Große Unsicherheit: Wie sich Corona auf die Influencer-Marketing-Branche auswirkt – Teil 2

Torben Lux9.4.2020

Wir haben mit weiteren Agenturen und Experten über Risiken und Chancen in der Krise gesprochen

Influencer Marketing Branche Corona OMR Teil 2
Influencer Marketing Branche Corona OMR Teil 2
Inhalt
  1. „Jetzt zählen Haltung und Sensibilität“
  2. War die Relevanz von Influencer Marketing nie größer?
  3. „Ein guter Moment, um am Image zu arbeiten“
  4. Auf Kreativität und hohe Mitbestimmung der Influencer setzen
  5. „Nicht werben bringt auch nichts“
  6. Vorbereitungen auf das große „Reopening“
  7. „Die Karten werden neu gemischt“
  8. Weniger Automatisierung, mehr Kollaborationen

Vergangene Woche hatten wir über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Influencer-Marketing-Branche geschrieben. Nach Gesprächen mit zahlreichen Marktteilnehmern lautete das Fazit: Es herrscht eine große Unsicherheit – und dennoch scheint die Mehrheit optimistisch zu sein. Das hat sich auch nach dem Austausch mit weiteren Agenturen und Managements nicht geändert. Trotzdem wollen wir Euch auch diese Statements nicht vorenthalten.

Auf den Artikel „Große Unsicherheit: Wie sich Corona auf die Influencer-Marketing-Branche auswirkt“ gab es doch einiges an Feedback. Das Ergebnis sind acht weitere Einschätzungen zur aktuellen Lage.

„Jetzt zählen Haltung und Sensibilität“

Sven Wedig Vollpension Medien Influencer Marketing OMR

Sven Wedig

Sven Wedig ist Gründer der Influencer-Marketing-Agentur Vollpension Medien. Er beobachtet, dass die junge Disziplin während der Corona-Epidemie eine ziemlich besondere Rolle einnimmt. „Wir befinden uns offensichtlich in einem Spannungsfeld mit zwei Arten von Entscheidern und Marken“, so Wedig gegenüber OMR. „Die eine Seite kommuniziert gerne und jetzt sogar vermehrt, um zum Beispiel auch niedrigere CPMs zu nutzen. Die andere Seite ist ruhig und verschiebt Kampagnen und teilweise auch Produkteinführungen.“ Er könne zwar beide Lager verstehen, es zähle aber aktuell vor allem eines: „Sensibilität und Haltung sind wichtiger denn je. Wenn ich beides nicht ganz so gut kann oder mich nicht klar als Brand positioniert habe, ist weniger zur Zeit sicherlich mehr.“

Für die Praxis bedeute das derzeit auch, bereit dafür zu sein, bereits produzierte Kampagnen umzudenken und eventuell anzupassen – immer mit Rücksicht auf die aktuelle Lage. „Das kann für einen Player aus dem Mittelstand ein enormer Aufwand sein. Mit einem gesunden Risikobewusstsein und einer klaren Haltung als Marke ist aber viel möglich“, sagt Sven Wedig. Schon jetzt ein Learning für Wedig: Die Krise habe endgültig deutlich gemacht, dass Influencer Marketing eine strategische Disziplin und kein reiner Performance-Kanal sei.

War die Relevanz von Influencer Marketing nie größer?

Roland Schweins Styleranking Influencer Marketing Corona OMR

Roland Schweins

„Gerade jetzt bieten Influencer enorme Vorteile“, sagt Styleranking-Gründer Roland Schweins. „Sie können Botschaften schnell in wichtigen Zielgruppen verbreiten. Und sie sind häufig in der Lage, auf hohem Niveau und mit verhältnismäßig geringem Einsatz von Ressourcen, Clips, Bilder und Content zu produzieren.“ Wie relevant Influencer Marketing sein kann, werde unter anderem bei einem Blick nach Finnland deutlich. Die Regierung arbeite dort eng mit Influencern zusammen und bezeichne sie als entscheidende Akteure für die Gesellschaft während der Corona-Krise.

