219 Prozent Wachstum: Wie eine winzige Karibik-Insel vom AI-Hype profitiert

Anguilla setzt mit der eigenen Top-Level-Domain bereits Millionenbeträge um

anguilla1_1190x650
Meads Bay auf Anguille (Foto: Rachid H., Flickr, CC BY-NC 2.0)

Es sind nur zwei Buchstaben, aber sie lassen aktuell vielen Unternehmern, Investoren und Glücksrittern die Dollar-Zeichen in den Augen aufblitzen: AI. Vom Hype um die künstliche Intelligenz profitiert nun auch die nur rund 96 Quadratkilometer Fläche umfassende Karibikinsel Anguilla: Weil ihr die Top Level Domain .ai gehört und unter AI-Startups eine Website mit dieser Endung zum guten Ton gehört, geht nun auch ein Teil des Geldregens auf Anguilla nieder.

Es klingt paradiesisch: 33 Strände mit weißem Pulversand und einer Gesamtlänge von 19 Kilometer gibt es auf Anguilla. Promis wie Beyoncé, Jay-Z, Paris Hilton und Justin Bieber sollen dort bereits Urlaub gemacht haben. Traditionell beliebteste Tätigkeit der Inselbewohner: das „Liming“, das entspannte und gepflegte „Herumhängen“.

美しいショールベイビーチ(アンギラ) – Spherical Image – RICOH THETA

Fünf Prozent des Haushaltseinkommens durch Domains?

Doch im digitalen Äquivalent von Anguilla wird gedrückt, gedrängelt und per Handtuch die besten Plätze reserviert, denn Domains mit der Endung .ai sind begehrt. Laut der britischen Domain-Behörde Nominet ist die Zahl der Registrierungen von .ai-Domains um 219 Prozent gewachsen.

Für den Karibikstaat mit rund 15.000 Einwohnern ist die eigene Top Level Domain damit offenbar zum Millionengeschäft geworden. In dem im Juli 2018 verabschiedeten Haushaltsplan kalkuliert der Finanzminister des Landes mit einem Einnahmenseinstieg von knapp 51 Prozent im Bereich Gebühren, auf insgesamt 9,85 Millionen Euro. „Dieser Anstieg geht auf das erwartete Wachstum bei Domain-Registrierungen mit der Endung .ai zurück, die gleichzeitig Länderkürzel für Anguilla und Abkürzung für AI ist“, heißt es in dem Dokument. Unbestätigten Schätzungen des Domain-Registrars Epik.com zufolge soll das Geschäft mit der Top Level Domain bereits zuvor fünf Prozent des Brutto-Inland-Produktes ausgemacht haben.

Ein Kryptopunk baut das Geschäft auf

Dabei waren die Anfänge der anguillischen Top Level Domain eher obskur: Vince Cate, eine schillernde Figur aus der Crypto-Szene, hatte Ende der 90er Jahre mit seiner Firma Datahaven die Vermarktung der ccTLD (Country Code Top Level Domain) übernommen. Der aus Kalifornien stammende Programmierer war 1994 nach Anguilla gezogen, u.a. weil er angeblich die Steuersysteme der westlichen Welt ablehnt.

Bis 2018 war es noch möglich, bei Vince Cate eine .ai-Domain direkt zu registrieren – „domain-nostalgisches Feeling inklusive“ , wie das vom Domain-Registrar United Domains betriebene Blog Domain-Recht.de schreibt. So konnten Interessenten bei der Verwaltungsstelle gegen Zahlung von 100 US-Dollar einen eigenen Account erstellen und dann Domains selbst registrieren. „Zahlungen können per Kreditkarte oder per Bitcoin erbracht werden. Die Domain-Bestellung geht an Vincent Aron Cate, der die Domains manuell einträgt.“ Cate führt Gerüchten zufolge seine Geschäfte nach wie vor über eine Gmail-Adresse.

Kommt nun der Goldrausch?

Mit den Fortschritten in der Forschung zu künstlicher Intelligenz und der zunehmenden wirtschaftlichen Relevanz des Themas wurde auch die Länderkennung für Website-Betreiber und Domain-Händler immer attraktiver. Ende der Nuller Jahre sollen für .ai-Domains bereits vierstellige US-Dollar-Beträge gezahlt worden seien, so Domain-Recht.de. 1.850 US-Dollar soll beispielsweise für die Domain sex.ai gezahlt worden seien.

Seitdem sind .ai-Domains noch einmal populärer geworden. Anfang 2017 soll sich z.B. ein chinesischen Unternehmen mehrere .ai-Domains zum Gesamtpreis von mehr als 50.000 US-Dollar gesichert haben (kurioserweise ist „ai“ ebenfalls das chinesische Wort für Liebe). Ebenfalls im Januar soll übereinstimmenden Berichten zufolge die Domain music.ai zum Preis von 101.500 US-Dollar an einen unbekannten Käufer verkauft worden sein. Wie in Foren nachzulesen ist, hoffen seitdem viele Domainer auf einen Goldrausch mit .ai-Domains. Da Wagniskapitalgeber aktuell weltweit mutmaßlich Milliardenbeträge in AI-Firmen investieren, ist diese Hoffnung zumindest nicht komplett haltlos.

Die zehn bislang teuersten .ai-Domains laut Namebio.com

Irma sorgt für einen Totalausfall

Microsoft, Google, Intel und Facebook haben sich unterdes bereits die .ai-Domains zu ihren Firmennamen gesichert und leiten diese im Regelfall zu Info-Seiten über ihre Forschung und andere Aktivitäten im Bereich künstlicher Intelligenz weiter. AI-Startups wie Mercury, Mindpeak, X.ai und Wit.ai (letzteres mittlerweile von Facebook aufgekauft) betreiben ihre Websites ebenfalls unter einer .ai-Domain.

Dabei mussten die Firmen mit einer solchen Website-Adresse noch bis zum vergangenen Jahr damit rechnen, dass ihre Seite plötzlich nicht erreichbar ist: Als Anguilla im September 2017 von Hurricane Irma verwüstet wurde, sollen durch den daraus resultierenden Stromausfall auch Websites mit .ai-Domain nicht abrufbar gewesen sein.

Ist Vince Cate aus dem Rennen?

Seitdem die anguillische TLD im April 2018 auf eine neue technische Plattform umgezogen ist, sollte solch ein Blackout deutlich unwahrscheinlicher geworden sein. Der Branchendienst Domainnamewire glaubt, dass der Schritt möglicherweise die Verbreitung der Top Level Domain nochmals ankurbeln könnte.

Aktuell ist Vince Cate offenbar nach wie vor zuständiger Betreiber der .ai-Domain. Doch möglicherweise erwägt die Regierung des Inselstaates die geschäftlichen Verbindungen zu dem gebürtigen US-Amerikaner zu kappen. Die Regierung wolle die Dienste einer „angesehenen Firma“ in Anspruch nehmen, um das Registrierungssystem nachzurüsten und zu managen, heißt es in einem Fiskalplan aus dem Juni 2018. Damit solle sichergestellt werden, dass die .ai-Domain „auf Weltklasse Niveau“ betrieben werden könne. Denn: „Ein gut gemanagter Domain Registrar stellt ein bedeutendes Umsatzpotenzial dar.“

Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

Alle Artikel von Roland Eisenbrand

Ähnliche Artikel

Aktuelle Stories und die wichtigsten News für Marketeers direkt in dein Postfach!
Zeig mir ein Beispiel