Ein AI-generierter Track mit Drake & The Weeknd geht viral – ein verkappter Marketingcoup?

Der Track von "Ghostwriter" verzeichnet schon Millionen von Plays auf Tiktok, Twitter, Youtube und Spotify

Ein Ausschnitt aus einem Tiktok-Video von ghostwriter977
Der Mensch hinter dem Track und den Uploads verheimlicht in Videos auf Tiktok und Youtube seine Identität (Quelle: ghostwriter977 auf Tiktok)
Inhalt
  1. Mehr als 1.000 Tiktok-Videos mit dem Fake Song
  2. Die Rache eines wirklichen Ghostwriters von Drake?
  3. Startup retweetet die Marketing-Coup-Theorie
  4. Universal fordert Spotify & Co. auf, AI Software auszusperren

Prägnantes Klaviermotiv, pumpender Bass, dazu eine Mischung aus Rap und Gesang: Der Track „Heart on my sleeve“, der innerhalb weniger Tage auf mehreren Plattformen insgesamt achtstellige Abrufzahlen generiert hat, klingt genauso, wie man sich eine Kollaboration zwischen Hip-Hop-Star Drake und The Weeknd, dem Michael Jackson der Gen Z, vorstellen würde. Doch angeblich ist das Stück mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellt worden, sind die Stimmen der beiden Musiker nur technologisch nachgeahmt. Was steckt dahinter? Vieles deutet auf einen Marketing-Streich eines kleinen US-Startups hin.

„Ich habe KI benutzt, um einen Song von Drake feat. The Weeknd zu erstellen“, so lautet die Caption eines 56-sekündigen Videos, das vor zwei Tagen unter dem Account-Namen „ghostwriter977“ bei Tiktok hochgeladen wurde. Im Bild ist lediglich eine Person zu sehen, die sich mit Hilfe eines Lakens und einer Sonnenbrille verhüllt. Auf der Tonspur: ein nicht ganz vollständige Version von „Heart on my sleeve“. Das Stück klingt so überzeugend „echt“ nach den beiden kanadischen Stars, dass es auf Tiktok viral geht. 9,3 Millionen Views hat der Clip auf der Plattform bereits eingesammelt.

Mehr als 1.000 Tiktok-Videos mit dem Fake Song

Viele Tiktok-Nutzende haben mittlerweile zu dem von „ghostwriter977“ hochgeladenen Musikstück weitere Videos erstellt: Mehr als 1.200 weitere Clips listet Tiktok bereits zu dem Sound auf; einige davon weisen ebenfalls Plays im niedrig siebenstelligen Bereich auf. Insgesamt dürften die Abrufzahlen von „Heart on my sleeve“ also alleine auf Tiktok im zweistelligen Millionenbereich liegen. Dazu kommen die Abrufe der vollständigen Version des Songs auf Spotify (250.000 Streams), Youtube (150.000) sowie auf Soundcloud (94.000).

Gepusht wird die Aufmerksamkeit für den angeblich gefakten Song auch über Twitter, wo viele „AI-Erklärer“ die Geschichte aufgegriffen haben. So wie der an der Erstellung des Songs augenscheinlich unbeteiligte Roberto Nickson, der laut seinem Twitter-Profil für ein AI-Startup tätig ist und dem auf der Plattform 40.000 Menschen folgen. Für Nicksons Upload des Songs in Videoform weist Twitter aktuell fast 15 Millionen Impressions aus. Dazu beigetragen haben könnte, dass die US-Medienmarke Barstool Sports mit fünf Millionen Twitter Followern das von Nickson hochgeladene Video ebenfalls geteilt hat.

Die Rache eines wirklichen Ghostwriters von Drake?

Die Aktion hat also eine enorme Aufmerksamkeit generiert. Gleichzeitig wirft sie Fragen auf, die sich aktuell noch nicht sicher beantworten lassen: Wer ist der wirkliche Komponist des Stückes? In den Meta-Informationen auf Spotify wird ebenfalls nur der Name „Ghostwriter“ als Urheber genannt. Ist das gesamte Stück wirklich von einer AI komponiert und erstellt worden? Oder ist die Musik von einem Menschen komponiert und sind vielleicht nur die Stimmen der Stars von einer künstlichen Intelligenz geklont worden?

