Georg Koflers nächste große Wette: Mit der Social Chain Group an die Börse

Der Medienunternehmer glaubt an die Verknüpfung von Social Publishing mit E-Commerce

Georg Kofler, Vorstandsvorsitzender der Social Chain Group
(Foto: The Social Chain Group AG)

Es dürfte aktuell eine der größten Wetten im deutschen Online-Business sein: Ex-Pro-Sieben-Chef Georg Kofler baut unter dem Namen Social Chain Group eine Unternehmensgruppe auf, die Social Media Publishing mit einem direktem Absatzkanal in Form mehrerer Online-Shops zusammenbringt. 2020 soll das Unternehmen an die Börse gehen und innerhalb von maximal fünf Jahren einen Jahresumsatz von einer Milliarde Euro erwirtschaften. OMR erläutert die Pläne und analysiert die Chancen und Risiken.

61 Jahre alt ist Georg Kofler, und er könnte sich mutmaßlich problemlos zur Ruhe setzen. Der gebürtige Südtiroler hat den Privatsender Pro Sieben aufgebaut und 1997 an die Börse gebracht. 2002 folgte der Börsengang des Pay-TV-Senders Premiere; erneut unter Koflers Vorstandsvorsitz. Danach versuchte sich Kofler mit Kofler Energies als Unternehmer in der Energie-Branche – offenbar vergleichsweise weniger erfolgreich. Die Lust am Unternehmertum ist dem TV Pionier scheinbar aber noch lange nicht vergangen. Seit 2014 setzt Kofler voll auf Social Media. Mit der Social Chain Group will er sich nach eigener Darstellung einen lang gehegten Traum erfüllen.

„Das Pro Sieben des Social-Media-Zeitalters“

„Die Kür der unternehmerischen Kreativität im Mediengeschäft besteht meiner Meinung nach darin, wenn man verfügbare Werbeflächen nicht an Drittkunden abgibt, sondern eigene Marken etabliert, die von der selbst erzielten Reichweite profitieren“, so Kofler im September im Interview bei DWDL. Ähnliches habe er bereits bei Pro Sieben mit Teleshopping versuchen wollen, was aber aus rundfunkrechtlichen Gründen gescheitert sei. „Im Zeitalter von Social Media und E-Commerce ist die Social Chain Group jetzt die Verwirklichung dessen, was damals nicht ging. Es ist mein neues Pro Sieben im Zeitalter von Social Media“, so Kofler weiter. Im Klartext: Über die Social-Media-Accounts des Unternehmens sollen Produkte beworben und die so entstandene Aufmerksamkeit direkt in die angeschlossenen Absatzkanäle weitergeleitet und monetarisiert werden.

Für die Umsetzung dieses Ziels hat er mehrere alte Bekannte mit an Bord geholt: Als CEO und Mitgründer agiert Holger Hansen, der Bruder seiner Ex-Frau Christiane zu Salm, mit dem Kofler bereits beim Teleshopping-Sender HSE24 und bei Kofler Energies zusammengearbeitet hat. Ex-Premiere-CEO Michael Börnicke ist ebenfalls Vorstandsmitglied bei der Social Chain Group. Nach Unternehmensangaben hält Kofler 77 Prozent der Anteile an der Unternehmensgruppe, Hansen 19 Prozent und „weitere Führungskräfte“ vier Prozent.

Der Börsengang soll 2020 erfolgen

Aktuell beschäftigt die Social Chain Group mit ihren diversen Beteiligungen nach eigenen Angaben insgesamt bereits 700 Mitarbeiter. In diesem Jahr soll das Unternehmen einen Umsatz von 200 Millionen Euro erwirtschaften und Ergebnis-positiv agieren. „Für das Jahr 2020 streben wir einen Börsengang in Frankfurt an“, kündigte Kofler vor Kurzem gegenüber dem Handelsblatt an. In drei bis fünf Jahren solle das Unternehmen dann „in eine Größenordnung von einer Milliarde Euro Umsatz wachsen“.

Daran, Medien und Media mit E-Commerce  zu verbinden, versuchen sich seit einigen Jahren auch viele andere deutsche Unternehmen, neben Burda beispielsweise auch Koflers einstige Wirkungsstätte Pro-Sieben-Sat1 sowie Ströer. Wie sieht in die Strategie der Social Chain Group aus?

