Kein Ladenlokal, keine Gäste – Stehen „Ghost Restaurants“ für einen neuen Marketingtrend?

Torben Lux24.1.2017

Was der neue US-Trend über die Relevanz von Plattformen sagt

Grubhub Ghost Restaurants Green Summit Group
Sandwiches, die das „Ghost Restaurant“ Butcher Block über Grubhub verkauft.
Inhalt
  1. In nur einem Tag zum neuen „Restaurant“ mit neuen Gerichten
  2. „Ghost Restaurants“ könnten vom Hype um Food Delivery profitieren

Die „Restaurants“ der Green Summit Group aus New York haben zwar mehrere Küchen mit über 50 Köchen, dafür aber kein eigenes Lokal, keinen Shop und einen Lieferdienst beschäftigen sie auch nicht. Sogenannte „Ghost Restaurants“ vertreiben das Essen ihrer unterschiedlichen Brands exklusiv über Food-Delivery-Apps – und scheinen damit in den USA wachsenden Erfolg zu haben. Online Marketing Rockstars erklärt das Konzept, zeigt, was das für klassische Restaurants bedeutet und welche neue Online Marketing-Disziplin dadurch schon bald entstehen könnte.

Es gibt Salate, Sandwiches und Säfte. Burger, gegrillter Käse und Frikadellen stehen auch auf der Karte. Und wenn mal wieder ein bestimmtes Gericht der absolute Trend ist, dann wird auch das in kürzester Zeit angeboten. Die Rede ist von „Ghost Restaurants“, einem noch relativ jungen Geschäftsmodell, dass aktuell vor allem die Ostküste der USA und speziell New York erobert. Ohne eigene Ladenlokale lagern sie Bestellungen, Auslieferung des Essens und auch einen Teil des Marketings an Food Delivery-Apps wie beispielsweise Deliveroo aus. Selber betreiben sie nur eine oder mehrere Küchen, in denen Mitarbeiter Gerichte aus verschiedensten Kulturen und für unterschiedliche „virtuelle Restaurants“ kochen.

In nur einem Tag zum neuen „Restaurant“ mit neuen Gerichten

Seit 2013 ist auch die Green Summit Group mit diesem Geschäftsmodell unterwegs. Mit einer Million US-Dollar Startkapital wurde das Unternehmen gegründet; die erste Brand „Authentic“ (Quinoa Bowls, Salate, Sandwiches und Smoothies) setzte schon in der ersten Woche 20.000 US-Dollar um. Heute verkauft Green Summit unter insgesamt 14 Marken Gerichte ganz unterschiedlicher Art. Bei „Blue Crown Wings“ gibt es Hähnchen, „Maya Blue“ setzt auf mexikanisches Essen und „Butcher Block“ bietet ausschließlich Sandwiches an. Alle Gerichte werden dabei in einer von zwei Küchen in New York zubereitet und exklusiv über Grubhub und Seamless (zwei Apps aber seit 2013 ein Unternehmen) an die Kunden geliefert. Die Exklusivität ist dabei Teil eines Deals; Grubhub unterschützt die Green Summit Group mit einem Kredit.

Ghost Restaurants

Die Homepage von butcherblock22.com erweckt mit Öffnungszeiten und Adresse den Anschein, ein kleines Ladenlokal zu sein. Dabei gibt es nur eine Küche, verkauft wird über Grubhub.

Obwohl beispielsweise „Butcher Block“ eine Website inklusive Öffnungszeiten und Menü hat, läuft alles über Grubhub und Seamless. Sobald man sein Essen bestellen möchte, landet man auf der Seite oder in der App der Food-Delivery-Unternehmen. Fährt man zu den auf den Seiten der Green Summit Group angegebenen zwei Adressen, findet man nicht etwa ein gemütliches Lokal mit Sitzplätzen und Kellner vor, sondern lediglich professionell eingerichtete und auf verschiedene Koch-Richtungen optimierte Großküchen.

