Diese Jungs haben aus einem Reizdarm-Blog eines der größten Health-Tech-Startups gebaut

Martin Gardt8.3.2019

Dank cleverer SEO-Strategie schieben die Cara-Gründer Millionen Leser von ihrer Nischenseite zu ihrer App

Gründer Cara
Die Cara-Gründer André Sommer, Dankrad Feist, Orest Tarasiuk und Jesaja Brinkmann (v.l.)

Wie erreicht eine App für die Lösung von Darmproblemen Millionen Nutzer? Die Gründer von „Cara“ aus Berlin haben einfach erstmal einen Nischen-Blog zum Thema Reizdarm gegründet – und erreichen über den Millionen Leser jeden Monat. Wie sie die in ihre App ziehen und die Strategie auch in den USA erfolgreich anwenden, hat einer der Gründer OMR erzählt.

„Wir wollten einen positiven Impact auf das Leben der Menschen haben. Das kann man im Krankenhaus oft nicht“, sagt Cara-Gründer Jesaja Brinkmann zu OMR. Mit „wir“ meint der studierte Mediziner den anderen Gründer mit medizinischem Background André Sommer. Gemeinsam mit ihm und den beiden Techies Dankrad Feist und Orest Tarasiuk gründet er die HiDoc Technologies GmbH, das Unternehmen hinter Cara, 2015 in Berlin. Auf der Suche nach einem Thema für ihr Health-Startup stoßen die Gründer schnell auf ein wenig besetztes Gebiet: „In Sachen Digital Health gab es einfach nicht viele, die sich mit dem Thema Verdauungsgesundheit beschäftigt haben“, so Brinkmann. Relativ schnell stand die Idee, eine App zu liefern, die Betroffenen helfen kann – aber wie Nutzer für so ein Nischenthema finden?

1,5 Millionen Leser im Monat

Die Gründer beschließen, mit dem Projekt Reizdarm.one zu starten. Eine Webseite ausschließlich zum namensgebenden Thema. „Wir hatten von Beginn an den Plan, mit dem Blog organische Reichweite aufzubauen und dann ein Projekt draufzusetzen“, sagt Jesaja Brinkmann. „Am Anfang haben wir alle Blogposts selbst geschrieben. Da hat die Konzentration auf das Reizdarm-Syndrom geholfen.“ Er und Mitgründer André schauen sehr genau, welche Keywords sie besetzen müssen, um bei Google gut zu ranken, wenn Betroffene nach Symptomen und Lösungen suchen. „Wir sind dann recht schnell zur größten Darmerkrankungsseite Deutschlands aufgestiegen und haben etwa 1,5 Millionen Besucher pro Monat erreicht“, sagt Brinkmann.

Laut dem Analyse-Tool Similar Web hat Reizdarm.one im Januar 2019 1,3 Millionen Visits verzeichnet. In den vergangenen zwei Jahren ist der Traffic demnach kontinuierlich gestiegen. Fast 90 Prozent des Traffics stammen laut dem Tool aus der organischen Suche, die restlichen zehn Prozent der Nutzer landen direkt auf Reizdarm.one. Wieso die Nischenseite so erfolgreich ist, zeigt ein Blick in ein weiteres Tool. Laut Sistrix rangiert die Seite für über 30.000 Suchbegriffe unter den Top-10 der Suchergebnisse. Bei umkämpften Keywords wie Pantoprazol (ein rezeptfreies Medikament zum Magenschutz), Magenspiegelung oder Flohsamenschalen (Hausmittel gegen Reizdarm) rankt Reizdarm.one auf Platz 1. Dazu habe laut Brinkmann von Anfang an der inhaltlich tiefe Ratgeber-Content beigetragen. SEA-Kampagnen schalte das Team gar nicht, weil diese nur die schon guten Rankings kannibalisieren würden.

Sichtbarkeit Cara

Der Sichtbarkeits-Index von reizdarm.one (Quelle: Sistrix)

Die gute Platzierung habe die Seite der ausdauernden Arbeit des Content-Teams zu verdanken, das zu Beginn ja nur aus den beiden Medizinern besteht. Brinkmann habe schon während des Studiums SEO-Erfahrung gesammelt: Die Artikel sind schon zum Start sehr ausführlich, beschäftigen sich erklärend mit meist einem Keyword zum Thema und weisen viele interne Verlinkungen zu anderen Artikeln auf reizdarm.one auf. Die entsprechenden Keywords habe das Team recherchiert und aus dem eigenen medizinischen Vorwissen abgeleitet.

