Remerge: Dieses Berliner Mobile-Startup macht angeblich eine Million Euro EBIT im Monat

Wächst hier der nächste deutsche Mobile-Adtech-Star heran?

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Das Gründer-Team von Remerge: (von links) Christian Liesegang, Martin Karlsch, Pan Katsukis, Benedikt Böhm und Benjamin Beivers
Inhalt
  1. „Wir gehen rein deterministisch vor“
  2. „Die Desktop-Retargeting-Player waren zu träge“
  3. Madvertise als Brutstätte
  4. Umstrittenes Arbitrage-Modell
  5. „Wir sind in 133 der Top-Apps vertreten“
  6. „Wir waren schon im vergangenen Jahr profitabel“
  7. Ist Remerge bereits 225 Millionen Euro wert?

Positive Nachrichten aus der Adtech-Branche sind derzeit rar gesät. Umso erstaunlicher sind Gerüchte, die derzeit in der VC-Szene über das Berliner App-Retargeting-Startup Remerge kursieren: „Ja, es stimmt: Seit ein paar Monaten verzeichnen wir monatlich eine Million Euro EBIT“, bestätigt Mitgründer und CEO Pan Katsukis gegenüber OMR. Die Belegschaft sei innerhalb eines Jahres von 35 auf 71 Mitarbeiter angewachsen. Wie ist dem Unternehmen das gelungen? Wir haben nachgefragt. Die Schuhe oder die Hose, die man sich nur einmal in einem Online-Shop angeschaut hat, die einen aber daraufhin in Bannern im gesamten Web zu verfolgen scheint: Im Desktop-Bereich ist Retargeting seit mehreren Jahren fester Teil des Online Marketings. Firmen wie Criteo und Adroll haben sich als spezialisierte Retargeting-Anbieter etabliert und erwirtschaften beide mehrere Hundert Millionen Euro Umsatz jährlich. Und das Interesse an Retargeting steigt – zumindest, wenn man die Entwicklung der Suchanfragen bei Google nachschaut – immer noch.

Die Entwicklung der weltweiten Suchanfragen bei Google zum Keyword „retargeting“ (Quelle: Google Trends)

„Wir gehen rein deterministisch vor“

Remerge positioniert sich als spezialisierter App-Retargeting-Anbieter und ist seit 2014 am Markt. Bereits 2014 lobte Apprupt-Mitgründer Kjell Fischer das Startup im OMR-Blog. Zwei Jahre später stand Remerge als eine von „3 Companies To Watch“ auf der Bühne des OMR-Festivals. Mit der Remerge-Technologie des Startups können Unternehmen jene Nutzer, die ihre App installiert haben, aber nicht aktiv nutzen, in anderen Apps wiederfinden und mit Werbung ansprechen. Im besten Fall können sie die Nutzer auf diese Weise reaktivieren.

Remerge-Mitgründer Christian Liesegang auf der Bühne des OMR Festivals 2016

Für App-Unternehmen kann Retargeting aus zweierlei Hinsicht attraktiv sein: Zum einen, weil nur noch rund jeder zehnte Nutzer eine App auch noch nach 30 Tagen nutzt. Zum anderen, weil die Neukundenakquisitionskosten („Cost-per-Install“) für Apps in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. „Im Desktop-Bereich ist Retargeting schon lange etabliert, aber im Mobile-Bereich ist das eine recht neue Sache“, sagt Pan Katsukis. „Das Gute für uns ist, dass dort die Frage, wie man an die Daten kommt, technisch gar nicht so einfach zu lösen ist.“

Beispielhafte Werbemittel von Remerge

„Die Desktop-Retargeting-Player waren zu träge“

Denn während sich auf dem Desktop Retargeting auf Basis von Cookies durchführen lässt, funktioniert dies in der Mobile-Welt nicht oder zumindest nur eingeschränkt. Alternativen sind entweder „Fingerprinting“-Technologien, die den Nutzer anhand beispielsweise seines Handymodells, der Betriebssystemsversion und der genauen Kombination von Apps, die er installiert hat, wiederzuerkennen versuchen. Oder die Nutzung der „Advertising ID“; einer speziellen Kennnummer, deren Verwendung Apple und Google den App-Entwicklern erlauben, teilweise aber auch sehr stark kontrollieren. „Wir nutzen nur Advertising IDs, weil es datenschutzkonform ist und deterministisch“, so Katsukis.

