Boom der „exklusiven Presales“: Was steckt hinter dem neuesten Black Friday Growth Hack?

Immer mehr renommierte Marken und DTC-Startups führen Vorab-Aktionen durch

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Inhalt
  1. Potenzielle Vorteile? Höhere Aufmerksamkeit, geringere Kosten
  2. Mit First Party Data unabhängiger werden
  3. „Teilweise weniger als einen Euro pro Lead“
  4. „Das ist immer der profitabelste Tag“
  5. „Haben keine Auswirkungen auf unsere Google-Sichtbarkeit bemerkt“
  6. Wie lange funktioniert das noch?

Es droht der „perfekte Sturm“ für den Handel: Die Lager sind voll, gleichzeitig sinkt die Konsumlaune. Viele Unternehmen ringen zusätzlich damit, dass Apples Tracking-Einschränkungen ihr Digitalmarketing erschweren. Um beim diesjährigen Black Friday und Cyber Monday – dem womöglich letzten großen Konsumrausch auf absehbare Zeit – noch ein relevantes Stück vom milliardenschweren Kuchen abzukommen, setzen deswegen viele E-Commerce-Betreiber*innen auf einen Trick: exklusive Vorabverkäufe, für die einige ihre Shops erstaunlicherweise für die „Laufkundschaft“ sogar komplett schließen. OMR hat mit Insidern über den Trend gesprochen und erklärt die Hintergründe.

Adidas, The North Face, Calvin Klein – es sind einige der bekanntesten und wertvollsten Marken der Welt, die in diesem Jahr im Vorfeld des Black Friday einen so genannten Presale durchführen. Das Versprechen gegenüber den Kund*innen ist dabei so simpel wie verlockend: „Du kannst noch vor allen anderen bei uns im Shop zu Black-Friday-Preisen einkaufen – wenn Du uns Deine E-Mail-Adresse oder Handynummer gibst.“ Einige der Unternehmen, die Presales durchführen, verteilen an die angemeldeten Teilnehmer*innen per E-Mail oder SMS exklusive Rabattcodes. Andere schließen ihren Shop während des Presales für reguläre Besucher*innen sogar komplett, so dass dieser weder über die Startseite, noch über Google betretbar ist. Nur diejenigen, die sich vorab angemeldet haben, können mittels Passwort in den Shopping-Bereich vordringen.

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Eine Sammlung von Screenshots mehrerer Instagram Ads, mit denen Black Friday Presales beworben werden (zur Verfügung gestellt von Jan Stranghöner)

Potenzielle Vorteile? Höhere Aufmerksamkeit, geringere Kosten

„Solche Presales gab es in den Vorjahren auch schon, aber in diesem Jahr hat die Zahl noch einmal extrem zugenommen. Zeitweise habe ich in der Ads Library mehr als 1.000 Anzeigen und Advertiser gefunden, die auf diese Strategie setzen“, sagt Jan Stranghöner von der Agentur Nerds. In seinen Social Feeds habe er sogar eine Anzeige für den Presale eines Online-Shops gesehen, der Pergolas verkauft. „Die kauft man ja nun in der Regel nicht mehrfach.“ Auch Stranghöner führt für zwei seiner Kunden, darunter die Hamburger Modemarke Recolution, solche Aktionen durch. „Die haben das bei ihren Mitbewerber*innen gesehen.“

Jan Stranghöner

Jan Stranghöner

Hinter den Presales stehen mehrere Grundannahmen, wie Stranghöner erklärt: „Zum einen kommt man weniger in diesen Black Friday Peak hinein.“ Zwar ist am Shopping-Freitag das Interesse der Konsument*innen an Schnäppchen extrem groß – der Wettbewerb um diese Aufmerksamkeit aber auch. Der zweite Aspekt sind potenziell niedrigere Werbekosten. „Die Bewerbung der Presales findet mittels Lead-Kampagnen statt, bei denen wir über ein Formular in der Anzeige selbst oder auf einer Landingpage Kontaktdaten einsammeln.“ Die Hoffnung ist, dass diese Lead-Formate sich als günstiger als reguläre Produkt-Ads erweisen. „Aktuell sind wir da bei Recolution bei Lead-Preisen zwischen 1.50 und drei Euro. Zuletzt hatten unsere Kundenakquisitionskosten bei 30 bis 40 Euro gelegen. Marketing im Fashion-Bereich ist einfach sehr teuer geworden.“

