Dieses Problem muss Snapchat beheben, wenn es wirklich Geld verdienen will

Torben Lux21.4.2016
Evan Spiegel, CEO von Snapchat

Online Marketing Rockstars testet Snapchats Datenqualität

Evan Spiegel, CEO von Snapchat

Snapchat-CEO Evan Spiegel.

Snapchat boomt: Die Nutzerzahl der App steigt stetig; in den USA soll sie mittlerweile unter Teenagern beliebter als Instagram sein. Aber wird sich Snapchat auch als digitale Werbeplattform etablieren können? Wir haben anhand unserer eigenen Nutzerprofile die Datenqualität von Snapchat überprüft.

Wenn es um Nutzerzahlen, Video-Views und Appstore-Rankings geht, scheint Snapchat längst den großen Durchbruch geschafft zu haben. Sogar hierzulande geht die App in den letzten Monaten sowohl bei Google, als auch bei Apple, richtig steil. Und auch die Beliebtheit in der Zielgruppe, also vor allem bei jungen Millennials, wächst zunehmend. Laut einer von der Investmentbank Piper Jaffray alle sechs Monate durchgeführten Umfrage, ist Snapchat für inzwischen 28 Prozent (plus neun Prozentpunkte im Vergleich zum Halbjahr davor) der Teenager in den USA das wichtigste Social Network. Es folgen Instagram mit 27 Prozent (minus sechs Prozentpunkte), Twitter mit 18 Prozent (minus zwei Prozentpunkte) und Facebook mit 17 Prozent (plus zwei Prozentpunkte). Es wurden insgesamt 6.500 Jugendliche aus den USA mit einem durchschnittlichen Alter von 16,5 Jahren befragt.

Schafft Snapchat den Sprung vom Social Network zur Advertising-Plattform?

Es läuft also alles nach Plan, dürfte man meinen. Einen für das langfristige Bestehen der App enorm wichtigen Aspekt berühren all diese positiven Nachrichten allerdings kaum: Wie monetarisiert Snapchat die stetig wachsende Menge der Nutzer? Was machen die Pläne, ein lukratives und nachhaltiges, digitales Werbegeschäft aufzubauen? In der jüngsten Finanzierungsrunde in Höhe von 175 Millionen US-Dollar im Februar lag die Bewertung von Snapchat, wie schon in einer Runde ein Jahr zuvor, erneut bei gigantischen 16 Milliarden US-Dollar. In acht Finanzierungsrunden konnte Snapchat bis heute 1,34 Milliarden Dollar einsammeln, 2015 soll die App 50 bis 100 Millionen Dollar umgesetzt haben, für 2016 peile das Unternehmen mindestens 300 Millionen US-Dollar an. Es geht jetzt vor allem darum, Geld zu verdienen, um dieser Bewertung auch nur annähernd gerecht zu werden. Dass sich der Wert innerhalb des letzten Jahres nicht weiter erhöht hat und zwischenzeitlich von Investoren auch nach unten korrigiert wurde, deutet schon an, welche Erwartungen Markt und Investoren an Snapchat haben.

Snapchat will, ähnlich wie Facebook und Google, Advertisern gesammelte Nutzerdaten zur Verfügung stellen, damit diese Usern zielgerichtet und präzise Werbung ausspielen können. Und ähnlich wie bei den beiden digitalen Platzhirschen, kann man auch bei Snapchat die Nutzerdaten seines Profils anfordern und herunterladen. So erhält man einen Eindruck davon, auf welchen Kriterien und Daten das Targeting bei Snapchat basiert. Um auf seine persönliche Account-History zugreifen zu können, muss man sich zunächst im Browser mit Nutzername und Passwort anmelden. In der dann erscheinenden Accountverwaltung einfach den Menüpunkt „My Data“ auswählen und anschließend auf „Submit Request“ klicken. Nach nur wenigen Minuten solltet Ihr dann eine E-Mail erhalten und Eure Account-Daten einsehen können. Wir haben das natürlich auch gemacht und gleich von vier Accounts, die regelmäßig genutzt werden, Daten angefordert. 

