Diesem 56-jährigen Schwaben folgt Rihanna auf Instagram – und 368.000 weitere Menschen

Uwe Baltner singt in seinem Auto und filmt sich dabei

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Uwe Baltner vor seinem Fiat 500, dem Schauplatz der meisten seiner Videos, und dem Jägerhofpalais in Ludwigsburg, dem Sitz seiner Agentur Baumann & Baltner
Inhalt
  1. „Raus aus der Komfortzone“
  2. Der Fiat 500 als Produktionsstudio
  3. „Mich haben viele Teenager ausgelacht“
  4. „Nigerianer sind die nettesten Menschen im Internet“
  5. Cypress Hill und Chris Brown lassen die Reichweite explodieren
  6. Einmal durch die Meme-Mangel
  7. „Influencer-Plattformen sind schon ziemlich grauslich“

Rapper wie Chris Brown, Cypress Hill, Stormzy und Yung Hurn haben seine Videos geteilt, Rihanna folgt ihm auf Instagram und innerhalb eines Jahres ist die Zahl seiner Follower auf der Plattform auf weit mehr als eine Viertelmillion angewachsen. Hinter dieser Kurzbeschreibung würden wohl nur die wenigsten einen Menschen wie Uwe Baltner erwarten. Wie kommt es, dass ein singender, deutscher Agenturinhaber mittleren Alters aus der schwäbischen kulturellen Diaspora mit im Auto gedrehten Karaoke-Videos auf einmal solch eine Aufmerksamkeit auf sich zieht? OMR hat mit Uwe Baltner gesprochen und zeichnet seine kuriose Geschichte nach.

Über Uwe Baltners Videos auf Instagram lässt sich vieles sagen, aber sicher nicht, dass sie die Zuschauer kalt lassen. Egal, ob man es unangenehm findet, einem Hobby-Sänger, der nicht immer verlässlich alle Töne trifft, zuzuhören und -zuschauen, ob einem Baltners kurze Cover-Versionen gefallen, oder ob man sich noch eher an dessen unerschütterlichen Enthusiasmus erfreut – unberührt dürften die wenigsten bleiben. „So klingt das halt, wenn jemand einfach so lossingt“, sagt Baltner im Gespräch mit OMR. „Die Studiotechnik ist heute ja so weit, dass einfach alles fast schon überzogen gut klingt. Viele trauen sich deswegen gar nicht mehr, selbst zu singen. Ich will den Leuten zeigen, wie viel Spaß das machen kann.“

„Raus aus der Komfortzone“

Seit einem knappen Jahr lädt Baltner mindestens ein Video, manchmal auch mehrere Videos pro Tag bei Instagram hoch. Das Grundprinzip ist immer dasselbe: Baltner sitzt im Auto und singt zur Musik aus den Boxen seines Fiat 500. Das wirkt, wenn man es zum ersten Mal sieht, skurril. Besonders weit geht die Ton-Bild-Schere auseinander, wenn der deutlich bebrillte und angegraute 56-Jährige zu Tracks aktueller Hip-Hop-Stars rappt. Baltner schont sich dabei nicht und ist sich für nichts zu schade: seien es Songs von ghanaischen Rappern in afrikanischer Sprache, in jamaikanischem Patois, in Falsett-Lage oder solche, die im Original von Frauen gesungen werden. „Raus aus der Komfortzone, neue Musik kennenlernen und die weitergeben“, so sein Motto.

Schon als Jugendlicher macht Baltner Musik – im Alter von 15 Jahren in einer Band. „Ich konnte damals eigentlich nur Akkordeon spielen. Und weil ich mich als einziger nicht geschämt habe, zu singen, habe ich dann eben gesungen.“ Im Studium und noch mehr nach dem Berufseinstieg rückt die Musik in den Hintergrund. Zunächst arbeitet er als Journalist bei den Stuttgarter Nachrichten, dann als Redaktionsleiter bei Chip. Heute ist der Mittfünfziger Mitinhaber der Werbeagentur Baumann & Baltner, die in Ludwigsburg in der Nähe von Stuttgart 16 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir machen zu 80 Prozent B2B-Kommunikation.“ 