Organische Downloads erzeugen

Mittlerweile würden im Team zwei Kollegen an der Content-Erstellung arbeiten, hinzu kämen Freelancer und Studenten. Co-Gründer André Sommer schreibt – wie durch einen Blick auf die Webseite schnell klar wird – aber auch immer noch viele Artikel selbst. Die durch den Content erzielte Reichweite schieben die Gründer mittlerweile offensiv auf ihr eigentliches Produkt: die Cara-App. „Downloads der App generieren wir vor allem organisch über die Reichweite unserer Website und Appstore Optimierung“, sagt Brinkmann. In den Beiträgen auf der Reizdarm-Seite ist immer wieder der Hinweis auf die Ernährungstherapie eingebettet, der dann direkt zum Onboarding in die App oder Desktop-Anwendung führt.

Hier werden die Nutzer Schritt für Schritt nach ihren Beschwerden befragt und legen zum Schluss einen Login an. Die App dient in der kostenfreien Variante als Symptom-Tagebuch. Nutzer tracken hier, was sie essen, wie sie sich fühlen und wie ihr Stuhlgang aussieht. Auf Grundlage dessen sollen später Ärzte oder Ernährungsexperten in der Premium-Version der App die richtige Behandlung finden.

Traffic Reizdarm.one

Die Traffic-Entwicklung von reizdarm.one (Quelle: Similar Web)

Laut dem Analyse-Tool Priori Data wurde die iOS-App von Care weltweit bisher über 380.000 Mal heruntergeladen. Davon kommt der Großteil gar nicht aus Deutschland. „50 Prozent unserer organischen Downloads kommen schon jetzt aus den USA“, so Brinkmann. Die große Nachfrage könne sich das Team nicht komplett erklären, sie stammt demnach fast komplett aus Apples App Store. In acht Ländern, darunter USA, Kanada und Großbritannien, sei die App im Store des Öfteren in den Empfehlungen („Neue Apps, die wir lieben“ oder „Angesagt diese Woche“) gelandet – offenbar ein gewichtiger Grund dafür, dass diese Länder neben Deutschland den Großteil der App-Downloads ausmachen.

Word of Mouth durch die Branche (und Facebook)

Ein weiterer Kanal, der zumindest eine gewisse Relevanz für Cara habe, seien Facebook-Gruppen. Viele Menschen mit Magen- und Darm-Problemen würden nur ungern öffentlich darüber sprechen. Und wenn, dann geschützt in einer Gruppe aus Menschen mit ähnlichen Symptomen. „Auf Facebook gibt es eine riesige Selbsthilfe-Community für Patienten und da sind wir in vielen Gruppen präsent. Unsere eigene Facebook-Gruppe ist aber noch klein“, sagt Brinkmann. Immer wieder poste das Team in solchen Gruppen Hinweise auf die Therapie-App. Die größte deutsche Facebook-Gruppe zu diesem Thema hat knapp 7.500 Mitglieder, die Gruppe von Cara kommt erst auf 295. Hier erreiche das Unternehmen aber sehr genau die eigene Zielgruppe.

Das eigentliche Geschäftsmodell für Cara geht nämlich noch über das Tracking der Nutzergewohnheiten hinaus. In einem Premium-Modell liefert Cara eine Ernährungstherapie, die individuell auf den Patienten ausgerichtet und von Ernährungsexperten begleitet wird – auch per Videochat. Laut Gründer Brinkmann arbeiten derzeit 20 Ernährungsberater für Cara, diese sind zum Teil fest angestellt. Der Vorteil für das Unternehmen beim Paid-Modell: Es wird von den Krankenkassen bezuschusst: „Die meisten Krankenkassen unterstützen unsere Therapie. Zwei Drittel unserer Umsätze kommen von den Krankenkassen“, so Brinkmann.

Durch die Zusammenarbeit mit den Kassen und auch mit Ärzten entstehe ein weiterer Marketing-Effekt: „Word of Mouth ist extrem wichtig für uns und das klappt vor allem, weil viele Patienten zum Arzt gehen und ihm von den Erfolgen mit Cara erzählen. Deshalb kommen wiederum viele Ärzte auf uns zu und bieten das dann ihren Patienten an“, sagt der Gründer. Auf lange Sicht wolle das Unternehmen zur Standard-Therapie für Verdauungskrankheiten werden. Deshalb habe das Team bisher 1,8 Millionen Euro Investitionen eingesammelt und plane jetzt den Schritt mit einer eigenen Abteilung in die USA.

NischenseiteSEO
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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