Programmieren für die „Krypto-Kommune“: Wie Agenturen am Web3-Boom mitverdienen können

Florian Heide15.3.2022

Sidestream zeigt, wie Agenturen lukrative Aufträge in der Krypto-Szene gewinnen können

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Sidestream-Gründer
Inhalt
  1. Im Krypto-Slang-Dschungel: DAO, DAI und DeFi
  2. „Ich habe einfach ins Forum gepostet“
  3. Community Proposal statt Pitch
  4. Vom Tagelöhner zum zentralen Team
  5. Bonuszahlungen als „wahre Cashcow“?
  6. „Für Nachzügler wird es schwerer“

25 Milliarden US-Dollar Funding sollen im Jahr 2021 weltweit in Krypto- und Blockchain-Startups geflossen sein. Viel Geld, das die Branche auch als Auftraggeber für Marketing- und Tech-Agenturen überaus attraktiv macht. Doch sowohl die Bedürfnisse der Krypto-Plattformen als auch ihre Prozesse können sich von denen in der „klassischen Marketing-Welt“ deutlich unterscheiden. Agenturgründer Daniel Kremerov hat sich in die Krypto-Welt eingefuchst. Im Gespräch mit OMR erklärt er, wie er mit seiner Software-Agentur Sidestream mit Dienstleistungen für die milliardenschwere US-Plattform MakerDAO einen sechsstelligen Betrag im Jahr erwirtschaftet.

Vor ungefähr drei Jahren beschäftigt sich Daniel Kremerov zum ersten Mal mit Kryptowährungen; etwa ein halbes Jahr später gründet er gemeinsam mit seinem Partner Nils Jonalik die Software-Agentur Sidestream. Das rund zwanzigköpfige Team entwickelt Software-Lösungen, wie etwa für ein Immobilienvergleichsportal oder das Genesenenzertifikat der Stadt Köln. Als der Boom rund um das Thema Krypto kaum mehr abzuflachen scheint, denkt Kremerov zum ersten Mal darüber nach, Kund:innen aus der Krypto-Branche für seine Agentur zu akquirieren.

„Wir haben den Krypto-Boom gesehen und wollten wissen, wie wir als Agentur in diesen wachsenden Markt reinkommen“, sagt er. Die Frage ist: Wie? Kremerov habe zunächst Webseiten wie Coinmarketcap durchforscht nach Kryptoprojekten, von denen er glaubt, seine Agentur könne irgendwie mitarbeiten. Dabei stößt er auf die MakerDAO. Eine DAO ist im Grunde eine virtuelle „Krypto-Kommune“, eine „Decentral Autonomous Organization“, bei der alle Entscheidungen von einer Community getroffen werden (hier unser Explainer zum Thema DAOs).

Im Krypto-Slang-Dschungel: DAO, DAI und DeFi

Die Krypto-Welt ist voll mit solchen neuen Begriffen und Abkürzungen, die „Neuankömmlinge“ erst einmal durchdringen müssen. Eine weitere davon ist „DeFi“, Decentralized Finance – salopp gesagt: „Finanz-Krypto“. In diesem Bereich ist die MakerDAO aktuell eines größten und erfolgreichsten Projekte. Die Plattform vergibt Kredite in Form der eigenen Kryptowährung „DAI“. Um solche erhalten zu können, müssen Kund:innen Kryptowährungen wie etwa Ethereum oder eine bestimmte Form von Bitcoin bei MakerDAO als Sicherheit einzahlen. Im Gegenzug erhalten sie ungefähr 70 Prozent der hinterlegten Summe in DAI, einer weiteren Kryptowährung.

Für Kund:innen, wie etwa die französische Bank Société Générale, entsteht dadurch ein großer Vorteil: Sie können mit Kryptowährungen handeln, ohne den krassen Kursschwankungen von Bitcoin oder Ethereum ausgesetzt zu sein. Denn der DAI ist ein sogenannter „Stable Coin“, er ist an den US-Dollar gekoppelt. Bis auf eine ein- bis zweiprozentige Abweichung ist ein DAI also immer ein US-Dollar wert. Die MakerDAO verdient an Gebühren. Und zwar viel: Zu Spitzenzeiten wie im Mai 2021, rund sechs Jahre nach ihrer Gründung vom dänischen Entwickler Rune Christensen, belief sich die Marktkapitalisierung auf fast fünf Milliarden US-Dollar.