Einstiges Studenten-Start-up als Herzstück der Gruppe

Wichtigstes Asset der Gruppe ist offenbar die britische Agentur Social Chain. Nachdem Kofler mit seiner Beteiligungsgesellschaft die Mehrheit an der Agentur übernommen hat, haben er und seine Geschäftspartner die gesamte Unternehmensgruppe von „Glow Media“ in Social Chain Group umbenannt.

Social Chain wurde im Jahr 2014 von drei britischen Studenten Anfang 20 gegründet und geriet ein Jahr später nach einem Artikel von Buzzfeed erstmals in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Das Geschäftsmodell: Mit meist humoristischen Twitter-Accounts, die offenbar zu einem nicht unerheblichen Anteil geklauten Content posten, große Reichweiten aufbauen, und Werbe-Tweets sowie Social-Media-Beratung an Firmen zu verkaufen.

Von 5 zu 200 Mitarbeitern in zwei Jahren

Heute sind die von Buzzfeed verlinkten Twitter-Accounts von Social Chain alle gesperrt; die Agentur hat ihren Fokus auf Plattformen wie Facebook und Instagram verschoben. Ihrem geschäftlichen Erfolg scheint dies nicht geschadet zu haben: Laut einem Bericht des Guardian aus dem Januar dieses Jahres ist Social Chain innerhalb von zwei Jahren von fünf auf fast 200 Mitarbeiter und neun Millionen britische Pfund Umsatz gewachsen. Der heute 25-jährige CEO Steve Bartlett hat sich in der britischen Marketing-Branche als Personality Brand etabliert und tritt als Social-Media-Experte im TV auf, u.a. als Gastjuror bei Britain’s Next Topmodel.

Seit 2016 ist Social Chain auch in Deutschland aktiv; zunächst mit Georg Kofler als Investor, heute ist er Mehrheitseigner der Agentur. Unter dem Dach der Social Chain Group sind die Dienstleistungen der Agentur nun aufgeteilt in zwei Bereiche: in Media Chain, den Publishing-Bereich mit eigenen Accounts und eigener Content-Produktion, sowie Social Chain, die Agentur- und Marketingdienstleistungen.

Die Unternehmensstruktur der Social Chain Group

Ein Diagramm der Unternehmensstruktur der Social Chain Group (Quelle: Social Chain Group Website)

1,8 Milliarden Social Views im Monat

So wie Social Chain es zu Anfangszeiten auf Twitter getan hat, betreibt der Publishing-Arm Media Chain heute auf Facebook sowie Instagram (und zum Teil auch wieder auf Twitter) eigene Social-Media-Accounts. Zu den „Kronjuwelen“, die auch auf der Media-Chain-Website als erste aufgeführt werden, dürften dabei  die Accounts „Sporf“ und „Love Food“ zählen. „Sporf“ war einst unter dem Namen „BBC Sporf“ als Twitter-Parodie-Account gestartet, der sich eher über den Sportberichterstattungsstil etablierter Medien lustig machte. Heute ist mit zwölf Millionen Followern der Instagram-Account wichtigstes Outlet der Marke. „Love Food“ (7,2 Millionen Follower bei Instagram und 2,3 Millionen Fans auf Facebook) ist quasi das Social-Chain-Pendant von Buzzfeeds Tasty; im Mittelpunkt stehen den Speichelhaushalt anregende Videos von meist äußerst kalorienhaltigen Nahrungsmitteln.

Hinzu kommen Accounts in den Themenbereichen Gaming, Fitness und Studenten.  Mehr als 1.000 Videos produziert Media Chain für diese. Über alle Social-Media-Accounts hinweg erreicht die Social Chain Group nach eigenen Angaben 80 Millionen Nutzer und 1,8 Milliarden „Social Views“ pro Monat.

