Abschied von Werbung: Wie die US-Seite Barstool Sports ihr Geld mit Merchandise verdient
Der Sport-Publisher hat mit grenzwertigem Humor eine Community aufgebaut
- Pay per View für Amateur-Boxen
- Sport, Satire, Frauen
- Barstool Sports verdient viel Geld mit E-Commerce
- Unter 50 Prozent Umsatz aus Ads
- Exit durch großen Medieninvestor
Während viele Legacy Medien immer noch darum kämpfen, im digitalen Zeitalter ihre Inhalte refinanzieren zu können, hat der US-Publisher Barstool Sports seinen ganz eigenen Weg gefunden, im Netz Geld zu verdienen. Mit Political Incorrectness und Prollhumor haben Gründer David Portnoy und sein Team eine treue Leserschaft aufgebaut, die auch gerne Geld für Merchandise ausgibt. Um die Fans bei der Stange zu halten, schickt Barstool Mitarbeiter schon einmal selbst bei Amateur-Boxkämpfen im Wald in den Ring.
Sie nennen sich „Stoolies“, sind meist junge weiße Männer und lieben Sport. So ungefähr kann man sich die Kernzielgruppe und gleichzeitig die Fans des Sport-Publishers Barstool Sports vorstellen. Bereits 2003 hatte Dave Portnoy (selbst ernannter „El Presidente“) unter diesem Namen eine Lokalzeitung in Boston gegründet. Nach und nach entwickelte er daraus eine Digitalbrand. Zwar verzeichnet Barstool mit nach eigenen Angaben zehn Millionen Besuchern im Monat (das Analyse-Tool Similar Web zeigt etwa 8,1 Millionen Visits) noch keine Rekord-Reichweiten. Diese kommen aber zum großen Teil aus dem Nordosten der USA. Luft nach oben ist also da. Und die Webseiten-Besucher sind bereit, Geld auszugeben – und das können nur die wenigsten Publisher von sich behaupten.
Pay per View für Amateur-Boxen
Eine dieser Ideen an das Geld der Nutzer zu kommen, war „The Rough and Rowdy Brawl“, eine lokale Amateur-Boxveranstaltung in den Wäldern von West Virginia. Barstool Sports hatte einen Mitarbeiter als Kämpfer zum zweitägigen Event im März 2017 geschickt – und entschieden, das Ganze als Pay-per-View-Show auf der eigenen Webseite anzubieten. Der arme Tex von Barstool hielt gerade mal zwei Runden durch, bis der Ringrichter den Kampf beendete. Jeder Nutzer, der die Kämpfe ohne großen sportlichen Wert anschauen wollte, musste fünf US-Dollar zahlen. Am Ende schalteten mehr als 12.500 Stoolies ein. Die 60.000 US-Dollar Umsatz sind sicher nicht das große Geld, aber ein Fingerzeig, was mit einer starken Publishing-Brand möglich ist.
„Ich musste über Umsatz und das Business von Anfang an nachdenken“, sagt El Presidente Portnoy zu Digiday. „Wir werden nicht überleben, wenn wir von Werbeerlösen abhängig sind. Wir sind nicht groß genug und unsere Inhalte sind für manche Werbepartner zu hart. Aber wir wussten, dass wir Geld mit unseren Lesern verdienen, weil wir schon immer eine sehr loyale Audience hatten.“ Dabei dürfte ein Großteil des Umsatzes aus dem Event auch Gewinn für Barstool Sports bedeuten. Den Fans sind aufwändige Produktionen egal, zum Box-Event nach West Virginia war Portnoy mit zwei Kollegen und dem Kämpfer selbst gefahren.
Sport, Satire, Frauen
Was Portnoy mit „harten“ Inhalten meint, zeigt ein Blick auf die Webseite und die Facebook-Page (über 945.000 Fans) von Barstool Sports: Viele „Viral-Videos“ von tanzenden Frauen, Fan-Reaktionen aus den Stadien der USA, witzigen Interview-Aussagen bekannter Sportler oder User-Generated-Content verschiedenster Situationen. Auf der Webseite drehen sich zwar viele Artikel um aktuelle Sportereignisse, hinzu kommen aber viele andere Themen, die so gar nichts mit Sport zu tun haben. Es gibt eine eigene Kategorie „Girls“, in der Fotos von mehr oder weniger bekannten, halbnackten Frauen gezeigt werden. Oft werden in den Beiträgen frauenfeindliche Witze gemacht. Der prollige Humor dürfte zwar in der Zielgruppe gut ankommen, stößt aber gleichzeitig an Menge Menschen ab. Da „bewertet“ das Redaktions-Team in einem Artikel zum Beispiel eine Lehrerin, die Sex mit einem Schüler gehabt haben soll oder schreibt über ein Frau, die ihren Uber-Fahrer der sexuellen Belästigung bezichtigt hat, weil sie sich während der Fahrt mit ihm gestritten hat. Solche Artikel lösen bei den Fans der Seite erwartbare Reaktionen aus und sorgen für reichlich Klicks aus den sozialen Netzwerken. Nach eigenen Angaben hat Barstool Sports sechs Millionen Follower auf den verschiedenen sozialen Plattformen.
