Busfahrer geht mit 415er-Gruß viral: Ein Momentum für den Beruf?
Mit einer besonderen Fingerchoreographie grüßt Busfahrer Michel Schwartz seine Arbeitskolleg*innen – und alle machen mit. Animiert das den Nachwuchs für den Beruf?
Alle grüßen wie Michel: Ein Busfahrer aus Hamburg geht viral, weil er sich eine Fingerchoreographie ausgedacht hat. Mit dem “451er-Gruß” schafft er nicht nur einen neuen Tiktok-Trend, er rückt auch den Beruf in den Fokus. Seine Videos generieren Millionen Views und sein Handzeichen sorgt für etliche Imitationen. Wir haben mit ihm über Vorurteile, Vorteile und einen deutschlandweiten Hype gesprochen.
Profifußballer jubeln mit 415er
“Hier passiert was”, merkt Michel Schwartz am 14. Dezember 2024. Plötzlich klickt sich ein Video millionenfach, in dem er seine Kolleg*innen während der Fahrt grüßt. Aber nicht irgendwie. “Vier Finger nach vorne, Zeigefinger auf den Kollegen, das bedeutet 'Ich habe dich gesehen', und dann quasi nochmal die Hand offen, wie so eine Art High-Five." Mit dem “415er” hat der “Grußfahrer” einen Trend gesetzt. Mehr als 30 Mio. User erreicht Schwartz mit seinen Videos – und inspiriert auch die Prominenz. Zum Beispiel im Profi-Fußball: Beim Tor gegen RB Leipzig jubelt Alphonso Davies per Busfahrer-Gruß, Spieler des Hamburger SV, SV Darmstadt oder VfB Stuttgart sind ebenfalls auf den Hype aufgesprungen. Büros (auch wir bei OMR), Sportvereine, Influencer*innen und sogar Grünen-Politikerin Franziska Brandtner imitieren den 415er. Schwartz ist stolz: “Das hat einen Hype geschafft, der durchs Land schwappt.” Jetzt ist der “coldest Busfahrer”, der “mal höher gegrüßt hat”, wie das Publikum gerne kommentiert, der bekannteste Lenker seiner Branche – obwohl er monatlich nur drei bis viermal als Fahrer einspringt. Hauptberuflich arbeitet der 44-Jährige bei der Stadtreinigung.
Als er 2017 seine Ausbildung bei der HVV macht, kauft er sich eine Nikon Spiegelreflex und lichtet die Busse ab. Ihn faszinieren die “Flagschiffe”. Seit drei Jahren macht er Videos. “Mit diesem großen Lenkrad, dem Dashboard und diesem riesigen Gefährt durch die City zu rollen – man fühlt sich wie der king of the road.” Seine Bewunderung für Großfahrzeuge entdeckt er spät. Nach seinem Abitur will er auf die Kunsthochschule, landet dann aber in der gehobenen Gastronomie in Österreich. Zuerst in Zürich, dann auf Kreuzfahrtschiffen. Wegen der Liebe verschlägt es ihn nach Hamburg, dort arbeitet er als Restaurantleiter. “Als meine Tochter zur Welt kam, musste ich raus aus der Gastro. Ich wollte nicht mehr die Nächte durcharbeiten.” Er schult um, zum Berufskraftfahrer bei der Hamburger Hochbahn. Heute ist er Müllmann, weil auch das Busfahren keine familienfreundlichen Arbeitszeiten mit sich bringt. “Ich konnte aber nie die Finger davon lassen”, sagt Schwartz, für den dieser Aushilfsjob deshalb der ideale Kompromiss ist. Gerade das jüngere Publikum hyped den 415er-Erfinder. Kann das den Beruf in ein neues Licht rücken?
So viele Babyboomer wie sonst nirgends
Denn: In ganz Deutschland sind 44 Prozent der Bus- und Straßenbahnfahrer*innen mindestens 55 Jahre alt – bedeutet, sie sind der Rente nicht mehr allzu fern. Mehr noch: In keinem anderen Berufsfeld ist der Anteil so groß. 54.500 Fachkräfte gehen bald in den Ruhestand. Das wäre ja nicht weiter schlimm, wenn das kompensiert werden könnte. Stattdessen klafft bereits jetzt eine Lücke. Laut KOFA sind nur knapp die Hälfte der offenen Stellen besetzt. Kaum Nachwuchs wegen eines schlechten Images? Obwohl der Job der Energiewende gut tut? Feststeht: Ausbildungsberufe werden wieder beliebter – öffentliche Verkehrsmittel sind es schon. Nur mit dem Angebot sind Deutsche nicht zufrieden. Der Fachkräftemangel schlägt dem Fortschritt kräftig aufs Gemüt. Wieso gibt’s ihn?
Schwartz nennt Gründe: “Der Beruf gehört eher zu der Berufsgruppe, die einen niedrigen Kalorienbedarf hat”, sagt er gleichsam ironisch wie ernst. “Und vielleicht ist das auch intellektuell nicht so herausfordernd”, so der 44-Jährige weiter. Doch ihm überwiegen die Vorzüge: “Wenn ich einen Bus fahre, habe ich eine riesige Verantwortung für viele Menschen. Nicht jeder kann mit diesem Stress auf der Straße umgehen. Ich muss mit einer Gefahr rechnen, bevor sie zur Gefahr wird”, beschreibt Schwartz den Reiz. Das “Flagschiff” zu steuern, mache ihn süchtig. Seine mediale Präsenz würde er gerne nutzen, ist für Kooperationen offen. “Ich möchte für den Beruf motivieren, aber ich sehe mich nicht als Influencer. Ich bin ein Müllmann, der Bus fährt.”
VHH freut sich über Präsenz
Die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein freuen sich über die Aufmerksamkeit für das Berufsbild – auch wenn noch nicht mehr Bewerbungen auf dem Tisch liegen. “Wir begrüßen es aber, wenn das in Zukunft der Fall ist", heißt es aus dem Unternehmen, "und wenn die digitale Präsenz von Michel Schwartz dazu beiträgt, freuen wir uns darüber". Ohnehin, so die Personalabteilung, sehe die Situation aktuell sehr gut aus. Etwas, das wahrlich nicht viele Verkehrsbetriebe in Deutschland vorweisen können, ganz im Gegenteil.
Doch vielleicht hat der 415er für ein Momentum gesorgt, dass die Beschwerden des Berufs temporär lindert. Die Aufmerksamkeit könnte größer nicht sein – und nicht weniger als eine ganze Gesellschaft könnte davon profitieren. Sei gegrüßt, Zukunft.