Die neue Generation Ghost Kitchen: Mega-Wachstum mit Restaurant-Ketten, die nur liefern

Martin Gardt22.7.2021

Essensliefer-Apps und Corona haben das Food-Business verändert: Jetzt entsteht eine riesige Ökonomie um virtuelle Restaurants

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Auch Ihr werdet in den vergangenen anderthalb Jahren nochmal deutlich häufiger Lieferando & Co. für Essenslieferungen genutzt haben. Für viele Restaurants waren Bestellungen in der Zeit ein Überlebensanker. Und das gelernte Nutzerverhalten könnte die Liefer-Ökonomie langfristig pushen. Das Potenzial haben jetzt auch verschiedene Unternehmen und selbst Prominente erkannt, die rein virtuelle Food-Brands aufbauen. Das dazugehörige Tiefkühl-Essen lassen sie in bestehenden Restaurants herstellen und über Apps ausliefern. So sind wahnsinnige Wachstumszahlen möglich. Wir zeigen, wie die neue Generation der Ghost Kitchens funktioniert.

„MrBeast“ ist mit über 65 Millionen Subscribern einer der größten Youtuber der Welt – und mittlerweile auch Restaurant-Betreiber – wobei letzteres in Anführungsstriche gesetzt werden müsste. Im Dezember 2020 gründet er MrBeast Burger, baut mit seiner Crew Burger- und Pommes-Rezepte und startet die Lieferung über eine eigene App und die typischen Dienste in den USA. Ein halbes Jahr später produzieren über 800 Restaurants seine Essenskreationen. Keine dieser Locations schmückt ein großes MrBeast Burger-Schild. Stattdessen erwärmen Köche in italienischen oder asiatischen Restaurants die tiefgekühlt angelieferte Ware – und übergeben sie dann einem Lieferfahrer. MrBeast Burger existiert eigentlich nur virtuell.

Der Youtuber steht stellvertretend für einen wachsenden Trend einer neuen Ghost-Kitchen-Generation. Schon 2017 hatten wir über das Phänomen berichtet. Damals bauten findige Unternehmen vor allem in den USA ihre Küchen in Lagerhallen, um ausschließlich für Liefer-App-Besteller:innen zu kochen. Auch durch die Pandemie erreicht die Strategie ein neues Level: Wer eine Food-Brand starten will, muss heute nicht einmal mehr eigene Küchen mit Angestellten aufbauen. Stattdessen reicht es, bestehende Restaurants davon zu überzeugen, dass sie durch die Produktion für eine virtuelle Marke Leerlauf ausgleichen und zusätzliche Umsätze machen können. So entstehen in extrem kurzer Zeit riesige Franchise-Unternehmen – auch in Deutschland.

Virtuelle Brands auf dem Vormarsch

Es war fast ein kleiner Skandal in den USA: Kendall Neff aus Philadelphia schrieb im April 2020 auf Reddit, dass sie gerade eine Pizza bei „Pasqually’s Pizza & Wings“ bestellt hatte – in ihrer Wahrnehmung (und auch laut Aufmachung in der Bestell-App) ein lokaler Pizzabäcker. Dahinter steckt aber tatsächlich die vor allem bei Kindern beliebte Kette „Chuck E. Cheese“, die für die virtuelle Welt einfach eine neue Marke erdacht hat. Gebacken werden die Pizzen einfach in bestehenden Filialen. Die erst im März 2020 gestartete Marke macht bereits zwei Monate später zehn Prozent der Umsätze des Konzerns aus – und wird auch nach der Pandemie ein Teil der Strategie bleiben. Auch andere große US-Restaurant-Ketten haben das Potenzial solcher nur für die Liefer-Industrie erdachten Brands erkannt. Denny’s baut zwei davon auf, Red Robin drei.