Der Fiat 500 als Produktionsstudio

38 Kilometer legt der Werber jeden Morgen zwischen seinem Wohnort Backnang und seinem Agenturstandort Ludwigsburg zurück. Vor einiger Zeit fängt er an, sein musikalisches Hobby in Form von Stimmübungen zu reanimieren. „Irgendwann hab ich entdeckt, dass man diese bis zu einer Minute langen Videos auf Instagram hochladen kann.“ So kommt er im September 2018 auf die Idee, während der Fahrt Karaoke-Videos für Instagram aufzunehmen. „Das geht neben dem Verkehr; da bringe ich mich nicht um. Bei schwierigeren Sachen, so wie Rap, halte ich dann an.“ Er sei ein extrovertierter Mensch mit musikalischem Sendungsbewusstsein. „Und ich weiß, dass ich mehr Mühe in etwas reinstecke, wenn mir Leute zuschauen.“ Gleichzeitig habe er Instagram besser kennenlernen und verstehen wollen.

Baltner versieht seine Posts in der Regel mit mehreren Hashtags und markiert häufig die Künstler. Am Anfang covert er vor allem ältere Songs und solche von abseitigeren Künstlern. So singt er mehrere Songs der US-Punkrock-Band Screaming Females nach – nicht unbedingt ein Mainstream Act. Einige 100 Follower sammelt Baltner auf diese Weise an. Nach einiger Zeit beginnen manche seiner Abonnenten, sich unter seinen Videos weitere Songs zu wünschen – und Baltner erfüllt einige der Wünsche. „Da war schon ein bisschen Crowdpleasing mit dabei, zumindest in der Anfangsphase“, erzählt er in einer Folge seines Podcasts „Nettes Frettchen“

„Mich haben viele Teenager ausgelacht“

Aufgrund der Song-Wünsche beschäftigt sich Baltner erstmals mit dem Singen von Songs, die er zuvor nicht kannte – wie etwa vom US-Indie-Künstler Ariel Pink. Als dieser Baltners Coverversion in seinen Instagram Storys teilt, schießen die Follower von rund 500 auf über 4.000 in die Höhe. Schließlich wagt sich der 56-Jährige an seinen ersten Rap-Track, von Jay1, einem britischen Grime-Musiker. „Ich habe ja jahrelang kaum neue Sachen gehört, schon gar nicht Rap“, sagt Baltner. Über einen Deutschlandfunk-Podcast informiert er sich über neue Genres wie Grime und Drill. „So etwas eröffnet mir auch neue kulturelle Horizonte.“

Mit dem Jay1-Cover verzeichnet er erstmals fünfstellige Abrufe – und bekommt viele spöttische Kommentare junger britischer Grime-Fans. „Ich hab viele Auslach-Emojis kassiert von 13-, 14-, 15-Jährigen. Ich versuche dann immer mit Humor zu antworten. Das kommt überraschend gut an. Ich will den Leuten auch nahebringen, wie sie Kritik formulieren können, und wie nicht. Ich bin ja selbst auch Texter, das schult meine Fähigkeiten.“ Heute würde ihn seine Community auch gegenüber negativen Kommentaren verteidigen.

„Nigerianer sind die nettesten Menschen im Internet“

Wann immer sich Baltner neue Genres und Stücke aneignet, tut er das durchaus respektvoll. Wenn er Rap-Songs nachrappt, lässt er das beispielsweise „N-Wort“ weg. „Solche Begriffe würde ich nie verwenden“, sagt Baltner. „Man muss da sehr sensibel sein. Ich hab mich auch mit dem Thema ‚Cultural Appropriation‘ beschäftigt und der Frage, ob Musik allen gehört. Letzten Endes sind meine Videos eine Hommage an die tolle Musik.“

Der Ansturm, den zuvor britische Grime-Fans auf seinem Account veranstaltet haben, wird noch getoppt, als Baltner seinen ersten Titel von einem nigerianischen Künstler singt, „Ye“ von Burna Boy. Die nigerianischen Musik-Fans empfinden sein Cover offenbar als Anerkennung: „Die fanden das in überwältigender Mehrheit super cool. Nigerianer sind die nettesten Menschen, die mir im Internet begegnet sind“, sagt Baltner. Bis heute ist „Ye“ mit aktuell 425.000 Views Baltners meist gesehenes Video.

