Das Payola-Geschäft mit Playlists: So tricksen unbekannte Artists Spotify und Apple aus

Torben Lux13.4.2018

Millionen von Aufrufen dank Pay-to-Play-Dienstleistern?

Playlist Payola Spotify Apple Music
Playlist Payola Spotify Apple Music
Inhalt
  1. Playlist-Marketing als wichtigster Hebel in der Musik-Industrie?
  2. Spotify geht hart gegen Pay-to-Play-Services vor
  3. Playlist-Platzierungen zu kaufen scheint möglich zu sein
  4. Das Phänomen Payola ist nicht erst seit heute bekannt
  5. Mit Spotlister vergleichbare Dienste sind immer noch aktiv
  6. Die Hip-Hop-Playlists von Spotify und Apple bestimmen die Branche
  7. Playlists als Hit-Schmiede der Streamingdienste
  8. Große Labels dominieren große Playlists

Musikstreaming-Dienste wie Spotify und Apple Music haben nicht nur die Art und Weise verändert, wie heute Musik gehört wird. Mit der Einführung von Playlists als eine der beliebtesten Anlaufstellen für das Entdecken neuer Songs haben sie auch dafür gesorgt, dass gewiefte Marketer mit Pay-To-Play-Services und Tools versuchen, sich auf Listen einzukaufen, um so von deren enormen Reichweiten zu profitieren. Offenbar mit Erfolg: Unbekannte Künstler erhalten durch Platzierungen auf großen Playlists plötzlich Millionen Plays. OMR stellt aktuelle Fälle vor und erklärt das sogenannte „Payola-Phänomen“.

Im Zuge der Vorbereitungen auf den kürzlich erfolgten Börsengang bestätigte der schwedische Musikstreaming-Dienst Spotify, was viele schon längst vermutet haben dürften: Playlists sind eine der, wenn nicht sogar die dominante Nutzungsform. Ein Drittel der Gesamtdauer aller gestreamten Musikstücke wird bereits über die Listen mit teilweise Millionen von Followern generiert. Entsprechend begehrt sind die Plätze bei Künstlern – die mit Hilfe von Dienstleistern und fragwürdigen Methoden immer wieder versuchen, mit ihren Tracks gelistet zu werden. 

Tommie King beispielsweise, ein Rapper aus Atlanta, will es dank seinem Manager geschaffthaben, seine Songs bis heute in fast 600 Spotify-Playlists zu platzieren. Und das nicht etwa, weil seine Musik organisch immer mehr Nutzern aufgefallen wäre, sondern weil er für die Aufnahme in die Listen bezahlt hat, wie er gegenüber The Daily Dot ganz offen erklärt. Während er bei seiner Facebook-Page auf nur rund 1.500 Fans kommt, haben es seine vier beliebtesten Tracks bei Spotify in Summe auf über 420.000 Plays gebracht. Ohne Playlists gehe heute gar nichts, so King. Streams seien alles. 

Playlist-Marketing als wichtigster Hebel in der Musik-Industrie?

Tommie King ist aber längst nicht der einzige Künstler, der mit Geld oder anderen Strategien nachgeholfen hat, Platzierungen in Playlists zu ergattern. Ein weiteres Beispiel für No-Name-Artists, die es mit Hilfe von Playlist-Marketing und dem Nutzen speziell dafür gebauter Tools zu ansehnlichen Play-Zahlen gebracht haben, ist das Elektro-DJ-Duo „MaWayy“. Sie hätten zahlreiche Plattformen und Tools genutzt – und seien innerhalb kürzester Zeit auf 19 Playlists gelandet. Die Folge: knapp über eine Million Plays für den Track „Wrong“ und die Aufnahme in drei von Spotifys größten Elektro-Playlists. Die weiteren beliebtesten Songs der DJs kommen derweil nur auf knapp 49.000, 45.500 und unter 1.000 Plays.  

