Cardmarket: Wie Europas größte Onlinebörse für Sammelkarten vom Pokémon-Hype profitiert

Florian Heide15.3.2021

Eine halbe Millionen Nutzer und rund 100 Millionen Angebote: Der Handel mit Sammelkarten von Magic: The Gathering, Pokémon und Yu-Gi-Oh! ist für Cardmarket ein Millionenbusiness

Poke

Wer heute wissen will, wieviel seine alten Spielkarten auf dem Dachboden noch wert sind, für den gibt es nur eine wichtige Adresse. Cardmarket ist der größer Marktplatzbetreiber Europas für Sammelkarten und die wichtigste Preis-Referenz für Händler, um den Wert einer Karte zu erfahren. Außerdem veranstaltet das Berliner Unternehmen mit den „Cardmarket Series“ eine der wichtigsten Turnierserien der Trading-Card-Game-Szene. OMR hat mit dem Geschäftsführer Marko Schädlich und dem Social Media Manager Jamin Kauf darüber gesprochen, wie die Berliner Firma es geschafft hat, sich als Dreh- und Angelpunkt einer derzeit extrem lukrativen Nische zu etablieren.

Seit der Youtube-Megastar Logan Paul (knapp 23 Millionen Follower) letzten Oktober in einem Live-Video eine Pokémonkarten-Box im Wert von 200.000 US-Dollar öffnet, schießen die Preise für die zum Spiel gehörenden Sammelkarten in die Höhe. Auch deutsche Influencer wie Unge und Papaplatte sind mittlerweile auf den Zug aufgesprungen und generieren mit ihren Pokémon-Karten-Videos sechs- bis siebenstellige Klickzahlen. Die weltweit wertvollste Karte hat aber noch keiner dieser Youtuber ausgepackt. Den Rekord hält eine Karte des Pokémons Glurak mit einem seltenen Fehldruck, die im Dezember 2020 für 369.000 US-Dollar verkauft wurde.

Und Deutschland ist einer der Vorreiter im Sammelkarten-Geschäft. Laut Stockx, dem weltweiten Marktführer für den Handel mit wertvollen und seltenen Produkten (hier im OMR-Porträt), ist Deutschland der zweitgrößte Markt für den Handel mit Pokémon-Sammelkarten. Doch der Hype um „TCGs“, also Trading Card Games (zu deutsch: Sammelkartenspiele), beschränkt sich nicht nur auf die japanischen Taschenmonster des Herstellers Nintendo: Auch Karten anderer Spiele, wie dem fast dreißig Jahre alten Klassiker Magic: The Gathering, verzeichnen hierzulande Höchstpreise.

„Als wir angefangen haben, gab es noch Kataloge“

Eine Firma, die von dem aktuellen Boom besonders profitiert, ist Cardmarket. Das in Berlin ansässige 50-Mann-Unternehmen betreibt den größten Online-Marktplatz für Sammelkarten Europas. Nach eigenen Angaben kaufen und verkaufen eine halbe Millionen Nutzende hier aktuell rund 100 Millionen Produkte, von einzelnen Karten über ganze Spiele-Boxen bis hin zum Zubehör. Angefangen hat alles mit dem Programmierer Luis Torres. 2007 ist der Mitte 20, lebt und studiert in Berlin und spielt in seiner Freizeit gerne Trading Card Games. Als sich daraus eine Startup-Idee entwickelt, setzt er die erste Website auf: einen Handelsplatz mit angegliedertem Shop speziell für das Kartenspiel Magic: The Gathering.

Ein Jahr später kommt Matthias Knelangen und 2013 Marko Schädlich dazu, alle drei sind heute Anteilseigner und Geschäftsführer. „Als Cardmarket zum ersten Mal online ging, gab es noch Kataloge von Kartenhändlern“, sagt Schädlich gegenüber OMR. Eine Website, um mit Karten zu handeln, das sei etwas völlig Neues gewesen. Mit dem Einzug von Schädlich in die Firma geben die Betreiber den eigenen Online-Shop auf, zu viele Ressourcen habe das Verpacken und Versenden der Produkte gekostet. Sie konzentrieren sich stattdessen auf den weitaus profitableren Marktplatz.

