Der „Tony Soprano des E-Commerce“: Drängt Amazon Markenartikler nach Mafia-Art zur Zusammenarbeit?
Luxusartikler wie LVMH ringen um die Oberhand im Handel
- Markenartikler versuchen Online-Vertrieb zu kontrollieren
- Amazon verkauft selbst LVMH-Artikel
- Marketplace-Händler sind häufig günstiger
- Ein Angebot, das Marken nicht ablehnen können
- Fossil schwenkt ein – und Amazon kommt entgegen
- Richemont will Amazon-Konkurrenten aufbauen
- Amazon erhebt Gebühren bei bestimmten Marken
„Wir werden auf keinen Fall mit Amazon Geschäfte machen.“ Mit diesen Worten bekräftigte Finanzchef Jean-Jacques Guiony vor wenigen Tagen erneut die Entscheidung des Luxusherstellers Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH), den Vertrieb der eigenen Produkte auf Amazon zu untersagen. Trotzdem sind nach wie vor LVMH-Produkte bei Amazon verfügbar, angeboten nicht nur von so genannten Third-Party-Händlern, sondern auch von Amazon selbst. Es ist nicht der einzige Fall, in dem Amazon mit harten Bandagen gegen die Markenartikler kämpft.
„Wir glauben, dass Amazons Geschäftsmodell nicht zu Luxusartikeln passt. Und nicht zu unseren Marken“, so LVMH-Manager Guiony bei der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen in der vergangenen Woche auf Frage eines Analysten. „Wenn sie das Geschäftsmodell ändern… ich weiß es nicht, aber mit dem bestehenden Geschäftsmodell ist es für uns aktuell keine Option, mit Amazon Geschäfte zu machen.“
Markenartikler versuchen Online-Vertrieb zu kontrollieren
Markenartikler wie LVMH versuchen seit Jahren, aus Eigeninteresse stärker zu kontrollieren, wo, wie und von wem ihre Produkte im Internet verkauft werden. So wie Marken im physischen Handel nicht vorbehaltlos im Umfeld von Discountern auftauchen wollen, versuchen viele, im Internet den Vertrieb auf großen Marktplätzen wie Amazon und Ebay zu verbieten oder zumindest einzuschränken. Zu den Gründen gehören das Marken-Image (Amazon hat unter anderem enorm mit von Dritthändlern angebotenen gefälschten Markenprodukten zu kämpfen), aber auch die Kontrolle über Vertriebswege und damit letztlich über Margen.
Unter anderem sollen Adidas, Asics, Deuter, Gigaset, Lego, Lowa, Märklin, Mammut, Miele, Nike und Trixie schon entsprechende Anstrengungen unternommen haben. Zuletzt hatte Birkenstock mit einem Knall angekündigt, sich zum Jahreswechsel nicht nur selbst von Amazon zu verabschieden, sondern auch den Vertriebspartnern dort den Verkauf zu untersagen. „Der Amazon Marktplatz, der als offener Markt betrieben wird, schafft ein Umfeld, wo wir unakzeptable Geschäftspraktiken erleben, von denen wir glauben, dass sie unserer Marke schaden“, schrieb David Kahan, US-Chef von Birkenstock, in einer Mitteilung an seine Einzelhandelspartner, die der US-Fernsehsender CNBC veröffentlichte.
Amazon verkauft selbst LVMH-Artikel
Fraglich ist, wer in der Sache am längeren Hebel sitzt. Denn eine schnelle Überprüfung am Beispiel von LVMH auf Amazon.de zeigt: Trotz der jüngsten Kampfansage des Luxuskonzerns sind auch aktuell immer noch Artikel der LVMH-Marken auf der Plattform verfügbar. Das unter der Marke Dior produzierte Eau de Toilette Eau Sauvage beispielsweise, sowie Champagner von Moët-Chandon und Socken von Thomas Pink. Alle drei Artikel werden nicht von Dritthändlern auf Amazons Marktplatz verkauft und verschickt, sondern von Amazon selbst. Wie Amazon an die Produkte kommt – ob LVMH doch entgegen der öffentlichen Darstellung Produkte an Amazon verkauft oder ob LVMH-Vertriebspartner doch trotz offiziell ausgegebener Direktive an Amazon verkaufen – ist unbekannt. Entsprechende Anfragen von Online Marketing Rockstars an Amazon sowie an LVMH haben beide Unternehmen bislang nicht beantwortet.
Marketplace-Händler sind häufig günstiger
Vielsagend ist auch das Ergebnis einer Suche nach „louis vuitton“ auf Amazon.de: Ganz oben listet Amazon eine Louis-Vuitton-Tasche, die jeweils von zwei Dritthändlern mit bislang keinerlei Bewertungen angeboten wird – zu einem Preis von rund 545 Euro und damit mehr als 40 Prozent günstiger als im Online-Shop von Louis Vuitton. Darunter folgt ein ebenfalls von einem Dritthändler angebotenes Paar Strass-Ohrstecker in Form des Louis-Vuitton-Logos – die Vermutung liegt nahe, dass diese nicht vom Markeninhaber autorisiert sind. Auf dem dritten Platz auf der Ergebnisseite folgt schließlich eine erneut von einem Dritthändler angebotene Kopie der Original-Tasche, die auf dem ersten Platz gelistet ist. Die Kopie kostet etwa ein Zehntel des Originals: rund 55 Euro.