„Im Gegensatz zu beliebten Restaurants wie Chipotle oder Pret A Manger müssen wir keine Miete für große Sitzplatz-Bereiche zahlen, die dann sowieso häufig nicht besetzt sind, weil jeder sein Essen nur abholt“, sagt Peter Schatzberg gegenüber fastcompany.com. Der Co-Founder der Green Summit Group betont neben geringeren Mieten noch einen weiteren, wesentlichen Vorteil von „Ghost Restaurants“: „Wir können Menüs und Gerichte extrem schnell ändern und an Trends anpassen. Oder wir testen ein ganz neues Konzept in der gleichen Küche, weil alle Zutaten sowieso zur Verfügung stehen.“ Während traditionelle Restaurants sehr viel Geld in das Testen neuer Konzepte investieren müssten – Peter Schatzberg schätzt die Summe pro Konzept auf 800.000 US-Dollar –,sei das Risiko bei der Green Summit Group wesentlich geringer. Etwa 25.000 US-Dollar habe zum Beispiel einmal das Konzept für ein virtuelles, mediterranes Essen gekostet, das relativ schnell wieder eingestellt wurde. Bis auf das vergleichsweise geringe Lehrgeld habe es keine Nachteile wie Kosten für extra angemietete Räumlichkeiten oder sogar Entlassung gegeben. Und manchmal geht es dann auch richtig schnell, bis ein neues Konzept umgesetzt wird. „Die Idee zu Quinoa Bowls hatte ich an einem Morgen, der Launch der Seite war dann am Nachmittag.“

„Ghost Restaurants“ könnten vom Hype um Food Delivery profitieren

Trotz der augenscheinlichen Vorteile des Geschäftsmodelles der Green Summit Group haben auch Peter Schatzberg und das junge Unternehmen mit klassischen Problemen von Lieferservices zu kämpfen: Kaltes Essen, lange Lieferzeiten und durch Saucen eingeweichte Sandwiches und Salate lassen sich nur schwer zu 100 Prozent verhindern. Die Folge sind schlechte Bewertungen bis hin zu Beschwerden – auch für die Brands der Green Summit Group. Das scheint die Macher aber kaum zu beeindrucken. Todd Millmann, Partner von Schatzberg, weiß zwar um die Wichtigkeit von Online-Bewertungen, hält sie aber für statistisch irrelevant und konzentriere sich mehr auf die Verkaufszahlen. Und die können sich sehen lassen: 2015 sollen die „Restaurants“ der Green Summit Group zehn Millionen US-Dollar umgesetzt haben, für 2016 hatten Schatzberg und Millmann 30 Millionen US-Dollar angepeilt.

Grubhub

Das Food-Delivery-Portal Grubhub liefert Essen von über 45.000 Restaurants in den USA aus.

Die Tatsache, dass die Green Summit Group-Restaurants exklusiv über Grubhub ausliefern lassen, bringt ein gewisses Risiko mit sich. So drängt beispielsweise auch Amazon immer stärker mit eigenen Food Delivery-Angeboten in den Markt, liefert bereits Essen aus hunderten Restaurants in verschiedenen amerikanischen Großstädten aus und könnte Marktanteile streitig machen. Noch steht es aber ziemlich gut um Grubhub. Allein im dritten Quartal 2016 lieferte das Unternehmen täglich 267.500 Essen aus (26 Prozent mehr als im Vorjahr) und setzte damit 123,5 Millionen US-Dollar um (44 Prozent mehr als im Vorjahr). Im Milliardenmarkt der Food Delivery-Plattformen sind Grubhub & Co. am Ende nichts anderes als Suchmaschinen für Essen. Es geht, genau wie im klassischen SEO bei Google oder auch bei Amazon, vor allem um eine Frage: Mit welchen Hebeln schaffe ich es am effizientesten, in meiner Nische ganz oben zu ranken? Statt „Food Delivery SEO“ zu betreiben, verlässt sich Peter Schatzberg aber lieber auf sein Gefühl und Eindrücke aus Pop-Kultur, Sport und Music. „23-Jährige wissen, was cool ist. Wir lassen uns stark in Brooklyn inspirieren“, so der Green Summit Group-Gründer. Das Ergebnis ist ein Pulled-Pork-Sandwich namens „Notorious P.I.G“.

Eine ganz ähnliche Entwicklung, die ebenfalls die Auswirkungen der Plattform-Economy verdeutlicht, soll es auch schon vor Jahren zu den Hochzeiten von Shoppingclubs wie brands4friends.de und buyvip.com gegeben haben. Gerüchten zufolge haben Unternehmer damals ebenfalls versucht, mit Hilfe der großen Plattform-Reichweite gefakete Traditionsmarken zu etablieren. Der Trend, auf klassisches Brandbuilding zu verzichten und komplett auf eine Plattform zu setzen, ist bis heute auch auf Amazon spürbar. Immer mehr Händler nutzen die Möglichkeiten und bauen, wie beispielsweise Kavaj, eine Marke für Smartphone- und Tablet-Hüllen auf.

App MarketingFood
Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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