„Ich habe einfach ins Forum gepostet“

Die Community rund um das Projekt trifft sich in Foren und auf Discord-Servern. Wie für Blockchain-Projekte üblich, ist dort alles einsehbar. Kremerov liest, worüber die Community schreibt, welche Probleme es gibt, welche Softwares benötigt werden. Und verfasst dort bald selbst seinen ersten Beitrag. „Ich habe einfach in das Forum gepostet, was wir können und was wir gerne umsetzen würden“, sagt er.

Eine konkrete Ausschreibung gab es keine, obwohl das bei DAOs eigentlich üblich ist: Gibt es eine konkrete Aufgabe, die ansteht, wird eine Ausschreibung veröffentlicht. Entwickler:innen können daraufhin ein „Proposal“ verfassen, einen Vorschlag, wie das Problem gelöst werden kann und was es dazu benötigt. Die Community stimmt über die eingegangenen Proposals ab, wer die meisten Stimmen hat, erhält den Auftrag.

Community Proposal statt Pitch

Kremerovs initatives Proposal gewinnt, im Juni ist er zum ersten Mal für MakerDAO tätig. Von nun an sein Job: Den Auktionsmechanismus mithilfe einer Software automatisieren. Das Problem, das damit gelöst werden soll, ist abstrakt. Ein einfaches Beispiel: Ein Kreditnehmer bezahlt Ethereum im Wert von 150 Euro bei MakerDAO ein. Er erhält dafür DAI im Wert von 100 Euro zurück. Er kann sich immer nur ungefähr 70 Prozent der Einlage auszahlen lassen, der Rest dient als Sicherheit für die Kreditgeber. So entsteht ein Überschuss für die MakerDAO, eine Art Puffer.

Dieser Puffer ist wichtig, denn er wird immer dann eingesetzt, wenn der Kurs von Kryptowährungen wie beispielsweise Ethereum stark fällt. Sinkt der Kurs der Einlage des Kreditnehmers unter die Summe der von MakerDAO ausgegebenen DAI, hat der Kreditnehmer einen wertvolleren Kredit als er an Sicherheiten hinterlegt hat. Und in der Theorie deshalb kein Interesse mehr daran, seinen Kredit zurückzuzahlen. Um das zu verhindern, will die MakerDAO einen Teil der Einlagen per Auktion „liquidieren“, also an den oder die Höchstbietende verkaufen, noch bevor es zu diesem kritischen Punkt kommt, und so die Differenz ausgleichen.

Vom Tagelöhner zum zentralen Team

Die MakerDAO benötigt dafür eine Software. Und Kremerov baut einen ersten Prototypen. Fünf Monate lang arbeitet er daran, dann ist seine Software so weit, dass er ein weiteres Proposal im Forum der MakerDAO verfasst. Seine Absicht: Er will aus seinem Prototypen ein echtes Produkt bauen. Die MakerDAO-Community nimmt seinen Vorschlag an. Innerhalb von zwei Wochen werden er und seine Mitarbeiter:innen daraufhin ongeboardet, zu dritt bilden sie seit dem eine sogenannte „Core Unit“ der MakerDAO. Sie sind für das Auktionssystem des Projekts zuständig.

Auch wenn die Materie, mit der sich Kremerovs Team beschäftigt, zunächst undurchdringlich erscheint: Bis auf Kremerov hatte keiner von ihnen ernsthafte Vorkenntnisse im Bereich Blockchain. „Wir konnten zwar viel von unserem Wissen für andere Kunden anwenden, aber das Meiste haben wir uns selbst beigebracht“, sagt er. Er ist überzeugt: Alle, die Zeit und Lust haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, können Krypto-Plattformen als Kunden gewinnen. Vorkenntnisse würden in den wenigsten Fällen gefordert. Wie auch, wo die DeFi-Branche selbst doch nur wenige Jahre alt ist.