Amazon bietet Markenrechtsinhabern zwar die Möglichkeit, Rechtsverletzungen über ein Formular zu melden. Die geschilderte Stichprobe lässt jedoch darauf schließen, dass zumindest LVMH es nicht gelingt, alleine über dieses Instrument das unautorisierte Geschäft mit den eigenen Marken auf Amazon einzudämmen.
Ein Angebot, das Marken nicht ablehnen können
Scott Galloway glaubt, dass Amazon in jenen Fällen, bei denen Marken sich weigern, ihren gesamten Produktkatalog auch über Amazon zu vertreiben, auf der eigenen Plattform dem Geschäft mit Grauimporten und Produktkopien bewusst freien Lauf lässt – um die jeweiligen Unternehmen letztlich doch zu einer Zusammenarbeit zu zwingen. Der Marketing-Professor an der New York University sowie Gründer und Inhaber des Beratungsunternehmens L2 (hier sein Vortrag beim Online Marketing Rockstars Festival 2016) vergleicht das Verhalten von Amazon mit dem der Mafia: „Amazon ist wie der Tony Soprano des E-Commerce. Sie stehen plötzlich in der Tür und fragen: ‚Wollt Ihr Eure Marke schützen? Wenn ja, müsst Ihr uns auf die ein oder andere Weise bezahlen’“, so Galloway im Jahr 2014 in einem Interview mit Bloomberg. „Wenn Ihr nicht mit uns zusammenarbeiten wollt, überlassen wir dem freien Markt das Feld, und das kann sehr schnell sehr hässlich werden.“
Bei diversen Unternehmen, die sich nach anfänglicher Ablehnung doch zum Verkauf über Amazon entschlossen haben, sei danach laut von Galloways Unternehmen L2 in den Jahren 2014 und 2015 durchgeführten Erhebungen die Anzahl der auf Amazon vertretenen Produkte der jeweiligen Marke deutlich gesunken, erklärt Galloway in einem Video aus dem Jahr 2015. Amazon habe also offenbar danach den „Greymarket“ eingedämmt. Dies sei beispielsweise bei Parfüms von Calvin Klein und Lacoste der Fall gewesen.
Fossil schwenkt ein – und Amazon kommt entgegen
Ein jüngeres Beispiel aus der Zeit nach Galloways Äußerungen: Die Fossil Group, Hersteller von Accessoires wie Uhren und Brillen, gab Ende August dieses Jahres bekannt, künftig ihre komplette Uhren- und Schmuckkollektion direkt auf Amazon anzubieten. Seitdem ist das Unternehmen mit einer eigenen Markenseite mit großflächigen Bildern auf Amazon.de präsent. Wenige Tage nach der Bekanntgabe der Fossil Group verschickte Amazon offenbar eine Mail an die Marktplatzhändler und informierte diese über künftige Einschränkungen im Handel mit Produkten der Fossil Group. „Die Botschaft von Amazon an Marken ist klar: ‚Work with us, or we will fuck with you.’“, sagt Scott Galloway.
Richemont will Amazon-Konkurrenten aufbauen
Andere Luxusgüterhersteller gehen eine andere Strategie: Das Schweizer Firmenkonglomerat Compagnie Financière Richemont (u.a. Cartier, Chloé, Montblanc) etwa will offenbar einen eigenen Marktplatz als Alternative zu Amazon etablieren. Im Jahr 2010 hat Richemont den Fashion-Marktplatz Net-a-Porter aufgekauft. Im Jahr 2015 folgte die Übernahme von Yoox und die Fusion der beiden Unternehmen. Anschließend streckte Richemont-Chef Johann Rupert gegenüber den Mitbewerbern Kering (Gucci, Yves Saint Laurent, Puma, etc.) und LVMH die Hand aus und lud sie dazu ein, in Yoox Net-a-Porter zu investieren. „Wir brauchen eine Plattform, die groß genug für die Luxusgüter-Branche ist“, so Rupert. „Ich glaube, dass das Spiel zu groß ist, um von einem Unternehmen dominiert zu werden.“ Online-Handel sei etwas „für große Jungs“, da dürfe man nicht zaudern. Yoox Net-a-Porter wies für das vergangene Jahre einen Netto-Umsatz von 1,7 Milliarden Euro und ein EBITDA von 133 Millionen Euro aus.
Bislang hat LVMH Ruperts Angebot offenbar nicht angenommen. Im April 2015 hatte die Groupe Arnault, der Mehrheitseigner von LVMH, bereits in die Shopping-Plattform Lyst investiert. Lyst will einen übergreifenden Einkaufskorb für Mode-Shops im Hochpreissegment etablieren.
Amazon erhebt Gebühren bei bestimmten Marken
Amazon hat demgegenüber damit begonnen, von Marketplace-Händlern Gebühren zwischen 1.000 und 1.500 US-Dollar zu verlangen, wenn diese Produkten bestimmter Marken auf dem Marketplace anbieten wollen. Einem Foreneintrag bei Reddit zufolge sollen sich unter den betroffenen Marken Namen wie Adidas, Asics, Lego und Nike befinden. Ob Amazon mit dieser Maßnahme gegenüber widerstrebenden Markenartiklern die Hand ausstrecken, die Forderungen von bereits bestehenden Geschäftspartnern erfüllen, oder aber nur den Handel mit Produktfälschungen eindämmen möchte, ist unbekannt.