2,85 Milliarden Menschen nutzen Facebook immer noch mindestens einmal im Monat; 1,25 Milliarden davon schauen sich Videos auf der Plattform an. Rund um den Video-Feed Facebook Watch ist deswegen ein Ökosystem an Publishern und Creatorn entstanden. Einigen von ihnen ist offenbar relativ egal, ob das Publikum ihre Videos gut findet: Sie produzieren auf günstigste Weise Filmchen, die auf Zuschauende eher bizarr wirken, die aber dadurch, dass sie für Facebooks Empfehlungsalgorithmus optimiert sind, enorme Reichweiten generieren. OMR zeigt einige der krassesten Beispiele und rechnet vor, wie viel Geld die Macherinnen und Macher mit diesen Clips verdient haben könnten.
Eine Frau verstopft eine Toilette mit einem zusammengeknüllten T-Shirt, füllt die Schüssel mit Eiswürfeln, Speiseeis sowie Fruchtgummi und das Wasserreservoir mit unterschiedlichen Limonaden. Danach betätigt sie die Spülung, damit die Lebensmittel in der Schüssel von den Getränken „durchgespült“ werden. Der Kameramann kommentiert das Geschehen im Off unterdessen mit „Wow, this is incredible!“. 463.000 Mal ist das Video der Facebook-Watch-Seite „The Anna Show“ innerhalb einer Woche abgerufen worden.
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„Lebensmitteln abstoßende Dinge antun“ als Growth Hack
Andere, vergleichbare Videos haben noch mehr Abrufe: ein Clip, in dem eine Hausfrau einer anderen den „ultimativen Nacho-Trick“ demonstriert, hat bislang 16,3 Millionen Views angesammelt. Die Protagonistin des Videos schüttet darin eine große Menge flüssigen Käses auf eine Küchenarbeitsplatte, verteilt darauf gebratenes Hackfleisch, Bohnen, Sour Creme, Jalapenos und Salat, vermischt alles mit den Händen miteinander und füllt die Masse mit einem Eisportionierer in einer Art Waffel.
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In einem anderen, sehr ähnlichen Video bereitet eine weitere Frau Spaghetti mit Hackfleischklößchen auf dieselbe Art zu. „Das ist die einfachste Art, Spaghetti für eine große Gruppe zuzubereiten – und das macht Spaß!“, so die „Köchin“. Das Video wurde bislang 17 Millionen Mal abgerufen. „Es gibt eine ganze Content-Ökonomie rund um Videos von attraktiven, weißen Frauen in unauffälligen, unmöblierten Wohnungen, die Lebensmitteln abstoßende Dinge antun“, schreibt Ryan Broderick in einer Ausgabe seines Newsletters „Garbage Day“.
Hype House für Quatsch-Videos mit zwei Milliarden Views monatlich
Hinter allen drei Videos steht eine Gruppe von „Video Creatorn“, in deren Mittelpunkt Rick Lax steht. Der US-Amerikaner ist vor Jahren über Facebook mit Zaubertricks und „Gedankenlesen“ bekannt geworden. Wegen der simplen Mechaniken, die er dabei verwendete, ist er bei manchen Facebook-Usern offenbar so verhasst, dass sich bei Youtube diverse Videos mit vielen Abrufen und Titeln wie „Rick Lax: The Cancer of Facebook“ oder „The Biggest Con Artist on Facebook“ finden lassen. Lax‘ Facebook-Seite verzeichnet aktuell 14 Millionen Follower. Das Video-Analytics-Tool Tubular Labs kürte den US-Amerikaner bereits 2019 als „größten Video-Kanal eines Influencers“ auf Facebook.
