10 Jahre OMR Podcast: Wie aus einem Spaziergang mit Kinderwagen der größte Wirtschaftspodcast Deutschlands wurde
Wir erzählen, wie alles begann – und wie sich der Podcast-Markt in Deutschland seit dem Start entwickelt hat.
- Kapitel 1: Baby mach sie an die Bluetooth-Box
- Kapitel 2: Nie zu hart und nie zu weich
- Kapitel 3: Reichweite & Räuchermännchen
- Kapitel 4: "Richard, wo erreiche ich dich?"
- Kapitel 5: Der deutsche Serial-Moment
- Kapitel 6: Neue Märkte, neue Marken
- Kapitel 7: Video killed the Audio-Star?
Am 23. November 2015 erschien der erste OMR Podcast. Was als kleines Experiment begann, ist heute das größte Wirtschaftspodcast-Format in Deutschland. Wir blicken auf diese Geschichte zurück, aber auch auf die wichtigsten Entwicklungen in dieser Zeit. Denn natürlich hatte unsere Entwicklung viel mit harter Arbeit zu tun, aber eben auch mit dem richtigen Timing und etwas Glück. Und deswegen geht es in diesem Text auch um Jan Böhmermann, Joko Winterscheidt – und ja, irgendwie auch um ein Räuchermännchen.
Vielleicht sollte diese Geschichte bei Dieter Bohlen in Tötensen beginnen. Oder vielleicht doch lieber im Privatjet von Philipp Plein zwischen Mailand und London. Oder in Paris bei einem Treffen mit Dirk Nowitzki am Rande der Olympischen Spiele. Oder beim Lollapalooza in Berlin mit Billie Eilish? Jeder dieser Orte würde sofort klar machen, dass die Geschichte des OMR Podcasts außergewöhnlich oder zumindest ungewöhnlich ist. Weil es eben nicht selbstverständlich ist, diese Menschen zu treffen, ihnen Fragen stellen zu dürfen. Weil all das überhaupt nicht absehbar war, als Philipp Westermeyer nachts den Kinderwagen mit seinen Zwillingen durch Hamburg schob, dabei so lange Podcast hörte, dass sich seine Partnerin irgendwann schon Sorgen machte, und er sich irgendwann dachte: Vielleicht sollte ich so einen Podcast einfach auch mal machen.
Zehn Jahre ist das her. Am 23. November 2015 erschien der erste OMR Podcast. Nicht aus Tötensen, Paris oder Berlin. Sondern aufgenommen in einem selbstgebauten "Studio", das in Wahrheit aus einem Tisch, einem Mikro und ein paar verschraubten Holzplatten mit Schaumstoff bestand. Neben Philipp Westermeyer sitzt damals kein Dirk Nowitzki, kein Michael Otto oder Reinhold Würth. Sondern ein privater Freund, Unternehmer und Investor Sven Schmidt, mit dem er über ein paar Beobachtungen in der digitalen Welt redet. Laber-Podcast würde man dazu heute wohl sagen. Und im Grunde ist das damals auch so. Zwei Leute unterhalten sich über digitales Marketing, die digitale Welt, Geschäftsmodelle. Nur das einer eher die Fragen stellt und der andere seine Einschätzung teilt. Und so wird es ab diesem Moment auch bleiben.
Das ist kein Foto von der ersten Aufnahme – aber einer der ersten: Der langjährige Stammgast Sven Schmidt und OMR-Gründer Philipp Westermeyer bei der Aufnahme. Foto: OMR
Im Rückblick erscheint das alles wie eine Abfolge logischer Schritte. Der Podcast. Die wachsenden Hörer*innen-Zahlen. Und natürlich das Ökosystem, das heute rund um den Podcast entstanden ist. Mit Podstars gibt es eine Produktionsfirma unter dem Dach von OMR, die nicht nur den OMR Podcast umsetzt, sondern auch andere Formate wie "Lanz & Precht", "Fußball MML" oder "Fast & Curious". Es geht um Produktion und Vermarktung aus einer Hand. Aus einem Hobby ist ein Business geworden. Und aus einem Podcast eine Art modernes Medienunternehmen im Kleinformat. Nur: Logisch war das alles nicht. Es hätte, so ehrlich muss man sein, anders kommen können. Dass es lief, wie es lief, hat natürlich etwas mit richtigen Entscheidungen und harter Arbeit zu tun. Aber auch mit Momentum, mit Jan Böhmermann, mit Joko Winterscheidt – und ja, irgendwie auch mit einem Räuchermännnchen.
