Wie Hooked mit Chat-Geschichten und Youtube-Cliffhanger-Ads Platz 1 im App Store erklomm

Diese App setzt Millionen mit lesenden Teenagern um

Hooked
Inhalt
  1. „Literatur für die Snapchat-Generation“
  2. Ernüchternder A/B-Test
  3. Chats sorgen schon seit Langem für Reichweite
  4. Teenie-Grusel-Stories als „Billion-Dollar-Business“
  5. Cliffhanger sollen Abos generieren
  6. Abos sind leicht abzuschließen und kompliziert zu kündigen
  7. Kevin Spacey ist investiert
  8. 3,7 Millionen Paid Views in nur einer Woche
  9. Platz 1 in den USA und Deutschland
  10. Erste Wettbewerber lauern

Die Jugend liest nicht mehr? Dass die App Hooked nach den USA nun auch in Deutschland Platz 1 des App Stores belegt, spricht gegen diese Behauptung. In der App können Jugendliche und junge Erwachsene Geschichten in Dialogform im Stil eines WhatsApp-Chats lesen. Mehr als 14 Millionen Mal ist Hooked weltweit bereits installiert worden; Schätzungen zufolge hat die App bereits mehr als vier Millionen US-Dollar umgesetzt. OMR erklärt den Erfolg und die Marketing-Strategie dahinter. Tiffany: „Hörst Du das?“ – Mom: „Was soll ich hören?“ – Tiffany: „Da schreit ein Baby.“ – Mom: „Ich bin nicht zu Hause. Warte, bis ich wiederkomme.“ – Tiffany: „Es kommt aus dem Keller.“ – Mom: „Geh da nicht runter, Tiff.“ – Tiffany: „Was, wieso nicht?“ – Mom: „Es gibt da etwas über Deinen Vater, dass ich dir nicht erzählt habe.“

„Literatur für die Snapchat-Generation“

Das ist der Anfang einer für die App Hooked typischen Geschichte. Die Geschichte beginnt, ohne dass die Leser Informationen über die Protagonisten erhalten. Als Voyeure können die Leser einen SMS- oder Chat-Verlauf mitlesen. Mit jedem Antippen des Bildschirms erscheint eine neue Sprechblase. Am Ende erfolgt meist eine mehr oder minder überraschende Wendung.

„Unser Ziel war es, Literatur für die Snapchat-Generation neuzuerfinden“, schreibt Prerna Gupta, Mitgründerin und CEO von Telepathic, dem Unternehmen hinter Hooked, in einem Artikel auf Medium über die Entstehung der App. Gupta ist schon lange in der App Economy unterwegs. Mit ihrem vorherigen Unternehmen Khush hatte sie erfolgreiche Musik-Spaß-Apps wie Autorap und Songify entwickelt. Im Jahr 2011 verkauften sie und ihr Ehemann und Mitgründer Parag Chorida nicht nur ihr Unternehmen, sondern auch ein Großteil ihrer Besitztümer und reisten um die Welt.

Ernüchternder A/B-Test

Eigentlich will sie in dieser Zeit einen Roman schreiben, ist sich aber nicht sicher, ob es für Romane mit einer dunkelhäutigen weiblichen Hauptfigur einen Markt gibt. Also entwickelt sie ein System, mit dem sie mit Ideen für Geschichten A/B-Tests durchführen kann: Welche Variante einer Geschichte kommt bei Lesern besser an?

„Wir sahen damals erstmals großes Geschäftspotenzial in Storytelling“, so Gupta. „Wir fragten uns: Wie bekommen wir den Großteil der Teenager dazu, uns ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, auf ihren Handys, um Literatur lesen?“ Sie führt deswegen einen Test mit den Anfängen von 50 Romanen für junge Erwachsene durch. Über Facebook Anzeigen generiert sie 15.000 Leser für die Fünf-Minuten-Lektüren: Das ernüchternde Ergebnis: Die erfolgreichsten Stories werden von einem Drittel der Leser zu Ende gelesen, viele davon von weniger. „Dann hatten wir die verrückte Idee einer Geschichte im Format einer SMS-Konversation.“ Die „Completion Rate“ sei in die Höhe geschossen: „Fast jeder Teenager, der unsere Chat-Geschichte angefangen hatte, las sie in einem Rutsch zu Ende.“

Chats sorgen schon seit Langem für Reichweite

Die Macher von Hooked sind nicht die ersten, die die Erfahrung machen, dass Chat-Konversationen in der digitalen Sphäre für große Reichweiten sorgen können: In Deutschland ist beispielsweise die über Facebook groß gewordene Website „Chat von gestern Nacht“ (im Jahr 2009 als „SMS von gestern Nacht“ gestartet) seit vielen Jahren sehr bekannt und verzeichnet immer noch 1,7 Millionen Fans. Sechs Bücher haben die beiden Betreiber mit den von ihren Fans eingeschickten, angeblich realen Konversationen bereits gefüllt.