Die Website des inzwischen eingestellten Dienstes spotlister.com bzw. jamlister.com

Eines der Tools, das MaWayy für Playlist-Marketing genutzt haben will, war „Spotlister – The Platform for Music Promotion“. Laut The Daily Dot hätten die Spotlister-Macher für gute Platzierungen in großen Playlists zwischen 1.000 und 5.000 US-Dollar verlangt. Danny Garcia, ein 21-jähriger New Yorker Student und einer von zwei Gründern, erklärt, wie sich die Preise in den letzten Monaten entwickelt haben: „The playlisters started seeing that they were relevant and worth a lot more. There are some playlists that have 90.000 followers that can charge 100 to 200 US-Dollar for an add, all the way up to playlists with 500.000 who can charge 2.000 US-Dollar for one placement.“

Spotify geht hart gegen Pay-to-Play-Services vor

Offenbar waren Garcias Einblicke in das Geschäft gegenüber The Daily Dot Anlass genug für Spotify, gegen das Angebot vorzugehen. Der Service ist nach einer Umbenennung zu Jamlister seit dem 25. März komplett eingestellt. Und auf Anfrage von The Daily Dot dementierte Spotify jegliche Pay-to-Play-Aktivitäten. Die Gründer des Tools äußern sich in einem ausführlichem Statement auf der Website zum Daily Dot-Artikel – und bezeichnen ihn als Fake News und schlicht als komplett falsch. Demnach hätten die beiden nie Besitzer einer Playlist für Platzierungen bezahlt. Playlister hätten in der knapp dreimonatigen aktiven Phase im Schnitt lediglich 22 US-Dollar erhalten – als Entschädigung für die investierte Zeit, sich von Nutzern vorgeschlagene Songs anzuhören.

Insgesamt seien in der kurzen Zeit knapp 25.000 Vorschläge von zahlenden Künstlern bei Playlist-Besitzern eingegangen, wovon nur knapp über 13.000 bearbeitet wurden. Der Rest hätte das Geld komplett oder anteilig zurückerstattet bekommen. Nur acht Prozent aller eingereichten Vorschläge habe es tatsächlich in Playlists geschafft. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass der Service in keiner Weise gegen Spotifys Terms of Service verstoßen habe. Das Fazit der Gründer: „So, there is absolutely no influence we could have exerted on playlist placements.“ Nichtsdestotrotz: Spotlister wurde eingestellt. 

In der inzwischen nur noch über web.archive.org erreichbaren Beschreibung des Portals heißt es: „A desktop platform for Spotify playlisters & artists to promote their work, get reviews, grow their audience and make some extra cash. Gain access to more audience. 11.299.196 followers & counting!“.

Playlist-Platzierungen zu kaufen scheint möglich zu sein

Dass die Nachfrage nach Hilfe beim Erreichen von Playlist-Platzierungen aber auf jeden Fall besteht, deuten Aussagen von Cody Patricks gegenüber The Daily Dot an. Sein Unternehmen „Organic Music Marketing“ biete klassische Musik-Promotion an, so wie es große Musiklabel auch tun. Auf der Seite der Firma steht unter anderem „Playlist Submission / Pitching Campaign 2 Price“ für 750 US-Dollar zur Auswahl. Innerhalb von 30 Tagen würde ein Track an über 200 offizielle und unabhängige Playlists gepitcht. Der prominente Hinweis im Angebot: „This service does not include guaranteed placement of any sort, as that would be considered payola. We do not participate in any form of payola.“

Ob im Zuge solcher Kampagnen tatsächlich kein Geld an Playlist-Besitzer fließt, lässt sich von außen natürlich nicht sagen. Dass Playlister aber von sich aus Platzierungen gegen Geld anbieten, bestätigt Cody Patrick gegenüber The Daily Dot selber. Er habe immer wieder Angebote von Playlist-Inhabern erhalten, mit verschiedenen Preisen je nach Platzierung. Auch der Spotify-User Ignatious Pop (über eine Million Follower) berichtet von zahlreichen Anfragen – für die Platzierung einzelner Tracks oder direkt für den Kauf der gesamten Playlist. 

