Wie Viktoria Berlin zum spannendsten Fußball-Experiment Deutschlands wurde

Florian Rinke30.9.2022

Der Frauen-Club soll in die Bundesliga aufsteigen und einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit leisten

Verena Pausder, Douglas-Chefin Tina Müller, Stepstone-CFO Thorsten Otte und Viktoria-Berlin-Aufsichtsrätin Franziska van Almsick bei der Präsentation der neuen Trikots. Foto: Viktoria Berlin/Michael Neuhaus
Viktoria-Berlin-Investorin Verena Pausder, Douglas-Chefin Tina Müller, Stepstone-CFO Thorsten Otte und Viktoria-Berlin-Aufsichtsrätin Franziska van Almsick bei der Präsentation der neuen Trikots. Foto: Viktoria Berlin/Michael Neuhaus
Inhalt
  1. Ziel: Mehr Geschlechter-Gerechtigkeit im Fußball
  2. Stepstone und Douglas sponsern Viktoria Berlin
  3. Der Angel City FC als Vorbild
  4. Viktoria Berlin als Netflix-Doku?
  5. Kommt bald das Viktoria-Duschgel von Douglas?
  6. Viktoria Berlin hat fast 16.000 Follower bei Instagram

Stepstone und Douglas sind Milliarden-Unternehmen. Nun sponsern sie einen Frauen-Fußballverein aus der dritten Liga ohne Fernsehpräsenz. Denn Viktoria Berlin soll eine Marke mit deutschlandweiter Strahlkraft werden. Das ist das Ziel der Unterstützerinnen, zu denen neben Unternehmerinnen wie Verena Pausder auch Stars wie Franziska van Almsick oder Carolin Kebekus gehören. Ein berühmtes Vorbild aus den USA zeigt, wie es geht.

In dieser Geschichte geht es eigentlich primär um Frauen, dennoch soll sie mit der Nachricht von einem Mann beginnen – von Sebastian Dettmers. Der Stepstone-CEO ist mit Werder Bremen aufgewachsen, als Kind steht er Anfang der 1990er Jahre bei Meisterfeiern mit der Mannschaft sogar auf dem Rathausbalkon. Doch jetzt liest Dettmers eine Geschichte über Viktoria Berlin auf Linkedin, ist begeistert und schickt Verena Pausder eine Nachricht. Sie ist eine der Organisatorinnen des Projekts und sieht auf ihrem Display ein Bild, das Dettmers ihr geschickt hat. Darauf zu sehen: das Trikot des Fußballclubs mit einem Stepstone-Logo auf der Brust.

Damals war es nur ein Fotomontage, inzwischen ist es Realität. Die größte Stellenbörse Deutschlands ist Trikotsponsor einer Frauenfußball-Mannschaft aus der Regionalliga. Knapp eine Million Euro, zusammengesetzt aus barem Geld und medialer Reichweite, investiert Stepstone nach eigenen Angaben in den nächsten zwei Jahren in eine Mannschaft, deren Spiele zuletzt weder im Fernsehen liefen noch live großes Interesse weckten. Noch vor wenigen Monaten kamen zu Spielen kaum mehr als 100 Zuschauer*innen – und natürlich fragt man sich da: Was soll das?

Ziel: Mehr Geschlechter-Gerechtigkeit im Fußball

Viktoria Berlin ist aktuell wohl das spannendste Projekt im deutschen Fußball. Im Juli haben sechs Gründerinnen um die Unternehmerin Verena Pausder und die frühere Fußball-Weltmeisterin Ariane Hingst den Berliner Club übernommen. Inzwischen gibt es insgesamt 87 Unterstützer:innen, die insgesamt rund eine Million Euro in den Club investiert haben – darunter Promis wie Comedian Carolin Kebeku, Ex-Schwimmerin Franziska van Almsick oder Moderatorin Dunya Halali sowie Gründerinnen wie Anna Alex und Lea-Sophie Cramer.