Gibt es doch einmal ein Problem, wie etwa im vergangenen Januar, als es aufgrund des plötzlichen Kurseinbruchs von Ethereum fast zu einer Massenliquidierung in Höhe von 600 Millionen US-Dollar gekommen wäre, seien andere Teams und die Community zur Stelle. „Wenn es Krisen gibt, tauschen wir uns mit anderen Core Units aus. Wir sind alle daran interessiert, das Projekt nach vorne zu bringen“, sagt er. Als es im vergangenen Januar fast zu einer Krise kommt, erntet Kremerov Lorbeeren für sein Werk: Der von seinem Team entwickelte Auktionsmechanismus bewährte sich, die Massenliquidierung, die wohl zu einem massiven Kursverlust von Ethereum geführt hätte, wird abgewendet. Die MakerDAO und Kremerovs Core Unit bestehen den ersten echten Test, am Ende verzeichnet die Plattform sogar einen kleinen Gewinn.

Bonuszahlungen als „wahre Cashcow“?

Doch, sind die Nerven und die Mühe, die Kremerovs Team aufwendet, um sich das Wissen anzueignen für eine so junge Branche zu arbeiten, ihren Aufwand wert? Es scheint so. Seit Juni vergangenen Jahres arbeitet bei Sidestream ein dreiköpfiges Team aus festangestellten Mitarbeiter:innen für die MakerDAO. Für einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin berechnet Kremerov einen Tagessatz im niedrigen vierstelligen Bereich. Das sei zwar nur ein wenig mehr, als andere Auftraggeber bezahlen würden. Insgesamt erwirtschaftet Sidestream mit der Arbeit für die MakerDAO aber immerhin einen mittleren sechsstelligen Betrag im Jahr.

Auch dadurch wächst der Umsatz der Agentur im zweiten Jahr in Folge um über 100 Prozent. Außerdem setzt die Plattform viel Vertrauen in ihre Teams, Sidestream wird alle drei Monate im Voraus in DAI bezahlt, die Abrechnung läuft automatisch über den Smart Contract. Was Krypto-Plattformen wie MakerDAO als Auftraggeber zusätzlich attraktiv macht, sind die Bonuszahlungen: Das seien jährlich etwa 30 bis 40 Prozent des bis dahin von der Unit erwirtschafteten Umsatzes, ausgezahlt natürlich ausbezahlt in der Kryptowährung DAI. Kremerov ist sich sicher: „Das ist die wahre Cashcow.“

„Für Nachzügler wird es schwerer“

Über den fast ein Jahr alten Entschluss, eine Krypto-Plattform ins Kundenportfolio mit aufzunehmen, zeigt sich Kremerov zufrieden. „Wenn das Projekt weiter so wächst wie jetzt, hat es das Potenzial, dieses Jahr unser größtes Projekt zu werden“, sagt er. Außerdem helfe die Bekanntheit der MakerDAO, um einfacher Expert:innen zu rekrutieren. „Seit kurzem bewerben sich viel mehr Leute mit Blockchain-Erfahrung. Das hatten wir davon gar nicht“, sagt er. Ganz auf DAOs verlassen will sich Kremerov aber noch nicht. Zu unsicher und unvorhersehbar sei es noch, außerdem gäbe es viele unseriöse Anbieter. „Viele der heute existierenden DAOs werden verschwinden, weil kein richtiges Geschäftsmodell dahinter steckt“, sagt er.

Dass Krypto-Projekte für Agenturen und Dienstleister künftig eine Rolle spielen werden, davon ist Kremerov dennoch überzeugt. Schon jetzt merke man, dass der Markt anzieht. Für Nachzügler:innen sei es jetzt schon deutlich schwerer bei Projekten mitzumachen. „Wenn etwas so lukrativ ist, spricht es sich schnell in der Branche rum“, sagt er. Grund zur Sorge ist das für Kremerov allerdings nicht. Der Smart Contract zwischen Sidestream und der MakerDAO läuft vorerst auf unbestimmte Zeit weiter.

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Florian Heide
Autor*In
Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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