das Browser-Startup nach eigenen Angaben in der gerade abgeschlossenen Series A eingesammelt. Die Höhe des vor einem knappen Jahr erfolgten Seed-Fundings soll sich auf fünf Millionen US-Dollar belaufen haben. Laut einem Artikel des US-Tech-Mediums Protocol ist die Browser Company aktuell mit 100 Millionen US-Dollar bewertet. Und das, obwohl das Produkt des Unternehmens noch gar nicht allgemein verfügbar ist. Wer den von dem Startup entwickelten Browser nutzen will, muss sich mittels Formular auf eine Warteliste eintragen. Laut Protocol hat die Browser Company bislang erst 100 Menschen Zugang zu dem Browser erteilt, der aktuell den Namen „Arc“ trägt.

„Wir denken den Browser von Grund auf neu“, schreibt das Team des Startups bei der Verkündung der Series A, überschrieben mit „Infrastruktur für ein neues Internet“. Das Unternehmen wolle den Nutzenden das Werkzeug an die Hand geben, um sich selbst „ein Heim im Internet“ zu errichten, heißt es darin nebulös. Konkrete Funktionen sowie die Unterschiede zu bisherigen Browsern sind bislang nahezu unbekannt; die bisherigen Beta-Tester sollen zum Schweigen verpflichtet worden sein. Auf Twitter posten Mitglieder des Browser-Company-Teams ab und zu Videos von kleinen Experimenten oder Sneak Previews, die nur wenig aussagekräftig sind.

Ein Browser als „Multi-Player-Experience“

Im Protocol-Artikel heißt es, Browser-Company-Gründer Josh Miller (der vor einigen Jahren sein Startup an Facebook verkaufte und später für einige Jahre in Obamas Digital-Team tätig war) sehe Browser als Betriebssysteme und frage sich, wie ein iOS für Web Apps aussehen könnte. Die damit verknüpften Fragen lassen erahnen, welche Funktionen Arc einmal für die Nutzenden bereit halten könnte: „Was, wenn Dein Browser dir einen personalisiserten News Feed erstellen könnte, weil er weiß, welche Seiten du aufrufst? Was, wenn jede Web App sich wie eine Native App anfühlte und der Browser nur App Launcher wäre?“ Oder auch:“ Was, wenn der Browser eine teilbare, synchronisierte ‚Multi-Player-Experience‘ wäre?“.

Laut Protocol nutzt Arc Chromium, denselben Open-Source-Code, auf dem auch Googles Browser Chrome basiert. Chrome galt in den letzten Jahren als Endpunkt der „Browser Wars“. Nachdem Netscape (heute Mozilla), Microsoft und Apple jahrelang um die Vorherrschaft im Browser-Bereich gekämpft hatten, zog Google mit Chrome vorbei, übernahm im Jahr 2012 die Marktführerschaft und hat sie seitdem nicht mehr abgegeben. Laut dem Statistikdienst Statcounter nutzen knapp 65 Prozent der Menschen im Internet Chrome, mit 18 Prozent liegt Apples Safari auf dem abgeschlagenen zweiten Platz.

„Seit 20 Jahren hat sich das Interface nicht verändert“

Doch offensichtlich denken viele Investoren und Unternehmer im Silicon Valley, dass Chrome nun reif für eine „Disruption“ ist – oder zumindest der Bedarf dafür vorhanden ist. Denn immer mehr wird über den Browser abgewickelt; durch den Siegeszug von Software-as-a-Service-Tools ist der Browser auch das Basis-Interface für viele Software-Produkte. Doch dieses Interface hat sich kaum bis gar nicht weiterentwickelt. „Tabs sind immer noch Tabs, Booksmarks immer noch Books, der Verlauf immer noch der Verlauf“, so Browser-Company-Mitgründer Hursh Agrawal gegenüber Protocol. „Seit 20 Jahren hat sich das User Interface nicht wirklich verändert. Aber wir verbringen acht Stunden pro Tag davor und brauchen es, um unsere Arbeit zu tun.“

Viele der jungen Browser-Startups setzen mit Innovationen bei der Nutzeroberfläche an – neben der Browser Company auch Beam. Dahinter steht Dom Leca, der vor zehn Jahren das Startup hinter der E-Mail-App Sparrow Mail gegründet und 2012 an Google verkauft hat. Leca war danach u.a. für Google und als freier Berater in Sachen Produktdesign tätig. Nun will er mit Beam ein neues Browser-Erlebnis schaffen. Die meisten Informationen, die er beim Besuch von Websites und der Online-Recherche aufnehme, vergesse er wieder. „Was bringen mir all die Stunden, die ich im Netz verbringe?“, so Leca gegenüber Sifted. „Nichts. Ich habe drei Bookmarks, ein paar Notizen und alles andere ist im Grunde verloren.“

Beam: Vom Browser zur Wissensdatenbank

Bei Beam werde demgegenüber bei jeder Suche eine Art Notizkarte angelegt, wie bei Techcrunch zu lesen ist (der Browser befindet sich ebenfalls in einer geschlossenen Beta-Phase). Auf dieser werden die Links gespeichert, die die Nutzenden im Rahmen ihrer Recherche angeklickt haben; außerdem können sie eigene Notizen hinzufügen. So soll über die Zeit hinweg eine Art persönliche Wissensdatenbank der Nutzenden entstehen. Die Suchfunktion von Beam durchsuche nicht nur das Netz, sondern auch diese Karten.