Die Strategie erinnert an „The Lad Bible“ und das Unternehmen 65twenty dahinter, über die wir schon einmal ausführlich geschrieben haben. Millenial-Männer werden mit leicht bekleideten Frauen, witzigen Videos und kuriosen Geschichten aus der Sport-Welt geködert. Viele junge Sportfans teilen diesen Kneipen-Humor, der ja auch schon im Namen Barstool (Bar-Hocker) steckt.
Umso verwunderlicher, dass das Unternehmen eine Frau an der Spitze installiert hat. Aber CEO Erika Nardini kann nichts Schlechtes an den Inhalten der Seite finden. „Nichts und niemand ist sicher. Es gibt nichts, was die Jungs nicht witzig finden können. Barstool war zuerst als Sport-Blog bekannt, in Wirklichkeit ist es eine Comedy-Seite“, sagt sie. „Die Jungs von Barstool sagen Dinge, die andere Leute denken, aber nicht aussprechen.“ El Presidente und seine Kumpels, die er seine „Vertreter“ nennt, sind zu Gesichtern des Publishers geworden und werden von den Fans für ihren Humor geliebt – nur so konnte sich das Unternehmen eine weitere wichtige Einnahmequelle erschließen.
Barstool Sports verdient viel Geld mit E-Commerce
Ein Drittel des Umsatzes von Barstool Sports kommt laut Nardini aus dem E-Commerce-Geschäft. Das Unternehmen nimmt aktuelle Ereignisse im US-Sport auf und druckt passende T-Shirts, Hoodies und Mützen (z.B. Meisterschafts-Shirts vom jeweiligen Team). Darüber hinaus gibt es eigene Kollektionen für große Sportstädte in den USA und deren Mannschaften (Boston, New York, Chicago, Indianapolis, Philadelphia und Washington DC). Meist stehen auf den Shirts witzige Sprüche über die Topspieler, die Farben richten sich nach dem jeweiligen Team (in Boston wird Bill Belichick, der immer ernste Trainer der New England Patriots mit einem hässlichen Weihnachts-Pullover und dem Claim „Let’s Party“ auf den Arm genommen).
Der zweite Kern der Produktpalette bezieht sich auf Barstool Sports selbst. In den sozialen Netzwerken zeigen sich die Fans oft mit einer Flagge, die mit dem Claim des Publishers „Saturdays Are For The Boys“ bedruckt ist. Das Teil kostet 25 US-Dollar im Online-Shop. Der Hashtag #SaturdaysAreForTheBoys ist zu einem Viral-Hit geworden: „Wir haben Jungs – sogar Mädels – im ganzen Land, die uns Videos schicken. Vieles davon ist Mist, vieles haben wir schon millionenfach gesehen, aber das nächste Video könnte einen schreienden Rob Gronkowski (American-Football-Star) zeigen. Also müssen wir das ganze Zeug durchgehen“, sagt Dave Portnoy in einem Interview mit AOL.
Barstool Sports kurbelt die Verkäufe ohne großes Marketing-Budget an: In vielen selbstproduzierten Clips tragen die Macher die Klamotten aus dem Shop. Zusätzlich hat Barstool das Hashtag #Vivalastool eingeführt. Nutzer, die sich mit Produkten des Unternehmens fotografieren und die Bilder in die sozialen Netzwerke laden, sollen dabei immer den Hashtag verwenden. Die Fotos landen dann auf dem eigens eingerichteten Instagram-Account vivalastool mit 38.000 Followern und damit automatisch auf der Webseite von Barstool Sports. Und das zieht bei den Fans offenbar. „Es gibt wenige Marken, über die Menschen so viel sprechen und mit denen sie sich so stark identifizieren. Ich habe viel Zeit in der Medienindustrie verbracht und nie eine Marke gesehen, die so viel Potenzial hat und gleichzeitig so rau ist“, sagt CEO Nardini. Und auch im E-Commerce ziehen Live-Events: Im November 2016 veranstaltete Barstool zum Cyber Monday eine anderthalbstündige „Spendengala“, bei der jede Menge Merchandise verkauft wurde.
