500 Millionen Euro Werbeumsatz in Deutschland? – „Amazon nimmt Google gerade Geld weg“
Amazons Werbesparte hat bereits 52 Mitarbeiter in Deutschland
- Wachstum von mehr als 50 Prozent pro Jahr
- Online-Retail-Media boomt – nicht nur Amazon
- Amazon baut das deutsche Vermarktungs-Team aus
- „50 bis 60 Prozent der Search-Budgets wandern zu Amazon“
- „Wollen wir uns Amazon komplett ausliefern?“
Eine Zahl geistert aktuell durch die deutsche Werbebranche: Auf 500 bis 600 Millionen Euro sollen sich die Umsätze aus Amazons Werbegeschäft in Deutschland im Jahr 2018 bereits belaufen. Die Information ist weit davon entfernt, offiziell zu sein. Doch eine entsprechende Schätzung ist OMR von mehreren Seiten zugetragen worden. Leidtragender des Wachstums von Amazons Vermarktungssparte könnten andere Marktteilnehmer sein – vor allen Dingen Google.
„Was ich höre ist, dass Amazon extrem aggressiv im Markt unterwegs ist und Google Geld wegnimmt, beziehungsweise Geld von anderen Ausgaben abzieht“, so der hochrangige Vertreter einer deutschen Online-Media-Agentur, der namentlich nicht genannt werden möchte, gegenüber OMR. In der Branche erzähle man sich folgende Brutto-Zahlen über die Display-Umsätze: Googles Display Network setze im laufenden Jahr 1,5 Milliarden Euro, Facebook zwischen 850 Millionen und einer Milliarde Euro und Amazon die besagten 500 bis 600 Millionen Euro um. Auch andere Vertreter der Mediabranche erklärten gegenüber OMR, dass ihnen eine solche Schätzung von Amazons deutschen Werbeumsätzen zu Ohren gekommen sei.
Wachstum von mehr als 50 Prozent pro Jahr
Unklar ist, ob im Fall von Amazon wirklich nur die Display-Umsätze berücksichtigt und mögliche Umsätze aus der Suchwortvermarktung in der Tat noch nicht mit eingerechnet sind. Amazon dürfte mittlerweile die meistgenutzte Produktsuchmaschine in Deutschland und die Buchung von Suchwortanzeigen auf der Plattform für Werbetreibende dementsprechend attraktiv sein.
Offizielle, konkrete Zahlen über Amazons Jahresumsatz mit Werbevermarktung in Deutschland gibt es nicht. Auf internationaler Ebene könnte der Werbeumsatz in diesem Jahr bei neun bis zehn Milliarden US-Dollar liegen. Im zweiten Quartal wies Amazon für sein „Other“-Segment, das zum größten Teil aus Werbeumsätzen bestehen soll, einen Umsatz von 2,2 Milliarden US-Dollar ausgewiesen – ein Wachstum von 139 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Der Marktforscher Emarketer hatte zuletzt seine Prognose zu Amazon Werbeumsatz in den den USA erhöht. Emarketer rechnet nun damit, dass Amazons Werbeplattform in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten Spendings in Höhe von 4,61 Milliarden US-Dollar auf sich zieht. Damit wäre Amazon im US-Markt die drittstärkste Online-Werbeplattform nach Google und Facebook. Der Marktforscher prognostiziert außerdem, dass Amazons Werbeumsätze auch mindestens noch in den kommenden beiden Jahren um jeweils mehr als 50 Prozent wachsen werden. Im Jahr 2020 betrüge Amazons Marktanteil am US-Online-Werbemarkt dann sieben Prozent gegenüber 35,1 Prozent von Google und 20,8 Prozent von Facebook.
Online-Retail-Media boomt – nicht nur Amazon
Für speziell den deutschen Markt haben bislang weder Marktforscher noch hiesige Verbände öffentlich eine Schätzung zu Amazons Werbeumsätzen abgegeben. Die Organisation der Mediaagenturen (OMG) in Deutschland schätzte kürzlich gegenüber Horizont den Jahresumsatz von Google auf vier Milliarden Euro (drei Milliarden Suchwortvermarktung, 570 Millionen Euro Display-Vermarktung und 250 Millionen Euro Youtube) sowie den von Facebook auf eine Milliarde Euro.