Wenn also selbst die nicht gerade für schnelle Reaktionen bekannten Fast-Food-Player aufspringen, muss in dem Business Potenzial stecken. Uber Eats spricht in den USA von 10.000 virtuellen Marken auf der eigenen Plattform. Laut Konkurrent Grubhub betreiben 51 Prozent der in der Liefer-App gelisteten Restaurants mindestens eine weitere Brand. Die Vorteile von virtuellen Food-Marken, die von der Infrastruktur bestehender Restaurants leben, liegt auf der Hand. Die Brand kann ohne Vorbereitung direkt starten und muss sich nur darum kümmern, dass die tiefgekühlten Gerichte in den Küchen landen. Die Restaurants werden zusätzlich ausgelastet und steigern ihre Umsätze. Das Prinzip funktioniert meist wie ein Franchise: Die Restaurant-Betreiber:innen bewerben sich für die Teilnahme an der Unternehmung – sie zahlen dann eine Provision für jedes verkaufte Essen an den Betreiber der virtuellen Food-Brand. 

Und auch eigenständig entstehen in den USA solche Marken. Das auf asiatische Gerichte fokussierte Unternehmen „Wow Bao“ hatte vor der Pandemie eine Handvoll Restaurants. Direkt während des ersten Lockdowns im April 2020 startet Wow Bao mit seinem Ghost-Kitchen-Konzept und beliefert weitere Restaurants mit seinen tiefgekühlten Produkten. 2.000 US-Dollar müssen diese initial an das Unternehmen zahlen und einen Quadratmeter Küchenplatz nachweisen. Wow Bao verspricht, dass nach sechs Wochen schon 2.000 US-Dollar an Sales für das Restaurant drin seien, bei einer Marge von 40 Prozent. Heute ist Wow Bao so zu einem Franchise-Unternehmen mit über 200 Standorten geworden.

Unterschiedlich Ansätze – viel Geld im Markt

Diese Asset-Light-Strategie zieht entsprechend junge Unternehmen und Investoren an. MrBeast arbeitet mit „Virtual Dining Concepts“ zusammen, das bereits neun virtuelle Food-Marken aufgebaut hat. Dahinter steckt Robert Earl, der als Gründer der Restaurant-Kette Planet Hollywood das nötige Kleingeld für den Start eines solchen Projekts mitbringt. Ein weiterer Player in den USA ist Nextbite, das bereits 13 Ghost-Kitchen-Brands betreibt. Im Oktober 2020 investiert Softbank 120 Millionen US-Dollar in Nextbite und den dazugehörigen Technologie-Dienstleister Ordermark. Letzterer hilft Restaurants dabei, die eingehenden Bestellungen zu verschiedenen Marken und von verschiedenen Liefer-Apps im Blick zu behalten. „All Day Kitchens“ dreht den Spieß ein wenig um. Das Startup hilft kleineren lokalen Restaurants dabei, ihr Essen zusätzlich über Ghost Kitchens im ganzen Land zu vertreiben.

Nextbite-Marken im Ghost-Kitchen-Bereich

Vorbild für viele: Nextbite hat 13 Ghost-Kitchen-Marken aufgebaut – und betreibt kaum ein Restaurant selbst.

Einer der spannendsten Player ist derzeit aber sicher „CloudKitchens“, das neue Startup von Uber-Gründer Travis Kalanick. Saudi Arabiens Staatsfonds hat schon Ende 2019 etwa 400 Millionen US-Dollar in das Unternehmen gesteckt. An CloudKitchens zeigen sich vor allem die unterschiedlichen Ansätze in der Ghost-Kitchen-Ökonomie. Kalanick will selbst extrem günstige Immobilien in Industriegebieten kaufen, mit Küchen ausstatten und dann virtuelle Marken draufsetzen. Ähnliches versucht auch Reef (700 Millionen Dollar Funding), das Parkhäuser und mobile Küchen nutzt.

In Deutschland noch in den Kinderschuhen

Hierzulande ist die Geisterküchen-Branche noch lange nicht auf dem Stand der USA. Die Pandemie hat viele Restaurants überhaupt erst dazu gebracht, sich für die Lieferplattformen zu öffnen. Delivery Hero aus Berlin versucht es nun zumindest bereits in Österreich mit einem Konzept. Über die Tochtermarke „Honest Food“ betreibt das Unternehmen neun virtuelle Food-Brands – von Burgern, über Burritos bis hin zu koreanischem Essen. Hergestellt wird das Essen laut Trending Topics in italienischen Restaurants und zum Teil auch Dönerläden in großen österreichischen Städten. Die Bestellung und Lieferung erfolgt über die Delivery-Hero-App „Mjam“. 

Die Ghost-Kitchen-Marken von Honest Food

Die Honest Food Company betreibt in Österreich mehrere Ghost-Kitchen-Marken.

