Zukunft oder Zirkus? Wie die Kings League von Gerard Piqué den Profifußball herausfordert

Die Kings League schwingt sich mit verrückten Ideen zum innovativen Challenger des traditionellen Profifußballs auf. Kommt die Liga auch nach Deutschland?

Enigma in der Kings League
In der Kings League spielt mit "Enigma" auch ein maskierter Profi-Fußballer

Das viele Jahrzehnte gelernte originäre Spielformat des Profifußballs ist für die meisten Share- und Stakeholder eine heilige Kuh. Da kann der Endstand nach 90 langweiligen Minuten noch so oft 0:0 lauten. Problem nur: Die Konsuminteressen junger Zielgruppen ändern sich. Ex-Profi Gerard Piqué holt deshalb mit der Kings League zum disruptiven Gegenentwurf aus. Sein Fan-zentriertes Konzept für den Profifußball der Zukunft beinhaltet neben digitalen Innovationen auch künstliche Show-Elemente wie beim Wrestling, ein Draft-System wie in der NFL und Penaltyschießen wie im Eishockey. OMR nimmt die Kings League unter die Lupe und bekommt dabei exklusive Einblicke in die Pläne der Liga.

Stellt Euch mal vor, die spanische Torwartlegende Iker Casillas fliegt mit Engelsflügeln durch die Gegend. Und Ronaldinho steigt im Trikot eines Clubs namens Porcinos FC (deutsch: „Schweine FC“) aus einer pinken Limousine, um sein Fußball-Comeback zu feiern. Oder wie wäre es damit: Eine mysteriös verkleidete Zauberer-Clown-Mischung nimmt auf einem Fußballfeld ihre Maske ab und entpuppt sich als argentinischer Starspieler Sergio „Kun“ Agüero?

Für diese scheinbaren Hirngespinste braucht Ihr kein Fantasy-Fußball-Game. Denn in der Kings League gehören sie zum ganz realen Tagesgeschäft. Weltmarken wie Adidas scheint das Konzept zu gefallen: Alle Teams der Kings League tragen des Trikots des deutschen Sportartikelkonzerns. Als Stadion-Partner fungiert derweil die Seat-Automarke Cupra. Zu den weiteren Hauptsponsoren des Wettbewerbs zählen namhafte Brands von McDelivery über Simyo bis Spotify. Doch was macht die Kings League nun so besonders? Wer steckt dahinter? Und wie funktioniert das Marketing?

Kosmos Group scheitert zunächst im Tennis

Die Kings League wird Ende 2022 von Gerard Piqué und seiner Investmentgruppe Kosmos Group ins Leben gerufen. Nach dem vorzeitig beendeten Milliardenvertrag im Welttennis ist es Piqués nächster Anlauf, einen traditionellen Sport zu innovieren.

Doch eine Sache ist diesmal anders: Der berühmte Ex-Star des FC Barcelona versucht erst gar nicht, ein bestehendes Format wie seinerzeit den Davis Cup im Tennis zu reformieren. Sondern stampft mit der Kings League einfach direkt einen eigenen Wettbewerb aus dem Boden. „90 Minuten sind sehr lang. Man muss kurze, unterhaltsame Inhalte erstellen, denn heutzutage ist das Produkt Fußball selbst veraltet“, sagt Piqué zum Startschuss seines neuesten Projekts.

Fans machen die Regeln der Kings League

Die Kings League ist ein realer Fußballwettbewerb von zwölf Teams, die sich seit Januar 2023 jeden Sonntag in Matches insgesamt rund sechs Stunden lang in einer Messehalle im Hafen von Barcelona duellieren. Gespielt wird auf einem Kleinfeld, sieben gegen sieben, in zwei Spielhälften à 20 Minuten pro Match. Doch das ist natürlich längst noch nicht alles an Innovation, wie ein Einblick in die weiteren Regeln der Kings League zeigt:

