140 Millionen Umsatz mit Premium-Abos: Wie Flo zur weltweit erfolgreichsten Periodentracker-App wurde
Laut CEO Dmitry Gurski ist sein Unternehmen kurz davor, Unicorn-Status zu erreichen. Ein riesiges Wachstumspotenzial sieht er in einer neuen Zielgruppe: Männern.
- Freemium-Modell macht sich bezahlt
- Intransparentes Preismodell
- Bewährungsprobe Apple
- Wachstumschance Männer
Die Periodentracker-App Flo ist auf weltweitem Erfolgskurs: 2023 hat das Unternehmen rund 140 Millionen Dollar Umsatz gemacht, 67 Millionen User*innen nutzen die App jeden Monat, um ihren Körper besser zu verstehen, ihre Tage zu dokumentieren oder sich über Themen wie Sexualität und Fruchtbarkeit zu informieren. Damit ist das britische Unternehmen Flo Health Spitzenreiter unter den Fem-Tech-Apps. Einen riesigen Wachstumshebel sieht der CEO nun aber ausgerechnet in Männern. Was macht Flo so populär?
Nicht immer macht die Tagesvorschau im Flo-Kalender Lust auf mehr: An diesem oder jenem Tag im Zyklus könnten Kopfschmerzen auftreten, Stimmungsschwankungen, Akne, Rückenschmerzen oder Krämpfe im Unterleib, prophezeit die App basierend auf den Angaben anderer User*innen im gleichen Alter. Das macht die Symptome zwar physisch nicht angenehmer, aber es hat dennoch einen Effekt: eine Art Wir-Gefühl. Es ist nicht schön, aber normal – anderen Menstruierenden geht es genauso.
Freemium-Modell macht sich bezahlt
Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Periodentracker-Apps in den App-Stores unheimlich gefragt sind. Es gibt eine ganze Reihe von ihnen, den "Clue Perioden Kalender" zum Beispiel oder den "Menstruations-Kalender", "Perioden Kalender", "Cycles" oder "Ovy". Doch Flo ist mit Abstand die beliebteste unter ihnen: In Apples App-Store ist sie die einzige Zyklustracking-Anwendung unter den Top Ten der Gesundheits- und Fitness-Apps. Auch die Downloadzahlen sprechen für sich: Nach den Hochrechnungen des Tools Apptracker kommt Flo Health seit dem Launch der App im Jahr 2016 auf ganze 217 Millionen Downloads bei iOs und Android. Zum Vergleich: Beim deutschen Wettbewerber Clue sind es rund 72 Millionen Downloads weltweit. Dabei ist die App schon seit 2013 im App-Store erhältlich.
Umsatz macht Flo Health, das Unternehmen hinter dem Periodentracker, mit Premium-Abos. Es ist ein klassisches Freemium-Modell: Die Basis-Version von Flo ist gratis und gibt Zugriff auf den Kalender und die Möglichkeit, so die verschiedenen Zyklusphasen zu dokumentieren und sie KI-basiert auswerten zu lassen. Mit dem Premium-Abo können die Userinnen mit Gesundheitsexpert*innen chatten und auch in 21 Sprachen verfügbaren Content wie Artikel, Videos oder Videokurse zu den Themen Sexualität, Kinderwunsch, Verhütung, Intimpflege, Beziehung oder Gesundheit sehen. Um hochwertige Beiträge anzubieten, arbeitet Flo nach eigenen Angaben mit weltweit mehr als 120 Doktor*innen, Gesundheitsexpert*innen und Wissenschaftler*innen zusammen. So soll sichergestellt werden, dass die Inhalte und alle App-Features medizinisch korrekt und sicher sind.
Um potenziellen Kundinnen einen Vorgeschmack darauf zu geben, welcher Premium-Content sie erwartet, ist Social Media ein wichtiger Marketinghebel für Flo. Das Unternehmen setzt dabei auf Influencer-Marketing und die eigenen Kanäle. Mit Videos von Straßenumfragen zum Thema Female Health, Talk-Formaten über Sexualität oder Videos von Männern, die einen Simulator für Periodenkrämpfe ausprobieren, kommt es bei Tiktok in einigen Fällen auf ein paar Millionen Aufrufe. Youtube nutzt Flo, um beispielsweise den "Unlock your Orgasm"-Kurs anzuteasern, der sich hinter der Bezahlschranke in der App verbirgt.
Intransparentes Preismodell
Was genau die Premium-Version kostet, ist gar nicht so leicht zu sagen, denn das Preismodell entpuppt sich als äußerst intransparent: Auf der Website werden keine Preise angegeben, in der App scheinen sie gewürfelt zu werden. Bei einem Vergleich in der Redaktion kostet das Monatsabo auf dem einen Handy 4,99 Euro, das Jahresabo 32,99 Euro. Auf dem anderen Handy werden für das Monatsabo 9,99 Euro fällig, dafür ist das Jahresabo im "Jubiläumsangebot" um 86 Prozent reduziert und kostet nur 16,49 Euro.
