„Barack Obama Book“: Mit simplem SEO und Fake Reviews zu Tausenden von Amazon-Buch-Sales

Wie der obskure Verlag "University Press" sich auf Amazon als Trittbrettfahrer systematisch an Bestsellerbücher hängt

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Inhalt
  1. 890.000 verkaufte Exemplare am ersten Tag
  2. Kann Barack die Millionenverkäufe von Michelle toppen?
  3. „Wie hieß das Obama-Buch nochmal? Google weiß es bestimmt…“
  4. Amazon schaltet für die Billigbiographie Anzeigen bei Google
  5. „Barack Obama Book“ dringt auf Amazon in die Top 50 vor
  6. Hat das „Barack Obama Book“ vierstellige Verkäufe verzeichnet?
  7. „An nur einem Tag bestellt, geliefert und in den Müll geworfen“
  8. Wie viele der Reviews sind überhaupt echt?
  9. Sind die „University Press“-Bücher von einer KI geschrieben?

Die Autobiographie von Barack Obama dürfte in den kommenden zwölf Monaten einer der bestverkauften Titel der Buchbranche sein; allein die Startauflage von „A Promised Land“ beträgt drei Millionen Exemplare. Einem dubiosen wie bauernschlauen US-Digital-Publisher ist es offenbar zumindest zeitweise gelungen, einen Teil von dieser Aufmerksamkeit für sich abzuzwacken, mit SEO-Tricks seine eigene, zusammengestümperte Obama-Biographie auf Amazon zu pushen und diese damit möglicherweise mehrere Tausend Mal zu verkaufen. OMR hat die Geschichte nachgezeichnet und erklärt die dahinterstehenden Marketingmechanismen.

Barack Obama ist auf Werbetour – und wenn der 44. Präsident der Vereinigten Staaten (der in der zu Ende gehenden Präsidentschaft von Donald Trump für den liberal-progressiven Teil der US-Bevölkerung vielleicht noch mehr eine Sehnsuchtsfigur darstellt als in seiner aktiven Amtszeit) sich für ein Interview zur Verfügung stellt, öffnen ihm die reichweitenstärksten TV-Show-Hosts ihre Türen: Oprah Winfrey für ihre neue Show auf Apple TV „The Oprah Conversation“, Jimmy Kimmel Live, 60 Minutes und heute Abend Stephen Colbert.

890.000 verkaufte Exemplare am ersten Tag

Nicht nur in den großen US-Medien darf Obama für seine just erschienene Autobiographie „A promised land“, auf deutsch „Ein verheißenes Land“ werben; mit Blick auf den europäischen Markt gewährte der 59-Jährige hochrangigen Gastgebern und Medien diverse Interview-Slots: Für Deutschland interviewte Markus Lanz Obama für das ZDF, für Spanien der Chefredakteur der führenden Tageszeitung El País und für Frankreich der Literaturkritiker François Busnel zur besten Sendezeit auf France 2.

Der massive Medienrummel könnte entscheidend dazu beitragen, dass Obamas Buch, vielleicht sogar noch stärker als „Becoming“ von seiner Frau Michelle Obama zwei Jahre zuvor, im Buchhandel einer der Bestseller im kommenden Weihnachtsgeschäft wird. Die ersten Verkaufszahlen von „Ein verheißenes Land“ deuten zumindest daraufhin: Am Erscheinungstag sollen 890.000 Exemplare verkauft worden sein, wie der Verlag Penguin Random House gegenüber mehreren Medien, u.a. dem britischen Guardian, erklärte. Von „Becoming“ hatten am ersten Tag 725.000 Exemplare den Besitzer gewechselt.

Kann Barack die Millionenverkäufe von Michelle toppen?

Random House hat sowohl „Becoming“ als auch „Ein verheißenes Land“ verlegt und soll dem Ehepaar Obama Branchenspekulationen zufolge für seine beiden Bücher eine niedrige bis mittlere achtstellige US-Dollar-Summe gezahlt haben. Das dürfte sich auszahlen: Bis heute soll Michelle Obamas Autobiographie laut der New York Times weltweit mehr als 14 Millionen Mal verkauft worden sein.

Es ist also ein massives Aufmerksamkeits- und Geschäftspotenzial, das sich aktuell rund um „Ein verheißenes Land“ auftut. Der/die bauernschlaue Betreiber*innen eines vornehmlich auf Amazon publizierenden Verlagshauses hat nun eine besonders „kreative“ Methode gefunden, einen Teil dieses Potenzials für sich abzuschöpfen: „University Press“ hat mit einer eigenen Buchveröffentlichung zu Barack Obama versucht, all jene Online-Buch-Käufer abzufangen, die zwar von Obamas Autobiographie Wind bekommen haben – aber sich den Namen nicht merken konnten: „Barack Obama Book“ (mittlerweile ist das Listing bei Amazon entfernt).