  • Bei einem Unentschieden wird der Sieger jedes Spiels durch ein Elfmeterschießen mit Anlauf aus dem Mittelkreis ermittelt – sogenannte „Shootouts“, die vom Penaltyschießen im Eishockey bekannt sind.
  • Auch der im klassischen Fußball ansonsten eher langweilige und unbedeutende Anstoß wird in der Kings League mit einem Spannungselement aufgeladen: Beide Teams starten von ihrer jeweiligen Torlinie in die Mitte des Spielfeldes – wer nach dem Sprint als Erster zur eingesprungenen Grätsche ansetzt, hat die beste Chance auf den Ballbesitz.
  • Eine Gelbe Karte zieht eine Zwei-Minuten-Zeitstrafe für den verwarnten Spieler nach sich. Bei einer Roten Karte ist gar eine Fünf-Minuten-Strafe fällig und der sanktionierte Spieler darf danach nicht mehr eingewechselt werden.
  • Ein Video-Assistant-Referee (VAR) ist ebenfalls verfügbar. Dieser wird jedoch anders als bei traditionellen Profifußball-Pendants wie der deutschen Bundesliga nicht aus einem Kölner Keller heraus eingesetzt, sondern von den Teams selbst. Bestätigt der VAR den Einsatz, behalten die Teams ihre Option für einen weiteren Einsatz. Liegen sie falsch, verlieren sie das VAR-Recht für den Rest des Spiels. So ähnlich kommt im Tennis seit Jahren erfolgreich das Hawk-Eye zum Einsatz.
  • Und dann sind da noch diese ominösen „action cards“, von denen jedes Team vor Anpfiff jeweils eine ziehen darf. Der Clou: Was draufsteht wird erst bekannt, wenn sie ihre Karte während eines Spiels einsetzen. Das soll für überraschende Wendungen wie in jedem guten Gesellschaftsspiel sorgen. In der Kings League gibt es sechs verschiedene solcher geheimer Action-Karten: sofortiger Elfmeter oder Shootout, der Ausschluss eines gegnerischen Spielers für zwei Minuten, Diebstahl der Karte des anderen Teams, zwei Minuten lang doppelte Zählweise der eigenen Tore sowie eine Joker-Karte mit freier Auswahl der vorgenannten Optionen.

Besonders an den Regeln ist auch, dass die wichtigsten von den Fans via Social Media maßgeblich mitgestaltet wurden – und werden. Mögliche Regeländerungen werden regelmäßig im Livechat zur Diskussion gestellt. „Die Kings League wurde von uns allen erstellt“, heißt es dazu auf der Website des Wettbewerbs. Wer sich für das komplette (spanischsprachige) Regelwerk interessiert, kann sich in diesem 24-Seiten-Pamphlet ausleben.

Schiedsrichter mit Bodycams

Die Fans stehen bei der Kings League nicht nur bei der Ausgestaltung der Regeln an vorderster Stelle. Alle Liga-Aktivitäten werden von den Verantwortlichen durch die Fan-Brille betrachtet. Was so banal klingt und auch andere Sportligen für sich in Anspruch nehmen würden, wird andernorts längst nicht so konsequent gelebt wie in der Kings League. Das ermöglicht ihr letztlich, weitere disruptive Ideen zu testen. Einige Beispiele:

Die Kings League bedient sich punktuell auch an einem bewährten Fundus von Elementen anderer Sportarten und erweitert diese um innovative Eigenkreationen. Die Schiedsrichter der Kings League tragen beispielsweise Bodycams und erläutern für das Publikum hörbar ihre Entscheidungen. Anders als im Profifußball ist eine ähnlich transparente Schiedsrichter-zu-Fan-Kommunikation in anderen Sportligen wie der NFL ebenfalls längst Usus.

Draft-System und Joker-Spieler

Das in der Kings League angewendete Draft-System ist eine weitere Analogie zum US-Sport: Die Kader der zwölf Teams bestehen aus zwölf Spielern, von denen jeweils zehn pro Team per Draft-Verfahren ermittelt werden. Medienberichten zufolge bewarben sich Ende 2022 über 15.000 interessierte Fußballspieler um einen Platz in den Kadern der Kings-League-Teams. Die meisten von ihnen sind Ex-Profis, Futsal-Spieler und ambitionierte Amateure.

Der elfte und der zwölfte Spieler haben eine besondere Rolle. Sie sind entweder ehemalige oder zum Teil auch noch aktive Profis. Während der elfte Spieler für eine gesamte Spielzeit nominiert werden muss, kann Nummer zwölf Woche für Woche wechseln, er ist eine Art Joker. Der aus der Schweine-Rosa-farbigen Limousine aussteigende Ronaldinho ist so einer. 

Wer ist der Maskenmann Enigma?

Zu den weiteren Profifußballern und Ex-Stars, die bereits als „zwölfter Mann“ an der Kings League teilgenommen haben, gehören der als „Chicharito“ bekannte Mexikaner Javier Hernández, der spanische Weltmeister Joan Capdevila und der Ex-Stürmerstar von Barcelona und Real Madrid, Javier Saviola.

