Ist die Facebook-„Fanseite“ für den Münchner Polizeisprecher nur ein Traffic-Trick?
Seniorbook kassiert massiv Klicks, aber dementiert Beteiligung
- Auffällig viele Seniorbook-Links
- Seniorbook verlinkt die Fanseite schon Freitagabend
- Hat die Fanseite für Seniorbook sechsstellige Klicks generiert?
- Fotos von Verletzten im Artikel
- Seniorbook heizt Spekulationen an
Haben ein oder mehrere Mitarbeiter des deutschen Netzwerks Seniorbook eine gefakete „Fanseite“ für Marcus da Gloria Martins, den Pressesprecher der Münchner Polizei, eingerichtet und auf diese Weise möglicherweise Seitenaufrufe und Werbeeinblendungen im sechsstelligen Bereich generiert? Das Unternehmen selbst dementiert das – doch viele Indizien sprechen eine andere Sprache. 57.000 Facebook-Nutzer folgen der Fanseite von Marcus da Gloria Martins mittlerweile in dem sozialen Netzwerk. Im Info-Bereich der Seite ist zu lesen: „FANSEITE für den Pressesprecher der Münchner Polizei. Er bewahrte am 22.7.2016 einen kühlen Kopf, informierte präzise und souverän.“
Darüber, wer die Seite eingerichtet hat, lassen sich keine Informationen finden. Durch den Info-Text und geposteten Inhalte dürfte die Seite bei vielen den Eindruck erwecken, als sei sie schlicht von einem Fan ins Netz gestellt worden – aus der Begeisterung über die unaufgeregte, professionelle Art, mit der Marcus da Gloria Martins mit dem Amoklauf eines 18-Jährigen in einem Einkaufszentrum umgegangen ist. In den ungewissen Stunden jenes Freitagabends, in denen noch nicht klar war, was in München überhaupt geschieht, war da Gloria Martins bereits auf Twitter von vielen Bürgern für seine Arbeit gelobt worden.
Auch die Fanseite für den Polizeisprecher ist schon in den Abendstunden des 22. Juli eingerichtet worden. Zunächst wurden dort eine vom ZDF aufgezeichnete Pressekonferenz von da Gloria Martins und ein von den ARD-Tagesthemen durchgeführtes Interview mit dem Pressesprecher (von einem User bei Youtube hochgeladen) gepostet. In den Stunden und Tagen darauf folgten lobende Artikel über da Gloria Martins von klassischen Medien wie der Münchner Abendzeitung, Kölner Express, Focus, Welt und Spiegel Online.
Auffällig viele Seniorbook-Links
Immer häufiger wurden aber auch Artikel der Website Seniorbook.de gepostet. Mit insgesamt acht Posts ist keine andere Website häufiger auf der Fanseite verlinkt. Besonders auffällig: In den vergangenen Tagen verwies der oberste, „angepinnte“ Post auf der Fanseite immer auf einen Artikel auf Seniorbook. Ist ein Artikel bei Facebook „angepinnt“, wird dieser den Besuchern der Seite immer ganz oben und damit als erstes angezeigt, auch wenn danach vom Betreiber der Seite ein weiterer Post abgesetzt wird. Die Funktion dient eigentlich dazu, erstmaligen Besuchern einer Seite die wichtigsten Inhalte gleich zu zeigen. In diesem Fall ist offenbar das Ziel: Jeder, der die Fanseite von da Gloria Martins aufruft, soll auf einen Seniorbook-Artikel klicken.
Seniorbook, 2011 gestartet, ist eigentlich eine Community, ein soziales Netzwerk für Menschen ab 45 Jahren. Hinter dem Unternehmen steht Alois Erl, ein Bau-Unternehmer aus dem bayrischen Deggendorf. „Er kennt sich mit der Zielgruppe des Portals aus – weil er selbst dazugehört und weil er seit Jahren Seniorenheime aus dem Boden stampft“, schreibt die taz im Jahr 2014. Drei Millionen Euro soll er in das Portal investiert haben. Sein Sohn Markus Erl führt Seniorbook gemeinsam mit Thomas Bily, der zuvor lange Jahre für Gruner+Jahr (u.a. als Anzeigenleiter) und Burda tätig war.