Kapitel 1: Baby mach sie an die Bluetooth-Box
Die Anfänge des OMR Podcasts lassen sich heute nur noch lückenhaft rekonstruieren: Die ersten Abrufzahlen können wir nicht mehr ermitteln, weil wir zwischendurch den Hosting-Anbieter gewechselt haben. Der Artikel mit der ersten Ankündigung ist zwar noch verfügbar, Bilder von der ersten Aufnahme gibt es allerdings nicht. Erst später hat irgendwer mal ein paar gemacht. Im Artikel von damals blickt einem daher der saarländischen Moderator Manfred Sexauer entgegen, einfach weil OMR-Chefredakteur Roland Eisenbrand (selbst Saarländer) es lustig fand. Es war halt damals auch alles ein Experiment – und irgendwie sind wir ganz froh, dass sich nicht der Name Rockstars Podcast durchgesetzt hat, den wir selbst zu Beginn noch verwendet haben. Jedenfalls: Die großen Podcast-Geschichten wurden damals nicht in Hamburg, sondern irgendwo zwischen Köln und Berlin geschrieben.
Bei Facebook haben wir den ersten OMR Podcast mit einem Foto des Moderators Manfred Sexauer beworben. Screenshot: Facebook
Am 15. Mai 2016 startete "Fest & Flauschig" mit Jan Böhmermann (Köln) und Olli Schulz (Berlin) bei Spotify als weltweit erster Exklusiv-Podcast. Die Streaming-Plattform hatte sich das Format gesichert, das zuvor unter dem Titel "Sanft und sorgfältig" beim Sender Radioeins lief. Natürlich ging es dabei auch ums Geld, das hört man auch in Branchenkreisen immer wieder. Aber die Entscheidung reichte weit über die finanziellen Aspekte hinaus: Spotify, damals aufgrund seiner Vergütungsweise von vielen Künstler*innen kritisch gesehener Streaming-Riese, drang mit dem Deal auch stärker in ein ganz neues Segment vor: Audio-Inhalte abseits der Musik. Das Team hatte zuvor schon mit Hörspiel-Inhalten experimentiert und dabei gemerkt, wie gut auch Formate wie "Die drei ???" in Deutschland funktionierten. Mit "Fest & Flauschig" beginnt man nun auch das Feld der Podcasts verstärkt zu erschließen.
"Im Grunde ist daraus die weltweite Podcast-Strategie von Spotify entstanden", sagt Tobias Bauckhage, Gründer der Produktionsfirma "Studio Bummens". Und tatsächlich: In den Folgejahren verpflichtete Spotify immer weitere Podcaster*innen exklusiv, der Name Joe Rogan sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. "Fest & Flauschig" blieb dabei aber zunächst ein Phänomen: Noch 2018 lag das Format weltweit auf Platz 1 der meistgehörten Exklusiv-Podcasts bei Spotify. Seit Herbst 2024 ist der Podcast auch auf anderen Plattformen zu hören, die Exklusivität spielt für Spotify heute eine geringere Rolle. Die Bemühungen haben sich sowieso längst ausgezahlt. Kaum ein Format kommt heute ohne Spotify aus. Speziell für viele jüngere Formate dürfte der Streamer die größte Plattform sein. "Spotify hat viel mehr Einfluss auf die Industrie gehabt als Apple", sagt Tobias Bauckhage.
Kapitel 2: Nie zu hart und nie zu weich
Frühere Kollegen haben erzählt, dass es ein riesengroßer Meilenstein war, als auch der OMR Podcast bei Spotify verfügbar war. Heute kommen rund die Hälfte unserer Hörer*innen über Spotify. Doch damals hat es nach dem Launch noch rund zwei Jahre gedauert, bis es im September 2017 soweit war. Fast 100 Folgen waren da schon erschienen – und das mit Gästen wie About-You-Gründer Tarek Müller, dem damaligen FDP-Chef Christian Lindner oder Moderatorin Sylvie Meis. Im Rückblick ist es verblüffend, wie prominent die Gästeliste damals mitunter schon war – auch heutige Stammgäste wie Philipp "Pip" Klöckner oder Florian Heinemann tauchten damals bereits auf.