Die Suchanfragen nach „barack obama book“ gingen in den USA zwar nicht gleichermaßen in die Höhe wie zu „a promised land“, trotzdem dürfte hinter dieser Entwicklung relevantes Suchvolumen stehen (Screenshot: Google Trends)

„Wie hieß das Obama-Buch nochmal? Google weiß es bestimmt…“

Was wie ein Scherztitel klingt, zielt auf all jene Nutzer ab, die in Unkenntnis des offiziellen Buchtitels bei Amazon oder Google eben genau diese Keyword-Folge eingeben. Die sollen möglicherweise auch mit günstigen Preisen geködert werden („Das ist bestimmt die Taschenbuchvariante“): Das Buch kostete 2,99 US-Dollar in der Ebook-Fassung und knapp 13 US-Dollar in der (vermutlich von Amazon on demand) gedruckten Fassung.

Dafür ist die inoffizielle Biographie deutlich kürzer: „Barack Obama Book“ umfasst 61 Seiten – und damit nicht einmal ein Zehntel der 768 Seiten der gebundenen Original-Ausgabe von „A Promised Land“. Ein offizieller Autor wird nicht genannt. Trotzdem rangierte das Buch noch bis vor wenigen Tagen bei einer Suche nach „barack obama book“ auf Amazon.com auf Platz drei der Ergebnisliste.

Die Ergebnisseite einer Suche nach „barack obama book“ auf Amazon.com vor wenigen Tagen: „Barack Obama Book“ von University Press rangiert auf Rang 3

Amazon schaltet für die Billigbiographie Anzeigen bei Google

Wer „barack obama book“ bei Google eingab, bekam sogar eine von Amazon vermutlich automatisiert erstellte Anzeige ausgespielt, die auf eine Suchergebnisseite führte, auf der die Veröffentlichung von „University Press“ den ersten Platz belegte.

Eine Google-Suche nach „barack obama book“ in einem Incognito-Fenster in Chrome von Deutschland aus

„University Press“ veröffentlichte „Barack Obama Book“ am 9. November und damit eine gute Woche vor „A Promised Land“ – vielleicht, um in diesem Zeitraum Klicks und damit relevante Ranking-Signale gegenüber Amazons Algorithmus ansammeln zu können. Möglicherweise trugen dieses Vorgehen sowie der simple Trick, die Keyword-Folge „barack obama book“ in den Titel mit zu übernehmen, dazu bei, durchaus relevante Verkaufszahlen zu generieren. Am 18. November twitterte der US-Verlagsmanager (bei einer Tochter von Harper Collins tätig), dass „Barack Obama Book“ auf Platz 173 von Amazons Bestseller-Liste stehe.

„Barack Obama Book“ dringt auf Amazon in die Top 50 vor

Einen Tag später setzte sich Dan Kois, durch Eric Nelsons Tweet auf „Barack Obama Book“ aufmerksam geworden, mit dem Büchlein in einem Artikel beim US-Medium Slate auseinander. „‚Barack Obama Book‘ ist in einem Stil geschrieben, den ich nur als ‚Platzhalter Prosa‘ beschreiben kann – eine Art englischsprachiger Blindtext, der Bedeutung vollkommen persönlichkeitsfrei vermittelt“, so Kois. Als der US-Journalist seinen Artikel veröffentlicht, ist „Barack Obama Book“ auf Amazon.com schon auf Verkaufsrang 114 geklettert. Und nach Erscheinen des Slate-Artikels soll das Buch laut eines Tweets von Dan Kois sogar bis in die Top 50 vorgedrungen sein. Seit dem 20. November ist das Listing auf Amazon nicht mehr verfügbar.

Dazu, wie häufig sich das Buch in dem kurzen Zeitraum, in dem es auf Amazon erhältlich war, verkauft hat, existieren keine verlässlichen Informationen. Der österreichische Online-Marketing-Berater Christian Költringer, der einen Kurs über die Erstellung von Ebooks anbietet und seine Kunden beim Verfassen und Vermarkten von Ebooks berät, verweist auf Tools, die anhand des „Best Seller Ranks“ von Amazon Schätzungen zu Verkaufszahlen abgeben: der „Amazon Sales Estimator“ von Jungle Scout, und der „Kindle Best Seller Calculator“ vom „Kindlepreneur“ Dave Chesson.

Hat das „Barack Obama Book“ vierstellige Verkäufe verzeichnet?

Deren Schätzungen gehen weit auseinander. Geht man davon aus, dass „Barack Obama Book“ in den zehn Tagen, in denen es auf Amazon.com verfügbar war, dort durchschnittlich den Verkaufsrang 250 belegte, so schätzt Junglescout die Zahl der verkauften Exemplare auf ca. 251 (Junglescout schätze Verkäufe eines gesamten Monats, 753 : 30 x 10 = 251), das „Kindlepreneur“-Tool auf 1.800 Exemplare.