Nur einer gibt der Community der Kings League bisher ein großes Rätsel auf: Enigma, ein mit einer mexikanischen Wrestler-Maske getarnter Spieler vom Team Xbuyer, der angeblich ein unter 30-Jähriger aktiver Profi aus der höchsten spanischen Fußball-Spielklasse „La Liga“ ist. Die Social-Kanäle laufen bei der Suche nach der Identität geradezu heiß. Enigma hat sogar schon einen eigenen Twitter-Account.

Präsidenten bringen Reichweiten zum Fliegen

Große Namen gibt es auch unter den Präsidenten der zwölf Teams, sie kommen ausschließlich aus den Bereichen Profifußball, Streaming und Social Media. Die beiden bekanntesten Namen sind die beiden schon genannten Ex-Stars Sergio „Kun“ Agüero (der ominös verkleidete Clown) vom Team Kunisports und der als Engel eingeflogene Iker Casillas, der mit dem Team 1K FC seine gleichnamige Fußball-Akademie bewirbt. 

Die meisten der zehn anderen Präsidenten sind Internetstars auf Plattformen wie Twitch und Youtube. Ein cleverer Schachzug von Piqué, denn die Präsidenten streamen die Spiele ihrer Teams zusätzlich zum offiziellen Twitch-Stream auch auf ihren Kanälen. Ibai Llanos (hier im OMR-Porträt), Präsident von Porcinos FC, hat allein bei Twitch rund 13 Millionen Follower*innen. Er ist als Mitinitiator neben Piqué das prominenteste Gesicht der Kings League. Derweil erreicht der Streamer DJ Mariio als Präsident des Teams Ultimate Móstoles über 8,7 Millionen Abonnent*innen bei Youtube. Seine Videos unter anderem mit Cristiano Ronaldo haben bereits über drei Milliarden Aufrufe generiert. Und Adri Contreras (Präsident von El Barrio) zählt 3,7 Millionen Follower*innen sowie 467 Millionen Video-Likes bei Tiktok.

Kings League KPIs

Die Reichweiten der Kings League auf den großen Plattformen

Obwohl die Kings League erst seit Anfang des Jahres existiert, weist sie bereits beachtliche Reichweiten aus: Bei Twitter hat die Kings League knapp 600.000 Follower*innen, auf Instagram 1,4 Millionen, auf Twitch 2,2 Millionen und auf TikTok sind es deren 4,6 Millionen. Mit ihren Videos bei Youtube hat die Kings League in ihren ersten knapp vier Monaten über 23 Millionen Aufrufe generiert und über 300.000 Abonnent*innen gewonnen.

Kings League erreicht Millionen auf Knopfdruck

Die Kings League hat OMR einige weitere exklusive Einblicke in die bisherigen KPIs gegeben. Sie belegen: Die Präsidenten bescheren der Kings League quasi aus dem Stand Millionen-Reichweiten sogar bei Live-Streams. Für die bisherigen Peaks sorgen die Einsätze von Kun Agüero am dritten Spieltag (1,3 Millionen) sowie Ronaldinho am achten Spieltag (2,1 Millionen). Die durchschnittliche Zahl der Live-Zuschauer*innen pro Spieltag liegt laut Kings League bei 511.378. Die Angabe bezieht sich auf eine Streaming-Zeit von in der Regel rund sechs Stunden über alle sechs nacheinander stattfindenden sonntäglichen Partien hinweg. Im Nachhinein kommen die Spieltags-Streams bei Twitch inzwischen zum Teil auf über zehn Millionen Aufrufe

Während andere Profisportligen live vor allem im klassischen Free- oder Pay-TV stattfinden und über den Verkauf der Medienrechte Milliardenerlöse generieren, sieht die Kings League ihren Platz künftig weiterhin ausschließlich im Streaming. „Eine zentrale Säule des Projekts ist und bleibt, dass nur die Liga und die Streamer den Wettbewerb live übertragen können. Und wir glauben, dass unser Co-Stream-Modell, wirklich gut funktioniert“, sagt Kings-League-CEO Oriol Querol gegenüber OMR.

Auf Tiktok vor der Premier League

Auf Tiktok war die Kings League laut Querol im Januar 2023 nach Gesamtansichten aller Videos noch vor der englischen Premier League, der spanischen La Liga und der deutschen Bundesliga „die beste europäische Fußballliga“. Laut Blinkfire ist die Kings League bei Tiktok seit 26.Dezember 2022 mit 393 Millionen Views zudem die zweiterfolgreichste Fußballwettbewerb vor der UEFA Europa League (200 Millionen), der Premier League (154 Millionen) und der Bundesliga (136 Millionen). Die UEFA Champions League rangiert in dieser Statistik mit 468 Millionen Aufrufen an der Spitze.