7,5 Millionen Visits im Monat

„Damals hatten wir für jedes Spiel noch einen eigenen Marktplatz“, sagt Schädlich. Erst 2017 überführen sie die vier größten Spiele, Magic, Pokémon, Yu-Gi-Oh! und mittlerweile auch Dragonball Z, an einen gemeinsamen Ort und legen damit den Grundstein für das, was mittlerweile die größte Online-Börse Europas für Sammelkarten ist.

Heute verzeichnet die Plattform laut eigener Aussage rund eine halbe Millionen Nutzende aus 30 Ländern, 100 Millionen Angebote seien aktuell eingestellt. Auf keiner anderen Plattform in Europa werden so viele neue und gebrauchte Produkte rund um insgesamt zwölf Sammelkartenspiele gehandelt wie hier. Der größte Teil davon, rund 50 Millionen Produkte, sind Einzelkarten, sogenannte „Singles“. Der Rest besteht aus spielspezifischen Kartensets, Boxen, Displays und Zubehör.

Deutschland ist für Cardmarket der stärkste Markt. Laut Analysetool Similarweb stammen rund ein Drittel der durchschnittlich 7,5 Millionen monatlichen Visits von hier. Über den Umsatz will Schädlich keine Angaben machen. Lediglich die Provisionshöhe von fünf Prozent des Verkaufspreises lässt er verlauten. Diese sei allerdings die einzige Einnahmequelle von Cardmarket, auch Werbung würden sie auf ihrer Website nicht schalten.

Das Meiste sind Ein-Cent-Karten

Mittlerweile haben auch Anleger die Sammelkarten-Branche für sich entdeckt. Seltene Karten, die in gutem Zustand sind und vom Hersteller nicht mehr nachgedruckt werden, können schnell ein kleines Vermögen von um die 1.000 Euro wert sein. Andererseits könne es aber auch zu einem rapiden Wertverlust kommen, etwa wenn selbiger Hersteller eine Karte „banned“, sie also nicht mehr als Spielkarte in Turnieren zulässt, sagt Schädlich. In solchen Fällen sinke der Wert einer Karte von 20 auch schnell auf zwei Euro, ein Wertverlust von 90 Prozent.

Viele Karten auf der Plattform können so einen Verlust aber gar nicht verzeichnen. 90 Prozent aller Einzelkarten auf Cardmarket hätten einen Wert von gerade einmal einem Cent. Schädlich schätzt, dass nur rund ein Prozent aller Karten den Wert von 100 Euro übersteigen. Krasse Ausreißer würden nur einen Bruchteil aller Karten ausmachen. Aktuell werden 193 Karten zu einem Preis von über 1.000 Euro auf Cardmarket angeboten. Die teuerste aktuell zur Verfügung stehende, stammt vom Flagship-Spiel Magic: The Gathering und wird von drei unterschiedlichen Anbietern für einen Mindestpreis von 189.000 Euro angeboten.

Youtuber

Hier findet ein Sammler eine der wertvollsten Karten der Welt: Die Black Lotus Alpha. Heute wird sie auf cardmarket.com für rund 189.000 Dollar angeboten.

Mit dem Hype steigt das Interesse

Je nach Spiel seien die Händler auf dem Marktplatz zwischen 18 und 50 Jahre alt, der größte Teil davon Privatleute, daneben wenige gewerbliche Händler. Wie viele andere müssen auch die Cardmarket-Gründer darauf achten, dass keine Minderjährigen Handel in gewerblichem Ausmaß betreiben. Wer über 18 sei und bei wem sich ein gewisser Umsatz anbahnt, dem würden die Gründer unter die Arme greifen: „Wir haben interne Limits für private Händler. Wenn einer in die Nähe davon kommt, treten wir an ihn heran und empfehlen ihm, sein Business gewerblich zu betreiben. Das dient auch unserer rechtlichen Absicherung“, sagt Schädlich dazu. Eine genaue Regelung, ab wann jemand als gewerblicher Händler auftreten muss, gibt es laut Schädlich nicht.