Aber lässt sich alleine aus diesen Gründen rund um Mobile Retargeting ein eigenes erfolgreiches Unternehmen bauen, das den bereits etablierten großen Playern die Stirn bieten kann? Christian Henschel, Mitgründer und CEO des Mobile-Attribution-Anbieters Adjust sieht den Unterschied zwischen Desktop- und App-Retargeting als „fundamental“ an: „Da waren die großen Retargeting-Player lange zu träge.“

Madvertise als Brutstätte

Henschel kennt Teile des Gründerteams von Remerge aus gemeinsamen Zeiten beim Mobile-Advertising-Startup Madvertise. Neben Katsukis waren auch Benjamin Beivers (CRO), Benedikt Böhm (Head of IT-Operations) und Martin Karlsch (CTO) früher für Madvertise tätig. „Remerge hat ein gutes Team mit einem guten Timing. Die Gründer haben eine Marktlücke gesehen und gefüllt“, sagt Henschel. Er ist geringfügig an Remerge beteiligt.

Remerge ist auch in Adjust integriert. „Wir sind dort per Kopfdruck direkt aktivierbar“, so Katsukis. Aber auch an andere Mobile-Marketing-Tools sei Remerge angebunden – an die Attributions-Tools Tune, Appsflyer, Kochava, Apsalar, Adobe, die Datenmanagement-Plattformen mParticle und Singular sowie den Push-Notification Anbieter Appboy. „Wir bieten auch eine API an, so dass Kunden sich auch direkt mit ihrem eigenen BI-System an uns anbinden können.“ Häufig erfolgt im App-Bereich die Anbindung an Software über so genannte SDKs („Software Development Kit“): Kleine Programme, die einmal in eine App implementiert werden müssen. „Wir haben uns bewusst gegen ein SDK entschieden“, so Katsukis.

Umstrittenes Arbitrage-Modell

Das Geschäft von Remerge basiert auf einem Arbitrage-Modell: Das Unternehmen kauft Traffic, in der Regel auf TKP-Basis ein. Dafür hat Remerge nach eigener Auskunft einen eigenen „Bidder“ entwickelt und betreibt eigene Datencenter. Nach Qualifizierung des Traffics verkauft das Unternehmen diesen auf Performance-Basis weiter, wird also auf Cost-per-Click oder -Action-Basis vergütet. „Wir machen nur Performance, meistens ist Return on Adspend das Ziel“, so Katsukis.

Das „Ökosystem“ von Remerge (Quelle: Unternehmen)

Solche Arbitrage-Modelle sind in der Branche nicht gänzlich unumstritten, weil sie nicht immer vollkommen transparent sind. So kennen die Kunden nicht immer die „Materialkosten“, in diesem Fall die Media-Einkaufskosten ihres Dienstleisters. „Wir müssen für unsere Kunden für jeden Euro Adspend mindestens einen Euro Umsatz reinbringen, also mindestens 100 Prozent Return on Adspend erzielen. In den zurückliegenden sechs Monaten lagen wir im Schnitt über alle Kunden bei 800 Prozent ROAS“, so Katsukis.

