11880-Erfinder Klaus Harisch: Wie man einen 400-Milliarden-Markt im Alleingang digitalisiert

Yoummday ersetzt klassische Callcenter durch Gig-Arbeiter*innen – wird das Münchener Startup der erste große digitale Champion aus Deutschland seit SAP?

Inhalt
  1. Die Vision im Jahr 2000: ein Sprachportal
  2. Callcenter-Killer als Family Business
  3. Pläne für die US-Expansion

Diese Episode des OMR Podcasts steigt ganz tief hinab in die Geschichte der digitalen Disruption made in Germany. Zu Gast: Klaus Harisch, Seriengründer, der bereits mehrfach sein Gespür für zu knackende Märkte bewiesen hat. Mit Telefondiensten hat er in den 1990er-Jahren ein Milliardenunternehmen aufgebaut, später die Gelben Seiten digitalisiert und sich nach dem Exit eigentlich mit einer Zigarrenmanufaktur als Hobby zur Ruhe setzen wollen. Doch seit acht Jahren ist Harisch zurück im Spiel und gerade dabei, den etablierten Playern der Callcenter-Branche das Fürchten zu lehren. Was sein Unternehmen Yoummday anders macht, welche bekannten Marken seinen Dienst nutzen und wo die Herausforderungen bei der geplanten Eroberung des gigantischen US-Markts liegen, darüber spricht Klaus Harisch in dieser OMR Podcast-Episode. Dazu gibt es spektakuläre Storys über seine Werbedeals mit Verona Pooth und Paris Hilton, ein geplatztes Supplement-Business mit Boris Becker und das von ihm ersonnene Handy – kein Smartphone – mit nur einem einzigen Knopf. 

Gute Ideen sind einfach, sagt man. Zum Beispiel diese: Als ab Mitte der 90er-Jahre der deutsche Telko-Markt liberalisiert wurde, verlor die Telekom auch ihr Auskunft-Monopol. In Zeiten vor Google ein gigantischer Markt. 30 private Anbieter gingen an den Start. Wirklich relevant war nach wenigen Monaten nur noch einer. Neben der Telekom mit der aus Bundespostzeiten gelernten Auskunftsnummer 01188 gab es noch die von Klaus Harisch und Peter Wünsch gegründete Firma Telegate. Besser bekannt unter der Nummer, unter der man ihre Auskunft erreichte: 11880.

Ein simpler Zahlendreher, der mit einem zweistelligen Milllionenetat für TV-Werbung ("11880, da werden Sie geholfen") in deutsche Wohnzimmer posaunt wurde, machte Telegate in kürzester Zeit zu einer der bekanntesten Brands. Dennoch sagt Harisch: "Die ersten zwei, drei Jahre waren wir immer kurz vor der Insolvenz." Doch die Umsätze wuchsen rasant. Im ersten Jahr habe Telegate mit seiner Auskunft eine Million D-Mark Umsatz gemacht, so Harisch. Im folgenden schon sieben, im dritten 70, in dem darauf 170 Millionen Umsatz bei vier Millionen Gewinn. 

Jeder Anruf habe damals zunächst umgerechnet einen Euro gekostet, so Harisch. Vor der Verbreitung des Internets waren telefonische Auskünfte ein gigantischer Markt, der nach der Liberalisierung zudem kräftig wuchs. Zu Einordnung: Noch als Monopolist zählte die Deutsche Telekom im Jahr 1995 ingesamt 550 Millionen Anrufe – im vergangenen Jahr waren es immerhin noch zwei Millionen. Dennoch teilte der Konzern gerade mit, er stelle die Auskunftsdienste mangels Nachfrage zum Jahresende 2024 ein. 

Die Vision im Jahr 2000: ein Sprachportal

Vor 30 Jahren war Sprachauskunft per Telefon noch eine große Wette auf die Zukunft. Bei Telegate hätten sie laut Harisch Pläne gehabt, die Telefonauskunft 11880 zu einem Sprachportal auszubauen, über das sich alle denkbaren Auskünfte einholen und Dienstleistungen direkt buchen lassen. Mit dieser Vision im Blick erfolgte 1999 der Börsengang von Telegate. Auf dem Papier war die Firma zwei Milliarden Euro wert, als sich die beiden Gründer Harisch und Wünsch ihren 20-Prozent-Anteil zum Börsenkurs von den Mehrheitseignern auszahlen lassen – gerade rechtzeitig vor dem Platzen der Dotcom-Blase.