Laut Sifted hat Beam gerade neun Millionen US-Dollar Funding eingesammelt, u.a. vom VC Fonds Pace Capital sowie den Business Angels Christan Reber (Pitch, Wunderlist), Harry Stebbings (20minVC) und Albert Wenger (Union Square Ventures, hier 2018 im OMR Podcast). Davor soll Beam bereits 3,5 Millionen US-Dollar eingesammelt haben; u.a. vom relativ bekannten VC Fonds Spark Capital.

Erhöhung der Produktivität als B2B-Geschäftsmodell

Die VC-Firma Kleiner Perkins Caufield Byers (KPCB) hat gerade ein Seed Funding im Umfang von zwei Millionen US-Dollar in den Sidekick Browser angeführt. Entwickler Dmitry Pushkarev, der zuvor u.a. eine Cloud-Computing-Firma an Amazon verkauft hat, will mit seinem Produkt einen Browser nur fürs Arbeiten anbieten, der die Produktivität der Nutzenden erhöhen soll. Sidekick bündelt dafür u.a. Apps, Tabs und Workspaces in einer Benutzeroberfläche. Der Browser basiert ebenfalls auf Chromium und ist bereits jetzt verfügbar. Eine Basis-Version ist kostenlos, für erweiterten Funktionsumfang müssen die Nutzenden zahlen.

In Sidekick können die Nutzer Apps in einer Sidebar organisieren und so schnelleren Zugriff auf Gmail, Slack oder andere Anwendungen erhalten (Screenshot: Sidekick)

„Nicht einfach nur browsen, sondern Dinge erledigt bekommen“, lautet das Nutzenversprechen von Synth. Der Browser solle den Arbeitsfluß verbessern, schreibt einer der Gründer in einem Blog-Artikel. Synth sei ein „neues Bookmark-System, das eher wie eine Web-weite Inbox agiere“, schreibt Protocol.

Ein Blick auf die Benutzeroberfläche von Synth. Der Browser soll offenbar automatisiert und mittels Machine Learning Graphen erstellen können (Screenshot: Synth)

Mighty: Schneller durch Browser-Streaming?

Das Startup Mighty von Suhail Doshi, Gründer des Mobile-Analytics-Startups Mixpanel, fährt einen anderen Ansatz und konzentriert sich stärker auf das Thema Performance: Mighty mache Chrome schneller, benötige demgegenüber aber 10 Mal weniger Speicher, so das Unternehmen auf seiner Website. Die technische Lösung im Hintergrund: Mighty streamt den Browser; das gesamte Handling findet nicht auf dem Rechner des Nutzers statt, sondern den Mighty-Servern. Laut Crunchbase hat Mighty im Jahr 2019 150.000 US-Dollar Pre-Seed-Funding von Y Combinator eingesammelt. Die Website ist erst seit wenigen Wochen live; auch hier können Interessierte per Formular um den Zugang zur Beta-Phase bitten.

Davon, wie schwierig es für neue Anbieter sein kann, im konsolidierten Browser-Markt Fuß zu fassen, zeugt das Beispiel Brave, das schon seit 2016 versucht, den Browser-Markt zu disruptieren. Der ebenfalls auf Chromium basierende Browser setzt auf Datenschutz und Privatsphäre und umfasst einen Ad- und Cookie-Blocker. Gleichzeitig sollen die Nutzenden für das freiwillige Anschauen von Werbung mit einer Kryptowährung entlohnt werden.

42 Millionen US-Dollar Funding, Marktanteil im Promille-Bereich

Das Betreiberunternehmen, das laut Crunchbase bislang in fünf Funding-Runden 42 Millionen US-Dollar eingesammelt hat (u.a. von Peter Thiels Founders Fund), musste schon mehrere Kontroversen überstehen. Die Newspaper Association of America bezeichnete Braves Geschäftsmodell wegen der Adblocking-Komponente als illegal. Im vergangenen Jahr mussten sich die Brave-Betreiber entschuldigen, nachdem der Browser an URLs von Kryptowährungs-Websites automatisch Affiliate-Tracking-Links angehängt hatte, um Provisionen zu erhalten, wenn sich Nutzende auf diesen registrierten. Das Hosting-Unternehmen Kinsta schätzt den Markanteil des Brave Browsers aktuell auf 0,05 Prozent.

BrowserStartups
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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