Die gesamte Auswertung aller Zahlen für den Marktmonitor „OMG Preview“ liege aktuell noch nicht vor, soll jedoch auch eine Schätzung zu Amazon enthalten, so OMG-Geschäftsführer und -Sprecher Klaus-Peter Schulz gegenüber OMR. „Ich halte es für mehr als plausibel, dass Amazon in diesem Jahr ein relevantes Budget auf sich zieht, denn das Werbegeschäft wächst erheblich“, so Schulz. Das gesamte Geschäft mit digitaler Werbung für Kunden von E-Commerce-Anbietern boome aktuell. „Die Otto Group Media ist in diesem Bereich ebenfalls sehr erfolgreich, weil sie auch noch passende Kreativkonzepte mitbringt. Beide Unternehmen kennen ihre Zielgruppen sehr genau und haben zudem den Vorteil, dass bei ihren Werbeprodukten die Kennzeichnungspflicht wegfällt, da im E-Commerce-Bereich sowieso alles Werbung ist.“
Amazon baut das deutsche Vermarktungs-Team aus
„Während Anbieter wie Google ’nur‘ (Such-basierte) Interessen, oder Facebook und Instagram verhaltensbasierte Interessen targeten können, hat Amazon die härteste Währung zu bieten – nämlich Kaufdaten“, so Sven Weisbrich, CEO von Universal McCann (UM) Deutschland, gegenüber OMR. Er sehe Amazon als „neuen Big Player im Performance Marketing“, so Weisbrich weiter. „Aber nicht nur da: Auch Branding-Kunden nutzen Amazon immer öfter.“ UM ist in Deutschland nach eigenen Angaben u.a. für Johnson & Johnson, GoPro und Ecco tätig. Immer mehr Kunden der Agentur hätten die Relevanz von Amazon erkannt, seien aktiv oder mindestens in den ersten Tests, so ihr Geschäftsführer. „Amazon selbst hat stark in Ansprechpartner für den Werbemarkt investiert, für Kunden, aber auch für alle Wertschöpfungen in der Agenturwelt.“
Diese Entwicklung belegt auch ein Blick in das deutsche Business-Netzwerk Xing: So finden sich auf der Plattform 52 Mitarbeiter von Amazon Advertising. Offenbar hat das Unternehmen sein Team in diesem Bereich jüngst stark ausgebaut, denn 39 Prozent der Mitarbeiter sind laut Xing seit weniger als einem Jahr für das Unternehmen tätig. Und offenbar will Amazon weiter ausbauen: Aktuell sind auf der Karriereseite des Unternehmens alleine 23 Stellen in Deutschland (in Hamburg und München) ausgeschrieben, die unmittelbar mit dem Werbegeschäft zu tun haben.
„50 bis 60 Prozent der Search-Budgets wandern zu Amazon“
Wie aus der Branche zu hören ist, buchen die meisten der neuen Werbekunden klassischerweise als erstes Amazons Search-basierte Werbeprodukte. Droht hier also die Gefahr für Google, dass Amazon dem Suchmaschinenkonzern in seinem Kerngeschäft relevant Marktanteile abnehmen kann? Der US-Fernsehsender CNBC hatte Anfang Oktober auf seiner Website berichtet, dass in den USA Werbetreibende einen Teil ihrer Search-Budgets von Google zu Amazon verschieben – einige von ihnen sogar zwischen 50 und 60 Prozent. Mehrere Vertreter von Mediaagenturen hätten sich dementsprechend gegenüber CNBC geäußert, hätten aber nicht namentlich genannt werden wollen, weil sie nicht dazu befugt seien, öffentlich über die Budgets ihrer Kunden zu sprechen.
Lara Marie Massmann, Consultant bei der Berliner Performance-Marketing-Agentur Claneo, glaubt nicht, dass in Deutschland aktuell Search-Budgets in dieser Größenordnung verschoben werden. „Immer mehr Unternehmen sind jedoch bereit, Amazon Advertising auszutesten und bei Erfolg der Kampagnen wird natürlich auch früher oder später das Budget erhöht.“ Mittel- bis langfristig sieht Massmann allerdings schon die Chance, dass Amazon Marktanteile von Google übernimmt. Denn innerhalb der Google-Budgets habe eine starke Verschiebung hin zu Anzeigen in Googles Produktsuchmaschine Google Shopping stattgefunden. „60 bis 70 Prozent der Google Werbebudgets fließt inzwischen in Shopping Kampagnen“, so Massmann gegenüber OMR. „Das sah vor drei bis vier Jahren noch deutlich anders aus. Von Google Shopping zu Amazon Ads ist der Schritt dann häufig nicht mehr weit.“
„Wollen wir uns Amazon komplett ausliefern?“
Allerdings sehe die Performance-Marketing-Expertin bei einigen Unternehmen auch starke Vorbehalte gegenüber Amazon – „insbesondere in Bezug auf das Amazon Vendor Central Program“. Anders als beim Seller Program, bei dem die Teilnehmer selbst als Händler auf Amazons Marktplatz agieren, agieren Vendoren als Lieferanten für Amazon. Der Plattformbetreiber verkauft die Ware also selbst – und setzt auch die Preise. Das ist vielen Markenartiklern offenbar zu riskant, wie auch Massmann andeutet: „Viele First-Party-Seller wollen ein gewisses Preis-Level nicht unterschreiten und treffen Vereinbarungen mit Händlern, die dies garantieren. Eine solche Vereinbarung im Falle von Amazon zu treffen, ist nicht möglich.“ Dies könne „zu Komplikationen führen“, so Massmann vielsagend.