In Deutschland ist schon seit 2017 zum Beispiel das Berliner Unternehmen „Vertical Food“ am Start. Das folgt aber eher dem Geschäftsmodell von Travis Kalanicks CloudKitchens und betreibt die Küchen für die eigenen zehn Marken selbst. Die werden aber natürlich trotzdem individuell vermarktet. „Das hat den Vorteil, dass wir problemlos neue Trends testen können, ohne die etablierten Marken zu gefährden“, sagt Vertical-Food-Gründer Beschir Hussain gegenüber food-service.de. 20.000 Euro koste ihn die Einführung einer neuen virtuellen Marke, 20 Brands könne eine Küche aus seiner Sicht problemlos umsetzen. Auch er streue wie die Delivery-Hero-Tochter Honest Food die Stile des Essens breit – von Pizza, über Salat bis zu orientalischer Küche. „So umgehen wir nicht nur die Stoßzeiten-Problematik, sondern überbrücken auch wetter- und saisonbedingte Flauten“, so Hussain. Und wenn eine Marke mal nicht funktioniert, bedroht das in keinster Weise das Gesamtkonzept.

In Deutschland wird es spannend sein, ob die großen Liefer-Apps auch damit beginnen werden, eigene virtuelle Marken aufzubauen – wie es Delivery Hero in Österreich ja schon ausprobiert. Lieferando & Co. haben genaue Daten über das Bestellverhalten der Kund:innen und Kontakte zu Restaurants – und sind damit klar Kandidaten, den Ghost-Kitchen-Trend hier loszutreten. In den USA experimentiert der dortige Liefer-App-Marktführer DoorDash bereits mit eigenen Ghost-Kitchen-Konzepten.

Wie geschaffen für die Creator Economy

In den USA zeigt sich, für wen das Konzept Ghost Kitchen am besten funktionieren könnte: Prominente und Influencer:innen. Die Logistik ist schließlich nicht das große Problem. Vielmehr muss sich die Marke vor allem in Großstädten in einem immer härteren Wettbewerb beweisen. Und da bringen bekannte Gesichter die eigene Marketing-Power direkt mit. Das beweist vor allem der angesprochene MrBeast, der im ersten Monat seines Franchise-Unternehmens über eine Million Burger verkauft hat (Philipp Westermeyer spricht darüber auch in seiner aktuellen Keynote). Allein ein Franchise-Nehmer aus Dallas berichtet von Verkäufen von über 7.000 US-Dollar an MrBeast Burgern pro Tag.

Kein Wunder, dass die Unternehmen hinter den virtuellen Food-Marken jetzt verstärkt prominente Aushängeschilder suchen. Nextbite hat die Brand „HotBox by Wiz“ rund um den US-Rapper Wiz Khalifa gebaut. Seit dem Start im August 2020 gewinnt die Marke über 36.000 Follower auf Instagram. Wiz Khalifa selbst macht auf seinem Instagram-Kanal mit über 33 Millionen Followern allerdings kaum Werbung für sein Food-Projekt. Er dürfte vor allem ein Werbegesicht der Brand sein und weniger dicht dran am Produkt als etwa MrBeast. Virtual Dining Concepts, das Unternehmen hinter dessen Burger-Konzept, hat sich sogar ganz dem Prinzip verschrieben, die vituellen Food-Marken mit bekannten Namen zu starten. Rapper Tyga preist seit Sommer 2020 seine „Tyga Bites“ an. Fans von Musiklegende Mariah Carey können sich ihre Cookies liefern lassen und bald startet eine Zusammenarbeit mit der US-Rennserie Nascar, um das Essen von den Rennstrecken bestellbar zu machen.

Der Erfolg von MrBeast und weiteren Promi-Brands im Ghost-Kitchen-Bereich dürfte schon bald Nachahmer finden. So wie die Creator Economy schon jetzt zu Make-Up- und in Deutschland ja vor allem zu Eistee- und Tiefkühl-Pizza-Marken geführt hat, könnten Creator mit großer Reichweite bald den Reiz des extrem skalierbaren Modells entdecken. Auch wenn Ihr dann bei Lieferando bestellt, könnte der Burger dann aus dem Döner-Imbiss kommen.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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