Facebook Apokalypse: Droht Unternehmen und Medien jetzt der totale Reichweiteneinbruch?

Martin Gardt23.10.2017

Viele Seiten klagen über eingebrochenen Facebook-Traffic. Verstärkt ein neues Feature den Trend?

Facebook Reichweite Probleme
Facebook Reichweite Probleme
Inhalt
  1. Auswirkungen könnten gravierend sein
  2. Explore Feed soll Publishern helfen
  3. Reichweite muss erkauft werden
  4. Konzentration auf Video wird zum Problem
  5. Die Suche nach der Alternative
  6. Instant Articles im Abo – eine Chance?

Seit Januar 2017 sind die Engagement-Zahlen für viele Publisher und Brands auf Facebook um bis zu 20 Prozent gesunken. Die organische Reichweite von Link-Posts ist besonders stark eingebrochen und so klagen viele News-Seiten über sinkenden Traffic von Facebook. Doch nun könnte noch Schlimmeres ins Haus stehen.

Was Facebook gerade in Sri Lanka, Serbien, Bolivien, Guatemala, Kambodscha und der Slowakei ausprobiert, lässt aufhorchen. Wie der slowakische Journalist Filip Struhárik berichtet, landen alle Seitenbeiträge ausnahmslos in dem neuen Explore Feed. Nutzer sehen in ihrem Standard-Newsfeed also nur noch Posts von Freunden und Werbung. Seit dem Start dieses Tests ist das Engagement der 60 größten Publisher der Slowakei um zwei Drittel eingebrochen. Steht das auch hierzulande an?

Facebook Engagement Slowakei

Engagement auf den Facebook-Seiten der 60 größten Publisher der Slowakei in den letzten Tagen. (Quelle: Medium / Filip Struhárik)

Auswirkungen könnten gravierend sein

Der slowakische Journalist Struhárik macht allerdings klar, dass die größten Publisher seines Landes nicht allzu stark von den Veränderungen betroffen sind. Das aber vor allem, weil sie weniger abhängig vom Facebook-Traffic sind, als kleinere Unternehmen. Laut dem Analytics-Dienst Parse.ly kommt durchschnittlich 40 Prozent des gesamten Traffics von Publishing-Seiten über Facebook. Das zeigt die Abhängigkeit vieler Publisher von der Plattform.

Laut Facebook ist die in der Slowakei und weitern Ländern getestete Funktionsweise des Explore Feeds auf diese Regionen beschränkt. Die Plattform sucht derzeit also noch nach dem besten Nutzen des alternativen Feeds. Die Frage ist nur: Was soll erreicht werden? Facebook wird nicht dazu zurückkehren, Publishern und Brands kostenlos riesige Reichweiten zur Verfügung zu stellen. Es geht eher darum, ob Seitenbetreiber am Ende überhaupt noch organische Reichweite erzielen. Sollte der Test in der Slowakei und weiteren Ländern für Facebook positiv enden, hätte das wohl die schlimmsten Folgen für Unternehmen. Adam Mosseri, Head of News Feed bei Facebook stellt aber in einem Statement klar: „Wir planen derzeit nicht, dies weltweit auszurollen.“ Vielmehr gehe es darum zu verstehen, wie die Nutzer mit zwei unterschiedlichen Feeds für Familie/Freunde und Brands interagieren.

Explore Feed soll Publishern helfen

Das jetzt auch in Deutschland ausgerollte Feature Explore Feed mit dem Raketen-Symbol dient als alternativer Newsfeed. Hierzulande bekommen Nutzer dort Inhalte von Seiten angezeigt, denen sie bisher nicht folgen. Was angezeigt wird, orientiert sich aber offenbar an den Likes und dem Verhalten der Nutzer und an der Beliebtheit der einzelnen Beiträge.

Facebook Engagement

Durchschnittliches Engagement von 880 Millionen untersuchten Facebook-Posts. (Quelle: Buzzsumo)

Der Explore Feed könnte für Brands und Publisher also eine Chance sein, auch Nutzer bei Facebook zu erreichen, die ihrer Seite noch gar nicht folgen. Ein Blick auf das Feature in seiner jetzigen Form zeigt aber auch: Wie beim Newsfeed bevorzugt Facebook auch im Explore Feed reichweitenstarken Video-Content. Wenn es also auch in diesem alternativen Feed schwer ist, organisch Links zur eigenen Seite zu platzieren, dürfte der Referral-Traffic zur eigenen Webseite nicht steigen.

Reichweite muss erkauft werden

Es ist also nicht gesagt, dass der Explore Feed zur Halde für Brand- und Publishing-Posts werden soll. Aber allein so einen Test zu starten, hat Signalwirkung. Denn schon länger beobachten Publisher und Brands einen Einbruch der organischen Reichweite.