Harisch war damals Mitte 30 und auf einmal ziemlich reich. Und weil es in seinem Umfeld keine Menschen gegeben hätte, die ihn "kalibrieren", wie es der promovierte Physiker umschreibt, habe er dann jede Menge Neureichen-Quatsch gemacht: mehrere Villen gebaut, einen Hubschrauber gekauft, sich eine Oldtimer-Sammlung zugelegt. Er hätte nie wieder arbeiten müssen, sagt Harisch. Doch 2004 startete er ein nächstes Venture: GoYellow, eine Online-Version der Gelben Seiten. 

Für alle Nachgeborenen: Das waren dicke, gelbe Branchenverzeichnisse, in denen man im Pre-Internet-Zeitalter die Telefonnummern von Handwerkern und Restaurants fand. Die herausgebenden Verlage hatten regionale Monopole – und weil Unternehmen, die innerhalb der aufgelisteten Telefonnummern auffallen wollten, Anzeigen kaufen mussten, waren die Gelben Seiten eine Gelddruckmaschine. Auch dieses Unternehmen konnte Harisch 2010 gewinnbringend verkaufen, wobei die 40 Millionen Euro Erlös ahnen lassen, dass sich die Wertschöpfung aus Informationen bereits deutlich in Richtung von Google verschoben hatte.   

Callcenter-Killer als Family Business

Dann habe er sich tatsächlich zur Ruhe setzen wollen, so Harisch, und eine Zigarrenmanufaktur im Schwarzwald gekauft. Doch die unternehmerischen Ambitionen seiner Söhne hätten ihn letztlich wieder zurück zu seinen eigenen Anfängen als Unternehmer geführt. 2016 gründete er zusammen mit seinen Kindern Yoummday – als "Familienbetrieb", wie Harisch sagt. Die Idee dahinter: klassische Callcenter durch remote arbeitende Gig-Worker zu ersetzen. Denn der Wegfall der physischen Infrastruktur durch eine digitale Plattform bedeute weniger Kosten und eine höhere Effizienz. Der Effekt sei so groß, dass man den Agenten das Doppelte zahlen und den Auftraggebern trotzdem weniger berechnen könne, so Harisch.  

Mit diesem Pitch gewinne Yoummday – ein Kunstwort aus der Formel "You made my day" –  immer mehr und größere Unternehmen als Kunden, so Harisch. Fast alle Mobilfunkanbieter in Deutschland, viele Player aus dem Energiesektor, große Airlines, Firmen wie die Deutsche Telekom, Sky oder die Lufthansa setzten inzwischen auf die Lösung der Münchner.

Acht Jahre nach dem Start beschäftigt Yoummday 450 Leute, die sich um Entwicklung und Vertrieb der digitalen Callcenter-Plattform kümmern. Dazu kommen 15.000 Agenten, die im Namen von Yoummdays Kunden Service- und Vertrieb-Calls führen, Mails beantworten oder Whatsapp-Dialoge führen. Der Umsatz des Münchner Startups liege derzeit bei 100 Millionen Euro im Jahr so Harisch. Und es gebe viel Luft nach oben. In Deutschland würden im Jahr zwölf Milliarden Euro mit Callcenter-Dienstleistungen umgesetzt, global seien es 400 Milliarden Euro, so Harisch.

Pläne für die US-Expansion

Der mit 150 Milliarden Euro mit Abstand größte Markt für das sogenannte Business Process Outsourcing seien jedoch die USA, so Harisch. Vor allem dort biete auch das Thema Content-Moderation viel Potenzial. Allein Tiktok gebe  für das Ausfiltern problematischer Inhalte 800 Millionen Euro im Jahr aus. An solche Aufträge komme man aber nur, wenn man in den USA präsent ist, sagt Harisch. Darum suche er gerade nach einem Partner, der Yoummday bei der Expansion unterstützen kann. 

Außerdem erklärt Klaus Harisch in der neuen OMR Podcast-Episode wie er auf die wachsende Bedeutung von KI in seinem Sektor blickt und für welchen speziellen Use-Case seiner Meinung nach menschliche Callcenter-Mitarbeitende niemals durch KI-Chatbots ersetzt werden.

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Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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