1,5 Millionen Euro per Crowdfunding für ein Pfannen-Startup

Florian Heide12.2.2021

Community, Reddit-Ads, Fernsehauftritte: Wie Filip Mierzwa und Simon Köstler ihre Küchenmarke Stur Cookware aufbauen

STUR
Inhalt
  1. Warmlaufen mit Affiliate-Marketing
  2. Von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt
  3. 50.000 Pfannenfans im Monat auf dem Blog
  4. Mit der Community zum eigenen Prototyp
  5. „The first Reddit-Ad I’ve ever clicked“
  6. 40.000 Euro Uplift mit einem Fernsehbeitrag
  7. Die drittgrößte Kickstarter-Kampagne Deutschlands
  8. Online-Education als zweites Standbein?

Die abgerockten Pfannen in ihren WG-Küchen waren schuld. Schon als Studenten sind Filip Mierzwa und Simon Köstler leidenschaftliche Köche. Und weil das Kochgeschirr ihren Ansprüchen nicht genügte, gingen sie auf die Suche nach der perfekten Pfanne. Daraus wurde erst ein Produkttester-Blog, dann die drittgrößte deutsche Crowdfunding-Kampagne und nun die eigene Pfannenmarke. OMR haben die beiden erzählt, wie sie eine Community zum Thema Pfannen aufgebaut haben, warum sie bei Paid Ads auch auf Reddit gesetzt haben und mit welcher Marketing-Strategie sie über Kickstarter und Indiegogo 15.000 Vorbestellungen für eine Pfanne generieren konnten.

Warmlaufen mit Affiliate-Marketing

2016 sind Filip Mierzwa und Simon Köstler gerade 24 Jahre alt, sie leben beide in WGs in Würzburg und studieren an der Fachhochschule den Studiengang E-Commerce. Sie kochen auch beide leidenschaftlich gern, nur stehen sie vor einem Problem: In ihren schlecht ausgestatteten Studi-Küchen mangelt es an vernünftigen Pfannen. „Die waren alle runtergerockt. Also haben wir uns auf die Suche nach Besseren begeben“ erklärt Simon. Dabei sei ihnen aufgefallen, dass es für Deutschland kaum eine gute Informationsquelle gäbe, was die Qualität und Besonderheiten von Pfannen angeht.

Zu dem Zeitpunkt betreiben die beiden bereits Seiten wie motorradführerschein-kosten.de und wok-test.de und monetarisieren diese über Affiliate und AdSense. Als sie auf die Pfannenproblematik stoßen, liegt es nahe, auch hierfür einen Blog aufzusetzen. Mit dem Google Keyword Planner machen sie einen ersten Bedarfscheck, und stellen fest, dass auch andere Leute an dem Thema interessiert sind. Sie melden pfannenhelden.de an. Der Plan: Content rund ums Thema Pfannen produzieren, insbesondere wollen sie professionelle Produkttests veröffentlichen.

Von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt

Mierzwa und Köstler gehen die Sache gründlich an. Sie lesen Forschungsarbeiten über Wärmeleitung und Reaktivität um zu verstehen, welche Pfanne für welches Gericht geeignet ist und geben ihr Wissen auf ihrem Blog weiter. Der Traffic soll vor allem über SEO generiert werden. Bald ranken sie zu generischen Keywords wie „beste Pfanne“, „Eisenpfanne“ oder „Gusseisenpfanne“ auf dem ersten Platz. In Kombination mit Keywords wie „Grillpfanne kaufen“ oder „Grillpfanne Test“ wollen sie alle Bereich des Funnels abdecken, jene Amateur- und Hobby-Köche, die sich tiefgreifender informieren wollen genauso wie Profis, die schon genau wissen, wonach sie suchen.

Die Sichtbarkeit von Pfannenhelden im Verlauf der Zeit. Quelle: Sistrix

Vor allem aufgrund der SEO-Strategie avanciert Pfannenhelden.de schnell zu einem beliebten Produkttester-Blog. Den Page Traffic monetarisieren sie über Affiliate-Netzwerke wie Zanox (das heutige Awin). Als Merchants fungieren große Unternehmen wie Otto oder Amazon. Reich werden sie damit nicht, aber es genügt für das Würzburger Studentenleben, sagen die beiden heute. Und sie erarbeiten sich einen Ruf.