Cypress Hill und Chris Brown lassen die Reichweite explodieren

Die Zahl der Songwünsche unter Baltners Videos nimmt zu; immer häufiger vertaggen die Nutzer auch Freunde und Bekannte. Baltner versucht, mit seinen Followern in regem Kontakt zu bleiben. „Ich versuche immer die ersten 200 bis 300 Kommentare zu beantorten. Bei den Direktnachrichten auf Instagram ist es mittlerweile schon fast aussichtslos; da komme ich kaum mehr hinterher.“ Ein bis zwei Stunden pro Tag sowie einen halben Tag am Wochenende investiert Baltner mittlerweile in die „Community Pflege“. Sein Engagement dürfte auch geholfen haben, seine Sichtbarkeit und Follower-Zahl hochzutreiben – denn gerade eine rege Kommentarspalte senkt die Gefahr, von Instagrams Algorithmus aussortiert und nicht mehr in den Feeds der Nutzer angezeigt zu werden.

Über die Monate hinweg wächst Baltners Abonnentenzahl auf der Plattform stetig an. Die jamaikanische Dancehall-Musikerin Shenseea teilt eines von Baltners Videos auf ihrem Instagram Account, der österreichische Rapper Yung Hurn teilt seine Videos zweimal in seinen Instagram Storys. Im August teilt er Cypress Hill eines seiner Cover in ihren Stories. Am 15. Januar postet Chris Brown Baltners Baltners Coverversion von „No Guidance“ auf seinem Instagram Account. Nicht nur Drake, Duett-Partner von Chris Brown bei „No Guidance“ und aktuell wohl der erfolgreichste Rapper weltweit, kommentiert den Post, sondern auch andere bekannte Rapper wie The Game. Einen Tag später teilt Cypress Hill sein „Insane in the membrane“-Cover als Post. Innerhalb von einer Woche gewinnt Baltner noch einmal 100.000 Follower hinzu.

Chris Browns Repost von Uwe Baltners Coverversion von „No Guidance“, inklusive Kommentar von Drake, alias „Champagne Papi“ (Quelle)

Einmal durch die Meme-Mangel

„In meiner Agentur kam früher auch immer mal wieder die Frage auf, wie man virale Effekte hinbekommt“, so Baltner gegenüber OMR. „Ich glaube mittlerweile, Kontinuität ist das virale Geheimnis. Man macht etwas einfach so lange, wie man von dem Konzept überzeugt ist.“ Mitterweile werden seine Videos schon von anderen Seitenbetreibern geklaut und auf Instagram, Facebook und Twitter gepostet. „Das stört mich nur, wenn eindeutig kommerzielle Interessen dahinterstecken“, sagt Baltner. Einige der Content-Klauer drehen Baltners Videos durch die Meme-Mangel – und ziehen den 56-Jährigen so mehr oder minder charmant durch den Kakao. Baltner selbst findet das „großartig. Ich habe ein großes Herz für Menschen, die andere Menschen zum Lachen bringen.“

Über 400 Videos hat Baltner mittlerweile bei Instagram eingestellt. Sein größtes Learning: „Gute Laune ist ein unschätzbarer Wert“, so der schwäbische Instagram-Star. „Viele Leute schätzen nicht die Qualität meiner stimmlichen Darbietung, sondern dass ich unfassbar gute Laune verströme.“ Wenn er sich bei Stücken so konzentrieren müsse (etwa bei Raps), dass er nicht lächeln könne, würden die Leute nachfragen, was der Grund dafür sei. „Das mag blöd klingen, aber mein Ziel ist es, möglichst viele Leute happy zu machen.“

„Influencer-Plattformen sind schon ziemlich grauslich“

Mit 368.000 Followern ist Baltner mittlerweile selbst eine Art Influencer. „Ich habe bisher noch keine Werbeanfragen bekommen“, so der 56-Jährige. Auch aus beruflichem Interesse hat er sich auf zwei Plattformen angemeldet, die zwischen Influencern und Werbetreibenden vermitteln. „Das ist schon alles ziemlich grauslich“, sagt Baltner. Die werbenden Unternehmen würden sehr detaillierte Anforderungen an die Influencer stellen. „Damit wird ja gerade nicht Authentizität produziert.“

Dafür erhält Baltner Anfragen von afrikanischen Künstlern, die wollen, dass er ihren Song singt. Zwei britische Rapper haben ihn sogar zum Dreh ihres Videos eingeladen – was Baltner mit Blick auf den Zeitaufwand abgesagt hat. Einen Tag nachdem Chris Brown Baltners Videos gepostet hat, folgt dessen Ex-Freundin Rihanna Uwe Baltner. „Besser kann es nicht mehr werden“, sagt der 56-Jährige.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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