So haben zwei Gründerinnen über Word-of-Mouth und Instagram einen Trend-Artikel erschaffen

Martin Gardt23.11.2018

Die Erfinderinnen der Handykordel kämpfen jetzt mit Billig-Kopien aus China und mit Amazon-Konkurrenten

Handykordel
Die Handykordel ist ein absolutes Trendprodukt bei jungen Frauen (Foto: Instagram / its_chrissi)
Inhalt
  1. Zwei deutsche Unternehmerinnen – eine Idee
  2. Hippe Läden, Instagram, Blogger
  3. Amazon-Kampf ohne die Hauptdarsteller
  4. Lieber als Luxus-Produkt durchgehen
  5. 8.000 Bändel im Monat

Handyketten oder -kordeln hängen seit mindestens 2016 um Hälse vieler Frauen aus hippen Großstädten wie Berlin, Hamburg, München, Frankfurt oder Köln. Gleich zwei Designerinnen aus Berlin haben für die Etablierung des Produkts gesorgt – mit handgefertigten Kordeln. Jetzt bedrohen billige China-Kopien und wachsende Konkurrenz auf Amazon das Geschäftsmodell. Wie die beiden Macherinnen sich dagegen wehren und wie das Geschäft insgesamt läuft, haben sie OMR erzählt.

Auf den Festivals des Sommers und in den Städten sah man Handykordeln und -ketten zuletzt immer häufiger: Entweder wie eine Kette um den Hals oder noch zusätzlich lässig über die Schulter gehangen, so tragen das Accessoire vor allem junge Frauen zwischen 20 und 40 – das Smartphone ist so immer griffbereit für ein schnelles Foto oder um eine Whatsapp-Nachricht zu lesen. Das Produkt selbst besteht aus einer meist durchsichtigen Handyhülle aus Plastik, an der die Bänder befestigt sind. Diese sind meist aus geknüpftem Stoff oder Leder. Kostenpunkt: zwischen 25 und 50 Euro.

Zwei deutsche Unternehmerinnen – eine Idee

Samja Schröder

Blueandtrue-Gründerin Samja Schröder

„Im November 2014 kam ich aus Not auf die Idee für die Handykette. Ich bin Modestylistin und brauche mein Handy ständig für Fotos und Korrespondenz mit Kunden, gleichzeitig müssen die Hände bei dem Job aber auch frei sein. Also habe ich beschlossen, dass ich mein Handy um den Hals hängen muss, aber eben stylish…“, sagt Blueandtrue-Gründerin Samja Schröder zu OMR. Schon zu der Zeit habe sie die Handykette erfunden. „Viele Freundinnen haben mich dann direkt auf die Kette angesprochen und dann habe ich geschaut, ob es so etwa irgendwo schon im Netz gibt“, sagt Schröder. „Es war aber nichts zu finden, also habe ich 2015 angefangen, meine Handyketten auf Etsy zu verkaufen.“

2015 fängt auch die Berlinerin Yara Jentzsch Dib damit an, Handykordeln herzustellen. „Die Idee zur Handykette entstand quasi aus der Not: Nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich ständig mein Handy verlegt. Irgendwann hat es mir gereicht und um mir keine Gedanken mehr zu machen und die Hände freizuhaben, habe ich aus den Seilen, die ich für mein Hobby Makramee zu Hause hatte, eine Handykette gebastelt“, erzählt sie im Gespräch mit OMR. „Das war zunächst nur für den Eigengebrauch gedacht. Aber als ich nicht nur von Freunden, sondern auch von Fremden auf der Straße darauf angesprochen wurde, wurde mir das Potenzial bewusst.“ Also gründet sie die Firma Xouxou und baut einen eigenen Online-Shop.  