Anfang 2017 werden Mierzwa und Köstler gleich zwei Mal als Pfannenexperten ins Fernsehen eingeladen: In „Der Vorkoster“ testen sie gemeinsam mit Restaurantbetreiber Björn Freitag Gerichte in unterschiedlichen Pfannen, bei „Galileo“ stehen sie Moderator Jumbo Schreiner beim „Pfannencheck“ als Experten zur Seite.

Weil sie meistens die stabilen Gusseisenpfannen empfehlen, denkt Mierzwa Anfang 2018 zum ersten Mal über eine eigene Kooperation mit einem Pfannenhersteller nach. Er sucht nach geeigneten Schmieden in Deutschland, doch findet zu der Zeit keinen Partner, der in passender Stückzahl produziert oder flexibel genug ist, auf seine Vorstellungen einzugehen.

50.000 Pfannenfans im Monat auf dem Blog

Zu dem Zeitpunkt kann Pfannenhelden.de bereits einen soliden Traffic vorweisen: 50.000 Besucher im Monat interessieren sich für Materialien, Beschichtungen und Reinigungsmethoden unterschiedlicher Pfannentypen. Auf den Fotos sind sie oft selbst zusehen, auch in Ratgeber-Videos auf Youtube wie diesem, das über 200.000 Mal geklickt wurde. Das eigene Gesicht, die eigene Meinung, das erzeugt Vertrauen bei den Besuchern.

Das Projekt der eigenen Pfanne lässt Mierzwa nicht los. Nachdem die Suche nach dem geeigneten Hersteller bisher nicht erfolgreich war, geht er die Sache nun am anderen Ende an: Bei der eigenen Community. Er will wissen: Besteht überhaupt Interesse an dem Produkt? Und wenn ja, welche Eigenschaften muss es mitbringen?

Mit der Community zum eigenen Prototyp

Mierzwa setz eine kleine Landingpage innerhalb des Blogs auf, wo sich Seitenbesucher mit ihrer E-Mail-Adresse eintragen und mit ihm ihre Gedanken teilen können. Bis März 2019 sammelt er rund 700 E-Mail-Adressen und stellt fest: Der Feedback-Ansatz funktioniert. Die Opening Rates seien von Anfang mit rund 60 Prozent hoch. Also geht er noch einen Schritt weiter: „Ich habe eine Skizze von einem Fiverr-Designer für 10 Dollar anfertigen lassen, mit unserem Logo versehen und die Leute direkt im Newsletter gefragt, ob sie die Pfanne so kaufen würden“, sagt Mierzwa. Schon damals war klar, die Pfanne wird zwischen 100 und 120 Euro kosten. Von den 700 Empfängern kommen über 100 Kaufzusagen und zahlreiches Feedback zurück.

Mierzwa hat damit nicht nur die Gewissheit, dass Bedarf besteht. „Gleichzeitig“, sagt er, „habe ich auch eine erste Soft Conversion Rate erhalten“, also ein Indikator dafür, wie viele seiner Website-Besucher zu Kunden werden könnten. Die Idee, eine eigene Pfanne zu produzieren, rückt endlich in greifbare Nähe. Er begibt sich erneut auf die Suche nach einem Hersteller und diesmal wird er fündig: Eine Gießerei aus Rheinland-Pfalz ist bereit, ihm einen Prototypen nach seinen Vorstellungen anzufertigen. Ab hier wird aus dem Traum von der perfekten Pfanne ein Investment. Nur ein einziger Kunststoff-Prototyp aus dem 3D-Drucker kostet 450 Euro.

STUR_Gründer

Filip Mierzwa und Simon Köstler, die beiden Gründer von Stur Cookware

Also bewirbt sich Mierzwa für eine Förderung vom Berliner Senat für junge Designer aus Berlin und Brandenburg – und erhält sie. 70 Prozent der gesamten Produktionskosten vom Prototyp werden übernommen. Über ein halbes Jahr zieht sich der Prozess des Antrags und der Herstellung, bis er im Januar 2020 endlich die erste eigene Pfanne in den Händen hält. Während der ganzen Entstehungszeit bezieht Mierzwa die Community immer wieder mit ein, erstellt Umfragen, bittet um Feedback. Doch auch Simon Köstler ist in der Zeit nicht untätig: Er absolvierte in der Zwischenzeit eine Kochausbildung im renommierten Septime in Paris. Das Restaurant wird regelmäßig unter den Top 20 der Besten weltweit geführt. Nun ist Köstler mit neuer Expertise wieder zurück in Deutschland. Das gesamte Projekt gewinnt durch die Entwicklungen weiter an Fahrt.