Das Hören der alten Folgen ist noch heute eine Zeitreise. Einmal natürlich inhaltlich. KI war noch kein Thema, About You und Zalando noch Konkurrenten. Aber auch die Werbung versprüht Nostalgie-Vibes. Heute würde auch beim Hören älterer Folgen aktuelle Werbung eingespielt. Doch dynamisch ausgespielte Spots, wie sie heute üblich sind, gab es damals noch nicht. Und so beginnt die Folge mit Sylvie Meis beispielsweise immer noch mit einem Werbespot für die US-Matratzenmarke Casper, die angeblich nie zu hart und nie zu weich, sondern dank stützender Memory-Schäume immer genau richtig sei und zu einem schockierend fairen Preis auf den Markt gebracht werde. Vielen langjährigen Hörer*innen dürften diese Formulierungen noch bekannt vorkommen.
Constantin Buer hat erzählt, dass Casper damals ganz bewusst in so großem Stil ins Podcast-Game eingestiegen sei. "Casper hat damals sehr performance-orientiert über viele Formate hinweg getestet", sagt der frühere langjährige Geschäftsführer der OMR-Tochterfirma Podstars: "Damit haben sie den Kanal so effizient wie kaum eine andere Marke für sich genutzt". Im Radio lief früher mal Werbung für Radio: "Geht ins Ohr, bleibt im Kopf", lautete die Botschaft. Und so ist es bei gut gemachter Podcast-Werbung auch. Damals beginnen einige Marken, gezielt mit Werbung in den Formaten zu experimentieren. Anders als bei Radio-Werbung gibt es bei Podcasts aber die Möglichkeit, die Spots noch stärker auf die Sendungen zuzuschneiden – indem sie etwa von den Hosts der Formate selbst gesprochen werden. Nur: Damals gibt es in Deutschland kaum Formate, in denen die Hosts so offen für gesprochene Werbung sind.
"Ich erinnere mich noch, wie wir damals mit Joko Winterscheidt und Paul Ripke an der Spree gesessen haben", sagt Constantin Buer. Die beiden hatten aus einer Urlaubslaune heraus ihren Podcast "Alle Wege führen nach Ruhm", kurz: AWFNR, gestartet. Das Format ist damals so beliebt, dass es zeitweise mit sechs Episoden gleichzeitig in den Top 10 der Apple-Podcast-Charts auftaucht. Geld verdienen die beiden damit allerdings anfangs nicht, das Format kommt – genau wie "Fest & Flauschig" – ohne Werbung aus. Die beiden hätten sich offen dafür gezeigt, in der zweiten Staffel Werbung einzusprechen, sagt Constantin Buer. In den USA sind solche "Host-reads" damals schon üblich, in Deutschland betreten die beiden Podcaster damit genauso wie der OMR Podcast Neuland. Wir haben damals mit OMR die Vermarktung des Formats übernommen, in dem ab diesem Zeitpunkt für Marken wie About You, O2 und Co. geworben wird. "Damals haben wir zum ersten Mal Garantiesummen an Podcast-Hosts gezahlt und einen Podcast kommerziell vermarktet", sagt Constantin Buer, der heute für die Produktionsfirma Pool Artists die Vermarktungstochter "sounds good." leitet. Podcasts sind damit kein Hobby mehr, Podcaster nicht mehr auf Exklusiv-Verträge von Plattformen angewiesen. Sie sind ein ernsthaftes Business geworden. Und das macht das Format plötzlich natürlich auch für andere interessant.
Kapitel 3: Reichweite & Räuchermännchen
Zur Wahrheit gehört aber auch: Podcasts sind damals ein Nischenthema. Die meisten Menschen hören 2020 zwar täglich Audio-Inhalte – allerdings per Radio. Nur jede*r Fünfte hört mindestens einmal pro Woche einen Podcast. Speziell ältere Menschen haben mit dem Medium kaum Berührungspunkte. Bis Christian Drosten kommt. Der Virologe von der Berliner Charité wird zu einer Art Star der Corona-Pandemie. Er entwickelt den weltweit ersten PCR-Test auf SARS-CoV-2, wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel für Beratungen konsultiert – und sogar zur Vorlage für ein Räuchermännchen, das sich tausendfach verkauft. Er wird jedoch auch zur Stimme eines Podcasts, den damals plötzlich Millionen Menschen hören, um sich über die neusten Entwicklungen rund um das Virus zu informieren: das Coronavirus-Update. Im Februar 2020 startet der NDR den Podcast, durch den Christian Drosten quasi zum Cheferklärer der Pandemie wird. "Ich hatte überlegt, etwas medial zu machen, das sich nicht aufdrängt, das aber für alle verfügbar ist, die sich interessieren", hat Christian Drosten mal in einem Interview mit "Jung & Naiv" erzählt. Als die Anfrage des NDR ihn während des Urlaubs mit der Familie erreicht, habe er nicht lange gezögert: "Ja klar, finde ich total plausibel. Das sollte man auf jeden Fall machen."
