„Tree Commerce“: Wie ein Sauerländer Familienbetrieb Weihnachtsbäume übers Netz verkauft
Das Weihnachtsbaumland verschickt jährlich mehrere Tausend Bäume
- 100 Bäume zum Start
- „Hast Du einen Knall?“
- Gut konvertierender SEO-Traffic
- „Viele unserer Kunden müssten sonst ohne Baum feiern“
- Die meisten Umsätze kommen aus dem B2B-Bereich
- Verdoppelung der Versandkosten hemmt das Wachstum
- Drei Wochen lang Telefondienst
- „Viel Bewegung im Markt“
Weihnachtsbäume über das Internet verkaufen – kann das wirklich funktionieren? Stephan Mütherich kommt aus einer Familie, die eine Baumschule betreibt und eigentlich seit Jahrzehnten auf Weihnachtsmärkten verkauft. Innerhalb des Familienbetriebs baut er seit einigen Jahren wie ein kleines Startup einen Online-Shop auf – und verdient dabei vor allen Dingen Geld, indem er Weihnachtsbäume als Marketing-Instrument verkauft.
„Man kann sich heutzutage alles online bestellen, warum also nicht auch Weihnachtsbäume?“, so Mütherich gegenüber OMR am Telefon. Der 31-Jährige ist seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn im Online Marketing tätig. Heute leitet er hauptberuflich beim Sauerländischen Sockenhersteller Falke das Team, das den Falke Online-Shop und andere Online-Vertriebskanäle managt.
100 Bäume zum Start
Mütherichs persönlicher Hintergrund steht dazu im Kontrast: Seit rund 40 Jahren betreibt seine Familie auf über 200 Hektar Fläche im Sauerland und im Rheinland eine Baumschule; sein Bruder kümmert sich um die Pflanzen, sein Vater um das Geschäftliche. „Das klassische Geschäft findet auf den Weihnachtsmärkten statt“, so Mütherich. „Da werden dann 500 Bäume auf einen LKW gepackt, genetzt und irgendwo hingefahren.“
2016 hat Mütherich die Idee, nebenberuflich einen Online-Shop für Weihnachtsbäume aufzubauen: das „Weihnachtsbaumland„. „Damals gab es schon eine Hand voll Wettbewerber, aber ich dachte, man kann das besser machen. Die meisten anderen Online Shops waren unprofessionell.“ Seine Eltern unterstützen die Idee von Anfang an. „Die ersten Kartons haben sie mir auch gestellt. Am Anfang haben wir noch ganz typisch wie ein Startup in einer Garage verpackt und versendet.“ Beim Start im Jahr 2016 verkauft Mütherich rund 100 Bäume.
„Hast Du einen Knall?“
Relativ schnellt zieht der Kaufmann Unterstützung hinzu: Michael Risse kennt Mütherich noch aus der Zeit seiner ersten Tätigkeit für Falke, als beide im „New Media Team“ Kollegen waren. Risse ist heute als Digitalberater für Mittelständler tätig und übernimmt für das Weihnachtsbaumland Business-Development-Aufgaben. „Viele meiner Bekannten aus dem Digitalbereich haben gesagt; ‚Hast Du einen Knall? Einen Baum kauf ich mir doch auf dem Weihnachtsmarkt, den will ich sehen, anfassen und am besten noch selbst schlagen.’ Mich hat das aber gereizt“, sagt Risse.
Aktuell sind auf im Weihnachtsbaumland-Shop Nordmanntannen und Blaufichten verfügbar, geschlagen, im Topf oder auf einem Holzkreuz. Die Preise liegen je nach Variante und Baumhöhe zwischen 20 und 50 Euro. Das bei weitem am häufigsten verkaufte Produkt seien die Nordmanntannen.
Gut konvertierender SEO-Traffic
Wie aber lassen sich Kunden davon überzeugen, einen Weihnachtsbaum unbesehen zu kaufen? „Der Weihnachtsbaum ist sicherlich schon eines der emotionalsten Produkte überhaupt. Deswegen müssen wir bei den Kunden erst einmal das Vertrauen aufbauen, dass da wirklich Premium-Ware verschickt wird“, so Mütherich. „Das versuchen wir, indem wir ehrlich und deutlich kommunizieren, wo die Bäume aufwachsen und wie viel Arbeit in der Aufzucht steckt. Da verstecken wir uns auch nicht hinter irgendwelchen Stockphotos, sondern zeigen gerne die Personen und das Unternehmen dahinter.“ Ebenfalls für Vertrauen sollen Bewertungen sorgen: „Unser beliebtestes Produkt, die Nordmanntanne, hat mittlerweile 189 Bewertungen, fast durchgängig fünf Sterne“, so Risse.
Wenig erstaunlich kommen die meisten Besucher über Google auf die Seite: „Unser wichtigster Marketing-Kanal ist SEO“, so Mütherich. „Die Anzahl der Keywords ist da ja recht überschaubar. Der SEO-Traffic konvertiert auch sehr gut.“ Außerdem schalte das Unternehmen auch Keyword-Anzeigen auf Google, experimentiere ein wenig mit Facebook Ads und habe ein Affiliate-Programm aufgebaut, wie Michael Risse erklärt. Darüber hinaus verkaufen die Weihnachtsbaumland-Macher auch über Otto.de und über Amazons Marktplatz. „Das läuft ganz gut und wir haben da auch ganz passable Bewertungen“, so Risse.