Daten des Analyze-Tools Buzzsumo zeichnen ein alarmierendes Bild: Demnach ist das durchschnittliche Engagement von Brand- und Publishing-Posts auf Facebook um 20 Prozent gesunken. Ausgewertet wurden 880 Millionen Posts. Offenbar müssen Unternehmen zunehmend dafür zahlen und ihre Beiträge als Ads schalten, um im Newsfeed der Nutzer zu landen.

Konzentration auf Video wird zum Problem

Seit Jahren pusht Facebook native Videos, die direkt auf die Plattform hochgeladen werden. Der Algorithmus spielt diese häufiger in die Newsfeeds der Nutzer, startet sie automatisch und zählt schon nach drei Sekunden einen View. So schafft die Plattform den Eindruck, dass Videos von den Nutzern extrem gefragt sind und derzeit einfach am besten funktionieren. Viele Brands und Publisher haben darauf reagiert, indem sie vermehrt Video-Content erstellt haben und damit ansehnliche organische Reichweiten einfahren konnten. Das Problem vor allem für Publisher: Posts mit Links zur eigenen Seite bekommen kaum noch organische Reichweite und damit sackt auch der Referral-Traffic langfristig ab. Auch wir bemerken das: In den letzten 28 Tagen ist das Engagement auf der OMR-Facebook-Seite um 28 Prozent zurück gegangen. Wir posten vor allem Links zu Artikeln und Events.

Wie der Tweet von Matt Navarra, Director of Social Media beim Publisher The Next Web zeigt, sehen viele Experten diese Entwicklung extrem kritisch. Vor allem kleinere Brands und Publisher könnten Facebook als Reichweiten-Plattform abschreiben, wenn nur noch aufwendige Video-Produktionen organisch signifikant Nutzer erreichen und die Alternative bezahlte Werbe-Postings sind. Das Problem: Facebook hat bisher nicht gezeigt, dass Publisher mit dem Video-Content auf der Plattform auch Geld verdienen können. Zwar experimentieren erste Publishing- und Brand-Partner schon mit Midroll-Ads innerhalb von Videos, der Weg zu einer Monetarisierung auf der Plattform ist aber noch weit.

Facebook scheint fürs Erste in den USA vor allem Interesse an aufwendigen Shows für das Watch-Feature zu haben. Dafür arbeitet das Unternehmen eng mit langjährigen Partnern wie Buzzfeed, Tastemade, Refinery29 und Real Madrid zusammen. Derzeit scheint das Programm für die erste Phase vor allem aus Lifestyle-Formaten zu bestehen und für kleinere und mittelgroße Publisher ist Facebook Watch ohnehin keine Option.

Die Suche nach der Alternative

In den USA sind bereits viele Publisher auf der Suche nach Plattformen, die eine Reichweiten-Alternative zu Facebook sein könnten. In erster Linie führe der Weg dort laut Digiday zu Google und Apple News, sowie zu Snapchat und Instagram (das ja zu Facebook gehört).

Die Huffington Post, in den USA in Sachen Facebook-Engagement der größte Publisher letztes Jahr, nimmt zum Beispiel Abstand von einer Facebook-zentristischen Strategie. “Diese Veränderung ist eine Antwort auf das Verhalten unserer sich ändernden Zielgruppe und eine Möglichkeit, neue Nutzer zu erreichen, die uns Wachstum ermöglichen“, sagt Ethan Klapper, Global Social Media Editor bei der HuffPost zu Digiday. “Einfach Plattform-zentristisch zu agieren, steht für eine alte Denkweise und lässt außer Acht, wonach die Nutzer wirklich suchen.“

Instant Articles im Abo – eine Chance?

Einen Versuch zumindest große Verlage ruhig zu stellen unternimmt die Plattform jetzt: In den kommenden Wochen will Facebook Abonnements innerhalb von Instant Articles testen. Dadurch kann etwa die Bild das Bild Plus-Modell auch innerhalb der Instant Articles nutzen. Weitere Partner sind unter anderem der Boston Globe, Spiegel, Telegraph und die Washington Post. Neben festen Abo-Modellen wie Bild Plus können dann auch die sogenannten Metered Modelle der Verlage genutzt werden. Dabei sind zehn Artikel kostenlos, will der Nutzer Nummer elf lesen, erscheint die Paywall.

Facebook selbst gibt zu, dass sie das Feature vor allem auf Druck der Partner einführen – die schließlich nach Möglichkeiten der Monetarisierung über die Plattform suchen. Allerdings gibt es direkt einen Haken: Da sich Facebook nicht mit Apple über die Modalitäten einigen konnte, wird das Feature erst einmal nur bei Android aktiviert. Facebook selbst wird übrigens daran nichts verdienen, die Einnahmen landen zu 100 Prozent bei den Verlagen.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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