Der Podcast wird zu einem zentralen Knotenpunkt der Informationsgewinnung während der Pandemie. Nicht nur Privatpersonen hören damals zu, auch Medienschaffende, Mediziner*innen, Menschen in Ministerien und Behörden. Knapp 15 Monate dauert es, bis der Podcast die Marke von 100 Millionen Downloads & Streams knackt. "Der ,Coronavirus-Update'-Podcast mit Christian Drosten hat gezeigt, welche gesellschaftliche Relevanz Podcasts haben können", sagt Saruul Krause-Jentsch, Head of Podcast bei Spotify. Die Pandemie sei ein einschneidendes Erlebnis gewesen, sagt sie: "Plötzlich ist das Hören von Podcasts regelrecht explodiert".
Denn nicht nur das Geschäft mit FFP2-Masken, Desinfektionsmittel und Klopapier boomt während der Pandemie. Auch das Interesse an Podcasts steigt plötzlich rasant an. Lockdown und Homeoffice verändern die Gewohnheiten vieler Menschen, statt morgens auf der Fahrt ins Büro das Radio einzuschalten, wird beim Joggen vor dem ersten Videocall der Podcast abgespielt. Rund 30 Prozent der Menschen ab 14 Jahren geben 2021 in einer repräsentativen Befragung im Auftrag von ARD und ZDF an, mindestens einmal pro Woche Podcasts zu hören. 2020, als der Befragungszeitraum nur zu einem Teil mit der Pandemie zusammenfiel, waren es nur 20 Prozent. Und wie sagte ein früherer Kollege mal: Wenn es Suppe regnet, sollte man die Töpfe rausstellen.
Kapitel 4: "Richard, wo erreiche ich dich?"
Die Pandemie hat damals auch für uns bei OMR große Auswirkungen. Das OMR Festival muss abgesagt werden, ein Großteil des Umsatzes bricht damit quasi über Nacht weg. Aber der Podcast geht weiter – und dank der bereits 2019 erfolgten Umstellung auf zwei Folgen sogar mit erhöhter Frequenz. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Moderator Günther Jauch, Musiker Jan Delay, immer wieder gibt es Folgen, die für viel Interesse sorgen. Die Besetzung zeigt aber auch, dass sich das Format weiterentwickelt hat. Natürlich geht es immer noch um Marketing. Aber noch viel mehr um Wirtschaft im Allgemeinen. 2019 hatte Philipp Westermeyer eine Folge mit Musiker Dieter Bohlen aufgenommen. Er hatte ihn in Tötensen besucht, die Schuhe ausgezogen und war auf Socken in dessen Wohnzimmer spaziert – um dann mit ihm über Instagram zu sprechen, über die Art, wie Dieter Bohlen die Plattform nutzt. Aber natürlich ging es nicht nur darum. Und natürlich interessierte das Gespräch nicht nur Marketing-Nerds. Der OMR Podcast, das war damals klar, könnte mehr sein als ein Format in der Online-Marketing-Nische.
Ohne Festival, aber mit Rückenwind im Podcast-Markt (was für ein Glück, dass sich die App Clubhouse damals nicht durchgesetzt hat) wird das Audio-Business nicht nur bei uns immer weiter ausgebaut. Im September 2021 starten Moderator Markus Lanz und Philosoph Richard David Precht ihren nach ihnen benannten Podcast, den wir seit dem Start im Auftrag des ZDF produzieren dürfen. Die Frage "Richard, wo erreiche ich dich?" zu Beginn der Folge hat sich inzwischen zu einer Art Running Gag des Formats entwickelt. Auf Spotify hat der Podcast inzwischen die Marke von 100 Millionen Downloads & Streams geknackt, was bislang nur acht deutschsprachigen Formaten und insgesamt 80 Formaten weltweit gelang. "Lanz & Precht" dürfte damit neben "Fest & Flauschig" und "Gemischtes Hack" von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt zu den erfolgreichsten deutschen "Laber-Podcasts" gehören.
