Ist das App-Ökosystem kaputt?

Martin Gardt3.12.2015
550_App-Marketing
Inhalt
  1. Wir werfen einen Blick auf das schwierige Feld des App-Marketings
  2. Mit Apps verdienen nur ganz wenige Geld
  3. Vom Finden und Gefunden werden
  4. Der App-Markt wird immer enger
  5. Es muss auch anders gehen

Wir werfen einen Blick auf das schwierige Feld des App-Marketings

550_App-Marketing Eigentlich sollten App-Stores ein Paradies für Selfmade-Typen und -Mädels sein. Es geht um Milliarden-Beträge und App-Publisher können mit nur einer App unglaublich viel Geld verdienen. Doch in letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die ein negatives Bild zeichnen. Das große Geld machen demnach nur einige wenige. Kleine Entwickler haben kaum eine Chance, entdeckt zu werden bzw. Profit zu erzielen. App-Experte Alex Austin hat einen beeindruckenden und aufschlussreichen Artikel geschrieben und Business-Stratege Michael Wolf wünscht allen viel Glück, die mit Apps Geld verdienen wollen (glaubt aber nicht daran). Wir zeigen, was sich auf dem Marktplatz tun muss und ob App-Entwicklung sich überhaupt noch lohnt.  

Wie findet Ihr die nächste heiße App? Derzeit ist das gar nicht so leicht bei über 1,3 Millionen Apps in Googles Play Store und über 1,2 Millionen in Apples App Store. Laut Nielsen verbringen Smartphone-Nutzer pro Monat ihre Zeit in durchschnittlich knapp 27 Apps. Meist nutzen sie aber lediglich fünf Apps wirklich regelmäßig. Da viele App-Entwickler auf ein Freemium-Modell setzen und nicht über die Installation sondern über In-App-Käufe monetarisieren, wird das fehlende Engagement zu einem ernsten Problem. Eine kleine Handvoll Unternehmen dominiert den Markt: Facebook, Google und andere große Namen wie Microsoft, Apple und Amazon. Die Top-20 App-Publisher (für 0,005 aller Apps verantwortlich) im Google Play Store machen einen Umsatz von fünf Milliarden US-Dollar, die übrigen über 380.000 Publisher machen zusammen gerade drei Milliarden und damit durchschnittlich 8.000 Euro pro Publisher (nicht pro App). Im App Store sieht es nicht ganz so krass aber ähnlich problematisch für kleine Entwickler aus. Diese Folie nimmt Michael Wolf unter anderem zum Anlass, um ein pessimistisches Bild für die Monetarisierungs-Chancen der meisten Entwickler zu malen.

Verteilung der App-Umsätze zwischen den Top20-Entwicklern und dem Rest. (Quelle: Michael Wolf / Business Insider)

Verteilung der App-Umsätze zwischen den Top20-Entwicklern und dem Rest. (Quelle: Michael Wolf / Business Insider)

Mit Apps verdienen nur ganz wenige Geld

Pro Monat kommen 45.000 neue Apps in den App Store, die Chance, in dieser Masse entdeckt zu werden und in die Top1000 des Stores vorzudringen, liegt bei 0,1 Prozent oder geringer. Und selbst wenn sie es schaffen würden, könnten sie kaum genug dauerhaftes Engagement erreichen, um ein lukratives Business aufzubauen. Ein interessantes Prinzip in der Wirtschaft ist die 80/20 Regel (Paretoprinzip) erwähnt Alex Austin vom Deep-Link-Anbieter Branch Metrics in seinem Artikel. Die besagt zum Beispiel, dass 80 Prozent des Umsatzes mit 20 Prozent der Produkte erzielt wird. Würde das auch für das App-Business gelten, wäre alles okay – stattdessen gilt hier wie schon gezeigt eher eine 99/1 Regel. Es wirkt so, als seien 99 Prozent der Umsätze und des Engagements auf ein Prozent der Player zentralisiert.

Das bedeutet im ungünstigsten Fall, dass App Stores längst gesättigt sind und sich App-Entwickler lieber auf Geschäftsmodelle im Web konzentrieren sollten. Hier lässt sich Engagement leichter erreichen und monetarisieren. Und auffindbarer ist das Projekt in jedem Fall. Aber woran liegt das App-Store-Problem im Detail?

Vom Finden und Gefunden werden

Das größte Problem der Entwickler ist, dass Nutzer die eigene App erst einmal finden müssen. Hier stehen eigentlich nur zwei Wege zur Verfügung: bezahlte Anzeigen bei Facebook, Google und anderen Plattformen oder Sichtbarkeit im App Store. Um einen dieser Wege zu gehen, muss die App allerdings schon entdeckt worden sein. Welcher Entwickler kann es sich schon leisten, eine Menge Geld für neue Nutzer auszugeben, bis die das erste Mal zahlen? Laut einer neuen Erhebung kosten „treue“ Nutzer, die eine App drei Mal oder öfter öffnen über vier US-Dollar. Wir hatten vor einigen Wochen schon berichtet, dass einige erfolgreiche Spieleentwickler an die 20 US-Dollar für neue Nutzer zahlen – allerdings steckt hier auch die größte Chance, das Geld wieder einzunehmen. Zu Weihnachten wird es noch schwieriger, weil große Unternehmen mittlerweile viel Geld in mobile Marketing stecken und so App-Entwicklern wichtige Inventarplätze streitig machen bzw. verteuern.