Hippe Läden, Instagram, Blogger

Irgendwann 2016 feiert das neue Produkt seinen ersten kleinen Durchbruch bei Großstadt-Frauen. „Zuerst haben junge Berlinerinnen die Handykette entdeckt. Sie hingen von Anfang an bei ‘lala Berlin’ [ein Modegeschäft in Berlin Mitte] und eine Freundin von mir hatte sie für ihre Entourage auf der Fashion Week eingesetzt“, erzählt Samja Schröder. Zu Beginn sei alles über Word-Of-Mouth gelaufen. Bei Xouxou-Gründerin Jentzsch Dib läuft es ähnlich: „Unsere Kunden waren zufrieden mit ihrem Kauf und haben ihren Freunden und Familien davon erzählt und Xouxou immer bei sich getragen – so entstand schnell eine wachsende Nachfrage und ein natürlicher Werbeeffekt.“

Yara Jentzsch Dib

Xouxou-Gründerin Yara Jentzsch Dib (Foto: Xouxou / Leon Reindl; Franziskus Dornhege)

Um aber über Berlin hinauszuwachsen, braucht es mehr als nur ein paar Freundeskreise, die sich die Handykette gegenseitig zeigen. Zum Glück ist das Produkt wie gemacht für Instagram und die dortige Zielgruppe. Sowohl Blueandtrue als auch Xouxou nutzen die Plattform und passende Protagonisten für das Marketing. „Unser Ziel ist es, unaufdringlich unsere Inhalte bereitzustellen und weiterhin auf natürliche Verbreitung und Mund-zu-Mund-Propaganda zu setzen“, sagt Jentzsch Dib. Xouxou kommt auf Instagram auf über 14.000 Follower und postet häufig Bilder von kleineren bis mittelgroßen Influencern (zwischen 3.000 und 35.000 Follower), die Handyketten tragen. „Wir arbeiten viel mit Bloggern zusammen. Das läuft ein bisschen von selbst“, sagt auch Blueandtrue-Gründerin Schröder. So führen beide das Word-Of-Mouth-Prinzip in die digitale Welt. Die meisten Instagram-Beiträge der Influencer sind nicht als Werbung gekennzeichnet, es wird also nicht nach außen hin klar, welche Posts wirklich bezahlt sind.

Amazon-Kampf ohne die Hauptdarsteller

Mittlerweile kämpfen aber nicht mehr nur die beiden Gründerinnen um den Handyketten-Markt. Nachahmer verschiedenster Ausprägung sind mit ihren Produkten unterwegs. Da sind zum einen Brands wie Jalouza aus Berlin oder Bridge&Tunnel aus Hamburg, die mit schicken Online-Shops und vergleichbaren Preisen in eine ähnliche Kerbe wie Xouxou und Blueandtrue stoßen. Dazu kommt mit Nuri eine Münchner Marke, die vor allem mit ihren Angeboten auf der Bastelplattform Etsy weit oben in den Google-Suchergebnissen auftaucht. Zum anderen sind da, wie zu erwarten, die Amazon-Player, die in der noch jungen Produktkategorie die Plattform beherrschen wollen. 

Auf Amazon kostet die günstigste Handyketten-Variante knapp über sieben Euro. Diese wirkt aber schon auf den ersten Blick wie eine billige und schlecht gemachte Kopie der Idee. Dazu kommen verschiedene Anbieter, die optisch sehr nah dran sind an den Angeboten von Xouxou und Blueandtrue. Bei Amazon gut platziert sind Produkte der Firma Bobwhite UG aus Berlin unter der Brand „Knok Case“ und von „Mates in Berlin“. Auffällig: Ein weiterer Player ist „Wandfabrik“, eine Firma aus Essen, die auf sogenannte Wand-Tattoos spezialisiert ist. Unter dem Suchwort „Handykordel“ sind die ersten acht Ergebnisse bei Amazon Handyketten des Unternehmens. 