Unter 50 Prozent Umsatz aus Ads
CEO Erika Nardini geht davon aus, dass Werbeerlöse 2017 unter 50 Prozent des Gesamtumsatzes von Barstool Sports ausmachen. „Als ich mir das Unternehmen angeschaut habe, war die Verteilung des Umsatzes auf verschiedene Standbeine eines der attraktivsten Dinge“, sagt sie. „Ich denke nicht, dass man in dieser Zeit mit einem reinen Ad-Modell überleben kann.“ Die Strategie für das Unternehmen dürfte also sein, in weitere neue Erlösfelder einzutauchen. Neben Live-Events, E-Commerce und Werbung spielen Content-Syndikationen eine große Rolle. Vor dem vergangenen Super Bowl Anfang Februar hatte Barstool die Show „The Barstool Rundown“ für Comedy Central zu dem Thema produziert. Im Durchschnitt schalteten zwischen 217.000 und 310.000 Zuschauer ein. Dabei bestand die Sendung darin, dass sich Dave Portnoy mit zwei Barstool-Mitarbeitern in einer Bar über das anstehende Spiel unterhält.
Neben Artikeln setzt Barstool inhaltlich immer stärker auf Podcasts. „Das war etwas, wo wir gesagt haben, wir sollten das machen, es ist gerade angesagt“, erzählt Dave Portnoy. Also wurde der bekannte ehemalige NFL-Spieler Pat McAfee direkt nach seinem Rücktritt vom aktiven Sport für eine eigene Podcast-Show verpflichtet. Der für seine witzigen Aktionen auf und neben dem Feld bekannte Punter der Indianapolis Colts machte aus der Pressekonferenz zum Rücktritt direkt eine Werbe-Show für Barstool Sports. Das Format dürfte neben Video derzeit ein wichtiger Punkt auf der Agenda von Barstool sein. Beides findet jedoch immer weniger auf der eigenen Webseite statt. Ursprünglich hatte der Publisher unter „Barstool Sports TV“ alle Video-Formate gebündelt. Seit 2015 werden die selbst produzierten Videos hier nicht mehr gelistet, sondern in Artikeln verarbeitet oder direkt bei Youtube oder Facebook verbreitet. Auch die Podcasts werden vor allem über die bekannten Plattformen wie iTunes und Soundcloud angeboten.
Exit durch großen Medieninvestor
Anfang 2016 hat El Presidente Dave Portnoy 51 Prozent von Barstool Sports an das Medien- und Technologie-Unternehmen „The Chernin Group“ (u.a. in Tumblr, Mediakraft, Soundcloud und Medium investiert) verkauft. Dafür bekam Portnoy laut Medienberichten 15 Millionen US-Dollar. Seine Hoffnung: Durch das Know-how von Chernin soll Barstool Sports das nächste Level erreichen. Zu dieser Zeit sei sein Unternehmen zwar schon sehr profitabel gewesen, aber das Investment habe sich nach dem Umsatz gerichtet, der bei Barstool offenbar noch nicht allzu hoch ist. Im Zuge des Investments mussten Portnoy und seine Kumpels aus Boston in das von ihm verhasste Manhattan umziehen – gleichzeitig kamen Programmierer und später CEO Erika Nardini an Bord. Nardini hatte vorher als CMO bei AOL gearbeitet. Die Inhalte haben sich seitdem nicht geändert (Portnoy hat weiterhin die volle inhaltliche Kontrolle), aber insgesamt ist der Publisher seitdem deutlich professioneller aufgestellt.
„Wir wollen eine Comedy-Brand sein – nicht nur digital sondern in allen Medien“, sagt Portnoy. Er wolle jetzt vor allem noch stärker in andere Teile der USA expandieren, schließlich lebten die meisten „Stoolies“ derzeit im Nordosten der USA. Die Brand soll in den Köpfen der Fans verankert sein – egal wo sie auf die Gesichter von Barstool treffen. Das soll bis hin zu Filmen führen. Sport- und Frauen-Witze waren offensichtlich nur der Anfang. „Unsere Zielgruppe sind Männer, die zwischen 18 und 40 Jahre alt sind. Wie wir für sie besseren Content erstellen als alle anderen, das hält mich Nachts wach“, sagt El Presidente Dave Portnoy.