Kapitel 5: Der deutsche Serial-Moment
"Laber-Podcasts" – das soll nicht despektierlich klingen. Es beschreibt nur umgangssprachlich Formate, in denen sich Menschen einfach unterhalten. Sie sind, das kann man leicht verallgemeinernd wohl sagen, neben True-Crime-Formaten das erfolgreichste Genre im Podcast-Bereich: "Gemischtes Hack" ist der wahrscheinlich erfolgreichste deutsche Podcast, "Kaulitz Hills" hat die Brüder Bill und Tom Kaulitz zu Stars gemacht, bei denen es eigentlich kaum noch eine Rolle spielt, dass sie eigentlich Musiker sind. Und auch im (laut Branchenkennern) vermutlich am besten vermarkteten Podcast Deutschlands, "Baywatch Berlin", wird wöchentlich gelabert. Das Medium Audio schafft dabei eine Nähe, die aus den Hosts Begleiter*innen im Alltag der Menschen macht – so als würde man einfach den Gesprächen von Freund*innen folgen oder jemandem in der Bahn zuhören.
Während der Pandemie wird jedoch auch mit anderen Formaten experimentiert. Der Markt boomt – und so wächst der Mut, Dinge auszuprobieren. Speziell dann, wenn man andernorts bereits gesehen hat, welche Kraft bestimmte Formate entfalten können. In meinen Gesprächen für diesen Artikel fällt irgendwann immer wieder ein Begriff: Serial-Moment. Der 2014 veröffentlichte US-Podcast über den Mord an einer Highschool ist für viele Köpfe in der Branche eine Art Erweckungserlebnis. Denn das Format zeigt in der seriellen Erzählweise, wie packend und dicht eine Handlung über mehrere Folgen hinweg erzählt werden kann. Serial wird weltweit millionenfach gestreamt. Und so verwundert es eigentlich nicht, dass Leute wie Tobias Bauckhage sich damals fragen: Können wir das nicht hierzulande auch?
Ja, können wir. 2021 erscheint "Cui bono: WTF happened to Ken Jebsen?", in dem der Host Khesrau Behroz die Geschichte des Radiomoderators erzählt, der immer weiter in die Welt der Verschwörungstheorien abgedriftet ist. Der Podcast, eine Co-Produktion von Studio Bummens, NDR, RBB und K2H, wird mit einer Vielzahl von Preisen gekrönt, die Episoden haben Abrufzahlen jenseits der Millionenmarke. Der Podcast macht aus Khesrau Behroz eine der bekanntesten Stimmen der deutschen Podcast-Szene – dabei war anfänglich jemand bekannteres für die Host-Rolle vorgesehen. "Es zeigte sich von Anfang an, was für ein Erzähltalent Khesrau ist. Nicht nur als Drehbuchautor, sondern eben auch als Host", erinnert sich Tobias Bauckhage. Khesrau Behroz hatte die Drehbücher mitgeschrieben. Er war tief im Thema. Es war seine Story.
Kapitel 6: Neue Märkte, neue Marken
Khesrau Behroz ist ein schönes Beispiel dafür, dass in der Podcast-Welt die Karten neu gemischt werden. Natürlich gibt es erfolgreiche Podcasts mit prominenten Namen, Kaulitz-Hills hatte ich schon erwähnt. Aber der erfolgreichste Podcast ist trotzdem "Gemischtes Hack". Tommi Schmitt und Felix Lohbrecht wurden auch durch den Podcast so berühmt. Dass Tommi Schmitt mit seinem Format Copa TS auch für die Torhymne der deutschen Fußball-Nationalmannschaft verantwortlich ist, weil es Thema im Podcast war, ist nur ein schöner Nebenaspekt, der die heutige kulturelle Relevanz vieler Formate zeigt. Oder Matze Hielscher: Es ist keine Stimme der klassischen Hörfunk- oder Fernsehwelt, die durch das erfolgreichste Interview-Format im Podcast-Bereich führt – sondern ein früherer Musiker, der mit "Hotel Matze" einen zentralen Ort für lange Gespräche geschaffen hat.
Und ich finde auch interessant, wie es vielen True-Crime-Formaten gelungen ist, eine riesige Community aufzubauen. Linn Schütze und Leonie Bartsch füllen bei der Live-Tour ihres Podcasts "Mord auf Ex" Hallen, die sonst von Superstars aus der Musikwelt bespielt werden. Oder nehmen wir Paul Ronzheimer: Sein Politik-Podcast heißt einfach "Ronzheimer", auf dem Cover ist weder das Cover von Axel Springer noch das seines Heimatmediums BILD zu sehen. Die Personenmarke ist in der Podcast-Welt plötzlich größer als die Medienmarke. Das muss natürlich nicht die Regel sein. In den USA beweist die New York Times das Gegenteil, in Deutschland die ZEIT. Die Medienmarke ist immer noch die Klammer bei extrem erfolgreichen Formaten wie "Zeit Verbrechen" oder "Alles gesagt?!", was sich allein schon im Design der jeweiligen Cover widerspiegelt.