Am Tropf der Plattform-Betreiber

Das sind auf den ersten Blick beeindruckende Zahlen und eine große Reichweite in einer attraktiven Zielgruppe: junge, konsumfreudige Verbraucher. Aber wie viel ist diese Reichweite wert? Vertreter klassischer Medienhäuser dürften entgegnen, dass „Sporf“ oder „Love Food“ keine starken Medienmarken im eigentlichen Sinn, keine „Destination Sites“ sind. Die Nutzer dürften eher durch die viralen Verbreitungsmechanismen der Plattformen auf die Account-Seiten gespült werden und möglicherweise nach einem Post wieder weg sein. Die Accounts werden auch nicht durch einen Influencer betrieben, zu dem die Follower durch seine Persönlichkeit Bindung aufbauen könnten. Können Verbraucher also in einem solchen Umfeld zu einem Kauf bewegt werden?

Hinzu kommt ein weiteres Risiko: Die Social Chain Group ist enorm abhängig von den Launen Facebooks. Auf der Hauptplattform des Social-Media-Giganten ist die Reichweite von Publishern innerhalb der vergangenen Jahre massiv eingebrochen. „Sporf“ und „Love Food“ verzeichnen zwar auf Instagram die meisten Follower (die Bilderplattform ist derzeit auch die Engagement-stärkste Social-Media-Plattform). Aber auch dort ist es seit Einführung der algorithmischen Filterung des Feeds deutlicher schwerer geworden, organische Reichweite zu erzielen.

Qualität der Reichweite maximal „ausreichend“

Was potenzielle Werbekunden möglicherweise zögern lassen könnte: Die Reichweiten der beiden größten Media-Chain-Accounts sind offenbar nicht von höchster Qualität – zumindest nach Einschätzung des Instagram-Analytics-Tools  Influencerdb. So bewertet das Tool die Qualität der Reichweite des Instagram-Accounts von „Sporf“ lediglich mit „D“ (entspricht der deutschen Schulnote „ausreichend“ — hier eine ausführliche Erklärung dazu, wie Influencerdb diese Bewertungen erstellt). Mehr als 40 Prozent der Follower sind „schlecht“ oder „sehr schlecht“, 11 Prozent der Abonnenten kommen aus Indonesien. Mitbewerber 433, ebenfalls Viral-Publisher im Sportbereich auf Instagram mit 18,3 Millionen Followern, wird demgegenüber von Influencerdb mit „A-“ bewertet.

So bewertet Influencerdb die Qualität der Instagram-Reichweite von "Sporf"

So bewertet Influencerdb die Qualität der Instagram-Reichweite von „Sporf“

Die Qualität der Reichweite des Instagram-Accounts von „Love Food“ wird von Influencerdb mit „D+“ bewertet; hier sind 35 Prozent der Follower „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Auch hier schneiden Konkurrenten wie Buzzfeeds Tasty (23 Millionen Follower auf Instagram) besser ab, mit der Note „B-„.

Renommierte Kunden als Referenzen

Im Agenturgeschäft, der zweiten Unternehmenssäule, scheint es für die Social Chain Group glänzend zu laufen. Das Business-Netzwerk Linkedin zählt derzeit 155 Social-Chain-MitarbeiterAuf der Agentur-Website findet sich eine beeindruckende Kundenliste: Asos, Apple Music, Amazon und andere hochrangige Namen sind dort aufgeführt. Social Chain hat mehrere Branchenpreise gewonnen, wurde von der britischen Marketingzeitschrift The Drum mehrfach als Social-Media-Agentur des Jahres ausgezeichnet und hat u.a. einen Digiday-Media-Award gewonnen.

Social Chain führt dabei offenbar nicht nur Kampagnen über die eigenen Social-Media-Profile durch, sondern bietet auch Influencer Marketing an. Im März ist die zuvor zu „Glow Media“ gehörende Influencer-Agentur „Glow Artists“ bei Social Chain integriert worden. Offenbar betreut die Agentur das deutsche Topmodel Stefanie Giesinger im Influencer-Marketing. Auf ihrem Instagram-Profil ist eine Social-Chain-Kontaktadresse aufgeführt. Wie das Handelsregister zeigt, hat die Social Chain Group im August auch die Mehrheit am Hamburger Influencer-Marketing-Unternehmen Media-Part übernommen. Media-Part-Gründer André Mörker führt nun auch das deutsche Agenturgeschäft von Social Chain.