Ihr Ziel: Den Verein innerhalb von fünf Jahren in die erste Liga führen und auf dem Weg dahin dafür sorgen, dass Frauenfußball mehr Sichtbarkeit bekommt und sich die Bedingungen für Sportlerinnern verbessern. Denn aktuell gibt es wohl kaum einen Bereich, in dem beispielsweise die Gehälter von Frauen und Männern so stark auseinanderklaffen. Während viele Fußballer Millionen verdienen und sogar in der dritten Liga im Schnitt noch mehr als 100.000 Euro pro Jahr verdienen, müssen Frauen oft schon während ihrer Bundesliga-Karriere nebenbei arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Stepstone und Douglas sponsern Viktoria Berlin

„Für mich war sofort klar: Das wird etwas Großes und passt perfekt zu unserem Engagement für mehr Chancengleichheit im Sport und Beruf“, sagt Sebastian Dettmers: „Und bei so einer Reise muss man am Anfang dabei sein.“ Ein klassisches Sponsoring ist die Trikotwerbung für Stepstone nicht – dennoch war Dettmers natürlich klar, dass dieses Projekt allein aufgrund der prominenten Unterstützer*innen eine große Reichweite bekommen würde.

Ähnlich hat auch Tina Müller gedacht. Denn auch die Chefin der Parfümeriekette Douglas signalisierte schon früh: Da wollen wir dabei sein. Douglas ziert inzwischen als Sponsor den Ärmel der Viktoria-Trikots, das Münchner Startup Finn ist als Mobilitätspartner eingestiegen und stellt den Fußballerinnen Fahrzeuge zur Verfügung. Der Einsatz lohnt sich schon jetzt. Allein die Bekanntgabe der Sponsoren hatte laut Douglas einen Mediawert von rund 100 Millionen Euro. Angelegt ist die Partnerschaft, wie bei Stepstone, auf zwei Jahre. Zur investierten Summe wollte das Düsseldorfer Unternehmen auf Anfrage keine Angaben machen. Doch der Betrag dürfte gut investiert sein, wenn sich Viktoria Berlin ähnlich entwickelt wie ein anderes Projekt aus den USA. Denn im Grunde ist die Idee eines von prominenten Frauen getragenen Fußball-Clubs eine Adaption. Oder um es in der Sprache der Berliner Gründerszene zu sagen, die für derlei Nachahmungen früher berühmt berüchtigt war: eine Copy Cat.

Der Angel City FC als Vorbild

Vorbild ist nämlich der 2020 von mehreren prominenten Frauen gegründete Angel City FC. Ins Leben gerufen wurde der Club aus Los Angeles von Schauspielerin Natalie Portmann, die inzwischen eine ganze Reihe bekannter Miteigentümerinnen um sich schart – von Schauspielerin Eva Longoria über Sängerin Christina Aguilera bis hin zu Ski-Star Lindsey Vonn. Die Gründung des Clubs sorgte für große Aufmerksamkeit. Inzwischen spielt das Frauen-Team in der höchsten amerikanischen Liga, der NWSL und konnte sogar internationale Top-Spielerinnen wie die deutsche Nationaltorhüterin Almuth Schult verpflichten.

Die prominenten Eigentümerinnen und die ungewöhnliche Gründungsgeschichte sorgen schon jetzt dafür, dass sich auch prominente Sponsoren für die junge Marke interessieren. Allerdings müssen sich diese verpflichten, zehn Prozent der vorgesehenen Summe in lokale soziale Projekte zu investieren. Ausgerüstet wird der Club vom Weltkonzern Nike, auf den Trikots wirbt der Lieferdienst Doordash und gespielt wird im Banc-of-California-Stadion, dass sich der ACFC mit einem Männer-Club teilt. Mit mehr als 15.000 verkauften Dauerkarten hat das Damen-Team bereits zwei Jahre nach der Gründung mehr Zuschauer als der Rest der Liga im Schnitt (und auch einige Herren-Teams aus der Major League Soccer). Es gibt sogar mehrere Fanclubs.

Viktoria Berlin als Netflix-Doku?

Das sind Meilensteine, die auch Verena Pausder mit Viktoria Berlin erreichen möchte – nach und nach. Denn anders als das US-Vorbild, muss Viktoria Berlin zweimal aufsteigen, um in der ersten Liga zu spielen. Die amerikanischen Angels konnten sich hingegen dank des US-Franchise-Systems ohne Auf- und Abstiege einfach in die höchste Spielklasse einkaufen. Doch viele Effekte, die es in den USA gab, lassen sich auch hier schon beobachten: Kamen früher im Schnitt nicht mal 100 Zuschauer*innen zu den Spielen, sind es laut Verena Pausder jetzt schon 1.400. Und irgendwann sollen es 3.500 sein, was dem aktuellen Schnitt der Frauen-Fußball-Bundesliga von 3.937 schon ziemlich nah kommt. Verena Pausder sagt jedenfalls selbstbewusst: „Wenn wir in die zweite Liga aufsteigen, brauchen wir ein anderes Stadion.“ Trivial werde das allerdings nicht.