Kapitel 7: Video killed the Audio-Star?
2015, als der erste OMR Podcast erschien, war das alles noch egal. Damals war Wilder Westen, alle haben erstmal alles ausprobiert. Heute sind die Strategien ausgefeilter, viele haben im Laufe der Jahre auch Lehrgeld bezahlt. Wir auch. Nicht jedes Format funktioniert. Nicht jede Idee ist am Ende wirklich gut. Nicht jedes Investment zahlt sich aus. Kennt ihr den Gartner Hype Cycle? Er beschreibt eigentlich Technologie-Trends. Erst kommt ein technologischer Durchbruch, der die Dinge ins Rollen bringt. Dann kommt der Hype. Doch vom Gipfel der überzogenen Erwartungen gibt es nur einen Weg: nach unten, ins Tal der Enttäuschungen. Erst nach und nach wird klar, welche Dinge wirklich funktionieren, wo der wirkliche Nutzen liegt – bis man irgendwann auf dem Plateau der Produktivität landet.
Wie gesagt, so wird der Verlauf von Technologie-Trends von den Marktforschenden von Gartner skizziert. Aber das Modell passt auch ganz gut zur Podcast-Branche. Denn nach dem Hype der Corona-Jahre folgte der Kater. "Jeder hat jetzt einen Podcast", das war so ein Ausdruck, den man vor einigen Jahren häufiger gehört hat. Aber nicht jeder hatte auch genug Hörer*innen. Oder Werbekunden. Und irgendwann merkten viele in der Branche, dass der Hype vorbei ist. In den vergangenen Monaten hat sich die Branche konsolidiert. Studio Bummens gehört jetzt zu ProsiebenSat.1. Amazons Podcast-Tochter Wondery wurde gleich ganz aufgelöst. Auch bei Podstars haben wir uns neu fokussiert und stärker auf die Vermarktung im B2B-Umfeld ausgerichtet.
Der Gartner Hype-Cycle beschreibt eigentlich Technologie-Trends, er lässt sich aber auch auf die Podcast-Branche übertragen.
Der OMR Podcast ist zehn Jahre alt geworden. Im Grunde ist das Format immer noch im Kindesalter. Doch in Wahrheit sind wir mit der Branche in dieser Zeit erwachsen geworden. Aber unsere Neugierde haben wir nicht verloren. Wir experimentieren gerade viel mit Videoformaten. Die Plattformen sind vielfältiger geworden, das Visuelle spielt eine immer größere Rolle. Es gibt auch in Deutschland erste Podcast-Formate wie "Der Sophie Passmann Podcast", die von vornherein auf ein komplettes Studio-Setting setzen, in dem die Folgen aufgenommen werden. In den USA ist Youtube bereits die größte Podcast-Plattform (hier geht es zu unserer Keynote vom OMR Festival über die aktuellen Trends der Podcast-Branche). Spotify wiederum kooperiert mit Netflix, um ausgewählte Video-Podcasts auch auf die Streaming-Plattform zu bringen. Youtube, Instagram, Tiktok – der OMR Podcast ist heute immer noch ein Audio-Format, aber eben nicht mehr nur ein Audio-Format. Wir machen Videos, Reels, Stories. Wenn der Markt sich bewegt, bewegen wir uns mit. Idealerweise sogar schneller. Wird Video jetzt das nächste große Ding? Oder werden die Podcasts in Zukunft alle von einer KI eingesprochen? Wer weiß das schon.
"Podcasts sind nicht mehr nur etwas für unterwegs oder nebenbei auf dem Handy", sagt Spotify-Managerin Saruul Krause-Jentsch. Immer mehr Menschen würden sie als Video konsumieren, sogar auf dem Fernseher im Wohnzimmer. Und bis vor einigen Jahren sei es auch undenkbar gewesen, dass Formate Arenen mit bis zu 15.000 Fans füllen. "Podcasts sind heute so professionell, vielfältig und präsent wie nie", sagt sie. Der OMR Podcast ist heute Arbeitgeber für ein kleines Team, wir haben mehr als 850 Folgen veröffentlicht, mehr als 1000 Stunden Audio und inzwischen auch schon mehr als 800 Videos. Wer hätte das gedacht, dass Spaziergänge mit dem Kinderwagen solch eine Wirkung entfalten würden.