Weniger als 1.000 Klicks für eine Kampagne

Eine Stichprobe legt jedoch auch hier nahe, dass bei jenen Kampagnen, bei denen Social Chain auf die eigenen Social-Media-Accounts setzt, möglicherweise in puncto Ergebnisse auch noch Luft nach oben ist. Auf dem Instagram-Account von „Love Food“ hat Social Chain zuletzt eine Kampagne für die Gin-Marke Beefeater (im Besitz des Spirituosenkonzerns Pernod Ricard) durchgeführt. In diesem Rahmen hat die Agentur auf „Love Food“drei Video-Clips gepostet, in denen Cocktails bzw. Eis-am-Stiel mit Beefeater zubereitet werden. Die Posts verweisen auf einen Profil-Link, über den die Nutzer den Gin kaufen können.

Die Agentur nutzt dafür den Link-Verkürzer Bitly – und hat die Linkstatistiken nicht für externe Nutzer gesperrt. So ist öffentlich einsehbar, dass der am 6. September eingerichtete Link bislang 960 Mal angeklickt worden ist. Das ist mit Blick auf die Brutto-Reichweite des Accounts (7,2 Mio Follower) eine Klickrate von 0,013 Prozent. Ein wenig gnädiger ist das Bild, wenn man die Klickrate alleine in Relation zu den von Instagram ausgewiesenen View-Zahlen jener beiden Clips berechnet, die nach dem 6. September (als der Bitly-Link eingerichtet wurde), gepostet wurden: 155.100 Views.

Klick-Statistiken eines Bitly-Links aus dem "Love Food"-Instagram-Profi

Klick-Statistiken eines Bitly-Links aus dem „Love Food“-Instagram-Profi

Kein ganz leichter E-Commerce-Patient

Im E-Commerce-Bereich, der dritten Säule der Unternehmensgruppe, hat die Social Chain Group zuletzt Aufsehen damit erregt, dass sie Hauptaktionär an Planet Sports und der 21 Sports Group wurden. Die 21 Sports Group hatte den Mitbewerber Planet Sports 2015 übernommen, nachdem das Unternehmen bereits durch die Hände mehrere Besitzer gewandert war. Mittlerweile zählt die 21 Sports Group „in der Branche eher zu den schwierigen Fällen“, schreibt E-Commerce-Experte Jochen Krisch. Vor der Übernahme durch die Social Chain Group hatte die 21 Sports Group im Juli 2017 eine Finanzspritze erhalten. Unbestätigten Gerüchten zufolge erfolgte diese auf Basis einer Bewertung im niedrig zweistelligen Millionen-Euro-Bereich.

Neu unter das Dach der Social Chain Group kam zuletzt auch die die Mehrheit Lumaland AG, die über Online-Marktplätze Produkte aus dem Home-and-Living-Bereich vertreibt und zudem Inhaber u.a. der Matratzenmarke Ravensberger ist. Die 21 Sports Group und Lumaland dürften gemeinsam den Löwen-Anteil nicht nur des E-Commerce-Bereiches, sondern der gesamten Gruppe ausmachen. Gegenüber DWDL bezifferte Kofler den Umsatz von Planet Sports auf 75 Millionen Euro und den der Lumaland AG auf 50 Millionen Euro.

Wie groß ist das Synergiepotenzial?

Dazu kommen in der E-Commerce-Sparte die Online-Drogerie KoRo, Lions Chain (darin bündelt Kofler offenbar seine Beteiligungen aus „Die Höhle der Löwen“, wie beispielsweise das mittlerweile insolvente Unternehmen hinter dem Popcornloop), der Nahrungsergänzungsmittel-Shop Solidmind sowie die New Yorker See More Inc., die Google vollkommen unbekannt ist.

In den nächsten zwei Jahren müssen Kofler und seine Geschäftspartner nun beweisen, dass alle Geschäftsbereiche der Social Chain Group vom Synergiepotenzial der Gruppe profitieren können – eine große Aufgabe. Für Unternehmensinhaber, die in jenen Geschäftsbereichen, in denen die Social Chain Group tätig ist, einen Exit suchen, dürfte bis dahin interessant sein, dass die Gruppe weiter organisch wachsen wolle, aber auch nach Zukäufen Ausschau halte, wie Kofler gegenüber dem Handelsblatt erklärte.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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