Staubsaugervertreter erobern Tiktok: Die Maschen des "Network Marketing" auf Social Media

Tiktoker Levi Penell macht auf die Gefahren von zwielichtigen Schneeballsystemen aufmerksam und zeigt: Aufklärung zum Thema hat Viral-Potenzial.

Network Markting
Levi Penell und die Polizei Rheinland-Pfalz warnen aktuell auf Tiktok vor Schneeballsystemen in den Sozialen Netzwerken. Foto: OMR/Screenshots/Playground AI
Inhalt
  1. Viel Geld, wenig Mühe
  2. Der Kanal ist austauschbar
  3. Staubsauger, Krypto, Männlichkeit
  4. Beschimpfungen und Abmahnung
  5. Summe im oberen vierstelligen Bereich gefordert

Auf Social Media geht Tiktoker "Levihallo" aktuell mit Videos viral, in denen er die Maschen des Network Marketings kritisiert – und zieht damit den Zorn der Branche auf sich. Bei der Methode sollen User*innen online dazu gebracht werden, z.B. in Personality-Coachings, teure Staubsauger oder Krypto zu investieren und im nächsten Schritt selbst zu Vertriebler*innen für das Produkt werden. Auch Expert*innen und die Polizei warnen gerade vor zwielichtigen Schneeballsystemen auf Social Media. OMR hat mit Levi Penell darüber gesprochen, weshalb er zu diesem Thema Aufklärung betreibt und wie er mit einer Abmahnung umgeht, die ihn offenbar davon abhalten soll.

Nur 30 Minuten liegen zwischen der Idee und dem fertigen Video, mit dem Levi Penell Schneeballsystemen Anfang Mai den Kampf angesagt hat. "Ich hatte da gerade so eine Nachricht bekommen und hab mir gedacht, dass diese ganzen Anfragen uns allen auf die Nerven gehen", sagt der 23-jährige Content Creator im Gespräch mit OMR. Diese Nachrichten – sie versprechen das schnelle Geld und große Erfolge, wenn man nur in dieses oder jenes Business einsteigt. Dass Levi Penell mit seinen Videos eine kleine Lawine in der Schneeballsystem-Szene auslösen würde, damit habe er selbst nicht gerechnet, sagt er. In einem Folgevideo erklärt er ungläubig: "Es hat wirklich nur drei kurze Videos und 15 Minuten Google-Recherche gedauert, um die ganze Network-Marketing-Blase on fire zu setzen."

Viel Geld, wenig Mühe

Das Video wird auf Tiktok nicht nur 1,6 Millionen Mal aufgerufen, über 200.000 Mal gelikt und mehr als 22.000 Mal geteilt, es ruft auch noch etwas anderes hervor: die Wut der Network Marketer. "In meinem ersten Video war ich noch sehr unspezifisch, es ging gar nicht um eine spezielle Firma", sagt Levi. "Ich habe einfach nur das Phänomen aufs Korn genommen, dass Leute dich per Insta-DMs für irgendein Online-Business anwerben wollen." Dann aber erhält er die ersten Antwort-Videos von Menschen, die sich von ihm angegriffen fühlen, weil sie selbst Network Marketing betreiben. "Und diese Antwort-Videos hab ich dann zum Anlass genommen, zu zeigen, wie problematisch die Firmen sind, für die diese Personen auftreten."

Beim Network Marketing, auch als Multi-Level-Marketing (MLM) bekannt, wird ein Produkt vertrieben und neue Kund*innen nach einer Zeit animiert, selbst zu Vertriebler*innen auf Provisionsbasis zu werden – häufig mit dem Versprechen, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen. Diejenigen, die eine*n Verkäufer*in angeworben haben, verdienen an künftigen Verkäufen anteilig mit. "Viele machen das, weil sie selbst zu diesem Zeitpunkt schon sehr viel Geld investiert haben und die Chance sehen, davon wieder etwas reinzuholen. So wird die Pyramide immer breiter", sagt Maximilian Heitkämper, Fachbereichsleiter Digitales und Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.

