Bei Facebook kann man Werbung an Nutzer ausspielen, die sich für Kinderpornografie, Inzest und Vergewaltigung interessieren

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Inhalt
  1. Die automatisierte Interessenszuordnung führt zu zweifelhaften Targeting-Kategorien
  2. „Missstände aufklären und Präventionsarbeit leisten“
  3. Automatisierte Zuordnung funktioniert offenbar nicht immer

Die automatisierte Interessenszuordnung führt zu zweifelhaften Targeting-Kategorien

Targeting-Kategorien im Buchungs-Tool von Facebook (Screenshot)

Targeting-Kategorien im Buchungs-Tool von Facebook (Screenshot)

Gibt es Unternehmen, die ihre Werbung gezielt Facebook-Nutzern einblenden wollen, die an Kinderpornografie, Inzest oder Vergewaltigung interessiert sind? Zumindest bietet das soziale Netzwerk diese Möglichkeit an. Facebook beziffert sogar, wie viele Mitglieder angeblich an den jeweiligen Themen interessiert sein sollen und so für den Werbetreibenden mit dieser Methode potenziell erreichbar wären. Die fraglichen Nutzer selbst wissen vermutlich gar nicht, dass Facebook ihnen diese Interessen zugeschrieben hat. Nach Darstellung von Facebook selbst sollen solche Interessenskategorien auch für Aufklärung und Prävention genutzt werden können. Zur Erklärung: Wer bei Facebook Werbung schaltet, hat die Möglichkeit, relativ eng einzugrenzen, welchen Nutzern die Anzeigen ausgespielt werden sollen. Im Online-Selbstbuchungs-Tool des Netzwerkes stehen dafür eine Vielzahl von Optionen zur Verfügung. So können die Werbetreibenden beispielsweise das Geschlecht, die Altersspanne und den Ort (sollen Nutzer aus ganz Deutschland oder nur aus einer bestimmten Stadt erreicht werden) ihrer Zielgruppe festlegen. Eine weitere Option ist das Targeting nach Nutzerinteressen. Um diese zu ermitteln, wertet Facebook diverse Daten aus: „Mit der Zielgruppenansprache nach Interessen können Werbetreibende Nutzer auf Grundlage folgender Kriterien ansprechen: Informationen, die Nutzer ihrer Chronik hinzugefügt haben, Themen, die in Bezug zu Seiten stehen, die Nutzer mit ‚Gefällt mir’ markiert haben, Stichwörter und eng verwandte Themen, von Nutzern verwendete Apps und Werbeanzeigen, auf die Nutzer geklickt haben“, heißt es mehr oder minder kryptisch von Seiten des Netzwerks.

Als wir während der Buchung einer Anzeige im Interessenfeld nach „The Verge“ (ein US-Technologieblog) suchen wollen und die Zeichenfolge „verge“ eintippen, wird uns „Vergewaltigung“ als mögliche Interessenskategorie vorgeschlagen.

Interesse an Vergewaltigung

Erstaunt suchen wir nach weiteren zweifelhaften Interessenskategorien – und sind (in mehrerlei Hinsicht erschreckend) erfolgreich: Ob „, „“, „“, „“, „“, „“, „“, „“, „“, „“, „“ oder die simple „“ – alle diese Begriffe stehen als Interessenskategorie zur Verfügung; zu allen existieren Facebook-Nutzer, denen diese Interessen zugewiesen wurden.

„Missstände aufklären und Präventionsarbeit leisten“

Wir fragen bei Facebook nach, wie es zu solchen Interessenszuordnungen wie „Vergewaltigung“ kommen kann. Die Antwort eines Unternehmenssprechers: „Wenn man beispielsweise eine Seite wie ‚gegen-missbrauch e.V.“’ mit ‚Gefällt mir’ markiert, kann das ein Indikator dafür sein, um in die Interessenskategorie „Missbrauch“ aufgenommen zu werden. Es geht hier also definitiv nicht um Neigungen. Diese Kategorien mögen auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, erfüllen aber dennoch einen Sinn. Denn Facebook wird sowohl von Regierungsorganisationen also auch NGOs wie zu Beispiel Amnesty International genutzt, um über Missstände aufzuklären und Präventionsarbeit zu leisten.“*

Aber bieten diese Interessenkategorien auch Anbietern illegaler Pornografie oder illegaler Substanzen die Möglichkeit, bei Facebook zielgenau potenzielle Interessenten ihrer kriminellen Praktiken anzusprechen? Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht: Jegliche Anzeige wird vorab durch Facebook geprüft. In den Werberichtlinien untersagt das Netzwerk die Bewerbung illegaler Produkte und die Verwendung obszöner oder verleumderischer Sprache. Wie wir schon einmal selbst erfahren mussten, gibt Facebook eine Anzeige, deren Text das Wort „Fuck“ enthält, nicht frei. Ob dagegen Hersteller von Nahrungsersatzmitteln Werbung an Anorexie-affine Nutzer ausliefern, oder Händler von Nazi-Memorabilien durch geschicktes Texten gezielt rechtsextreme Nutzer ansprechen könnten, ist nicht ohne weiteres zu beantworten.

Automatisierte Zuordnung funktioniert offenbar nicht immer

Darüber hinaus ist nicht abschätzbar, ob Facebook mit der Zuordnung der Interessen seiner Nutzer immer ins Schwarze trifft. Ein Facebook-Marketing-Experte sagte gegenüber Online Marketing Rockstars, dass das Netzwerk mit der sauberen Zuordnung von Interessen Probleme habe, weil dabei vieles automatisiert erfolge. So sei das Interesse „Urlaub“ eine Zeit lang jenen Nutzern zugeordnet worden, die Fans des Musikers Farin Urlaub sind – für Werbekunden aus dem Reisebereich wenig erfreulich.

Welche Interessen Facebook ihnen zugeordnet hat, ist bislang nur für User in den USA direkt einsehbar. Nutzer aus anderen Ländern können sich mit einer anderen Lösung behelfen, indem sie in den Einstellungen ihre Nutzerdaten herunterladen. In dem heruntergeladenen Archiv können sie dann ihre Interessen nachlesen. daten_herunterladen

Wir haben eine Anzeige erstellt und diese nur Nutzer ausspielen lassen, denen Facebook das Interesse an Vergewaltigung zugeordnet. Im Anzeigentext baten wir um Kontaktaufnahme: anzeige

Innerhalb von knapp zwei Tagen erreichten wir mit der Anzeige laut Facebooks Anzeigen-Tool mehr als 5.000 Menschen. Ein Nutzer meldete sich bei uns per E-Mail: Wie die Interessenszuordnung zustande gekommen sei könne er sich nicht erklären. „Ich nutze Facebook intensiv und habe sehr viele Sachen geliked.“ Dazu gehöre beispielsweise die Seite „Die bescheidene Rechtschreibung mancher Leute vergewaltigt meine Augen“. Ganz offensichtlich ist vielen Nutzern nicht klar, in welcher Tiefe Facebook ihr Verhalten auswertet. Nach Download seiner Facebook-Archiv-Daten musste er feststellen, dass Facebook ihm viele dubiose Interessen zugeordnet hat:

Die E-Mail eines Nutzers, die uns erreichte (Name geschwärzt)

Die E-Mail eines Nutzers, die uns erreichte (Name geschwärzt)

* Update um 14:00 Uhr: Wir haben die Formulierung des Zitates auf Bitten des Unternehmenssprechers geringfügig abgeändert. Außerdem haben wir im Textvorspann einen Satz zur Darstellung des Unternehmens hinzugefügt.

FacebookFacebook AdsTargeting
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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