Das Ergebnis ist aus Marketing-Sicht ernüchternd. Die Account-History zeigt lediglich Nutzername, Erstellungsdatum und eine kurze Login-History, die neben IP-Adresse und Land auch das jeweilige Device, auf dem sich eingeloggt wurde, beinhaltet. Unter Snap-Count steht schlicht die Anzahl versendeter und empfangener Snaps. Außerdem wird gespeichert, ob ein Snap schon einmal Teil einer von Snapchat erstellten Story war und ob sich der User schon einmal an den Support gewendet oder In-App-Käufe wie die erneute Wiedergabe von bereits angeschauten Fotos getätigt hat. Der im Screenshot abgebildete Account wurde bereits im Juli 2013 erstellt und wird seit einigen Monaten regelmäßig, teilweise sogar täglich aktiv genutzt. Trotz der langen Zeit, in der der Account besteht, dürften sich aus den Daten, vor allem im Vergleich zu Facebook und Google, keine tiefen und ausführlichen Möglichkeiten ergeben, um eine spitze Zielgruppe zu erstellen.

Brands und Agenturen üben Kritik an Snapchat

An den bisher bestehenden Werbemöglichkeiten haben auch Werbetreibende schon Kritik geäußert. Neben den schon erwähnten eingeschränkten Targeting-Möglichkeiten auf Grund von begrenzten Nutzerdaten, einer fehlenden Ad-View-Garantie (es gibt keine versprochene Mindest-Anzahl an Views auf eine Anzeige) und der Tatsache, dass Video-Ads für Snapchat extra im vertikalen Format produziert werden müssen und auf keiner anderen Plattform verwendet werden können, wird vor allem die angeblich geringe Ad-View-Dauer bemängelt. Eine nicht näher genannte Agentur äußerte gegenüber CNBC, dass die maximal zehn Sekunden langen Werbevideos im Durchschnitt nur zur Hälfte angeschaut werden; sie seien zu einfach wegzuklicken. Die größtenteils jungen Nutzer seien zudem weniger empfänglich für Werbung und nur an speziellen Marken interessiert. So sei es häufig sinnvoller und effektiver, eigene Accounts zu erstellen oder Influencer für Marketing zu bezahlen.

Snapchats Account History

Ein Ausschnitt aus der Account History von Snapchat.

Dass sich Gründer und CEO Evan Spiegel bemüht, die Transformation zur digitalen Werbeplattform voranzutreiben, ist bei all der Kritik trotzdem kaum zu übersehen. Seit der ersten Videoanzeige für den amerikanischen Horrorfilm „Ouija“ im Oktober 2014 – ein als „Sponsored“ gekennzeichnetes Update zwischen neuen Beiträgen der eigenen Kontakte – hat sich einiges getan und es wird immer wieder mit neuen Formaten experimentiert. Die zu Beginn absurden Kosten in Höhe von angeblich 750.000 US-Dollar für besagte kurze Werbeclips im Update-Feed der Nutzer, den sogenannten Brand Stories, wurden offenbar schnell nach unten korrigiert. Das entsprechende Werbeformat bietet Snapchat sogar seit etwas über einem Jahr gar nicht mehr an, ein vergleichbares Werbevideo innerhalb einer „Live Story“ soll heute rund 250.000 US-Dollar pro Tag kosten. Live Storys sind von Snapchat häufig zu Großereignissen wie Sportturnieren und teilweise zu Städten wie New York, Berlin usw. erstellte Storys – zum jeweiligen Thema passende Snaps von Usern werden von Snapchat-Redakteuren ausgewählt und hinzugefügt. Welche Reichweite besagte Live Storys haben, zeigt ein Beispiel aus Deutschland: Weil ein Video-Snap des Berliner Schülers Philippe im letzten Jahr zur Berlin-Story hinzugefügt wurde, erreichte der Clip in kurzer Zeit deutlich über zehn Millionen Views.

Seit Januar 2015 existiert noch ein weiteres Format, die „Discover“-Funktion: Ausgewählte Partner, große internationale Publisher wie beispielsweise Vice, Buzzfeed, CNN und Vox (insgesamt sind es aktuell 17), veröffentlichen in der Rubrik eigene Inhalte. 50.000 US-Dollar soll eine Platzierung in diesem Umfeld kosten. Einige Publisher sollen exklusive Deals mit Snapchat vereinbart haben und so das Inventar innerhalb ihres Discover-Channels auf eigene Faust verkaufen dürfen. Aber auch hier scheint die App jetzt Änderungen vornehmen zu wollen – weg von exklusiven Channel-Deals, hin zu auf Audience basierten, auf verschiedenen Channels ausgespielten Kampagnen.