Über die Zukunft der Influencer-Marketing-Branche mache sich Schweins keine großen Sorgen. „Sobald Geschäfte wieder geöffnet werden, dürften Influencer profitieren, um den Konsum kurzfristig wieder anzuregen“, sagt er. Langfristig werde die Branche ebenfalls vom allgemeinen Digitalisierungs-Schub in Deutschland profitieren. Auch „Corporate Influencer“ würden an Relevanz gewinnen. „Natürlich entlarvt eine Krise wie diese auch schwache Anbieter. Aber insgesamt hat Influencer Marketing seine besten Zeiten noch vor sich.“

„Ein guter Moment, um am Image zu arbeiten“

Ashwin Tchanra inSocial_Media Influencer Marketing Corona OMR

Ashwin Tchanra

Ashwin Tchanra, Geschäftsführer von inSocial Media, setzt auf Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Disziplinen, die Influencer Marketing jetzt habe. „Dank der kurzen Reaktionszeiten können Influencer jetzt Impulse setzen und Haltung zeigen – und so natürlich auch weiterhin Marken ins Gespräch bringen.“ Die Audience sei nicht nur größer als sonst, sondern auf Grund der Ausnahmesituation auch stark emotionalisiert. „Der Großteil ist offen für positive Signale, Neuigkeiten und klare Botschaften“, so Tchanra.

 

Natürlich gebe es negative Auswirkungen der Krise, das betrifft laut Ashwin Tchanra auch eine mittelständische Agentur wie inSocial Media. Dennoch würden die Chancen überwiegen. „Wenn man die richtigen Partner hat oder auch jetzt erst findet, klappt das. Wir sprechen sehr offen mit unseren Kunden und sogar mit ein paar Mitbewerbern“, sagt Tchanra. Jetzt sei eine gute Gelegenheit, neue Dinge einzuführen und ein guter Moment, am Image zu arbeiten – egal ob als Marke oder Influencer.

Auf Kreativität und hohe Mitbestimmung der Influencer setzen

Jaisha Laduch Construktiv Influencer Marketing Corona OMR

Jaisha Laduch

Jaisha Laduch ist Head of Influencer Marketing & Social Media Strategy bei der Digital-Agentur construktiv. Auch sie betont, dass Sensibilität und Authentizität derzeit noch wichtiger seien, als sowieso schon. „Das gilt aber nicht nur für die Kommunikation vom Influencer zu seiner Community, sondern auch für den Umgang zwischen Brand, Influencer und Agentur.“ Es käme jetzt stark auf den Mut von Marken an, auch ein wenig Kontrolle abzugeben und gemeinsam kreative Ideen zu entwickeln. „Die Influencer wissen jetzt einfach am besten, was die Community von ihnen sehen will – und was nicht“, so Laduch.

Selten habe sie einen so lebendigen und kreativen Austausch zwischen allen Beteiligten erlebt, wie jetzt. Das könne dazu führen, dass während der Krise ganz neue, enge und nachhaltige Beziehungen zwischen Brands und Content Creatorn entstehen. Genauso müsse man gemeinsam die Chance zu nutzen, dass die Screentime und die Social-Media-Nutzung momentan enorm hoch ist. Jaisha Laduch stellt allerdings auch fest: „Wir haben ein wenig das Glück, dass wir im Influencer-Bereich relativ viele Kunden aus dem Food- oder FMCG-Bereich betreuen. Die können weiterhin ihre Produkte verkaufen. Und das macht es in dem einen oder anderen Fall sicherlich etwas einfacher.“

„Nicht werben bringt auch nichts“

Kevin Tewe ist Gründer des Artist Managements ALL IN und wundert sich über Schlagzeilen wie „Existenzängste bei Influencern“ oder „Große Unsicherheit…“ Er sagt: „Ich will nicht, dass man so über den Markt denkt. Das klingt so, als wäre die Branche kurz vor dem Aus. Das ist einfach nicht der Fall.“ Influencer würden immerhin ihre Reichweite behalten und hätten nicht das Problem eines Einzelhändlers, der trotz geschlossenem Laden Miete bezahlen muss. „Im schlimmsten Fall reicht einem Influencer ein Handy, um seinen Job zu machen: Content erstellen“, so Tewe.

Kevin Tewe All In Influencer Marketing Corona OMR

Kevin Tewe

Natürlich habe es eine kurze Phase der Unsicherheit gegeben – inklusive verschobenen Budgets. „Ist doch klar, das ist für jeden neu. Aber dann geht es doch darum, wie man damit umgeht und was man daraus macht. Und wir sind natürlich immer noch ein Bestandteil des Marketings“ sagt Kevin Tewe. Er rechnet damit, dass Influencer Marketing in Summe als Profiteur aus der Krise geht. „Es ist etwas total Natürliches, was gerade an vielen Stellen stattfindet. Ungesunde Prozesse oder Firmen, die vorher schon am Limit gelaufen sind, haben jetzt natürlich Probleme“, sagt er. Gleichzeitig führe er inzwischen vielversprechende Gespräche mit großen Marken, zu denen er vorher noch keinen Kontakt hatte. Das bestätige seine Meinung: „Nicht werben bringt ja auch nichts.“