Mit First Party Data unabhängiger werden

Der dritte Grund für die Presales: „Durch iOS14 und Apples App Tracking Transparency [hier mehr Informationen dazu, Anm. v. OMR] haben wir sehr viele Signale verloren und dadurch beispielsweise viel weniger Möglichkeiten, Retargeting zu betreiben – vor allem auf den Plattformen von Meta“, so Stranghöner. „Mit Presales und Lead Ads können wir jetzt First Party Data [im Gegensatz zu Third Party Data, also beispielsweise von Werbeplattformen zur Verfügung gestellte Daten, Anm. v. OMR] einsammeln und damit unabhängiger von den Plattformen werden. Das ist eine strategische Verschiebung weg vom Abverkauf hin zum Audience Building.“

Nun müsse sich noch zeigen, ob die auf diese Weise gewonnen Kund*innen genauso gut zu Käufer*innen konvertiert werden können. „Das ist auch ein bisschen eine Wette auf den Customer Lifetime Value“, so Stranghöner. „Also die Hoffnung, dass diese Menschen nicht nur die Rabatte mitnehmen, sondern später noch weitere Käufe tätigen, wenn ich sie weiterhin über E-Mail oder Whatsapp ‚bespiele‘.“

„Teilweise weniger als einen Euro pro Lead“

Jakob Strehlow

Jakob Strehlow

Auch Marketingberater Jakob Strehlow setzt nach eigenen Angaben schon seit einigen Jahren Presales für seine Kunden um, etwa für die Kosmetikmarken L’Occitane und Elemis – immer vor großen Shopping-Event-Tagen wie Black Friday. „Wir müssen die Menschen dann nicht an diesen sehr umkämpften Tagen in den sozialen Medien erreichen, wo es eh eine extreme Reizüberflutung gibt und der Tausenderkontaktpreis in die Höhe schießt“, so Strehlow. Stattdessen hätten er und seine Kunden die Presales mit Vorab-Lead-Kampagnen beworben, teilweise mit einem fünfstelligen Budget. „Das hat sehr gut funktioniert, gerade weil wir dann drei, vier, fünf Mails an die Leute rausgeschickt haben, je nachdem, ob sie reagiert haben oder nicht. Und damit haben wir einen sehr positiven Return-on-Invest generiert. Unsere Lead-Preise lagen da im Kosmetikbereich bei drei Euro, im Food-Bereich teilweise sogar bei unter einem Euro.“

Florian Litterst

Florian Litterst

Die Offenburger Agentur Adsventure hatte mit klassischen Lead-Generierungs-Kampagnen auf sozialen Plattformen in den vergangenen Jahren weniger gute Erfahrungen gemacht: „Das ging von den Zahlen her nie so richtig auf, wenn man sich anschaute, was man für einen Lead bezahlt hat, und wie viele von denen dann die Mails geöffnet und etwas gekauft haben“, so Gründer Florian Litterst. Doch in Verbindung mit Vorab-Presales sehe das anders aus. „Die kriegen tatsächlich extrem starke Klickraten, weil sie einfach die ‚Fear of missing out‘ triggern. Und sie konvertieren auch sehr gut.“

„Das ist immer der profitabelste Tag“

Die Mannheimer Basics-Marke Snocks (Socken und Boxershorts) führt seit dem Jahr 2021 mehrfach im Jahr Presales durch: einen Spring oder Easter Sale, einen zum eigenen Geburtstag im August, dann zum Singles Day am 11.11. und letztendlich zum Black Friday. Das Unternehmen schließt dafür immer einen Tag vor dem jeweiligen Event den Shop komplett ab, so dass er nur noch per Passwort zugänglich ist.