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Lax‘ Gesamtreichweite ist viel größer. Auf der Seite seiner Produktionsfirma weist er 13 weitere „Shows“ aus; in der Zwischenzeit sind offenbar noch weitere hinzu gekommen. Gemeinsam mit anderen Zauberkünstlern, Musikerinnen und Pärchen hat Lax in der Nähe von Las Vegas scheinbar eine Art „Hype House für Trash Content auf Facebook Watch“ ins Leben gerufen. Gibt man die Seiten aus dem Netzwerk in das (sich im Besitz von Facebook befindliche) Social-Analytics-Tool Crowdtangle ein und addiert deren dort ausgewiesene Abrufzahlen, zeigt sich, dass „Rick Lax Productions“ in den vergangenen 30 Tagen rund zwei Milliarden (!) Video Views generiert hat. Zu den reichweitenstärksten Seiten gehören jene von Zauberkünstler Justin Flom (960 Millionen Views), von „The Voice“-Teilnehmerin und Musikerin Adley Stump (564 Millionen Views) sowie Lax‘ eigene Facebook Seite (391 Millionen Views).
„Was zur Hölle sehe ich da?“
Alle Seiten aus Lax‘ Netzwerk posten ähnliche Videos: eine Mischung aus absurden Rezepten sowie Clips von „Pranks“ (Streiche), inspirierenden, „uplifting“ oder auch dramatischen Ereignissen, die alle größtenteils inszeniert anmuten. Die Videos sind stets mit dem Hinweis „Please note that this page features published videos including scripted dramas, parody, satire, and magic tricks. The events that take place in this particular short-film video are for entertainment purposes only“ versehen.
Die Videos sind auf günstigste Art und Weise produziert; ihr Aufbau ist fast immer gleich. Das Video startet gleich in der Handlung; eine Person vor der Kamera demonstriert etwas, der Kameramann oder die Kamerafrau kommentieren die Handlungen emotional. Zuschauende dürften sich bereits zu Anfang jedes Videos Fragen stellen wie „Was soll denn das werden?“ oder „Was zur Hölle sehe ich da?“. Die „Auflösung“ erfolgt meist erst in den letzten Sekunden des Videos – ist aber in der Regel für die Zuschauer enttäuschend. Jedes der Videos ist etwas länger als drei Minuten.
Motivations-Coach nimmt eine Million US-Dollar mit Watch ein
Durch diese Machart sind die Videos auf zwei Ziele hin optimiert: Reichweite zu generieren und Werbeeinnahmen zu erwirtschaften. Denn durch das Engagement (die Kommentare unter den Videos sind meist negativ, aber zahlreich) und den auf „Watch time“ (Abrufdauer) optimierten, trashigen Spannungsbögen, gelingt es Lax und seinem Team mit ihren Videos möglicherweise häufig, einen Push von Facebooks Empfehlungsalgorithmus zu erhalten. Somit dürften sie vielfach in jenem Feed abgespielt werden, der aufploppt, so bald Facebook User ein Video anschauen. Ist das erste Video zu Ende, startet automatisch ein weiteres, von Facebok ausgewähltes. Für Facebooks Werbevermarktung qualifizieren sich die Videos von Rick Lax Productions durch ihre Mindestdauer von drei Minuten.
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Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hatte bereits 2016 im Rahmen eines Earnings Calls die Devise „Putting video first“ ausgerufen. Zunächst tat sich die Plattform mit diesem Vorhaben jedoch scheinbar schwer. Weil Video-Abrufzahlen 2015/16 eine Zeit lang inkorrekt ausgewiesen worden waren, zahlte der Social-Konzern im Jahr 2019 im Rahmen eines Vergleichs 40 Millionen US-Dollar an Werbekunden. Außerdem luden augenscheinlich nur wenige namhafte Creator ihre Video-Inhalte auf Facebook hoch. Zuletzt berichtete der Video-Branchendienst Tubefilter jedoch, dass mehrere Creator über Facebook Watch sehr relevante Summen einnähmen. Motivations-Coach Jay Shetty (hier im OMR Porträt) verkündete 2019, in einem Jahr mehr als eine Million US-Dollar an Werbeeinahmen mit Facebook-Videos generiert zu haben.