Die Kings League will mit ihrer Art der Inszenierung und medialen Verbreitung vor allem junge Zielegruppen ansprechen. Die meisten Rezipienten der Liga-Inhalte sind laut Querol 18- bis 24-Jährige. „Die meisten von ihnen kommen aus Spanien, Mexiko und Argentinien“, sagt der CEO der Kings League. Das überrascht erstmal nicht, denn bis dato kommuniziert die Liga ausschließlich spanischsprachig. Und so sind Kritiker*innen geneigt, die Kings League auf ein in einem gewissen Territorium begrenztes Projekt zu reduzieren. Was aber, wenn die Kings League ihr Konzept künftig auch in anderen Märkten ausrollt?

Kommt die Kings League nach Deutschland?

CEO Querol macht dazu gegenüber OMR eine klare Ansage: „2024 wollen wir die Kings League internationalisieren.“ Ob dabei auch der deutsche Markt eine Rolle spielt, lässt Querol im Ungewissen. Er sagt: „Wir suchen Märkte, die zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen eine starke Fußballtradition haben, aber auch eine starke Tradition in der Welt des Streamings.“

Vor dem ganz großen Schritt der Internationalisierung will die Kings League laut Oriol in naher Zukunft zunächst ihre Kommunikation um englischsprachige Kanäle erweitern. Zudem solle der bestehende Wettbewerbe Woche für Woche weiterentwickelt und verbessert werden. Zwei weitere Projekte stehen 2023 auf der Agenda von Oriol, Piqué & Co.: Im Mai startet die „Queens League“ für Frauen und im Sommer der „Prince Cup“ für Jungen der Jahrgänge 2012 bis 2014.

Final Four im Camp Nou vor 100.000 Fans

Der Abschluss der ersten Saison der Kings League findet am 26. März im „Final Four“-Format statt, das sich auf Clubebene im Profisport beispielsweise im europäischen Handball und Basketball etabliert hat. Während die bisherigen Spieltage der Kings League vor wenigen Hunderten geladenen Zuschauer*innen und Medien-Vertreter*innen stattfinden, soll das Final Four zum Mega-Event werden. Austragungsort wird das Spotify Camp Nou sein, das drittgrößte Sportstadion der Welt. Die Heimspielstätte des FC Barcelona bietet knapp 100.000 Fans Platz. Stand Mitte März sind 75.000 Tickets für das Final Four verkauft, am Ende rechnet die Liga mit einem restlos ausverkauften Stadion, wie die Kings League auf Nachfrage von OMR mitteilt.

Kings League schießt gegen das Establishment

„Die Finalisten werden eine Show abliefern, an die sich die Stadt Barcelona erinnern wird“, sagt Kings-League-Gründer Piqué, als er offiziell die Werbetrommel für das Event rührt. Dass er es ernst meint, zeigt eine aufmerksamkeitsstarke Offline-Aktion Anfang März mitten in der Avinguda Diagonal, der Hauptverkehrsader Barcelonas. Dort nämlich lässt er ein riesiges Banner mit einer Aufschrift platzieren, die zweifelsohne als Spitze an das Establishment des Profifußballs interpretiert werden darf: „Dass wir das Camp Nou vollmachen, bereitet ihnen Angst.“

Von dem Banner angesprochen fühlt sich möglicherweise Javier Tebas. Der Boss der spanischen Profifußballliga „La Liga“ kanzelte die Kings League öffentlich unlängst als „Zirkus“ ab. Und damit meinte Tebas ziemlich sicher nicht nur Agüeros Auftritt mit Clownsmaske. Ob er jedoch tatsächlich Angst vor der Kings League hat, steht auf einem anderen Blatt Papier – oder besser: Banner.

Kings LeagueLivestreamingTwitchYoutube
Henning Eberhardt
Autor*In
Henning Eberhardt

Henning ist bei OMR seit Anfang 2023 für Sport- und Gaming-Inhalte zuständig. Von 2010 bis 2019 pendelte er für den Sportbusiness-Verlag SPONSORs als Redakteur zwischen Fußballstadion und Formel-1-Rennstrecke. Anschließend wechselte der waschechte Insulaner zum Marketing-Medium absatzwirtschaft in die Handelsblatt-Gruppe.

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