„Wir sind in 133 der Top-Apps vertreten“

Der größte Teil der Kunden seien Spiele-Apps. „50 Prozent unseres Geschäfts machen wir im Games-Bereich“, so Katsukis. Zu den Kunden gehören nach Angaben des CEOs Branchenschwergewichte wie Machine Zone („Mobile Strike“), Blizzard („Hearthstone“ & „World of Warcraft“), King („Candy Crush“) und EA („Plants vs. Zombies“, „Cut the rope“). „Unter den restlichen 50 Prozent finden sich viele Travel-, E-Commerce- und Food-Delivery-Player“, so Katsukis. So sollen Wish, Hotel Tonight und GoEuro zu den Kunden gehören. „Wir sind in 133 der Top-Apps vertreten.“

Die Namen machen bereits deutlich, dass Remerge nicht nur Firmen aus Deutschland oder EMEA zu den Kunden zählt. „40 Prozent unseres Umsatzes machen wir in den USA, 40 Prozent in EMEA. Deutschland macht vielleicht zehn Prozent aus. Der Rest kommt aus APAC.“ Das Unternehmen habe früh den Fokus auf Internationalisierung gelegt: „Wir sind im Oktober 2014 live gegangen. Ein Jahr später haben wir gleich einen unserer Gründer nach San Francisco geschickt, um dort ein Büro zu eröffnen.“

„Wir waren schon im vergangenen Jahr profitabel“

Remerge gelingt es gleichzeitig, offenbar sehr rentabel zu sein. „Wir waren im Mai 2016 erstmals und auch auf das gesamte Jahr 2016 gesehen profitabel“, so Pan Katsukis. Im Mobile-Bereich gab es zuletzt mehrere Unternehmen, die offensichtlich erfolgreich sind, deren Geschäftsmodelle von außen aber schwer komplett zu durchdringen sind. So soll der Münchner Mobile-Spezialist Permodo aktuell (nachdem Ströer weitere Anteile an dem Unternehmen übernommen hat) mit 92 Millionen Euro bewertet sein. Das Karlsruher Unternehmen mSales ist in der Branche nicht unumstritten, doch hört man von ihm zumindest ebenfalls hohe Zahlen.

Über die von Remerge genannten Zahlen zeigten sich von OMR befragte Branchenexperten überrascht. „Ich kann mir nicht erklären, warum in einem Bereich, der so umkämpft ist, und in dem man so leicht Modelle nachbauen kann, einer so viel besser sein soll als andere“, so ein Experte. „Wir haben die gesamte technische Infrastruktur selbst gebaut“, sagt Pan Katsukis. „Anders als andere haben wir nicht über Amazon skaliert, denn das ist teuer. So konnten wir unsere Kosten niedrig halten.“

Ist Remerge bereits 225 Millionen Euro wert?

Die Entwicklung dürfte auch die Remerge-Investoren freuen. In einer ersten Seed-Runde im Oktober 2014 hatte das Unternehmen 750.000 Euro eingesammelt. Im August 2015 folgte eine Series A im Umfang von drei Millionen US-Dollar. Aktuell sind laut dem jüngsten Handelsregisterauszug außer VC-Fonds wie Point Nine Capital, Westtech Ventures und die German Startup Group auch Valor Invest, der VC-Fonds des Landes Berlin, sowie renommierte Branchenpersönlichkeiten wie Martin Sinner, Dirk Freytag und Tom Laband beteiligt. Dank der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens sei Remerge aktuell nicht auf der Suche nach Investoren: „Wir brauchen kein Geld mehr und auch keine Cash-Flow-Finanzierung“, so Katsukis.

Befragt nach der aktuellen Unternehmensbewertung von Remerge antwortet Katsukis: „Wenn man sich Durchschnittsbewertungen von anderen Mobile Adtech Exits anschaut, dann liegen diese beim circa Fünfzehnfachen des EBITs. Also würden wir realistischerweise um die 150 Millionen Euro liegen. Wenn man sich die aktuellen Kennzahlen von The Trade Desk anschaut, die an der Börse ziemlich gut abgehen, und das auf uns überträgt, dann würden wir sogar bei 225 Millionen Euro  liegen. Das klingt nach viel, aber wenn man sich beispielsweise den Exit von Applovin in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar anschaut, dann sind wir davon noch weit entfernt“, sagt Katsukis und schmunzelt. Remerge denke derzeit jedoch nicht an einen Exit: „Wir sind aktuell nicht daran interessiert, Remerge zu verkaufen, dafür ist das Potenzial aktuell noch zu groß. Und wir sind ja auch erst drei Jahre am Markt.“

BerlinStartup
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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