„Viele unserer Kunden müssten sonst ohne Baum feiern“
Mittlerweile verschicken Mütherich und Risse Bäume nicht nur innerhalb von ganz Deutschland, sondern auch mal nach Spanien, Irland oder die Niederlande. Nicht wenige der Kunden sind auf die Lieferung eines Baumes angewiesen, weil in der unmittelbaren Umgebung keine Bäume verfügbar oder sie selbst nicht mobil genug sind. „Wir bekommen regelmäßig Danksagungen von Kunden, die ohne uns keinen Weihnachtsbaum bekommen könnten – eine ältere Dame aus Berlin, die im vierten Stock wohnt, beispielsweise. Für die sind wir schon auch Problemlöser“, sagt Stephan Mütherich.
Zumindest aus geschäftlicher Sicht ist der Verkauf an Firmenkunden aber noch wichtiger als der Direktverkauf an Verbraucher. „Das sind beispielsweise Unternehmen, die sich mit geschenkten Bäumen bei ihren Mitarbeitern oder Kunden bedanken wollen“, sagt Michael Risse. Andere Firmen wiederum nutzen Weihnachtsbäume als Marketing-Tool und geben im Weihnachtsbaumland Großbestellungen auf, um die Bäume als Incentives in ihre Werbekampagnen zu integrieren, etwa im Rahmen von PoS-Aktionen oder Social-Media-Gewinnspielen. „Wenn das Co-Branding-Geschichten mit spannenden Marken sind, kann das schon Spaß machen“, sagt Risse.
Die meisten Umsätze kommen aus dem B2B-Bereich
Mit 70 bis 80 Prozent stellt das B2B-Geschäft den Löwenanteil der Online-Verkäufe, so Mütherich. „Im B2B-Bereich läuft viel über Kaltakquise. Da schaut man erst einmal im engeren Umfeld und eigenen Netzwerk und telefoniert eben auch ein wenig herum“, sagt Michael Risse.
„Wir verkaufen mittlerweile jährlich eine mittlere vierstellige Zahl an Bäumen über das Internet“, sagt Mütherich. Umsatzzahlen will er nicht nennen. Der Anteil von Online an allen Verkäufen seiner Familie liege bei einem einstelligen Prozentsatz. Das ist nicht viel. Doch mit dem Shop kann sich die Familie zusätzliche Geschäftsfelder und Zielgruppen erschließen – das ist inkrementeller Umsatz.
Verdoppelung der Versandkosten hemmt das Wachstum
Größtes Wachstumshemmnis und Nadelöhr dürfte die Versandproblematik sein: „Wir hatten mit diesem Jahr mit den Versandkosten zu kämpfen. Große Pakete wie unsere sind bei den Versanddienstleistern nicht wirklich beliebt.“ Wegen Preiserhöhungen bei den Zustellern musste das Weihnachtsbaumland die Versandkosten von sechs auf zwölf Euro verdoppeln. „Das hat uns schon weh getan.“
Hinzu kommt, dass das Weihnachtsbaumland nur in einer Zeit geschäftlich aktiv ist, in der sowieso schon die meisten Pakete unterwegs sind. „Die Zuspitzung der Versandsituation in der Weihnachtszeit erschwert uns schon das Geschäft. Wir haben ja Kartons, die nicht mehr über Bänder laufen. Und von dem, was wir so hören, sind die Zustände in einigen Zwischenlagern nahe Großstädten kurz vor Weihnachten schon recht chaotisch“, sagt Risse.
Drei Wochen lang Telefondienst
In den letzten drei Wochen vor Weihnachten müssen Risse und Mütherich deswegen viele Kundentelefonate führen. „Wenn uns da eine 75-jährige Kundin anruft, die mit dem Versanddienstleister nicht zurechtkommt, dann kümmern wir uns natürlich darum, dass der Artikel umgeroutet wird.“ Dafür gehe immerhin die Retourenquote gegen null. „Wir sind ein Familienunternehmen mit Erfahrung, das Qualität liefert. Und bei den Kunden ist auch das Verständnis dafür da, dass wir ein Naturprodukt verschicken.“
Wer bei Google naheliegende Keywords eingibt, stößt auf mehrere weitere Online-Shops von Weihnachtsbäumen. Der ebenfalls im Sauerland ansässige Weihnachtsbaumversand.de will laut Handelsblatt 2017 150.000 Euro mit seinem Online-Shop generiert haben. In den vergangenen Wochen ist es beispielsweise dem Anbieter „Tim Tanne“ ganz gut gelungen, mit Facebook Werbung Aufmerksamkeit zu generieren. Hinter beiden Firmen stehen nach eigener Darstellung Baumschulen mit mehrjähriger Tradition. „Hinter den Kulissen kennen sich die meisten Baumschulenbetreiber, das ist ein bisschen wie im Brauereiwesen“, sagt Michael Risse.
„Viel Bewegung im Markt“
„Die Anzahl der Online Shops hat sich zuletzt wegen des Preisanstiegs im Versandbereich eher dezimiert“, sagt Stephan Mütherich. „Uns wurden schon Kartonagen angeboten von Mitbewerbern, die ihr Geschäft eingestellt haben.“ Gleichzeitig würden Discounter und Baumärkte in den Niedrigpreisbereich drängen. „Da ist aktuell schon viel Bewegung im Markt.“ Mütherich macht sich um das eigene Geschäft jedoch keine Sorgen: „Unser Vorteil ist ja, dass wir Top-Bäume aus eigener Aufzucht einfach nur online anbieten. Wenn diese nicht verkauft werden, bleiben sie ein Jahr länger stehen.“