Lieber als Luxus-Produkt durchgehen

„Schon zu Beginn ahnte ich, dass das Produkt irgendwann kopiert wird“, sagt Blueandtrue-Gründerin Samja Schröder. „Ich ärgere mich, dass alle Copycats ihre Dinger auch Handykette nennen. Ich habe den Begriff erfunden, weil es eine Art Schmuck sein soll und sie könnten sich ruhig etwas anderes einfallen lassen – vor allem, wenn es sich um einfache Bändel oder Kordeln handelt“. Ihre Lösung, um sich dennoch abzuheben: Voll auf Qualität setzen und nicht nach China oder Korea verkaufen. „Wir konzentrieren uns auf iPhone-Kunden und wollen lieber nicht ein Massenprodukt werden. Es ist weiterhin alles handgefertigt in Italien“, so Schröder – sie lebt mittlerweile auch selbst in Italien. Weder Xouxou noch Blueandtrue verkaufen überhaupt auf Amazon und stellen sich damit gar nicht erst dem Wettbewerb auf der Plattform. 

„Wir setzen auf eine starke Brand und werden unsere Marktführung weiter ausbauen. Zusätzlich konnten wir feststellen, dass die Suchanfragen nach Begriffen wie ‚Handykette‘ abfallen, Suchanfrage nach ‚Xouxou‘ hingegen steigen. Das macht uns deutlich, dass nicht nur die Funktionalität unseres Produkts angenommen wird, sondern vor allem unsere Marke“, sagt Jentzsch Dib. „SEA schalten wir deshalb hauptsächlich auf unsere eigene Marke, damit Drittanbieter nicht unseren Traffic leachen.“ Insgesamt zeigt sich, dass beide Gründerinnen sehr zurückhaltend in Sachen Optimierung für Such- und Produktsuchmaschinen sind. Wer nach Handykette googelt, findet Xouxou Berlin erst auf Position 18. Vor allem die Amazon-Player sind hier viel aktiver und werden durch die Plattform zusätzlich gepusht. 

8.000 Bändel im Monat

„Wir arbeiten in Berlin mit verschiedenen Werkstätten und mehreren Dutzend Mitarbeitern zusammen. Darunter sind nicht nur die Teams der Werkstätten, sondern auch Freelancer aus allen Kreativbereichen, die uns unterstützen, Xouxou wachsen zu lassen“ sagt die Gründerin. Im Monat setze sie 8.000 Handykordeln ab – vor allem in Deutschland. Bei einem Preis von 25 Euro pro Stück wären das 200.000 Euro Umsatz pro Monat. „Wir stellen jeden Monat einen neuen Rekord auf, der Sommer lief sehr gut für uns, aber jetzt steigern wir uns weiterhin mit Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft“, so Jentzsch Dib. Blueandtrue verkauft im gleichen Zeitraum 400 bis 500 Handyketten, aber zu einem höheren Stückpreis zwischen 43 und 73 Euro. Noch immer würden die klassischen Produkte am besten laufen. „Unsere handgebatikten und handbestickten Kordeln verkaufen sich am besten“, so Samja Schröder von Blueandtrue. Yara Jentzsch Dib sagt: Unsere Beststeller sind unsere klassischen Handyketten: Black und Green Camouflage.

Handykordel

Handykordeln im Xouxou-Online-Shop

Sie wolle jetzt in zwei Richtungen wachsen: „Wir werden 2019 neue Produktkollektionen herausbringen und Xouxou als Accessoire Brand positionieren.“ Gleichzeitig wende sich der Blick auch ins Ausland. „Wir bauen die internationalen Märkte sukzessive nach unseren Idealen und im eigenem Tempo auf – das funktioniert wunderbar.“ Und auch Blueandtrue bemerkt, dass das Trendprodukt Handykette auch in anderen Ländern ankommt. „Wir verkaufen immer noch vor allem nach Deutschland. Aktuell kommen aber auch extrem viele Bestellungen aus Barcelona und London“, sagt Gründerin Samja Schröder. Vielleicht gibt es auf diesen Märkten auch noch nicht so viele Nachahmer.

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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