Mit eigens erstellten Inhalten will Seniorbook offenbar seit einiger Zeit Nutzer auf die eigene Seite lenken, neue Mitglieder gewinnen und die bestehende Nutzerschaft zu mehr Interaktionen verleiten. Seit 2016 ist Florian Festl (der elf Jahre lange für Focus Online tätig war, u.a. als stellvertretender Chefredakteur) deswegen als „Chief Content Officer“ an Bord. Das Ziel dieser Maßnahme dürfte klar sein: mehr Traffic auf Seniorbook.de generieren. Denn das Netzwerk ist werbefinanziert, jeder Klick bringt Geld.
Seniorbook verlinkt die Fanseite schon Freitagabend
Hat also Seniorbook in den vergangenen drei Tagen die enorme Aufmerksamkeit rund um den Amoklauf in München genutzt, um über die Fan-Seite bei Facebook Traffic zu generieren und damit die eigenen Werbeeinahmen zu steigern? Auf telefonische Anfrage von Online Marketing Rockstars widerspricht Seniorbook-Vorstand Thomas Bily dieser Vermutung: „Wir haben nichts mit der Seite zu tun.“ Unsere Nachricht an den Betreiber der Fanseite auf Facebook wurde zwar gelesen, aber bislang nicht beantwortet.
Trotz Bilys Dementi gibt es viele merkwürdige „Zufälle“. So haben sowohl die Facebook-Seite von Seniorbook selbst, als auch die laut Impressum ebenfalls von Seniorbook betriebene Facebook-Seite „Fahndung läuft“ bereits am Freitagabend um 21:50 Uhr bzw. 21:52 Uhr mit einem Post auf die Fanseite von da Gloria Martins hingewiesen. Möglicherweise war da noch gar kein Inhalt auf der Fanseite vorhanden – denn der erste Inhalt, der sich noch heute auf der Seite finden lässt, ist das Profilfoto der Seite: ein Bild des Pressesprechers, das aber erst eine knappe Stunde später eingestellt wurde, nämlich um 22:44 Uhr.
Auch, wenn die Fanseite von Marcus da Gloria Martins nicht von einem Seniorbook-Mitarbeiter eingerichtet und mit Inhalten versehen worden sein sollte, dürfte die Fanseite in den vergangenen Tagen massiv Besucher zu Seniorbook gespült haben. Nicht nur, dass der Seite 57.000 Fans folgen – die auf Seniorbook verweisenden acht Posts von dort haben rund 37.000 Nutzer-Reaktionen und 1.700 Shares (Stand: Montag, 25. Juli, 11 Uhr) generiert. Die meisten Reaktionen sammelte ein Post, der mit dem Zusatz „Like = Danke“ explizit um Interaktionen buhlte. Am häufigsten geteilt wurde ein Artikel-Porträt von da Gloria Martins.
Hat die Fanseite für Seniorbook sechsstellige Klicks generiert?
Berücksichtigt man, dass die Posts vielen weiteren Nutzern ausgespielt wurden, weil ihre Freunde Fan der Seite wurden oder mit ihren Inhalten interagiert haben (Schätzungen zu der durchschnittlichen Anzahl an Freunden der Facebook-Nutzer variieren zwischen 155 und 338), so ist es mehr als wahrscheinlich, dass alleine über die „Fanseite“ von da Gloria Martins Klicks im sechsstelligen Bereich generiert worden sind.
Hinzu kommt: Klickt ein Nutzer bei Facebook auf einen Seniorbook-Link, wenden die Macher der Community auf der Website mehrere Kniffe an, um zusätzliche Klicks zu generieren. So werden dem Nutzer auf der Website zunächst nur einige wenige Zeilen des Artikels angezeigt, darunter zwei Schaltflächen mit den Aufschriften „Jetzt Weiterlesen“ und „Auf Facebook Teilen“. Ein Klick auf „Jetzt Weiterlesen“ generiert einen weiteren Seitenaufruf – und damit eine weitere Chance, Werbung auszuliefern. Ist der Nutzer einige Sekunden inaktiv, werden ihm über ein Layer-Pop-Up weitere Artikel auf Seniorbook empfohlen. Es ist durchaus denkbar, dass mit diesen Methoden und dem Traffic von der Fanseite Banner-Ausspielungen im sechsstelligen Bereich und Werbeeinnahmen im vierstelligen Euro-Bereich generiert wurden. Falls Seniorbook einen Teil der Besucher in neuregistrierte Community-Mitglieder umwandeln konnte, dürfte dadurch in Zukunft noch weitere Werbekontakte zustande kommen, mit denen die Betreiber ebenfalls Geld verdienen können.