Ebenfalls unklar ist, welches Ziel die Drahtzieher*innen hinter der Aktion verfolgen. Ist das Ganze nur ein Spaß? Könnte dahinter doch Drake stehen, der die Aufmerksamkeit rund um den aktuellen AI-Hype kapern will? Oder ist es vielleicht die Rache von Quentin Miller, eines wirklichen Ghostwriters von Drake, der zuletzt in Interviews erklärte, dass er für seine Dienste nicht bezahlt worden sein?

Startup retweetet die Marketing-Coup-Theorie

Deutlich wahrscheinlicher ist eine andere Variante: Das u.a. von dem bekannten Inkubator Y Combinator finanzierte US-Startup Laylo könnte den Song erstellt und ins Netz gestellt haben, um damit den eigenen Dienst zu promoten. Diese Theorie stellt Mitchell Landon vom US-Marketing-Dienst Appsumo auf Twitter auf. Denn der Tiktok Account von „ghostwriter977“ verweist auf eine Landingpage auf Laylo.com. Dort können Interessierte ihre Telefonnummer hinterlassen, um per SMS oder Whatsapp einen Link zur kompletten Version des Songs zu erhalten. Zudem habe sich Laylo-Gründer Alec Ellin zuvor nicht nur als Drake-Fan gezeigt, sondern auch vor Kurzem das Aufkommen von AI-erstellten Podcasts prognostiziert, beispielsweise einen 30-minütigen Podcast über den Aufstieg von Rap-Star Kendrick Lamar, erzählt mit der Stimme und aus der Perspektive von Genre-Legende Dr. Dre.

Mit Laylo sollen Künstler*innen, Creator und Marken „Drops“ bei ihren Fans durchführen können. Das bedeutet im Fall von Laylo: Die Stars können ihre Anhänger*innen mittels SMS oder via Chat-Apps über neue Stücke, Tour-Termine oder neue Produkte informieren. Laut Unternehmens-Website sollen bereits Stars wie Reese Witherspoon, Sam Smith, Tiktokerin Bella Poarch und Youtuber Airrack Laylo für solche „Drops“ genutzt haben. Dafür, dass Laylo wirklich hinter „Heart on my sleeve“ steckt, spricht auch, dass über den Twitter Account von Laylo Landons Twitter-Thread retweetet worden ist.

Universal fordert Spotify & Co. auf, AI Software auszusperren

Viele Musiker*innen und Content Creator dürften aktuell ganz genau und mit Sorge verfolgen, welche Konsequenzen der Aufstieg von „Generative AI“ für sie haben könnte. Mit einem aufmerksamkeitsstarken, mittels künstlicher Intelligenz gefakten Song eines großen Musikstars könnten die Laylo-Betreiber*innen also zumindest genau die richtige Zielgruppe für ihren Dienst erreichen. Ob diese sich dann über den Streich amüsieren können und sich so von dem Service überzeugen lassen, wird sich langfristig zeigen müssen.

Sicher ist, dass auch die Musikindustrie die Entwicklungen rund um Generative AI mit Skepsis bis Abneigung beobachtet. Schon in den Monaten zuvor hatten findige AI-Nutzer*innen Software genutzt, um „Mashups“ zu fälschen, die teilweise große Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. Auf Twitter war beispielsweise eine mittels KI erstellte Coverversion von Beyonces „Cuff it“ mit der Stimme von Rihanna viral gegangen. Das erste Video auf dem Youtube-Kanal von „Ghostwriter977“ war ebenfalls eine Coverversion, und zwar des Nuller-Jahre-Hits „Bubbly“, mit der Stimme von Drake. Wie E-Mails, die der Financial Times vorliegen sollen, zeigen, soll die Universal Music Group zuletzt gegen solche Uploads vorgegangen sein. Darüber hinaus soll der Musikkonzern Streaming-Plattformen wie Spotify und Apple Music dazu aufgefordert haben, zu verhindern, dass AI-Firmen die Songs seiner Künstler*innen „scrapen“ und ihre Modelle auf Basis dieser Daten trainieren, um dann ähnliche Songs erstellen zu können.

AIDrakeKünstliche IntelligenzThe Weeknd
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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