Besser als Aktien: So machen Reseller Millionen mit weiterverkauften Schuhen

Martin Gardt8.7.2016

Wie Mega-Brands und künstliche Verknappung Menschen bewegen können

Sneaker-Reseller
Sneaker-Reseller
Inhalt
  1. Das riesige Business der Sneaker-Reseller
  2. Die schmutzigen Reseller-Tricks
  3. Die Brands spielen mit – durch Nichtstun
  4. Die eigene Reseller-Ökonomie entsteht

Eine Milliarde US-Dollar Umsatz sollen Sneaker-Reseller allein 2015 gemacht haben. Der Schattenmarkt im Internet ist riesig und die großen Brands schauen zu. Wir zeigen, wie ein Typ mit weiterverkauften Schuhen Millionenumsätze macht, mit welchen technischen Tricks er auch seltenste Sneaker in die Hände bekommt und warum dabei klassische Online-Marketing-Modelle zum Einsatz kommen.

Arbitrage-Geschäfte sind der Nährboden, auf dem viele Online-Marketing-Disziplinen entstanden und groß geworden sind. Eine Partei akquiriert günstig Traffic, beispielsweise über Suchmaschinenoptimierung, und kann diesen teurer weiter verkaufen, weil er beispielsweise durch den jeweiligen Suchbegriff vorqualifiziert ist. In den vergangenen Jahren hat das Zusammenfallen mehrerer Phänomene zum Aufstieg eines neuen Arbitrage-Modells geführt: dem Sneaker-Reselling. Durch den Aufstieg des E-Commerce sind viele Waren für jeden Verbraucher zumindest theoretisch allzeit verfügbar geworden. Für Markenartikler, deren Produkte von Exklusivität und Begehrlichkeit leben, ist diese Entwicklung riskant. Immer häufiger verkaufen sie deswegen Modelle in begrenzten Stückzahlen und einem begrenzten Zeitfenster.

Und hier kommen Reseller ins Spiel, die ebenfalls Arbitrageure sind. Sie kaufen ein Produkt, um es nach kurzer Zeit für einen höheren Preis zu verkaufen. Nur kaufen sie keinen Traffic ein, um ihn teuer zu vermarkten, sondern Schuhe, um sie teuer weiter zu verkaufen. Erfolgreiche Reseller besorgen limitierte Sneaker direkt über Online-Shops der großen Händler und nutzen dann verschiedenste Online-Kanäle für ihr Business. Einer der größten Reseller der Welt machte allein 2015 über drei Millionen US-Dollar Umsatz mit seltenen Schuhen.

Das riesige Business der Sneaker-Reseller

„Ich habe meinen Job verloren, und um eine neue Einkommensquelle zu erschließen, habe ich meine Sneaker-Sammlung verkauft“, erzählt der wohl weltweit erfolgreichste Reseller Derek Lew bei Highsnobiety. Mittlerweile hat er unter seiner Brand Sole Supremacy eine eigene Webseite und einen Store aufgebaut. Doch den Großteil seines Umsatzes machte er von Anfang an über eine andere Plattform: „In den ersten beiden Jahren liefen 80 bis 90 Prozent der Verkäufe über Ebay.“

Die absolute Goldgrube im Reseller-Business sind Nike-Schuhe – besonders Air Jordan’s (Basketballschuhe mit der ikonischen Silhouette der springenden Basketball-Legende Michael Jordan). Einige limitierte Editionen der Schuhe kosten etwa auf Ebay zwischen 3.000 und 20.000 US-Dollar – bei einem Einkaufspreis von 200 US-Dollar. Auch weniger stark limitierte Modelle können schon 1.000 US-Dollar einbringen. Adidas zieht in Sachen Hype mit der Kooperation mit US-Rapper Kanye West nach. Die Yeezy-Schuhe bringen beim Weiterverkauf über 1.200 US-Dollar.

Auch die Reseller gehen mit den aktuellen Trends und verstärkt andere Wege als Ebay. Viele verkaufen mittlerweile direkt über Instagram und in Facebook-Gruppen, um keine Gebühren zahlen zu müssen. Bei Instagram fotografieren Reseller etwa das Produkt und schreiben ihre E-Mail-Adresse oder Telefonnummer dazu. Der Verkauf läuft dann über den privaten Kontakt – bezahlt wird per Paypal. Bei Facebook wiederum gibt es mittlerweile eine Verkaufen-Option, mit der Reseller den Preis des Produkts deutlich im Post herausstellen können. Auch in Deutschland sind viele Facebook-Gruppen entstanden, in denen Sneaker-Fans jede Menge Schuhe kaufen können.