Zutritt nur mit Passwort: Mit dieser Startseite begrüßt Snocks.com seine Besucher*innen einen Tag vor dem Black Friday

„Swag Friday Sale“: Mit dieser Startseite begrüßt Snocks.com seine Besucher*innen einen Tag vor dem Black Friday (Screenshot)

„Im vergangenen Jahr hat der Anteil des Presales am Singles Day bei uns bei 16 Prozent gelegen, in diesem Jahr waren es 30 Prozent. Ich gehe davon aus, dass es beim Black Friday 40 bis 45 Prozent sein werden“, so Sales-Chef Jannik Taser gegenüber OMR. „Wir machen aus zwei Gründen Presales: Profitabilität und Kundenbindung.“ Im Hinblick auf letztere wolle Snocks vor allem Bestandskund*innen einen exklusiven Mehrwert bieten. Der Presale werde zwar auch mit Lead Ads beworben. „Aber da ist das Budget verglichen mit dem, was wir sonst so ausgeben, verschwindend gering. Trotzdem ist das natürlich eine günstige Gelegenheit, seine E-Mail- und Whatsapp-Liste auszubauen.“ Und der Presale ist hinsichtlich Kosten und Ertrag deutlich besser kalkulierbar: „Wenn man weiß, dass die E-Mail-Liste 20.000 Empfänger*innen hat und wie gut die performt, dann kann man sich die Zahl der Bestellungen in etwa ausrechnen. Das ist bei Facebook Ads deutlich schwieriger.“

„Haben keine Auswirkungen auf unsere Google-Sichtbarkeit bemerkt“

Jannik Taser

Jannik Taser

Das vermutlich noch gewichtigere Argument: Der Presale sei immer der profitabelste Tag, so Taser, denn am eigentlich Event-Tag seien die Werbekosten viel höher: „Da muss man viel mehr investieren, um die Leute in den Shop zu ziehen. Am Black Friday liegt der Anteil von Performance am Umsatz bei etwa 80 Prozent.“ Ein positiver Nebeneffekt sei zudem, dass die Verteilung der Bestellungen auf mehrere Tage die Logistik vor weniger Herausforderungen stellt. „Dadurch, dass nicht alleine am Freitag 60.000 Bestellungen reinkommen, sondern am Donnerstag 20.000 und am Freitag 40.000, entschlacken wir das ein wenig.“

Negative SEO-Effekte durch den abgeschlossenen Shop (Besucher*innen, die versuchen, über Google Produkt-Detail-Seiten zu besuchen, werden auf die Startseite mit dem Aufruf zur Passworteingabe weitergeleitet) hat Taser bis jetzt nach eigenen Angaben nicht beobachten können: „Das ist so ein geringes Zeitfenster, dass da bei uns noch nie ein negativer Einfluss erkennbar war.“

Wie lange funktioniert das noch?

Ein anderes Risiko dürfte dafür deutlich größer sein: „Wenn jetzt ganz viele Presales machen, dann bekommen alle wieder sehr viele Mails – und man geht möglicherweise wieder so unter wie mittlerweile am Black Friday selbst“, sagt Jan Stranghöner. Jakob Strehlow beobachtet bereits in diesem Jahr eine gewisse Müdigkeit bei den Verbraucher*innen: „Die Leute haben dann irgendwann keinen Bock mehr, sich bei zehn bis 20 Marken einzutragen. Man kann dann zwar versuchen, vor allen anderen in die Kommunikation zu gehen. Dann steigt aber die Gefahr, dass die Leute sich gar nicht mehr daran erinnern können, dass sie sich eingetragen haben und dementsprechend nicht mehr reagieren.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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