Wie ein Youtuber-Ehepaar mit veganer Kosmetik einen siebenstelligen Jahresumsatz generiert

Nadine und Philipp Steuer sind mit Kupfergrün deutsche "Creator Economy"-Pioniere

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Nadine und Philipp Steuer
Inhalt
  1. Familienleben mit zwei Ex-Laborschweinen
  2. „Manche haben wir durch ihre Jugend begleitet“
  3. Die ersten Produkte entstehen am eigenen Herd
  4. Mit Sack und Pack nach Österreich
  5. Transparenz kommt bei der Community an
  6. Deo-Creme und feste Duschseifen als Bestseller
  7. „Wir müssen kaum Geld für Marketing ausgeben“
  8. Eine kleines Ausnahmephänomen in der deutschen Szene
  9. Nach einer Rabattaktion muss der Shop einen Monat lang offline gehen
  10. Was ist mit externen Investoren?

Als Influencer dauerhaft Produkte anderer in die Kamera halten und damit den Wert von externen Unternehmen steigern – oder die eigene Reichweite doch lieber dazu nutzen, um damit eine eigene Marke aufzubauen? Das Ehepaar Nadine und Philipp Steuer geht aktuell noch einen Mittelweg. Doch ihre vegane Kosmetikmarke Kupfergrün wächst schnell und beschäftigt nach einem guten Jahr bereits sieben Mitarbeiter. Gegenüber OMR haben Gründerin und Gründer erklärt, warum sie wirklich nahezu alles selbst machen (und nicht nur ihren Namen für ein Produkt geben) und wo sie mit dem Unternehmen noch hinwollen.

„Ich bin ultra hyped!“, sagt Nadine Steuer im Oktober 2018, während ihr Mann Philipp sie beim Autofahren filmt. Das Paar ist auf dem Weg, um Produktfotos zu schießen und einen Online-Shop fertig zu stellen. Denn: „Ich habe eine vegane Bio-Naturkosmetik-Pflegeserie auf den Markt gebracht – heute!“, verkündet Nadine Steuer gegenüber den Zuschauern ihres Youtube-Kanals „Kupferfuchs“. In diesem stellt sie das Video unter dem Titel „Ich lüfte mein größtes Geheimnis 😱“ ein (das „Geheimnis“ lüftet sie allerdings eher Youtube-untypisch gleich zu Beginn des Videos).

Familienleben mit zwei Ex-Laborschweinen

Nadine und Philipp Steuer sind mit ihren 32 bzw. 30 Jahren fast schon Urgesteine der deutschen Youtube-Szene. Beide haben in der Vergangenheit für Mediakraft gearbeitet – das erste „Multi-Channel-Network“ in Deutschland, das so etwas wie die Keimzelle der deutschen Youtuber-Szene war (hier ein OMR-Artikel aus dem Jahr 2014). Beide starten außerdem früh eigene Youtube-Kanäle. Während Philipp Steuer zuerst als „News-Youtuber“ Reichweite aufbaut, verlegt sich Nadine auf Gaming-Videos und – wie sie selbst sagt – „Nerdkram“: Mangas, Anime, Cosplay.

Doch im Laufe der Jahre verschiebt sich ihr thematischer Fokus. Seit 2015 ist das Paar verheiratet, seit 2020 sind sie Eltern. Die junge Familie wohnt auf einem Hof in der Nähe von Köln, gemeinsam mit zwei Katzen, zwei Hunden und zwei ehemaligen Laborschweinen. Die Tierliebe ist es dann auch, die die beiden dazu bringt, ihre Ernährung zuerst vegetarisch und dann auf vegan umzustellen.