Für 750 US-Dollar bei Organic Music Marketing erhältlich: die „Playlist Submission / Pitching Campaign 2“

Das Phänomen Payola ist nicht erst seit heute bekannt

Einer breiten Öffentlichkeit wurde das Phänomen „Payola“, von dem sich Cody Patricks distanziert, bereits Ende der 50er Jahre bekannt. Der Begriff, der sich aus den Worten „pay“ (englisch für bezahlen) und Victrola (Markenname eines Grammophons) zusammensetzt, beschreibt eine simple Strategie: Labels, Manager oder Künstler bezahlen DJs, damit ihre Songs überhaupt oder besonders oft im Radio gespielt werden. Und genau das war damals im großen Stil der Fall in den USA und sorgte für einen regelrechten Skandal – inklusive Untersuchungen von DJs, Radiostationen und Musikredakteuren hin auf Bestechlichkeit. Zuletzt wurden 2005 ähnliche Fälle bekannt; Sony MBG und Warner Music mussten damals Millionen-Strafen zahlen. 

Seitdem hat sich die Musikindustrie drastisch verändert. Streaming-Dienste sind heute bereits für zwei Drittel aller Umsätze der US-Musikindustrie verantwortlich. Weltweit hat der schwedische Anbieter Spotify mit 70 Millionen zahlenden Nutzern klar die Nase vorn. Apple Music folgt mit 36 Millionen, wächst vor allem in den USA aber deutlich schneller. Und Payola scheint Einzug in die Streaming-Industrie zu finden. 

Mit Spotlister vergleichbare Dienste sind immer noch aktiv

Submithub.com, eine vom Ex-Googler und Betreiber des Musikblogs indieshuffle.com Jason Grishkoff gestartete Plattform, verfolgt einen Ansatz, der an den vom inzwischen eingestellten Dienst Spotlister erinnert. Nachdem er irgendwann pro Tag bis zu 300 Musik-Vorschläge per Mail erhalten hatte und aufgeben musste, sich überhaupt noch Einsendungen anzuhören, kam ihm die Idee dazu. „Das bedeutete, dass wir jede Menge großartige Musik verpassten. Deshalb habe ich mir überlegt, wie man diesen Prozess für alle Beteiligten vereinfachen kann“, so Grishkoff gegenüber tonspion.de.

Blogs, Musik-Publisher und Labels, die bei Submithub registriert sind, erhalten alle Track-Vorschläge nur noch über ein eigenes Dashboard. Artists können den Dienst entweder gratis nutzen oder rund einen US-Dollar pro Track-Vorschlag zahlen, um garantiert Feedback zu erhalten. Laut der Website sind aktuell 462 Blogs und Labels mit einer Gesamtreichweite von knapp 50 Millionen Fans bei Submithub angemeldet, die in Summe über 3,3 Millionen Vorschläge erhalten haben. Die durchschnittliche Antwortrate betrage 73 Prozent. Auch in diesem Fall scheint das Geschäftsmodell ein schmaler Grat zu sein: Ob Künstler am Ende wirklich nichts für Erwähnungen in Artikeln oder die Aufnahme in Playlists bezahlen, lässt sich nicht feststellen. 

Die Hip-Hop-Playlists von Spotify und Apple bestimmen die Branche

Wie relevant vor allem die großen, von Spotify und Apple kuratierten Playlists wirklich sind, zeigt der rasante Aufstieg einiger noch vor kurzer Zeit völlig unbekannter Künstler. Der Rapper Smokepurpp schaffte es beispielsweise mit seiner Single „Audi“ in die Spotify-Playlist „RapCaviar“, die aktuell knapp 9,3 Millionen Follower hat. Das Ergebnis: über 75 Millionen Plays, Gold-Status und 36 Millionen Views auf das passende Video auf dem Youtube-Kanal von WorldstarHipHop.com

Ein noch rasanteren Aufstieg hat der Künstler Ricardo Valentine alias 6Lack hinter sich. 2016 kam er auf rund 5.000 Twitter-Follower und war nur einer sehr kleinen Nische ein Begriff. Dann landete sein Track „Prblms“ auf einigen Playlists von Apple Music, er erhielt einen Vertrag bei Interscope Records (u.a. Eminem, Dr. Dre, Kendrick Lamar, Rich the Kid), zwei Grammy-Nominierungen und tourte gemeinsam mit The Weeknd. 