Vorbereitungen auf das große „Reopening“

Sebastian Niemann Blogfoster Influencer Marketing Corona OMR

Sebastian Niemann

Sebastian Niemann ist COO bei Blogfoster. „Wir hatten den Schockmoment, den glaube ich jeder hatte. Nach zwei Wochen Ausnahmesituation hat sich aber das meiste wieder normalisiert“, sagt er. Auch zwischenzeitlich pausierte Kampagnen würden sich jetzt wieder einpendeln. Insgesamt ist Niemann optimistisch. Man dürfe allerdings nicht vergessen, dass sich die Branche auch ohne die Krise konsolidiert hätte und der Effekt jetzt beschleunigt werde. „Das ist kein neues Phänomen. Viele kleine Player mit einer gewissen Abhängigkeit von nur wenigen Influencern oder den großen Agenturen mit den aktuell gekürzten Mediabudgets dürften es jetzt schwer haben“, so Niemann.

Schon jetzt würden sich viele Marken intensiv mit der „Normalisierung“ des Einzelhandels dank einer Lockerung der Kontaktsperre beschäftigen. „Da steigen die Budgets gerade. Brands bereiten sich auf den Moment vor, um quasi nur noch auf einen Knopf drücken zu müssen“, so Niemann. Auf der Influencer-Seite würden jetzt diejenigen am wenigsten leiden oder sogar profitieren, die schon immer Lebensrealitäten gezeigt haben. „Alle, die vorher einfach nur sich selber gezeigt und keinen echten Content produziert haben, stehen jetzt vor einer Herausforderung.“

„Die Karten werden neu gemischt“

Sascha Firtina ist Co-Gründer der Marketing-Plattform Como. Er erkennt derzeit drei verschiedene Kategorien von Kunden. „Es gibt die, die große Probleme haben, zum Beispiel der Einzelhandel. Dann das Gegenteil, naheliegende Gewinner wie Supermärkte. Und dazwischen gibt es einige, die profitieren, weil sie unabhängige und immer noch funktionierende Lieferketten aufgebaut haben“, so Firtina.

Sascha Firtina COMO Influencer Marketing Corona OMR

Sascha Firtina

Influencer Marketing werde laut Sascha Firtina insgesamt als Gewinner aus der Krise gehen. „Die Relevanz steigt, auch im B2B-Bereich. Menschen verbringen mehr Zeit auf digitalen Kanälen. Natürlich wird sich das einpendeln, aber auf einem höheren Niveau weiterentwickeln“, sagt er. Aber auch Firtina rechnet fest mit einer Konsolidierung in der Branche: „Das hat sich ja bereits länger angedeutet. Es werden definitiv Firmen wegfallen und es wird klare Gewinner geben. Beim Neustart werden die Karten neu gemischt.“

Weniger Automatisierung, mehr Kollaborationen

Matthias Göllner ist Director für den DACH-Bereich bei CreatorIQ. Er beobachtet zur Zeit die Entstehung ganz neuer Arten von Influencern. „Aus der Not heraus gibt es mehr Kreativität. Das führt auch zu neuen Typen wie Lockdown-Celebritys, die zu Nischen-Influencern heranwachsen können“, so Göllner. Trotz teils eingefrorener oder gekürzter Budgets rechnet er mit Influencer Marketing als Profiteur der Krise. Natürlich komme es extrem auf die jeweilige Branche an, wie groß die Herausforderungen und Probleme sind. Für Industriezweige wie E-Learning und Gaming würden beispielsweise ganz neue Möglichkeiten entstehen, aber auch für den Mittelstand und etablierte Player, die nun noch stärker und schneller innovieren müssten.

Matthias Goellner Creatoriq Influencer Marketing Corona OMR

Matthias Göllner

Der ökonomische Druck führe außerdem zu Prozessoptimierungen. „Die Geschwindigkeit, mit der reagiert werden musste, ist natürlich brutal“, so Matthias Göllner. „Schnell reagieren konnten vor allem diejenigen, die sehr eng mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten, authentische Communities aufbauen, und nicht alles automatisieren. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen.“ Langfristig rechnet Göllner damit, dass sich die Strukturen – unter anderem durch eine Konsolidierung von Agenturen und weiteren Mittelsmännern – verändern werden, flexiblere Kollaborationsmodelle entstehen und der Fokus noch stärker auf daten-getriebener Optimierung liegen wird.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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