Wäre es verwerflich, wenn ein Seniorbook-Mitarbeiter – ob mit oder ohne Wissen seiner Vorgesetzten – die Fanseite eingerichtet hätte, um damit Traffic und Umsätze zu generieren? Schließlich haben klassische Medien ebenfalls Artikel zu da Gloria Martins (auch über seine „Fanseite“ bei Facebook) veröffentlicht und in diesem Umfeld Werbung verkauft. Diese sind dabei aber transparent vorgegangen sein. Im Fall der Fanseite hingegen wird nicht deutlich, welcher Absender dahintersteht.
Fotos von Verletzten im Artikel
Auch dem potenziellen Einwand, dass Seniorbook nicht aus dem Leid der Opfer Profit schlage, sondern auf der Fanseite von da Gloria Martins ein „positiver Aspekt“, nämlich die souveräne Arbeit des Pressesprechers, im Mittelpunkt stehe, ließe sich – würde die Seite doch aus Unternehmenskreisen stammen – widersprechen. Denn im vom Seniorbook-Team live aktualisierten Artikel über die Ereignisse rund um den Amoklauf, der ebenfalls auf der Fanseite gepostet wurde, ist ebenfalls (ohne Angabe einer Quelle) ein Foto von offenbar Verletzten auf einer Bahre eingebunden.
Zudem mutet es heuchlerisch an, dass ein Mitarbeiter des Redaktions-Teams von Seniorbook (der Verfasser ist nicht namentlich genannt) in einem weiteren Artikel den medialen Umgang mit dem Amoklauf kritisiert – sowohl von Social-Media-Nutzern, als auch von professionellen Medien. „Obwohl per Twitter-Meldungen von der Polizei immer wieder um Vernunft gebeten wurde, interessierte das an diesem Abend nahezu keinen. Bilder und Clips, echte und gefälschte rauschten in Massen ins Netzt. (sic!)“, heißt es darin etwa. Dabei bildete Seniorbook auf der eigenen Seite nicht nur Verletzte ab, sondern band Tweets ein, auf denen Polizisten beim laufenden Einsatz zu sehen waren, sowie ein Youtube-Video, das ein Bewohner eines benachbarten Hauses aufgenommen hatte, in dem ebenfalls Schüsse des Täters zu sehen waren. Und das, obwohl die Münchner Polizei in der Tat per Twitter darum gebeten hatte, dies zu unterlassen.
Seniorbook heizt Spekulationen an
Auch die klassischen Medien kritisiert Seniorbook mit folgenden Sätzen: „Die Berichterstattung der Presse war bei den meisten Medien (TV, Print, Internet) von eigentümlichen Benehmen gekennzeichnet. Gut, Reporter wollen und brauchen Stories und Bilder, aber nachdem die Nachrichtenlage eben eher dünn war, wurden Fehlalarme aufgebauscht, unsinnige Fragen unsinnig oft wiederholt und die offiziellen von ARD und ZDF haben sich gemeinsam mit CNN und dem Focus nicht mit Ruhm bekleckert.“ Dabei berichtete Seniorbook selbst über vermeintliche weitere Anschläge zur selben Zeit in München und beteiligte sich an Spekulationen: Ein weiterer Seniorbook-Post vom Freitagabend bei Facebook zeigt den mutmaßlichen Täter, versehen mit dem Text: „Er könnte Sprengstoff am Körper tragen.“
Der anklagende Artikel von Seniorbook stieß bei Facebook jedoch auf nur wenig Resonanz: Nur sechs Nutzer klickten unter dem entsprechenden Post bislang auf „Gefällt mir“, zwei andere kommentierten: „Daran arbeitet ihr doch kräftig mit“ sowie „Wer selbst im Glashaus sitzt…“.
UPDATE, 25. Juli, 16:30 Uhr: In einer früheren Version dieses Artikels heißt es, die Facebook-Fanseite für Marcus da Gloria Martins sei am 21. Juli eingerichtet worden. Richtig ist der 22. Juli. Wir haben den Fehler korrigiert.