Wer Installs einkauft, zahlt mittlerweile über vier US-Dollar pro Nutzer. (Quelle: Fiksu / Venture Beat)

Wer Installs einkauft, zahlt mittlerweile über vier US-Dollar pro Nutzer. (Quelle: Fiksu / Venture Beat)

Im App Store gefunden zu werden, kostet im ersten Moment zwar kein Geld, braucht aber viel Arbeit und bevorzugt ebenfalls bereits entdeckte Apps. Die drei Möglichkeiten für den Nutzer, neue Programme zu entdecken, ist die „Empfohlene Apps“-Seite, die Top-Charts und die Suche. Letztere ist relativ unbrauchbar, wenn der Nutzer den Namen der App nicht genau kennt. Um in die App-Empfehlungen zu kommen braucht es entweder gute Beziehungen zu Apple und Google, einen großen Namen, viele Downloads zu Beginn oder ganz viel Glück – planbar sieht anders aus. Bleiben die Top-Charts, die an sich ja schon die Starken bevorzugen. Wer es über den Strich der sechs beliebtesten Apps in einer Kategorie schafft, kann mit immer neuen Nutzern rechnen, die dadurch auf die App aufmerksam werden. Wie Ihr im Screenshot seht, sind von den Top-Apps drei von großen Playern und drei (im weitesten Sinne) Spiele.

Der App-Markt wird immer enger

224_Top-Apps-iOSIst die erste Stufe geschafft und der Nutzer hat die App entdeckt, kommen andere Probleme auf Entwickler zu: Installation und Konfiguration. Webseiten und –apps lassen sich meist ohne Zeit- und Ressourcenaufwand nutzen. Das ist bei Smartphone-Apps anders, eine weitere Hürde für die Nutzer entsteht. Schon allein der verfügbare Speicherplatz auf dem Smartphone entscheidet oft über eine Installation. Wer hat schon immer genug Platz und wer löscht freiwillig eigene Fotos, nur um eine neue App zu installieren?

Der App Store verknappt die verfügbaren Informationen über die App außerdem. Im Zentrum stehen die Bewertungen. Wer die Reviews nicht aktiv begleitet, läuft Gefahr, schnell in den 2-3-Sterne-Bereich zu rutschen (wie die meisten Apps). Schließlich bewerten vor allem enttäuschte Nutzer eine App, positive Bewertungen zu bekommen, ist ziemlich schwer. Damit sinken die Chancen auf viele Downloads immens. Wer es geschafft hat, sich eine gute Bewertung zu erarbeiten, muss zusätzlich mit Titel, Screenshots und der Beschreibung überzeugen. Viele versuchen mit komplett groß geschriebenen Texten oder bunter Schrift für Aufmerksamkeit zu sorgen.

Es muss auch anders gehen

Das App-Ökosystem steckt also ganz offensichtlich in einer Klemme und sollte derzeit nicht der erste Anlaufpunkt für kreative Entwickler sein, die mit ihrem Produkt auch Geld verdienen wollen. Es gibt aber bereits Lösungsvorschläge, um das Problem anzugehen. Alex Austin schlägt vor, mit den App Stores anzufangen. Dabei sollen die Top-Charts nicht durch die Download-Zahl aufgestellt werden. Stattdessen würde das Ranking auch vom Alter der Apps und dem Engagement während der Lebenszeit beeinflusst werden. Lassen die Nutzungszahlen mit der Zeit nach, würden auch Apps mit hohen Download-Zahlen in den Charts nach unten rutschen und Platz für neue machen.

Außerdem müsste der Zugang zu Apps vereinfacht werden. Die Menschen interessiert weniger die Hülle als der eigentliche Inhalt. Vielleicht wird eine App nur ein einziges Mal genutzt, um einen Text zu lesen, bevor sie nie wieder geöffnet wird. Besser wäre es aber, wenn der Nutzer über einen Link aus einer anderen App in die nächste kommen würde – ohne die Hürde mehrere Buttons anzutippen. Damit würde sich das Ökosystem dem Web annähern schließlich ist der Wechsel zwischen Webseiten viel einfacher als zwischen Apps. Möglich wäre etwa ein automatischer Download, wenn Nutzer aus einer anderen nativen App auf einen Link klicken und vorher deutlich gemacht wurde, das dieser zu einer anderen App führt. Das Betriebssystem könnte die nur einmal genutzte App nach drei Tagen Nichtbenutzung löschen.

Google scheint das Problem erkannt zu haben. In Zukunft sollen bei der mobilen Suche auch App-Inhalte in den Ergebnissen auftauchen. Wer diese anklickt landet in der App-Oberfläche, die allerdings von Google-Servern gestreamt wird und nicht auf dem Smartphone läuft. So könnten App-Entwickler das Engagement steigern und sogar Nutzer monetarisieren, die die App gar nicht runterladen. Bevor diese Möglichkeit verfügbar ist, haben App-Entwickler weiter schlechte Karten. Wir hatten schon über die Möglichkeit geschrieben, Influencer als Aufhänger zu nehmen, aber das können sich auch nur wenige leisten. In ihrer Verzweiflung greifen deshalb einige Developer zu drastischen Mittel, wie etwa dem „Charting“. Dabei kaufen sie zehntausende gefakte Installs in Asien in sehr kurzer Zeit, nur um es irgendwie in die Top50 des App Stores zu schaffen. Dafür braucht man bei Apple etwa 23.000 Downloads an einem Tag. Kleine Entwickler können also nur hoffen, dass sich das App-Ökosystem weiter öffnet und verändert, sonst sollten sie sich schnell anderen Plattformen zuwenden.

MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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