„The first Reddit-Ad I’ve ever clicked“

Aus den einst 700 Stur-Newsletter-Empfängern sind im Frühjahr 2020 bereits 18.000 geworden. Jedoch sei die Liste nicht rein organisch so schnell gewachsen, auch Social Paid Ads auf Facebook hätten dazu beigetragen. Mittlerweile haben Mierzwa und Köstler eine Kickstarter-Kampagne ins Auge gefasst, um ihre erste Serienproduktion voranzutreiben. Damit die möglichst erfolgreich wird, benötigt es aber mehr als eine lange E-Mail-Liste.

Für Facebook holen sich die Beiden die israelische Agentur Jellop mit ins Boot, die auf Kampagnen für Crowdfundings spezialisiert ist. Die selbsterstellten Ads hätten auf Facebook nur mäßig performt. Nachdem die Agentur eine spezielle Audience aus Usern anvisiert, die regelmäßig an Crowdfunding-Kampagnen teilnehmen und gleichzeitig an Kochthemen Interesse zeigen, geht die Performance „durch die Decke“, sagt Köstler.

Außerdem posten die beiden Beiträge über den Prototyp auf Nischenseiten wie Grillsportverein oder auf Reddit. Auch hier seien sie „den Feedback-Ansatz gefahren“, sagt Mierzwa: „Statt einfach nur unsere Idee zu präsentieren haben wir einen ellenlangen Beitrag mit Bildern verfasst und die Leute dort um Feedback gebeten“. Das sei vor allem bei Reddit angekommen, wo es sonst schwierig ist, werbliche Inhalte zu positionieren. Vorab hätten sie beim Moderator nachgefragt, ob sie den Artikel posten dürfen und sich beim Beitrag selbst viel Mühe gegeben. Das Feedback aus der Community sei durchweg positiv gewesen, unter einem Reddit-Beitrag kommentiert ein User: „The first Reddit Ad I’ve ever clicked“.

Weil ihr Beitrag auf Reddit ankommt, veranstalten sie zunächst ein Gewinnspiel: Pfanne gegen Newsletter-Abo. 500 US-Dollar ist der AdSpend auf Reddit, 1.500 Newsletter-Abos generieren sie dadurch. Danach schalten sie auch Anzeigen. Reddit bietet die Möglichkeit die Target Group automatisch anzupassen und Subreddits zu bespielen, die thematisch gut passen. „Viele haben das nicht auf dem Schirm, aber Paid Ads auf Reddit sind viel günstiger als die auf Facebook und Google“ sagt Mierzwa. Der Cost per Click habe für sie bei überschaubaren 10 US-Cent gelegen. Entsprechend ließen sich schnell viele Impressions mit wenig finanziellem Einsatz erzeugen. Allerdings sähe die Reddit-Community Werbung extrem kritisch, deshalb sei es wichtig die Plattform richtig zu durchdringen, bevor man dort Werbung schalte.

40.000 Euro Uplift mit einem Fernsehbeitrag

Für die Kickstarter-Kampagne spielen die beiden „die gesamte Klaviatur aus Social Paid Ads, E-Mail-, Lead-Marketing und SEO„, sagt Köstler. Dass sie wissen, an welchen Hebeln sie schalten müssen, ist ihrem Studium und einer guten Vorbereitung zu verdanken. „Wir haben uns nichts aus dem Ärmel geschüttelt, wir saßen monatelang da und haben uns informiert und mit anderen Leuten gesprochen, die Crowdfunding-Kampagnen bereits bestritten hatten.“ Daher wussten sie auch: Zu einer erfolgreichen Marke gehört auch die positive Medienberichterstattung, so Köstler. „Wir haben geschaut, welcher Journalist schon mal über Pfannen berichtet und wer schon mal über uns berichtet hat und haben Kontakt aufgenommen.“

Ende Oktober 2020 startet ihr Kickstarter. Nur in den drei Monaten davor machen sie gezielt Marketing für die Kampagne. Die angestrebte Finanzierung von 20.000 Euro erreichen sie dennoch in unter fünf Minuten. Sie können es kaum glauben, insbesondere nicht, weil die Summe immer weiter wächst. Nach dem ersten Tag erreichen sie 450.000 Euro. Einen ganzen Monat läuft die Kampagne da noch. „Sobald man eine gewisse Größe bei Kickstarter erreicht hat, interessieren sich die Medien für einen“, sagt Köstler. Die Berliner „Morgenpost“ habe berichtet, die „Bild“, das Magazin „Essen und Trinken“. Außerdem kommt eine Anfrage vom Berliner Lokalfernsehen des RBB. Der Beitrag erscheint kurz vor Ende der Kickstarter-Kampagne. Allein am Tag der Ausstrahlung hätten sie dadurch weitere 40.000 Euro eingenommen.

