Das ist passiert, nachdem Lush sich weitgehend von Social Media verabschiedet hat

Wie die Seifen- und Hautpflege-Marke trotz Rückzug aus einem relevanten Kanal wachsen will

Mit "Adventures in Bathing"-Badebomben sollten die Lush-Kund*innen den Social-Media-Stress abstreifen können.
Mit "Adventures in Bathing"-Badebomben sollten die Lush-Kund*innen den Social-Media-Stress abstreifen können. (Illustration: Lush)
Inhalt
  1. Stillgelegte Accounts verweisen auf andere Touchpoints
  2. „Unser Direct Traffic ist gesunken“
  3. Die Filiale als „Experience Marketing Plattform“
  4. Neue Zielgruppen über Kollaborationen erreichen
  5. Ein Kundenforum für die Superfans

Welche Auswirkungen hat es auf eine Marke, wenn sie sich aus einem der wichtigsten Marketing-Kanäle für die junge Zielgruppe größtenteils zurückzieht? Diese Frage haben sich vermutlich viele gestellt, nachdem Lush im November 2021 angekündigt hat, sich von Facebook, Instagram, Snapchat und Tiktok zu verabschieden, „bis diese ein sicheres Umfeld für ihre Nutzer*innen bieten“. Ein Jahr später hat Tanja Hofmann, Strategy Lead bei Lush Deutschland, im Gespräch mit OMR ein Resümee gezogen.

Tanja Hofmann

Tanja Hofmann (Foto: Lush)

„Der unmittelbare Auslöser für den Schritt waren die Facebook Files der Whistleblowerin Frances Haugen, die unser Global Leadership schockiert haben“, so Hofmann rückblickend über die Gründe für den Rückzug. „Unser Firmengründer Mark Constantine sagte damals zu mir, dass er kein gutes Gefühl dabei habe, die Kundinnen auf eine Plattform zu locken, die für sie kein sicheres Umfeld ist. Ein passender Vergleich von Mark war, dass er ja auch keinen Laden in einer Gegend eröffnen würde, wo die Besucher*innen Angst um ihre Gesundheit haben müssten.“

Stillgelegte Accounts verweisen auf andere Touchpoints

Dafür, dass der Schritt entsprechende Aufmerksamkeit erregt, hat Lush trotzdem einiges getan. In einer viel beachteten Pressemeldung hat das Unternehmen ausführlich seine Gründe für den Schritt dargelegt. Wenig später hat Lush außerdem eine neue Linie an Badebomben auf den Markt gebracht, mit denen die Kund*innen sich vom „endlosen Scrollen“ erholen sollten, ergänzt um Playlists mit Entspannungsmusik auf Spotify. „Die sind drei Millionen Mal verkauft worden“, so Hofmann.

Alle Accounts komplett gelöscht hat das Unternehmen jedoch nicht: Die Konten bei Instagram und Tiktok lassen sich über die Suchfunktion immer noch auffinden. Bis auf ein (in mehrere Kacheln aufgeteiltes) Bild bzw. ein einzelnes Video mit der Botschaft „Be somewhere else“ sind dort jedoch alle Inhalte gelöscht. „Uns war es wichtig, dass es weiterhin möglich ist, auf den Plattformen diese Message zu kommunizieren, wenn uns dort jemand sucht“, so Hofmann.

„Unser Direct Traffic ist gesunken“

Auf dem Instagram- und Tiktok-Profil findet sich auch ein Link zu einer Landingpage, die u.a. auf die Lush-Website, einen Filialfinder sowie auf Unternehmens-Accounts bei Youtube, Pinterest und Twitter verweist. „Youtube steckt nach unserer Beobachtung viel Arbeit in die Moderation, um Hatespeech und Belästigung herauszufiltern“, sagt Hofmann. „Wir wollen künftig unsere Aktivitäten auf Youtube und Pinterest noch intensivieren, vor allen Dingen die Zusammenarbeit mit Creatorn. Ob wir unsere Aktivitäten auf Twitter weiterführen, prüfen wir aktuell. Da gibt es aber noch keine Entscheidung.“

Auch wenn Lush sich also nicht komplett von Social Media zurückgezogen hat, hat die Marke sich mit dem Abschied von Instagram und Tiktok doch einer überaus relevanten Kontaktmöglichkeit zu einer jungen Zielgruppe beraubt. „Nachdem wir uns von Social Media zurückgezogen haben, ist unser Direct Traffic gesunken“, räumt Hofmann ein. In welchem Maß das auf den Social-Media-Rückzug zurückgehe, sei jedoch kaum verlässlich zu messen. „Es gibt ja unzählige andere mögliche Effekte. Die Pandemie, der Dürresommer, der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise können sich auf die Konsumlaune und auch unseren Website Traffic ausgewirkt haben.“