„Manche haben wir durch ihre Jugend begleitet“

Die Umstellung schlägt sich auch in den Videos der beiden nieder. Heute veröffentlichen sie hauptsächlich Koch- (Philipp) und Backvideos (Nadine) sowie Tests von veganen Lebensmittelprodukten. Hinzu kommen immer mal wieder Einblick in das Leben des Paares – „persönlich, aber nicht zu privat“, so das Paar gegenüber OMR. „Unsere Community hat sich mit unseren Themen mit entwickelt“, sagt Nadine Steuer. „Manche davon haben wir durch ihre Jugend begleitet.“

Ein Blick in die beliebtesten Videos von Philipp Steuers Youtube-Kanal

223.000 bzw. 252.000 Abonnenten verzeichnen die Youtube-Kanäle der beiden; ihre Videos sammeln in der Regel fünf- bis sechsstellige Abrufzahlen an. Ihr Youtuber-Dasein finanzieren sie ganz klassisch mit eine Mixmodell: Sie lassen ihre Videos von Youtube werbevermarkten und bekommen dafür Geld von der Plattform, sind aber auch für Produkt-Platzierungen direkt durch Unternehmen buchbar. 2020 veröffentlichen sie drei eigene Rezeptbücher, jeweils eines alleine sowie ein gemeinsames.

Die ersten Produkte entstehen am eigenen Herd

Nadine Steuer experimentiert schon früh mit eigenen Produkten. Gleich nachdem sie sich 2016 selbstständig gemacht hat, bringt sie unter dem Label „Copperfox Clothing“ eine eigene Modekollektion heraus. Dann nimmt sie das Thema Kosmetik in den Blick, speziell nachhaltig verpackte Naturkosmetik. „Ich war frustriert davon, dass wenn man sich bei Frisören Shampoos kauft, die manchmal 100 Euro kosten, aber billigste Plastikverpackungen haben“, so Nadine Steuer gegenüber OMR.

Der erste Schritt sind eigene Experimente: Anfang 2018 stellt sie nach Rezepten aus einem Buch mit Öl und Avocado-Mousse selbst Seife und eine Gesichtsmaske her – und dokumentiert den Vorgang natürlich für ihren Youtube Kanal. „Danach habe ich dann gegooglet, wer Bio- und Naturkosmetik produziert, um jemanden zu finden, der sich da gut auskennt und mir helfen kann. Aber dann bin ich erst einmal vor eine Wand gelaufen.“

Mit Sack und Pack nach Österreich

Über einen Kontakt aus ihrem Netzwerk stößt das Paar auf einen Lohnhersteller in Österreich, der einen vielversprechenden Eindruck macht. Doch bei dem müssen die Steuers erst einmal Vertrauen aufbauen. Offenbar hatte das Unternehmen davor mit anderen Influencern weniger gute Erfahrung gemacht. Das Ehepaar packt also beide Hunde ins Auto und fährt kurzerhand nach Österreich.

Dort gelingt es Nadine Steuer offenbar, das Unternehmen von ihren Vorstellungen zu überzeugen. Die Youtuberin hat sich vorab informiert: „Ich wollte zum Beispiel kein Sodium Lauryl Sulfat. Eigentlich wollte ich auch kein Palmöl verwenden, aber das mussten wir am Anfang noch verwenden, weil wir uns die Alternativen nicht leisten konnten.“ Sulfate werden von manchen als zu aggressiv für Haut und Haare eingeschätzt, für Palmöl-Plantagen werden Regenwälder abgeholzt.

Transparenz kommt bei der Community an

Das Ehepaar Steuer startet, finanziert aus eigenen Mitteln, einen ersten Testballon, mit jeweils zwei Bio-Shampoos und -Conditionern. „Wir wollten erst einmal schauen, ob die Leute überhaupt etwas kaufen“, so Nadine Steuer. Diese ersten Produkte verkaufen sie noch unter dem Namen Lune & Ori über einen eigens eingerichteten Online-Shop – der Umweltfreundlichkeit wegen in Glasflaschen. Die notwendigen Pumpdosierer müssen aus Kunststoff die Kunden (wenn sie kein Paket aus mehreren Flaschen kaufen) gesondert erwerben.

