Jobrad: Lobbyarbeit, E-Bike-Boom und ein Zweirad-Leasing-Unicorn

15 Jahre nach dem Start macht die Firma von Ulrich Prediger und Holger Tumat über eine Milliarde Umsatz

Ulrich Prediger und Holger Tumat bei der OMR Podcast-Aufnahme
Ulrich Prediger (l.) und Holger Tumat (r.) bei der OMR Podcast-Aufnahme mit Philipp Westermeyer
Inhalt
  1. Erstes Etappenziel: Gleichstellung von Bike und Kfz
  2. Großes Ziel: Menschen vom Auto aufs Rad bringen
  3. Purpose-driven business statt Caipirinha-Exit

Tempo, Tipp-Ex, Jobrad – wenn das eigene Produkt zum Gattungsnamen wird, mehr kann man nicht erreichen. Jobrad-Gründer Ulrich Prediger hat das Dienstfahrrad als nachhaltige Alternative zum Dienstwagen erfunden. Zusammen mit dem später dazugestoßenen Holger Tumat wurde aus der fixen Idee eine Firma, die 2022 mehr als 1 Milliarde Euro Jahresumsatz verzeichnete und der mancher Fahrradhändler den größten Teil seines Umsatzes verdankt. Im OMR Podcast berichten die beiden über Beinahe-Pleiten, ihre unermüdliche Lobbyarbeit für das Fahrrad sowie die Vision von nachhaltiger betrieblicher Mobilität. 

"Ich muss von etwas 100 % überzeugt sein, damit ich Vollgas gebe." Das sagt Ulrich Prediger in der neuen Folge des OMR Podcasts. Dieses Etwas fand er vor etwas mehr als 15 Jahren. Damals nämlich überlegte er sich, seinen Arbeitgeber statt um einen Dienstwagen lieber um ein Dienstfahrrad zu bitten. Doch so etwas gab es damals nicht. Das zu ändern, wurde für Prediger zur Mission.  

Am Anfang von Jobrad habe "eine Mischung aus Mut und Naivität" gestanden, sagt Prediger. Und im Rückblick sei er froh, dass er keine Ahnung hatte, was auf ihn zukommen sollte, bis er ein funktionierendes Businessmodell für Jobrad gefunden haben würde. Denn nach dem Start sei ihm bald klar geworden: Die Idee vom Arbeitgeber, der den Fahrradbesitz seiner Mitarbeitenden unterstützt, das würde nur funktionieren, wenn es steuerliche Anreize – analog zum Auto – gibt.  

Erstes Etappenziel: Gleichstellung von Bike und Kfz

Durch emsige Lobbyarbeit, vor allem auf Landesebene, gelang dann 2012 die Gleichstellung von Fahrrädern mit Kraftfahrzeugen. Der wirkliche Durchbruch des Modells erfolgte später parallel zur immer größeren Popularität der E-Bikes. Denn deren vergleichsweise hoher Anschaffungspreis macht das Dienstrad-Modell attraktiv. Es senkt dank Steuervorteilen die Anschaffungskosten für die Kund*innen um bis zu 40 Prozent. Spätestens mit dem Fahrrad-Boom, der durch die Corona-Pandemie ausgelösten wurde, etablierte sich Jobrad dann als unumgänglicher Player der Branche. Viele Fahrradläden verdankten heute 30 bis 50 Prozent ihres Umsatzes dem Dienstrad-Modell, so Holger Tumat. 

Der zuletzt steile Anstieg, der Jobrad 2022 über die Umsatzmillliarde katapultiert hatte, flacht gerade ab. Die Fahrradbranche kämpft mit abnehmender Nachfrage und vollen Lagern. Auch Tumat sagt: "Tatsächlich kommen wir aus einer Zeit des ungebremsten Wachstums ohne Marketing." Krisenstimmung herrscht bei Jobrad deswegen aber nicht. Nach wie vor wickelt das Unternehmen täglich 1.200 bis 1.500 Dienstrad-Verträge ab. 

