US-Trend: Wie Riesen-Youtuber jetzt eigene Streaming-Plattformen bauen
Und wieso ausgerechnet Vimeo zum aufsteigenden Player der Creator Economy wird
Zack Kornfeld und Keith Habersberger stehen im Kreis ihrer Mitarbeitenden, sie zählen den Countdown gemeinsam abwärts, dann ist es mit einem Klick vorbei. Sie haben das Ende ihrer rund zehnjährigen Youtube-Karriere offiziell eingeleitet und darüber, wie es sich für echte Youtube-Stars gehört, natürlich ein Video gedreht.
Die Beiden sind Gründer und Mitglieder von The Try Guys, einer der erfolgreichsten US-amerikanischen Entertainment-Gruppen auf Youtube. 2014 für die beliebte englischsprachige Medienplattform Buzzfeed angetreten, sind sie mittlerweile eigenständig und zählen zu den erfolgreichsten Kanalbetreibern der Plattform. Rund acht Millionen Abonnent*innen folgen ihnen. Besonders beliebt sind ihre Serien “Without a Recipe”, in der die Mitglieder ohne Rezepte kochen und “Eat The Menu”, in der Keith Habersberger das gesamte Menü eines Restaurants wie beispielsweise McDonald's testet.
Doch wenn es nach den Betreibern geht, soll damit bald Schluss sein. Die Try Guys haben genug von Youtube und dessen unabwägbaren Algorithmusänderungen, wie sie selbst behaupten. Seit rund zwei Wochen ist das Programm auf Youtube abgespeckt. Statt neuer Videos werden Zusammenschnitte hochgeladen, immer wieder unterbrochen von dem Hinweis auf die neue, eigene Streaming-Plattform 2nd Try TV.
Ein eigenes Netflix für Youtuber
Wer die besucht, bekommt schnell das Gefühl, auf einer Art exklusivem Mini-Netflix gelandet zu sein. Headerbanner promoten die neuesten Folgen der Try Guys, in Galerien kann man sich durch ihre unterschiedlichen Serien klicken. Die Content-Maschinerie der Try Guys läuft auf Hochtouren, zwölf Serien können Fans dort bereits werbefrei gucken, dazu Bonusmaterial und Aufnahmen von Live-Events.
Look & Feel von Netflix: Die Streaming-Plattform von The Try Guys
Mit ihrer Entscheidung sind die Try Guys nicht allein. Auch andere große Youtube-Kanäle wie Dropout (14 Mio. Abonnent*innen) oder Watcher (2 Mio. Abonnent*innen) ziehen große Teile ihres Contents von Youtube ab und bauen sich stattdessen eigene werbefreie Streaming-Plattform mit exklusivem Content auf. Die Creator lösen damit für sich ein Problem, das die Branche beschäftigt, seit es die Creator Economy gibt: Wie schafft man es, von den Werbeeinnahmen unabhängiger zu werden, die über die großen Plattformen wie Youtube, Instagram und Tiktok kommen?
Die Lösung lautet seit einiger Zeit: Exklusiver Content hinter einer Paywall, für die treue Fans bereit sind, monatlich einen Preis direkt an die Creator zu bezahlen. Im Bestreben, genau diese Lücke zu schließen, sind in den letzten Jahren viele milliardenschwere Plattformen entstanden wie beispielsweise Onlyfans, Patreon oder Substack.
Unerwarteter Player auf dem Feld
Die Try Guys und andere große US-Creator bedienen sich allerdings einer dafür eher ungewöhnlichen Plattform: Vimeo, dem US-amerikanischen Youtube-Konkurrenten mit 400 Millionen Dollar Umsatz, der eigentlich für Hochglanz-Produktionen steht und für Profi-Videografen gedacht ist. Deren Content-Monetarisierungsdienst “Vimeo OOT” baut gezielt Youtube-Creatorn einen eigenen Streamingkanal mit Bibliothek auf, der laut Vimeo selbst “so nutzerfreundlich und nahtlos über alle Geräte hinweg verwendet werden kann wie Netflix”.
Mit der Try Guys-Partnerschaft ist Vimeo ein Coup gelungen, auf deren Erfolg das Software-Unternehmen künftig aufbauen will. Dass es auch künftig vor allem diese Szene im Visier hat, bestätigt das Unternehmen selbst. “Wir konzentrieren uns sehr proaktiv auf den Youtube-Kreativbereich”, sagt Rich Bloom, Vizepräsident von Vimeo gegenüber Business Insider. Für ihre Dienste müssen die Creator eine Jahresgebühr bezahlen. Je nach Paketumfang liegen die Gebühren in der Regel zwischen 12.000 und 36.000 US-Dollar, wobei die Gebühren für Unternehmenspakete auch deutlich höher liegen können.
Wie viel verdienen die Creator daran?
Um mit der eigenen Streaming-Plattform erfolgreich zu sein, müssten Creator zwischen einem und fünf Prozent aller Youtube-Abonnenten in zahlende Nutzende verwandeln, so Bloom. Bei den Try Guys also zwischen 80.000 und 400.000 User. Bei einer monatlichen Gebühr von 4,60 US-Dollar macht das einen Umsatz zwischen 370.000 und 1,8 Millionen Dollar im Jahr. Nicht gerade üppig für eine Firma aus dem hochpreisigen Los Angeles mit rund 20 Mitarbeitenden.
Dass Creator wie The Try Guys künftig vollständig auf ihre neue Subscription-Plattform setzen, ist allein deswegen unwahrscheinlich, weil der Umsatz im Vergleich zu den Youtube-Werbeeinnahmen insgesamt deutlich geringer sein dürfte. Ohnehin ist es in der Creator Szene ein Tabu, den eigenen Content ausschließlich hinter der Paywall zu parken. Schließlich bootet man damit große Teile der Community und auch Fans der ersten Stunde aus, die nicht bereit sind monatlich zu zahlen.
Auch die Try Guys ernteten online viel Kritik und Häme für ihre Entscheidung. Wahrscheinlicher ist also, dass es von den Try Guys und anderen Creatorn weiterhin regelmäßig kostenlose Inhalte auf Youtube geben wird. Die kostenpflichtigen Subscription-Plattformen bieten den besonders zahlungswilligen Fans darüber hinaus die Möglichkeit, sich exklusiven Filmmaterial, Merchandise und andere Inhalte zu sichern - und sich ihren Stars so noch ein wenig näher zu fühlen.