Auf Instagram sind für Viral-Accounts wie „Megachats“ mehr oder minder lustige oder kuriose WhatsApp-Konversationen ein beliebtes Content-Format. Und auch Spam-Viral-Seiten auf Facebook setzen das Mittel ein, um Reichweite zu generieren.

Teenie-Grusel-Stories als „Billion-Dollar-Business“

Die Website Storiesforyourscreen hat im Jahr 2014 mit der sehr an Hooked erinnernden Geschichte „annie96 is typingeinen Viral-Erfolg gelandet. Über Tumbler, Reddit und Twitter bekam die Chat-Story enorm viel Traffic. Seit Anfang dieses Jahres ist sie immer wieder Thema von Youtube-Videos, manche von ihnen mit mehreren Millionen Aufrufen.

Gupta und ihr Ehemann wollen nun mit Hooked aus diesem Phänomen offensichtlich ein Geschäft entwickeln. Mehr als 200 junge, unbekannte Autoren (die häufig gerade Schreibprogramme an US-Unis durchlaufen haben) liefern die Geschichten für die App. Die sind weit entfernt von hoher Literatur, sondern meist Schauergeschichten ohne wirkliche Tiefe.

Cliffhanger sollen Abos generieren

Seit einiger Zeit kann auch jeder Nutzer selbst Geschichten für Hooked schreiben, alleine oder sogar gemeinsam mit Freunden. Die Entwickler haben dafür einen relativ simplen Baukasten innerhalb der App zur Verfügung gestellt – eine Vergütung erhalten die Autoren offenbar aber nicht.

Die Hooked-Macher wollen indes mit einem Abo-Modell Geld verdienen. Neuen Nutzern wird nach der Installation beim erstmaligen Öffnen der App ohne weitere Erklärung gleich die erste Geschichte ausgespielt (hier der gesamte Onboarding-Prozess mit Screenshots). Doch irgendwann können sie nicht mehr weiterlesen – in der Regel bei einem „Cliffhanger“, also einer besonders spannenden Stelle.

Abos sind leicht abzuschließen und kompliziert zu kündigen

Entweder warten die Nutzer dann etwas mehr als eine halbe Stunde, bis sie neue „Hoots“ (so der Name der Hooked-internen Währung, in der deutschsprachigen Version der App ist dies amüsanterweise mit„Gröler“ übersetzt) erhalten und damit einen weiteren Teil der Geschichte freischalten können. Oder sie schließen ein Abo ab. Die Preise dafür rangieren zwischen 2,99 Euro für eine Woche und knapp 40 Euro für ein ganzes Jahr. Ein Test für sieben Tage ist kostenlos – wird danach aber ohne weitere Vorwarnung in ein kostenpflichtiges Abo umgewandelt.

„Viele Kids werden in dieses Abo laufen“, glaubt Mobile-Marketing-Experte Stefan Bielau vom Beratungsunternehmen Dynamo Partners. Ein Abonnement sei vergleichsweise schnell abgeschlossen. „Wenn man es aber kündigen will, sind das fünf bis sechs Klicks.“ In der US-Verlagsbranche hat Hookeds Geschäftsmodell sowie die über App verfügbaren Inhalte dementsprechend bereits für ätzende Kritik gesorgt.

Kevin Spacey ist investiert

Viele renommierte Investoren aus der US-VC-Szene glauben demgegenüber offensichtlich an das Modell: Laut einem Techcrunch-Artikel aus dem April 2016 hat Telepathic bislang rund drei Millionen US-Dollar eingesammelt; zu den Geldgebern gehören renommierte VCs wie Greylock und 500 Startups sowie Branchen-Promis wie Zynga-Mitgründer Justin Waldron und „Lean Startup“-Autor Eric Ries. Auf der Telepathic-Website wird auch Hollywood-Schauspieler Kevin Spacey als Investor aufgeführt.