Großes Ziel: Menschen vom Auto aufs Rad bringen

Doch während die vergangenen Jahre vor allem dadurch geprägt gewesen seien, das "Wahnsinnswachstum" – O-Ton Tumat – administrativ und finanziell in den Griff zu kriegen, fokussiert sich Jobrad gerade auf die Verbesserung des Produkts. Das Provisionsmodell wurde umgestellt, um kleinere Händler zu stärken. Außerdem wollen die Freiburger Geld und Ressourcen einsetzen, um die Bedeutung des Fahrrades als Alltagsfahrzeug auszubauen. Denn das muss passieren, wenn die eigentliche Mission von Jobrad erfüllt werden soll: mehr Menschen vom Auto aufs Rad zu bringen und Zweitwagen überflüssig zu machen. 

Vor diesem Hintergrund wurde kürzlich ein eigener Startup-Inkubator eröffnet. Dort will Prediger jedes Jahr eine Handvoll innovativer Produkte entwickeln und testen lassen. Von acht bis zehn Ideen sollen es ein bis zwei soweit schaffen, dass sich eine Ausgründung lohnt. Es geht beispielsweise um Themen wie Predictive Maintenance, wie man es aus dem Automobilbereich kennt – und wie sie von der neuen E-Bike-Kundschaft erwartet würde, so Tumat. 

Purpose-driven business statt Caipirinha-Exit

Das Ziel von Jobrad müsse sein, den Alltagsnutzen des Fahrrads zu stärken. Und da gehöre ein Werkstattservice dazu, bei dem man das Rad morgens bringt und abends abholen kann, so Prediger. Auf diesem Feld wolle man darum eng mit dem Handel zusammen arbeiten, "damit die professioneller und die Dienstleistungen digitaler werden". 

Die Frage nach einem Verkauf ihrer Firma weisen Prediger und Tumat zurück. Sie haben Jobrad weitgehend ohne Fremdkapital aufgebaut und besitzen heute die große Mehrheit des inzwischen als Aktiengesellschaft firmierenden Unternehmens. "Wir sind nicht in dem Spiel, um ein Exit zu machen und uns nachher an den Strand zu legen und Caipirinha zu trinken", sagt Tumat. Bei Jobrad gehe es um die echte Überzeugung, dass Fahrradfahren cool sei – für die Gesundheit, aber auch für die Gesellschaft.

Das sind die Themen dieser OMR Podcast Episode:

  • (00:02:28) Erfindung des Leasingmodells von Jobrad
  • (00:08:20) Umsatz und aktuelle Unternehmensgröße
  • (00:09:16) wie Dienstfahrrad-Leasing funktioniert
  • (00:13:07) täglicher Kundenzuwachs bei Jobrad
  • (00:15:32) Steuerrecht, Lobbyarbeit und EU-Expansion
  • (00:20:13) Profitabilität und Wachstum aus dem Cashflow
  • (00:22:30) Aufbau eines Marktplatzes für Second-Hand-Bikes
  • (00:24:19) Bedeutung von E-Bike-Boom und Corona
  • (00:26:24) Kritik am neuen Provisionsmodell von Jobrad
  • (00:33:21) Struktur des Fahrradmarkts und Innovationen
  • (00:38:11) erste Jahre im Schatten der Insolvenz
  • (00:40:30) Entwicklung des Businessmodells mit den Kunden
  • (00:43:25) Marge, Mitbewerber und Marktgröße
  • (00:54:12) Gründung eines Fahrrad-Branchenverbands
  • (00:55:49) Zusammenkommen von Prediger und Tumat
  • (01:00:05) Firmenwert, Exit-Ausschluss und Nachfolgefrage
  • (01:05:07) weitere Firmen, die Prediger gegründet hat
  • (01:06:02) gelebte Fahrradkultur bei Jobrad
  • (01:07:45) Sponsoring SC Freiburg und Marketing
  • (01:12:43) Story hinter der unüblichen Domain jobrad.org
  • (01:13:31) Jobrads Inkubator für neue Mobilitätskonzepte
  • (01:15:51) persönliches Erleben des Jobrad-Erfolgs
  • (01:18:23) regionale Verteilung der Kundschaft

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StartupMobility
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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