Der Kanal ist austauschbar

Die Methode ist nicht neu, sondern seit Jahren gängig. Viele Menschen kennen und verstehen sie, fallen dann aber trotzdem darauf hinein. Und durch die Vielzahl an Plattformen sind mit der Zeit die Marketingwege, über die potenzielle neue Kund*innen gewonnen werden können, immer breiter geworden. Neben Tiktok oder Instagram findet Network Marketing auch in Whatsapp-Gruppen, in Newslettern, auf Youtube oder in Podcasts statt. "Der Kanal ist austauschbar", sagt Heitkämper.

Viele User*innen auf Tiktok, die als Network Marketer*innen auf Levi Penells Video reagieren, sprechen von finanzieller Freiheit, von dem Traum, sich nebenbei ein (passives) Einkommen aufzubauen. Doch die Chancen, mit Network-Marketing reich zu werden, sind in Wahrheit extrem gering, wie Claudia Gross von der Radbout-Universität in Nimwegen gegenüber dem Deutschlandfunk erklärt hat. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich mit dem Thema seit vielen Jahren und hat darüber auch ein Buch veröffentlicht. Neulingen werde direkt zu Beginn ein Provisions-Schema vorgelegt, das tolle monatliche Einkünfte verspreche – von 10.000 bis 150.000 Euro pro Monat, erklärt Gross im Interview mit dem Radiosender. Was nicht gesagt werde, sei, wie wenig Menschen das jemals erreichten: "Also einer aus 30.000, einer aus 40.000."

Immer wieder wurde über das Thema in den vergangenen Jahren in den Medien berichtet, Jan Böhmermann etwa widmete selbsternannten Business-Coaches mit dubiosen Erfolgsversprechen 2023 eine Sendung bei ZDF Magazin Royale. Auf Tiktok sind es jetzt aber die Creator selbst, die auf Probleme auf ihrer eigenen Plattform aufmerksam machen. Und die sich dadurch dem direkten Schlagabtausch mit Vertreter*innen des Network Marketings stellen. Das sorgt für ordentlich Wirbel und einer Vielzahl an Reaction-Videos – auch von ehemaligen Network-Marketer*innen, Jura-Studenten, Menschen, die ihnen für die Aufklärung danken, und von Joko Winterscheidt und Sophie Passmann: "Wir sind Team @levihallo im Kampf gegen die Schneeballsysteme!!!" schreiben sie zu einem Video aus ihrem Podcast Sunset Club, in dem sie über die "Nasssauger-Bubble" sprechen.

Staubsauger, Krypto, Männlichkeit

Besonders stark vertreten sei die MLM-Methode aktuell im Beauty-Bereich, sagt Maximilian Heitkämper, etwa beim Thema Abnehmen, Esoterik oder auch mit der Zielgruppe junge Männer. "Denen wird suggeriert, dass sie durch ein teures Coaching größere Erfolge im Leben oder bei Frauen erzielen können, indem sie lernen, maskuliner aufzutreten und männliche Tugenden wieder zu leben." Nicht wenige junge Menschen seien bereit, dafür Geld auszugeben.

Die Firmen, die Levi Penell in seinen Videos thematisiert, bieten Software und Dienstleistungen im Tradingbereich an oder Wasserstaubsauger – für den stolzen Preis von über 2000 Euro. Die Geräte werden auf zahlreichen Accounts vorgeführt und angepriesen, die sich "jennys_zaubersauger" oder "dein_reinigungswunder" nennen. Früher kam der Staubsaugervertreter zur Produktvorführung nach Hause, heute lassen sich online viel größere Reichweiten mit weniger Aufwand erzielen. Genügend Interessenten dürfte es dort geben, nicht umsonst gibt es auf Tiktok zum Beispiel mehr als 393 Millionen Posts mit dem Hashtag cleantok. Durch den starken Algorithmus der Plattform landet der Network-Marketing-Content also mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer sehr passgenauen Zielgruppe.