Bis zu 600.000 US-Dollar Werbeumsatz pro Monat?
„Für mich hat sich Facebook Watch nicht mehr gelohnt“, so Marketing-Berater und Social-Media-Experte Jakob Strehlow, der auch selbst diverse Viralseiten auf der Plattform betrieben hat, gegenüber OMR. „Die Preise variieren stark. Der RPM (Revenue-per-Mille, Umsatz pro Tausend Abrufe, Anm. v. OMR) kann je nachdem, wo die Videos abgerufen werden, mal unter einem US-Dollar liegen. Aber in der Regel liegt er zwischen drei und sechs US-Dollar.“
Eine Besonderheit von Facebook gegenüber Youtube ist dabei: Nicht jeder gezählte View ist vermarktbar, denn Facebook blendet ab einer Minute, bzw. seit Kurzem auch nach 45 Sekunden, Werbung ein. „Bei den Videos von Rick Lax Productions halte ich einen Anteil von fünf Prozent vermarktbaren Views für realistisch“, so Strehlow. Bei zwei Milliarden Views im Monat könnte der monatliche Umsatz des Trash Publishers je nach RPM also zwischen 300.000 und 600.000 US-Dollar liegen. Sollte es Lax und seinem Team gelingen, die Zahl der Views über einer Minute noch höher zu schrauben („Watch time ist für mich die wichtigste Metrik“, so Lax 2019 gegenüber Tubular Labs), könnten die Einnahmen noch höher sein.
Mit Quatsch-Videos auf dasselbe Level wie die Walt Disney Company
Wie man mit hinterfragenswürdigen Inhalten bei Facebook Watch groß und erfolgreich werden kann, zeigt das Beispiel TheSoul Publishing (hier unser OMR Porträt aus dem Jahr 2017). Das in Zypern ansässige, ursprünglich aber offenbar aus Russland stammende Unternehmen vermeldete vor wenigen Tagen plattformübergreifend mehr als eine Milliarde Social-Media-Follower. Die bekannteste Medienmarke von TheSoul Publishing dürfte „5 Minute Crafts“ sein (72 Millionen Abonnenten auf Youtube, 104 Millionen Follower auf Facebook und 45 Millionen auf Instagram). Die hat ihre Reichweite mit Clickbait und teilweise absurden Lifehacks und fragwürdigen Experimenten angesammelt – von denen viele offenbar überhaupt nicht funktionieren.
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Der Aufstieg von 5 Minute Crafts hat auf Youtube seinen Anfang genommen. Mittlerweile ist Facebook die wichtigste Plattform für 5 Minute Crafts. Laut Crowdtangle hat die Marke bei Youtube laut Socialblade zuletzt 289 Millionen Views im Monat verzeichnet, bei Instagram sollen es laut Crowdtangle 330 Millionen Video Views und auf Facebook 1,6 Milliarden Video Views gewesen sein. Der Video-Analytics-Dienst Tubular Labs sieht TheSoul Publishing schon als größtes Bewegtbild-Unternehmen der Welt. Von der Social-Media-Reichweite her sei es nur mit der Walt Disney Company vergleichbar – aktuell der zweitwertvollste Entertainment-Konzern der Welt.
Update, 26.Mai 2021
Craig Radow, Vice President Globale Kommunikation von TheSoul Publishing, hat uns folgendes Statement geschickt:
„Bei TheSoul Publishing investieren wir viel Energie in die Kreation und die Produktion von positiven und unterhaltsamen Inhalten. Ein Team von 2.000 Mitarbeitern aus über 70 Ländern auf der ganzen Welt arbeitet täglich daran, neue, kreative Ideen zu entwickeln, die unser Publikum inspirieren und dabei stets unseren Qualitätsstandards entsprechen. Das ist es, was uns von der Konkurrenz unterscheidet und zu unserem Erfolg geführt hat.“