Das wären alleine die Verkäufe für die gedruckte Ausgabe. Berechnet man die Ebook-Verkäufe hinzu, könnten die Verkaufszahlen, je nachdem welchem Tool man Glauben schenken mag, im vierstelligen Bereich liegen. „Natürlich kann auch ich nicht sagen, wie genau die Schätzungen dieser Tools sind“, sagt Christian Költringer. „Grundsätzlich halte ich es aber durchaus für möglich, dass das ‚Barack Obama Book‘ auf Amazon mehrere Tausend Mal verkauft worden ist, bevor das Produkt-Listing gelöscht wurde.“

„An nur einem Tag bestellt, geliefert und in den Müll geworfen“

Warum das Listing nicht mehr auf Amazon auffindbar ist, ist unbekannt. Möglicherweise hat Amazon nach der Berichterstattung das Buch gelöscht; möglicherweise haben die „University Press“-Macher*innen das Buch gelöscht, um den eigenen Publishing-Account bei Amazon zu retten. Denn „Barack Obama Book“ist nicht die einzige Veröffentlichung, mit der der „Verlag“ nach dieser Masche vorgegangenen ist. 55 Bücher hat „University Press“ bislang veröffentlicht; einige von ihnen sind nicht mehr verfügbar. Aber alle von ihnen sind Trettbrettfahrer-Veröffentlichungen zu anderen, aufmerksamkeitsstarken Buchveröffentlichungen.

Eine von diversen negativen Rezensionen zur „University Press“-Veröffentlichung „Caste“ (Screenshot von Amazon.com)

Das laut Amazon beliebteste verfügbare Buch im „Verlagsprogramm“ von „University Press“ ist „Caste – A Brief History of Racism, Sexism, Classism, Ageism, Homophobia, Religious Intolerance, Xenophobia, and Reasons for Hope“. Das Buch weist aktuell 292 Bewertungen auf, darunter auch jene eines Lesers, der anhand eines Fotos zeigt, dass sein Exemplar gleich im Müll gelandet ist. Vermutlich wollte der Rezensent eigentlich das Buch „Caste: The Origin of Our Discontents“ der Autorin Susan Wilkerson kaufen. Das war im August von US-TV-Moderatorin Oprah Winfrey im Rahmen ihres „Book Clubs“ besonders hervorgehoben worden und hat dadurch so viel Aufmerksamkeit erhalten, dass sogar das offizielle Produkt-Listing auf Amazon die Begriffe „Oprah’s Book Club“ im Titel trägt.

Ein Blick ins „Verlagsprogramm“ von „University Press“ (Screenshot von Amazon.com)

Wie viele der Reviews sind überhaupt echt?

An derselben Masche wie bei Barack Obama (also Buchtitel = Promi-Name + „Book“) hatte sich „University Press“ bereits zuvor mit Veröffentlichungen zu Joe Biden (mittlerweile nicht mehr verfügbar), Dolly Parton und der vor Kurzem verstorbenen, ehemaligen US-Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg (120 Bewertungen) versucht. Hinzu kommen Veröffentlichungen mit ganz ähnlichen Titeln wie der US-republikanische Politik Ted Cruz („One Vote Away“) und Yuval Noah Harari („Homo Sapiens – A Brief History of Humankind“ anstatt „Sapiens – A Brief History of Humankind“).

Vermutlich versuchen der oder die „University Press“-Macher*innen mit einer Kombination aus Amazon SEO und Fake Reviews Reichweite und damit Verkäufe zu generieren. Viele der Veröffentlichungen weisen zahlreiche positive Bewertungen auf, deren Echtheit zumindest zweifelhaft ist. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass die meisten Veröffentlichungen Seitenzahlen im mittleren zweistelligen Bereich aufweisen und vermutlich irrtümlich von Menschen erworben wurden, die eigentlich ein anderes Buch kaufen wollten. Zwar hat keines der Bücher ähnliche Top-Platzierungen auf Amazon generieren können wie „Barack Obama Book“, aber einige der Titel – so wie „Caste“ – haben zeitweise immerhin Bestseller Ranks im niedrigen vierstelligen Bereich erreicht.

Sind die „University Press“-Bücher von einer KI geschrieben?

Der Aufwand, den „University Press“ beim „Verfassen“ der Bücher aufwenden muss, ist zudem vermutlich äußerst gering. Slate-Redakteur Dan Kois hat eine von der US-Elite Uni Harvard gemeinsam mit IBM entwickelte Analyse-Software mit Teilen des Textes des „Barack Obama Books“ gefüttert. Das Ergebnis: Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Buch von einer einfachen Künstlichen Intelligenz geschrieben wurde – also einer Software.

In Science-Fiction-Filmen beschränke sich die Darstellung von Künstlicher Intelligenz häufig darauf, dass Computer immer intelligenter werden und irgendwann feststellen würden, dass Menschen gar nicht so nützlich seien, sagte Obama 2016 in einem gemeinsamen Interview mit Wired und Joi Ito, dem damaligen Leiter des MIT Media Labs. „Von dem, was mir meine besten wissenschaftlichen Berater berichten glaube ich, dass wir davon noch halbwegs weit weg sind.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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