Die schmutzigen Reseller-Tricks

Aber wie kommen Reseller an seltene Schuhe? Für einen Adidas Yeezy campen Menschen eine Nacht vor den Stores und kämpfen um wenige Paare, im Netz war die letzte Ausführung nach wenigen Sekunden ausverkauft. Der Verdacht liegt nahe, dass viele Reseller auf sogenannte Sneaker-Bots zurückgreifen. Diese automatischen Kaufprogramme legen das Produkt in sekundenschnelle in den Warenkorb und bezahlen automatisch – in mehreren Shops gleichzeitig.

„Bots sind weiter verbreitet, als es viele aus der Branche wahrhaben wollen“, sagt Denis Falkenstein, Co-Gründer der Sneaker-Suchmaschine Everysize zu Online Marketing Rockstars. Programme wie der AIOBot kommen aus dem Libanon, andere wie Sneakerbots4all direkt aus den USA. Kaufen kann diese Programme jeder, die Anwendungen sind auch für „Normalo-Nutzer“ zu bedienen. Im Bot gibt der Nutzer seine Accountinformationen von Händlern wie Footlocker, Nike und Adidas ein. Einige bieten die Möglichkeit, dabei auch die Zahlungsinformationen anzugeben, die vom jeweiligen Shop unterstützt werden – um dann vollautomatisch den Kauf durchzuführen. Für die Shop-Betreiber ist es beim klassischen Warenkorb-Modell schwer, diese Programme auszuschalten. Sie setzen selbst Bots ein, um zu testen, ob der Shop einwandfrei funktioniert und einem Ansturm von Käufern stand halten kann. Sneaker-Bots sind Abwandlungen dieser Test-Programme und nutzen so eine Hintertür aus.

Einfache Bots, die Nutzer etwa als Chrome-Erweiterung einbinden, kosten um die 40 Euro. Der Nachteil: Bricht die Shop-Seite unter dem Ansturm der Nutzer auf limitierte Sneaker zusammen, kann auch das Programm keine Käufe abschließen. Etwas komplizierter zu bedienende, aber Browser-unabhängige Bots bringen den Entwicklern meist über 150 Euro. Diese bieten eine eigene Oberfläche und versuchen – auch wenn die Webseite abstürzt – solange den entsprechenden Schuh zu kaufen, bis ein oder mehrere Käufe zustande kommen oder der Nutzer abbricht.

Die Brands spielen mit – durch Nichtstun

Aus Sicht der Markenartikler hat der Kampf der Konsumenten um ihre Schuhe durchaus seine Vorteile. In einem Zeitalter, in dem durch den E-Commerce alle Artikel zumindest theoretisch für jeden rund um die Uhr verfügbar sind, gelingt es ihnen durch die künstliche Verknappung in Form limitierter Modelle weiterhin Begehrlichkeiten zu schaffen. Dass die Schuhe – auch wegen der Reseller – innerhalb von Sekundenschnelle ausverkauft sind, und dann zu einem weitaus teureren Preis weiterverkauft werden, dürfte der Markenbildung nicht abträglich sein – eher im Gegenteil. Adidas hat bisher noch nicht auf eine Anfrage von Online Marketing Rockstars zum Thema Bots reagiert.

Die Brands wissen von den Bots, die es für normale Nutzer fast unmöglich machen, limitierte oder begehrte Schuhe online zu bestellen. Die technischen Möglichkeiten, Bots auszusperren, sind zwar da, aber nur wenige sind im Einsatz. Nike und Adidas haben für ganz bestimmte Schuhe eigene Apps entwickelt. Hier können die Nutzer im Vorfeld des Verkaufsstarts ein Paar anfragen und bereits ihre Zahlungsinformationen angeben. Später werden die Käufer ausgelost – und dürfen 200-Euro-Schuhe kaufen.

Die eigene Reseller-Ökonomie entsteht

Solange hohe Preise für Sneaker auf dem Resell-Markt bezahlt werden, wird das System bestehen. Mittlerweile ist um das Reselling eine eigene kleine Sub-Ökonomie entstanden. Reseller bezahlen die Entwickler für die Bot-Programme, mittlerweile wird der Schuhkauf an sich sogar als Dienstleistung angeboten. So ersparen sich viele die Lieferung zuerst an die eigene Adresse. Und auch offline ist ein Dienstleistungsgeschäft entstanden. Vor den Geschäften campen oft bezahlte „Ansteher“, die für einen Reseller das aktuelle Topmodell besorgen.

Resell-Preise

Aktuelle Resell-Preise von Air Jordans (Quelle: StockX)

Und es gibt sogar eine Art Online-Aktienmarkt für Sneaker. StockX analysiert, für wie viel Geld verschiedene Modelle derzeit auf dem Resell-Markt gehandelt werden. Insgesamt sind über 24.000 Schuhe gelistet. Schon vor dem Verkaufsstarts bestimmter Schuhe können sich Reseller einen Eindruck davon machen, wie hoch der Wiederverkaufswert ist und ob sie ihren Bot auf die Jagd schicken sollten.

Sneaker
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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