Und während teure Staubsauger wohl eher zu den harmloseren Produkten gehören, die über Network Marketing vertrieben werden, kann es auch richtig gefährlich werden, zum Beispiel bei zwielichtigen Anlagestrategien. "Die Gefahr, dass man sein Geld da nie wieder sieht, ist groß", sagt Jurist Maximilian Heitkämper, beispielsweise bei nachgebauten Tradingplattformen: "Da sehe ich sogar, wie mein Vermögen wächst, werde ermutigt, immer mehr anzulegen, aber es gibt keine Möglichkeit, das Geld wieder herauszuziehen. Da sind wir dann schon im Betrugsbereich." Davor warnt inzwischen auch die Polizei Rheinland-Pfalz auf Tiktok: "Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein, dann ist es wahrscheinlich auch so", sagen die Polizistinnen und rufen User*innen dazu auf, sich im Zweifelsfall bei der Polizei zu melden.

Beschimpfungen und Abmahnung

Levi Penell weiß: "Die meisten Leute, die in den Schneeballfirmen sind, sind selber Opfer des Systems." Deswegen habe er auch schnell wieder aufgehört, auf Leute zu reagieren, "die in dem Pyramidensystem in Anführungszeichen ganz unten sind". Seitdem konzentriert er sich auf die oberen Stufen der Pyramide – und bekommt dort ordentlich Gegenwind. Rocco Rizzo, nach eigenen Angaben "eine der größten Führungskräfte" einer Firma, die Levi Penell kritisiert hat, wirft ihm in einem Video "geballte Inkompetenz" vor. Das Video hat Rizzo inzwischen gelöscht, es wird aber über Antwortvideos weiter verbreitet. Auch als Lügner und als lächerlicher Lappen sei er schon von einem anderen "hohen Tier einer dieser Schneeballfirmen" in einem einstündigen Antwortvideo beschimpft worden, erzählt Levi Penell.

Damit kann er leben, große Bauchschmerzen machte ihm Mitte Mai dann aber eine Abmahnung. Die Post kam vom Anwalt eines Mannes, der sich als CEO einer Schneeballsystemfirma ausgibt. Die Begründung für die Abmahnung sei eine Aussage aus einem Video gewesen, in der es um die Vergangenheit jenes CEOs ging. "Die soll angeblich falsch gewesen sein, weil es sich dabei um eine Person mit dem identischen Namen handeln soll", erklärt Levi, der dahinter einen Einschüchterungsversuch vermutet. Zusammen mit einem Anwalt geht er aktuell gegen die Abmahnung vor.

Summe im oberen vierstelligen Bereich gefordert

"In meinem Fall wollten sie eine Summe im oberen vierstelligen Bereich, was natürlich brutal viel Geld ist", sagt er. Auch andere Content Creator, die über das Thema informiert hätten, hätten bereits Abmahnungen bekommen und den Content daraufhin gelöscht. Levi hat dafür Verständnis: "Gerade, wenn man nicht in so einer privilegierten Position ist wie ich, dass man relativ viel Reichweite hat, dass sich relativ viele Personen mit einem solidarisieren und man schnell Kontakte zu einem Anwalt bekommt, ist das auch eine wahnsinnige Stresssituation."

Trotzdem kann er sich auch in Zukunft Videos gegen problematische Geschäftsmodelle auf seinem Account vorstellen. Aber die Drohgebärden der "hohen Tiere" sind auch an ihm nicht ganz spurlos vorübergegangen: "Ich muss dabei einerseits abwägen, ob ich das weiterhin auch entsprechend mit Entertainment rüberbringen kann. Und ob es sich auch vom rechtlichen Risiko her lohnt."

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Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist Redakteurin bei OMR. Vor ihrem Wechsel arbeitete sie für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet.

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