Vielleicht sind es solche drastischen Rabattangebote, vielleicht aber auch der Anreiz durch den Mehrwert der Premium-Angebote – jedenfalls schafft es Flo offenbar, viele User*innen davon zu überzeugen, zur Paid-Variante überzugehen. Wie viele der Nutzerinnen ein Abo abgeschlossen haben, wollte Flo Health auf OMR-Anfrage nicht mitteilen. Doch die Umsatzzahlen lassen vermuten, dass es viele sein dürften: 2023 hat Flo Health laut CEO und Co-Gründer Dmitry Gurski einen Jahresumsatz von 140 Millionen US-Dollar gemacht – so viel wie noch nie zuvor. 2024 könnte das noch getoppt werden: Im ersten Quartal stieg der Umsatz nach Angaben des Unternehmens um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Profitabel ist Flo damit noch nicht, aber der "Weg zur Profitabilität sei sehr klar", heißt es von Unternehmensseite. Darauf dürften inzwischen auch die Investor*innen stärker drängen, zu denen unter anderem der bekannte Wagniskapitalgeber Target Global zählt.
Bewährungsprobe Apple
Der Mann hinter der Perioden-App stammt aus Belarus, hat an der Stanford Business School studiert und Flo 2015 zusammen mit seinem Bruder gegründet. Es ist bereits ihr dritter – und erfolgreichster – Versuch, eine App für die weibliche Gesundheit zu vertreiben. Zwei Männer für eine Periodenapp? Davon hätten sie sogar profitiert, hat Gurski mal gesagt: "Wir hatten keine eigenen Erfahrungen und mussten uns von Anfang an auf Tests und eingehende Studien verlassen. Wir haben uns immer auf objektive Informationen, Daten, Nutzerforschung und Tests gestützt, um Entscheidungen zu treffen." Heute hat sein Unternehmen 480 Mitarbeitende und ein Headquarter in London. Der Schlüsselfaktor für den Erfolg sei die Wahl des Marktes gewesen, ist Gurski überzeugt: "Wir haben uns für einen großen, unterversorgten Markt mit minimalem Wettbewerb entschieden", sagt er in einem Interview. Der zweitwichtigste Faktor sei der "Super App"-Ansatz gewesen. "Viel zu viele Unternehmen konzentrieren sich auf die Entwicklung von Dienstprogrammen, die nicht genug Wert bieten, um die Monetarisierung voranzutreiben."
Hätte es die nicht gegeben, hätte ihm ein Ereignis 2021 geschäftlich vielleicht das Genick brechen können. Denn auf dem Markt mit minimalem Wettbewerb kommt plötzlich Apple mit einem eigenen Perioden-Tracker um die Ecke, praktisch eingebaut in der Health-App, vorinstalliert auf jedem iPhone. Das habe vielen simplen Perioden-Trackern großen Schaden zugefügt, sagt Gurski. Flo hingegen überstand den Apple-Angriff aufs Geschäftsmodell. Seit dem Launch des Apple-Trackers habe sich die Zahl der monatlich aktiven Nutzer*innen von Flo sogar verdoppelt. Um Apple gegenüber konkurrenzfähig zu bleiben, sei die Tiefe der Funktionen entscheidend, man müsse Spezialist in der eigenen Nische sein: "Da Apple keine Übernahmen von Marktführern tätigt, werden sie bei Funktionen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, bei den Basics bleiben."
Wachstumschance Männer
Als Marktführer in der Nische hat Gurski ein Ziel: Flo soll ein Unicorn werden. Bereits in einem Interview im März 2023 sagte er: "Unseren Metriken und unserer Performance nach sind wir sehr nahe daran, den Status eines Einhorns zu erreichen. Schon im Jahr 2021 lag unsere Bewertung in der letzten Runde bei 800 Millionen Dollar."
Eine neue Funktion könnte dabei helfen, die "Super-App" noch breiter aufzustellen, weiter in die Tiefe zu gehen und eine vollkommen neue Zielgruppe zu erreichen. Im Paar-Modus, der jetzt in die App integriert ist, können Userinnen ihre Zyklusdaten mit dem Partner oder der Partnerin teilen. "Er lernt deine möglichen Libido-Hochs und Tiefs kennen", "Wenn dir dein Zyklus aufs Gemüt schlägt, bist du nicht alleine, denn er weiß Bescheid", "Wir erklären deinen Zyklus so, dass er dich versteht", preist das Unternehmen die neue Funktion an. Und auch beim Thema Kinderwunsch sollen Partner so besser involviert werden. Laut Dmitry Gurski nutzen den Partner-Modus bereits eine Million Menschen. "Dieser Erfolg macht unseren adressierbaren Markt VIEL, VIEL größer wegen der Männer!", schreibt der Flo-Chef auf Linkedin und gibt damit auch einen Einblick in seine Zukunftsvision: Bald soll auch Content und Tracking für die männliche Gesundheit angeboten werden. Vielleicht ist das der letzte Push, den Flo braucht, um zum Unicorn zu werden.