Von dem Hype um Pokémon profitiert auch die Plattform. Laut Google-Trends ist das Suchinteresse für das Stichwort „cardmarket“ seit Oktober um fast 75 Prozent gestiegen. Wie sich die Nutzer auf der Website verhalten, das würde sich jedoch stark voneinander unterscheiden. „Manch einer spielt jahrelang keine Karten mehr, findet sie dann wieder unter’m Bett und beginnt bei uns neue Sets zu kaufen“, sagt Schädlich. Andere würden direkt vom Hersteller Kartensets kaufen, hoffen, dass wertvolle dabei sind und sie einzeln wieder auf Cardmarket verkaufen. Wiederum andere würden einen Arbitrage-Handel betreiben, also auf der Plattform günstig einkaufen und teurer verkaufen.

Cardmarket Google Trends

Laut Google Trends steigen die Google-Suchanfragen nach dem Stichwort „Cardmarket“ in Deutschland ab Oktober um bis zu 75 Prozent.

Der buntäugige Meteoreinschlag-Drache in den SEO-Top 10

Während auf dem Marktplatz die Spiele zusammengeführt wurden, findet auf Social Media eine strikte Ausdifferenzierung statt. „Wer als Yu-Gi-Oh!-Spieler auf Instagram nach Content sucht, will sich nicht durch Magic-News klicken müssen“, sagt Jamin Kauf, Social Media Manager bei Cardmarket. Deshalb gäbe es für jedes große Spiel eigene Social Media Channels. Insgesamt kämen sie auf rund 150.000 Follower auf Instagram, Twitter und Facebook.

Nebenbei werde regelmäßig auf dem eigenen Blog Content kreiert, was vor allem die Suchmaschinenpositionierung begünstigen soll. Weil die Produktnamen eigentümliche Namen haben, würden sich daraus nischige Keywords generieren. Laut SEO-Analysetool Sistrix rankt die Seite bei über 22.000 Keywords in den Top 10, darunter solche wie „buntäugiger meteoreinschlag drache“ oder „the dark side of dimensions movie pack gold edition display“. Eine weitere Besonderheit: Der Sammelkartenkatalog umfasst jede jemals auf Cardmarket gehandelte Karte inklusive Foto, Beschreibung und Preishistorie und dürfte damit einer der größten digitale Spielkartensammlung im Internet sein.

Internationale Turnierserie als Marketing-Tool

Für die TCG-Community ist Cardmarket nicht nur eine Handelsplattform. Das Unternehmen ist außerdem Veranstalter einer der wichtigsten Turnierserien für aktive Spieler, die „Cardmarket-Series„. Fünf Veranstaltungen werden in Europa pro Jahr normalerweise ausgetragen, mal in Paris, mal in Barcelona. Zu jedem Event würden 1.500 bis 2.000 Spieler kommen, in Eins-gegen-Eins-Wettbewerben gegeneinander antreten und versuchen, auf das Siegertreppchen zu gelangen.

Die Turniere seien ein Verlustgeschäft für Cardmarket und dienen deshalb vor allem als Marketing-Instrument und dem Community-Building. „Es ist nicht einfach, Leute emotional an einen Marktplatz zu binden. Deshalb veranstalten wir die Series“. Damit würden sie die Szene zusammenbringen und „ihre Lust am Spielen anfachen wollen“, sagt Schädlich. Für die Events würden sie außerdem mit Szene-Influencern wie Thoralf Severin oder Riley Knight zusammenarbeiten und als Sponsor von über 100 Spielern auftreten. Schon 2020 haben die Cardmarket-Series nicht stattfinden können. Dafür hätten die Cardmarket-Macher schon groß investiert, eine halbe Lagerhalle voller Equipment stünde für die Series bereit. Dann kam der Lockdown, wodurch sich das Geschäft komplett ins Digitale verlagert hat.

Zwar waren die Betreiber von Cardmarket darauf nicht unbedingt vorbereitet, dennoch haben sie über die letzten Jahre hinweg ein Ökosystem um sich herum erschaffen, das rein digital funktioniert. Dass nun auch noch Youtuber weltweit den Hype um Sammelkarten neu entfachen, ist zwar reines Glück, aber das gehört zum Spiel eben dazu.

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Florian Heide
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Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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