Und auch bei der medialen Aufbereitung soll der Club neue Wege gehen. Alle Spiele der Fußball-Bundesliga der Frauen werden aktuell vom Telekom-Streamingdienst Magenta Sport gezeigt. Die ARD zeigt in der „Sportschau“ immerhin Zusammenfassungen und einzelne Live-Partien. Die dritte Liga der Frauen findet allerdings bislang nirgendwo statt. Verena Pausder sagt daher: „Wir setzen auf digitale Formate. Wir wollen zum Beispiel die Spiele mit eigenen Kameras filmen und dann live streamen.“ Generell wolle man sehr viel Bewegtbild-Content produzieren. „Wir dokumentieren die ganze Entwicklung gerade auch schon, um die Geschichte vielleicht mal irgendwann an einen Streamingdienst zu verkaufen“, sagt Verena Pausder.

Kommt bald das Viktoria-Duschgel von Douglas?

Über den FC Barcelona heißt es, er sei „Més que un club“, mehr als ein Verein. Und langfristig soll man das wohl auch über Viktoria Berlin sagen. Denn das Team um Verena Pausder will den Verein von Anfang an als Marke aufbauen, die anders funktioniert als viele deutsche Herrenteams. „Wir wollen, dass unsere Tickets günstig bleiben und der VIP-Bereich eher für die Kinderbetreuung genutzt wird. Unsere Zielgruppe sind auch ganz bewusst Familien“, sagt Verena Pausder: „Wir wollen zeigen, dass Fußball am Wochenende nicht nur aus betrunkenen grölenden Leuten besteht.“ Sebastian Dettmers erzählt, dass er schon jetzt viele Anfragen nach Trikots bekommen habe – unter anderem von Vätern, die sie ihren Töchtern schenken wollten.

Verena Pausder sagt, dass man beim Merchandising noch viel vor habe. Hoodies und andere Produkte sind bereits jetzt so gestaltet, dass sie eher nach Lifestyle-Produkt als nach Stadion-Kluft aussehen. Und bei Douglas will man auch nicht ausschließen, dass es irgendwann Viktoria-Berlin-Produkte geben wird. Schon jetzt arbeitet das Unternehmen mit Influencerinnen zusammen und entwickelt mit ihnen gemeinsam Pflegeprodukte. Kommt also irgendwann das Viktoria-Duschgel? „Das kann eine Idee sein, die wir in Augenschein nehmen“, sagt ein Sprecher auf Anfrage.

Viktoria Berlin hat fast 16.000 Follower bei Instagram

Entscheidend dürfte dabei auch sein, wie sich das Interesse an Viktoria Berlin in den nächsten Monaten entwickelt. Aktuell hat der Club bei Instagram knapp 16.000 Follower. Doch allein die enormen Reichweiten der Investor*innen dürften dauerhaft für viel Aufmerksamkeit sorgen. Lea-Sophie Cramer und Verena Pausder zählen zu den reichweitenstärksten Unternehmerinnen in Deutschland, auch Choreografin Nikeata Thompson (171.000 Follower bei Instagram) oder Carolin Kebekus (555.000 Follower) erreichen mit ihren Posts sehr schnell große Zielgruppen.

Und dann kommt es natürlich auf den sportlichen Erfolg an, darauf, ob dem Verein wirklich die Aufstiege gelingen. Denn Fußball, diese Phrase gilt bei Männern wie bei Frauen, ist am Ende immer auch ein Ergebnissport. Wobei: Da ist Viktoria auf einem guten Weg, allein in den vergangenen drei Spielen gab es drei Siege und 28:0 Tore. Sebastian Dettmers hat sich vorgenommen, demnächst mal selbst bei einem Spiel zuzuschauen. Vorher muss allerdings noch eine kleine Hürde gemeistert werden: „Unser Sponsoring wurde so schnell gestrickt, dass wir nicht mal Kartenkontingente hinein verhandelt haben. Aber das ist kein Problem, das nächste Ticket werde ich mir einfach selbst holen.“

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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