„Ich würde gerne die Deckel (aus Kunststoff, Anm. von OMR) und die Pumper austauschen“, erklärt Nadine Steuer in ihrem Youtube-Video zum Launch. „Das ist aber eine Kostenfrage, die ich aktuell nicht finanzieren kann. Aber wenn das Geschäft gut läuft und sich nicht im Minusbereich bewegt, will ich das auf jeden Fall austauschen.“ Diese Transparenz – das Paar bemüht sich, alle Prozesse mit Videos zu dokumentieren und seine Community von Anfang zu involvieren – kommt bei den Zuschauern offenbar gut an. „Das Feedback hat gezeigt, dass die Community diesen Gründungsprozess durchaus spannend fand“, so Nadine Steuer.

Deo-Creme und feste Duschseifen als Bestseller

Auch die Resonanz auf die Produkte ist so gut, dass die Steuers für ihre Kosmetikprodukte 2019 eigens ein Unternehmen gründen – dann schon, der besseren Einprägsamkeit wegen, unter dem neuen Namen Kupfergrün. Damit einher geht die Erweiterung des Sortiments auf feste Produkte – um auf Verpackung verzichten zu können. So bringen die beiden zuerst eine Deocreme auf den Markt, später folgen Duschseifen: feste Blöcke, die die Kunden unter der Dusche oder in der Badewanne in der Hand aufschäumen und dann auf den Haaren auftragen.

Beides kommt offenbar sehr gut an: Creme und Duschseifen würden heute im Shop am häufigsten gekauft, so die beiden. Das Sortiment ist unterdes noch weiter gewachsen. Heute finden Besucher im Shop nicht nur diverse Seifen, Cremes, Öle und Gesichtsmasken, sondern auch Bad-Accessoires wie waschbare Abschminkpads und eine Seifenschale aus „flüssigem Holz“ (aus Holzfaser gepresst und damit kompostierbar).

„Wir müssen kaum Geld für Marketing ausgeben“

Allen Produkten gemein ist, dass sie teurer sind als Durchschnittsprodukte aus dem Drogeriemarkt. 250 Milliliter Shampoo oder Conditioner kosten beispielsweise 15 Euro. „Die Leute verstehen, dass die Produkte ihren Wert haben und sind dementsprechend bereit, dafür zu bezahlen. Wir machen auch nahezu nie Rabattaktionen“, sagt Nadine Steuer. Die Kunden seien sogar bereit, auf Produkte zu warten. Als sie die Duschseifen ankündigen, bestellen die Leute sogar, obwohl sie sie erst nach Herstellung und damit einen Monat später erhalten.

Wichtigstes Marketinginstrument von Kupfergrün sind die Social-Media-Accounts von Nadine und Philipp Steuer. Außer Youtube sind beide vor allem auf Instagram aktiv, wo sie bislang 147.000 und er 91.000 Follower verzeichnet. Dank dieser Reichweite muss Kupfergrün fürs Marketing kaum Geld ausgeben. „Wir machen ein bisschen Instagram und Facebook Ads und wollen in Zukunft auch Placements bei anderen Influencern buchen. Sonst machen wir kaum bezahlte Werbung, keine Google Ads, keine Youtube Prerolls“, sagt Philipp Steuer, der das Marketing verantwortet. „Wir können ganz gut davon leben, dass wir mit unserem Content immer wieder Kunden gewinnen und Verkäufe generieren können.“

Eine kleines Ausnahmephänomen in der deutschen Szene

Die beiden Plattformen erfüllen dabei unterschiedliche Funktionen: „Youtube ist gut für langfristiges Storytelling. Über die Plattform lässt sich gut eine Community aufbauen und auch halten“, so Nadine Steuer. „Instagram ist da kurzfristiger; die Storys sind ja auch nach 24 Stunden wieder weg.“ Dafür ließen sich über Instagram sehr gut Trigger setzen, etwa bei Produkteinführungen. „Dafür nutzen wir beispielsweise die Countdown-Funktion, mit der sich die Kunden informieren lassen können, wenn das neue Produkt im Shop steht. Die Kombination von Youtube und Instagram ist sehr effektiv.“ Der Großteil des Traffics von Kupfergrün kommt nach Angaben des Gründerpaares dementsprechend über Social Media. „SEO wächst aber“, so Philipp Steuer.