Die drittgrößte Kickstarter-Kampagne Deutschlands

Das Resultat: Am Ende kommen 1,2 Millionen Euro über die Plattform zusammen, fast 8.000 Kunden bestellen entweder die kleine Pfanne für 109 Euro, die große für 119 Euro oder die Kombi aus beiden für 179 Euro. Stur, wie sie ihre Marke getauft haben, ist damit die drittgrößte jemals auf Kickstarter gelaunchte Kampagne aus Deutschland. „Die Community war unser Erfolgsfaktor“, sagt Mierzwa. „Wir haben ihnen die ganze Zeit über zugehört, sie haben die Pfanne mitgestaltet und haben sie deshalb auch gekauft.“

Direkt im Anschluss an die Kickstarter-Kampagne ziehen die beiden auf die andere große Crowdfunding-Plattform Indiegogo um, ein üblicher Vorgang für Kampagnen-Betreiber, um auch international Financiers zu überzeugen. Dort läuft die Finanzierung bis heute, aktuell liegen sie bei über 10.000 Kunden und die Gesamtsumme beider Kampagnen beläuft sich auf über 1,5 Millionen Euro. 15.000 Pfannen müssen nun produziert werden, die Auslieferung der ersten Serie beginnt im Mai. Ab März seien die Pfannen dann auch für alle Anderen im eigenen Online-Shop vorbestellbar, die werden allerdings erst im Herbst geliefert.

Auch in Zukunft wollen die beiden so eng wie möglich mit ihrer Community zusammenarbeiten. Komplementärprodukte hätten sie bereits gemeinsam entwickelt, ein Lederschutz für den Griff und einen für die Pfanne optimierten Pfannenwender. Das berge auch Potenzial für weitere Marketing-Strategien: Word-of-Mouth sei der wichtigste Hebel für die Kampagne gewesen. „Leute haben uns geschrieben, dass sie die Pfannen in ihrem Bekanntenkreis empfohlen haben“, sagt Mierzwa. Dadurch sehen die beiden auch ein große Chance für ein Referral-Programm. Die Ausgaben für Performance-Marketing seien während der Kampagne im Verhältnis gering gewesen.

Online-Education als zweites Standbein?

Trotz des großen Crowdfunding-Erfolgs sind die Social Media Kanäle von Stur noch relativ klein. Auf Instagram folgen ihnen gerade einmal rund 2.250 Leute. Die würden aber rein organisch wachsen, der Fokus liege klar auf dem E-Mail-Marketing, sagt Mierzwa. Ein eigenes Forum bieten sie ihren Abonnenten noch nicht, dafür werde die eigene Facebook-Gruppe oder die Kommentarfunktion auf Portalen wie Reddit oder auf Youtube rege benutzt. Langfristig können sie sich aber vorstellen, einen eigenen Discord-Channel oder ähnliches einzurichten, damit sich die User auch untereinander austauschen können.

Was außerdem zur Debatte steht: Online-Video-Kurse anzubieten, in denen Besucher lernen können, wie man die Stur-Pfanne richtig verwendet. Auch das Produktsegment zu erweitern, stünde früher oder später auf dem Plan. Schließlich soll Stur nach dem Willen der Gründer in fünf Jahren eine bekannte Kochmarke sein. Aktuell ginge es ihnen aber nicht darum, etwas Neues zu entwickeln. „Wir konzentrieren uns voll auf die Serienproduktion, alles andere wäre unglaubwürdig“, sagt Köstler. Erst wenn das gelaufen ist, könnten sie sich an ein neues Produkt wagen. Wie das genau aussehen könnte? Das würden sie selbstverständlich ihre Community fragen.

Dank an Fabian Spielberger für den Hinweis auf das Thema.

CrowdfundingGründerKickstarterStartup
Florian Heide
Autor*In
Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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