Playlists als Hit-Schmiede der Streamingdienste

Vor allem die großen, von den Streaming-Plattformen kuratierten Hip Hop-Playlists sind bei Spotify (RapCaviar) und Apple Music (The A-List: Hip-Hop) wahnsinnig populär – und entscheiden maßgeblich mit über Erfolg oder Misserfolg von Tracks und Künstlern aus dem vor allem auch im Netz so beliebten Musik-Genre. Die jeweiligen Inhaber der Listen sind so zu global extrem mächtigen Entscheidern der Musikindustrie geworden. 

Bei Spotify nahm die Rolle des „Head of Hip Hop“ bis vor Kurzem Tuma Basa ein, der das Unternehmen allerdings vor kurzem Richtung Youtube verlassen hat. Laut Basa gebe es zwei Zutaten für Erfolg in Playlists: Mut und Daten. Tuma Basa habe während seiner Zeit viel auf sein eigenes Bauchgefühl gehört – konnte aber natürlich nicht nur seinen eigenen Geschmack berücksichtigen. Analytics spiele eine große Rolle: „That’s the beauty of our technology. It’s all right there. All facts. No guesswork.“ 2017 wurde aus Spotifys großer Hip Hop-Playlist eine eigene Konzertreihe. Gemeinsam mit Live Nation gab es sechs Konzerte in verschiedenen Städten – natürlich mit Acts aus der Playlist. 2018 soll das noch erweitert werden. 

Bei Apple heißt der „Head of Hip Hop“ Carl Chery und leitet die Playlist „A-List: Hip Hop“. Seiner Meinung nach ist Streaming vor allem im Bereich der Black Music schon deutlich relevanter als das Radio. Anders als Basa verlasse er sich aber fast nur auf Bauchgefühl und den Geschmack des Teams; die Auswertung von Daten käme weniger zum Tragen, wenn es um die Auswahl von Songs für die Playlist geht. 

Große Labels dominieren große Playlists

Obwohl es immer wieder kleinere, unbekannte Künstler schaffen, in die so begehrten Playlists aufgenommen zu werden, dominieren in Summe doch die Major Labels die reichweitenstärksten Listen. Laut digitaltrends.com hätten am 1. Januar 2018 80 Prozent der Playlist „RapCaviar“ aus Songs von Sony, Warner und Universal bestanden. Bei Apples A-List: Hip Hop waren es immerhin 70 Prozent. Und trotzdem scheint es große Unterschiede in der Auswahl der Tracks zu geben: Ebenfalls am 1. Januar sollen demnach nur 18 der 50 Songs aus Apples Liste ebenfalls in Spotifys Auswahl zu finden gewesen zu sein.

Klar ist: Die Playlist-Ära ändert die Herangehensweise von Künstlern. Platzierungen in den Listen können Hits und Acts neu definieren, über Nacht entstehen, genauso schnell aber wieder fallen lassen. Schon vor einem Jahr hat OMR den „Playlist-Effekt“ beschrieben, der sich seitdem noch einmal deutlich verstärkt hat. Solange die Relevanz von Musik-Streaming und Playlists weiter ansteigt, werden vermutlich auch Dienstleister und Marketer versuchen, die Mechaniken der Plattformen auszutricksen. Plays kann man auch heute noch sehr schnell und einfach kaufen; in dutzenden Facebook-Gruppen tauschen sich Nutzer über Playlist-Strategien aus. Es ist kaum vorstellbar, dass Pay-To-Play-Services (Payola) komplett ausgeschlossen und unterbunden werden können. Und so lange werden weiterhin wie aus dem Nichts teils völlig unbekannte Artists Millionen von Plays erreichen und in großen Playlists auftauchen. 

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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