Dass die Influencer- und Content-Creator-Szene eine neue Generation von Unternehmern hervorbringt, ist aktuell in den USA ein Riesenthema. In Deutschland haben sich hier einige Youtuberinnen wie (natürlich) Bianca Claßen alias BibisBeautyPalace mit ihrem Duschschaum Bilou, Back-Youtuberin Saliha Özcan alias „Sallys Welt“ und Fitness-Influencerin Pamela Reif hervorgetan; hinzu kommen viele Rapper mit großer digitaler Reichweite und eigenen Convenience-Food-Produkten. Mit ihrem Bootstrapping- und DIY-Ansatz sowie ihrer veganen Nische sind Nadine und Philipp Steuer so etwas wie eine kleine Ausnahmererscheinung in der deutschen Creator Economy.

Nach einer Rabattaktion muss der Shop einen Monat lang offline gehen

Im ersten Jahr nach Gründung hat Kupfergrün einen siebenstelligen Umsatz erwirtschaftet , sagt Philipp Steuer. „Wir sind auch profitabel.“ Der Großteil der Einnahmen fließen jedoch zurück ins Unternehmen. „Ich habe mir erstmals nach anderthalb Jahren ein Gehalt ausgezahlt, und das war auch eher eine symbolische Summe“, sagt Nadine Steuer. Sieben Mitarbeiter beschäftigt Kupfergrün mittlerweile, teils in Voll-, teils in Teilzeit. Dazu kommen noch Freelancer, und Nadines Mutter kümmert sich um den Kunden-Support. „Wir könnten von keiner Sache allein alles finanzieren“, sagt Nadine. Deswegen geht das Paar nach wie vor Werbekooperationen ein, Philipp zuletzt beispielsweise mit Aldi Süd.

Die erste große Härteprüfung hat Kupfergrün schon absolvieren müssen. Als die Steuers zum Jahresabschluss Ende Dezember doch einmal eine Rabattaktion durchführen, gibt es Probleme mit dem Warenwirtschaftssystem. Die Meldung, dass Produkte ausverkauft waren, funktioniert nicht, so dass die Kunden immer weiter Produkte bestellen können, die eigentlich schon ausverkauft sind. Sie nehmen den Online-Shop erst einmal für einen ganzen Monat offline. „Wir mussten erst einmal alle Bestellungen händisch prüfen, wann sie reingekommen sind“, sagt Philipp Steuer. In dieser Zeit erwirtschaften sie auch keinen Umsatz.

Was ist mit externen Investoren?

Mittlerweile ist der Shop wieder online und das Paar plant eine weitere Sortimentserweiterung. „Wir wollen als nächstes den Fokus eher auf gesamte Produktgruppen legen“, sagt Nadine Steuer. So sei als nächstes eine Gesichtspflegeserie geplant. Außerdem wollen sie künftig bei der Logistik mit einem professionellen Dienstleister zusammenarbeiten – bislang hatten sie ihren Warenbestand noch privat gelagert.

Auch wenn sie bislang komplett selbstfinanziert agiert haben, wollen beide nicht ausschließen, in Zukunft auch einen externen Investor ins Unternehmen zu holen. Der Schritt könnte nicht nur dem Wachstum helfen, sondern auch in der Produktentwicklung. „Wenn genügend Geld da ist, kann ich mir schon vorstellen, dass wir selbst in die Forschung gehen“, sagt Nadine Steuer.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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