Ein großer Teil dieses Geldes fließt offenbar ins Marketing. Eines der oder möglicherweise sogar das wichtigste Mittel zur Gewinnung neuer Nutzer sind offenbar Youtube-Pre-Roll-Ads. Darauf lassen zumindest mehrere Indizien schließen. So schreiben bei Twitter immer wieder junge Nutzer davon, dass ihnen andauernd Hooked-Werbung bei Youtube-ausgespielt wird.

3,7 Millionen Paid Views in nur einer Woche

Im YouTube-Kanal von Hooked sind dementsprechend auch drei deutschsprachige Videos eingestellt („Der Beobachter“, „Wo ist sie?“ und „Die Clowns“). Auch sie zeigen den Anfang von Hooked-Geschichten. Offenbar setzen die Hooked-Macher auch hier wieder darauf, dass ihre Geschichten die Zuschauer so neugierig machen, dass sie die App installieren. Die drei Videos sind erst vor etwa einer Woche hochgeladen und verzeichnen aktuell insgesamt bereits mehr als 3,7 Millionen Views. Der Großteil davon dürfte auf bezahlte Pre-Roll-Ads zurückzuführen sein, lassen sich unter den Videos doch auch keinerlei Kommentare finden.

„Das ist keine billige Reichweite, weil sie Leute erreichen wollen, die Hooked nicht kennen und sich dementsprechend initial nicht für die App interessieren“, so YouTube-Experte Christoph Burseg vom Analytics-Tools Veescore. YouTube-Werbung könne vergleichsweise günstig sein, wenn man beispielsweise Werbung für die eigene Automarke schalten wolle, wenn Nutzer nach dieser auf YouTube suchen. Dann koste der View wenig. „Im Fall von Hooked schätze ich den Preis pro View auf circa fünf bis zwölf Cent. Das sind dann bei einer Million Views schon 50.000 bis 120.000 Euro“, so Burseg. Bedenkt man, dass im YouTube-Kanal auch anderssprachige Versionen der gleichen Videos eingestellt wurden und dass der gesamte Kanal bislang 78 Millionen Views verzeichnet, so ist es durchaus denkbar, dass die Hooked-Macher bereits mehrere Millionen US-Dollar für Werbung für ihre App bei Youtube ausgegeben haben.

Platz 1 in den USA und Deutschland

Zumindest hinsichtlich der Nutzerakquise scheint diese Strategie bislang aufzugehen: In ihrem Post bei Medium aus dem April schreibt Gupta, dass Hooked innerhalb der vergangenen sechs Monate zehn Millionen Nutzer gewonnen hätte. Das App-Analytics-Tool Priori Data weist für Hooked plattformübergreifend (iOS und Android) 14,2 Millionen Downloads aus – und insgesamt 4,16 Millionen Umsatz durch Abonnements.

Der weitaus größere Teil der Downloads und des Umsatzes stammt von iOS-Geräten. Wenig verwunderlich: In den USA war Hooked im Dezember erstmals auf Platz 1 des App Stores, seit einigen Tagen belegt die App diesen Rang auch in Deutschland. Doch auch auf Android performt die App nicht schlecht und rangiert derzeit in Deutschland auf Platz vier.

Erste Wettbewerber lauern

Wenig verwunderlich also, dass sich bereits Konkurrenten in Stellung gebracht haben. Die Social-Publishing-Plattform Wattpad hat mit Tap in diesem Februar eine mit Hooked vergleichbare App auf den Markt gebracht. Im vergangenen November hatte Amazon bereits Rapids gelauncht – ein Angebot, das aber eher auf Kinder denn auf Jugendliche abzielt.

Wer nun noch wissen möchte, wie Tiffanys Geschichte ausgegangen ist – OMR hat sie für Euch gelesen. Zusammengefasst liest sich die Geschichte blutrünstig, aber auch banal wie Hollywood-Thriller für Teenies: Wie sich erst im Verlauf der Geschichte herausstellt, hatte Tiffanys Vater eine Affäre und mit dieser ein Kind gezeugt. Tiffanys Mutter hat deswegen ihren Vater ermordet und das Neugeborene im Keller versteckt. Zum Ende der Geschichte erschießt die Mutter des Kindes zunächst Tiffanys Mutter und dann sich selbst. Seid Ihr nun …Hooked?

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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