Snapchat will Audiences schaffen und genaues Targeting bieten

Doch gerade hinter den Buzzwords Audience und Targeting stehen weiterhin große Fragezeichen. Die Platzhirsche Google und Facebook dominieren die digitale Welt nur, weil sie viel über ihre Nutzer wissen und Advertisern diese Daten zur Verfügung stellen. Und wie will Snapchat, die App, bei der es, wie wir gezeigt haben, nur sehr oberflächliche Profile gibt und Beiträge nach 24 Stunden gelöscht werden, das realisieren? Gründer Evan Spiegel beschreibt in einem Video auf der Seite zum eigenen Advertising-Programm „3V Advertising“ die Strategie so: „In the early days of internet advertising, marketers relied on things like targeting to help different shade ad products that weren’t very engaging. But today with beautiful full screen video on mobile, we can build ad products that respect our community and their privacy. That’s something that’s really important to us.“ Ob ein Unternehmen auf diese Art und Weise mit Konkurrenten wie Facebook und Google mithalten kann, ist zumindest fraglich. Der Ansatz „Full-Screen-Videos statt Targeting“ (so könnten Skeptiker das Zitat auslegen) wirkt dann doch, als mache Snapchat aus der Not, nicht ausreichend Daten sammeln zu können, eine Tugend. In den FAQ zu Snapchat-Ads heißt es weiter, dass Advertiser aktuell folgende Targeting-Optionen haben: Live Story, Discover Channel, Location, Geschlecht. Nicht gerade viel Auswahl, denkt man beispielsweise an die Targeting-Optionen von Facebooks Power Editor. 

Um diesen Problematiken etwas entgegensetzen zu können, verkündete Snapchat erst kürzlich einige Neuigkeiten, die andeuten, dass CEO Evan Spiegel den Wünschen und Ansprüchen von Advertisern und Agenturen entgegen kommen will. 

Im Februar wurden zwei Kooperationen öffentlich, die Snapchat in Attribution und Analytics unter die Arme greifen sollen: Das App-Analytics-Unternehmen Tune soll bei dem erst kürzlich von Snapchat getesteten Werbeformat der App-Install-Ads unterstützen, ein Deal mit Nielsen Digital Ad Ratings soll das Kampagnen-Monitoring verbessern. Gerüchten zufolge denkt Snapchat ebenfalls über die Übernahme von Adtech-Unternehmen wie dem US-Startup Beeswax nach, um Werbekunden den automatisierten Einkauf von Werbeplätzen zu ermöglichen. 

Außerdem verkündete Snapchat in jüngster Zeit immer wieder auch namhafte, personelle Zugänge auf hoher Vermarktungsebene. Ende Februar kam Sriram Krishnan, der ab 2013 das Audience Network für Facebook aufgebaut hat. Und wenige Tage später wurde mit Ali Rana, zuvor 17 Jahre beim Marketing-Research-Spezialisten Millward Brown, und Gunnard Johnson, vorher unter anderem Director für Display Insights, Analytics und Advertising Research bei Google, noch mehr Know-How und Verstärkung für den schwierigen Weg zur digitalen Werbeplattform angeheuert.

Bis dieser Weg gegangen ist, will sich Snapchat offenbar weiter von Vermarktungsexperten unter die Arme greifen lassen. Anfang Februar machte Viacom, der Konzern hinter MTV Networks, Paramount Pictures und Comedy Central, einen „multi-year-deal“ mit Snapchat öffentlich. Das Unternehmen soll sich damit die Rechte gesichert haben, nicht nur eigenes, sondern auch Inventar aus beispielsweise Live Stories zu New York oder dem Valentinstag verkaufen zu dürfen. Im Gegenzug werde es auf Snapchat exklusive Storys zu Veranstaltungen wie MTV’s Video und European Music Awards geben. Hier könnte man sich die Frage stellen, ob Snapchat es selber nicht schafft, Inventar in besagten Live Storys zu verkaufen (Zahlen zum Deal und ob Snapchat auf Provisionbasis trotzdem mitverdient, sind nicht bekannt) – oder ob die zusätzliche Reichweite von MTV’s Veranstaltungen sowie der ebenfalls zum Deal gehörenden Discover-Channel von MTV und Comedy Central das Inventar wert sind.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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