Die Filiale als „Experience Marketing Plattform“

Um diese Entwicklung zu kompensieren, hat Lush nicht das naheliegende getan und die klassische Werbung ausgebaut. Denn bei dem Unternehmen gibt es seit vielen Jahren eine globale „No Advertising Policy“, die weiterhin besteht, wie Hofmann bestätigt. „Das ist immer wieder ein viel diskutierter Punkt. Wir geben ein bisschen Geld bei Google aus, aber das hält sich stark in Grenzen.“ Wie also will Lush Wachstum generieren? Im zurückliegenden Geschäftsjahr (das bei Lush bis Juni geht) hat das Unternehmen in Deutschland 36 Millionen Euro umgesetzt; im laufenden Jahr sollen es 45 Millionen Euro werden, wie Hofmann erklärt. „Wir setzen auf die Wiederkehr und den Ausbau des Footfalls. Wir haben deswegen zuletzt in Retail investiert und werden das auch weiterhin tun.“

Schon im Juli 2022 hatte Lush verkündet, 7,6 Millionen Pfund (nach aktuellem Kurs eta 8,5 Millionen Euro) in den Retail-Bereich zu investieren. Dabei gehe es nicht nur ums „schnöde Geschäft“, wie Hofmann sagt: „Filialen sind für uns ein unheimlich wichtiger Kommunikationskanal und Teil des Experience Marketings. Man muss Lush-Produkte auch sehen, fühlen, riechen und anfassen können. Wir lassen beispielsweise in den Filialen zeitweise auch Produkte live herstellen.“ Künftig will Lush laut Hofmann im stationären Bereich auch noch stärker mit Events arbeiten. „Für unser Snow-Fairy-Weihnachtssortiment haben wir beispielsweise in einem großen Frankfurter Einkaufszentrum extra einen Pop-up-Store eröffnet.“

Neue Zielgruppen über Kollaborationen erreichen

Eine Funktion in der Lush-App könnte dabei helfen, stationär und online noch stärker miteinander zu verknüpfen: Mit der „Lush Lense“ können die Kund*innen die „nackten“ Produkte in den Läden scannen und mehr Informationen über diese abrufen – ohne dass dafür ein aufgedruckter QR-Code oder Ähnliches notwendig wäre. Das führt nicht nur die Stationärkund*innen in die digitalen Kanäle, sondern reduziert auch Verpackungsmüll. Die Linse soll bereits mehrere Millionen Mal für Scans genutzt worden sein.

„Die für uns vielleicht wichtigste Initiative ist der Ausbau der Kollaborationen mit anderen Marken, bei denen wir gemeinsam neue Produkte präsentieren“, sagt Hofmann. „Darüber erreichen wir neue Zielgruppen und reaktivieren Bestandskunden.“ Eine der erfolgreichsten Kollaborationen sei die mit der Firma hinter der japanischen Mangaserie One Piece gewesen. „Wir haben zeitgleich zum Start des One-Piece-Kinofilms eine Badebombenkollektion veröffentlicht. Die war in Japan nicht nur innerhalb von zwei Wochen ausverkauft, sondern hat uns in der Einführungswoche online auch über 70 Prozent neue Nutzer*innen und 165 Prozent mehr Traffic eingebracht.“

Ein Kundenforum für die Superfans

Solche Erfolge könnten auch dazu beitragen, die Online-Umsätze von Lush zu steigern. Im Geschäftsjahr 2021/22 habe der Online-Anteil am Umsatz global bereits bei 44 Prozent gelegen, in Deutschland liegt er laut Hofmann noch bei einem Viertel. „Das müssen wir auf jeden Fall ändern.“ Nach weiteren Kooperationen mit Stranger Things sowie der britischen „Ethical Fashion“-Marke Lazy Oaf sei in diesem Jahr eine mit der Kunsthalle in Bremen geplant. „Für uns ist es bei Markenpartnerschaften wichtig, dass unsere Partner unsere Werte teilen“, sagt Hofmann.

Daneben will Lush künftig weiterhin noch näher an den Kund*innen sein. So habe das Unternehmen in allen Ländern einen Live Chat flächendeckend ausgerollt; als nächstes ist die Einführung eines Kundenforums innerhalb der App geplant. „So etwas gab es schon einmal, ist aber in der Social-Media-Ära geschlossen worden. Nun wollen wir das wiederbeleben, denn der direkte Austausch mit unseren Kund*innen liegt uns sehr nahe“, sagt Hofmann.

Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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