Crazy Cheese: Wie dieser Österreicher Käse online als teures Lifestyle-Produkt inszeniert

Torben Lux14.8.2020

Der 51-jährige Wiener Roland Ludomirska will außerdem schon bald weltweit 200 Stores eröffnet haben

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Inhalt
  1. Vom Käsehimmel zum Crazy Cheese
  2. Online wegen, offline trotz Corona
  3. Schon bald 200 Stores weltweit?
  4. Käse als Leidenschaft und Walt Disney als Vorbild

Er trinkt Champagner, trägt teure Anzüge und fliegt auch gerne mal mit einem Privat-Jet – Roland Ludomirska ist nicht gerade das, was man sich unter einem typischen Käseverkäufer vorstellt. Diese seit der Corona-Krise intensiv betriebene Selbstinszenierung beschert ihm und seiner Brand „Crazy Cheese“ dafür aber tausende Views auf Facebook und Instagram. Und hat außerdem dafür gesorgt, dass er mit dem erzwungenen Start des Online-Handels seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat. OMR stellt den extrovertierten Unternehmer vor, erklärt, mit welcher Strategie er Käse zum Luxus-Lifestyle-Produkt machen möchte und weshalb sein Vorgehen immer wieder auch stark kritisiert wird.

Als im Berlin des 19. Jahrhunderts noch Kohlehändler von Tür zu Tür gegangen waren, um den Brennstoff an Haushalte zu verkaufen, soll das bekannte Lied „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ entstanden sein. Über ein Jahrhundert später wurde es dann vom Drogen nicht abgeneigten und 1998 verstorbenen österreichischen Popstar Falco in einem Song verarbeitet. Und Jetzt bedient sich erneut ein Wiener an dem Gassenhauer, in etwas abgewandelter Form allerdings: „Mutter, der Mann mit dem Käs‘ ist da“ steht direkt auf der Startseite von crazy-cheese.com, dem Käseshop von Roland Ludomirska. Und ähnlich wie Falco versteht auch er so einiges vom Kreieren einer Kunstfigur.

Ludomirska ist heute 51 Jahre alt und bereits seit 25 Jahren im Käse-Geschäft. Erst wurde aus einem Brotstand am Viktor-Adler-Markt in Wien ein Käsestand. Später fing der gelernte Fotokaufmann dann an, Käse auf Messen in ganz Europa zu verkaufen. Und würde das Messe-Geschäft dank Corona nicht brach liegen, würde er das wohl auch immer noch machen. Nicht immer war er dabei die tätowierte Kunstfigur die er heute mimt. Auf der ersten Frankfurter Landwirtschaftsmesse „Land & Genuss“ von 2012 zeigt sich der „Mann mit dem Käs'“ noch glatt rasiert; bunte Bilder sucht man auf der Haut vergebens.

Vom Käsehimmel zum Crazy Cheese

Was lange „Käsehimmel“ hieß, heißt heute „Crazy Cheese“. Und der Name kommt nicht von ungefähr. Die Käsesorten, die Roland Ludomirska in den Niederlanden herstellen lässt und importiert nennen sich „Geiler Bock Deluxe mit Trüffel“, „Der rote Rubin“ oder „Geile Nuss“. Außerdem im Online-Shop erhältlich: Merchandise, mit der Marke gelabeltes Bier, Gin und Whisky, Käse-Zubehör sowie verschiedenste Champagner – unter anderem eine Sechs-Liter-Flasche Dom Pérignon für schmale 50.000 Euro.

Alles sehr hochpreisig und von Ludomirska seit Anfang März in völlig überzeichneten Videos auf Facebook als Luxus inszeniert. Über 30.000 Fans hat „Crazy Cheese“ da. Und wenn Roland Ludomirska in Designer-Klamotten am Pool über Käse, Champagner und sein Lebensgefühl schwadroniert, schauen sich das hunderttausende an. Das erfolgreichste Video vom 20. Mai kommt derzeit auf 1,1 Millionen Views. In dem nur zweieinhalb Minuten langen Clip erklärt der Unternehmer, dass jeder Bestellung ab sofort ein kleines Käsemesser aus Plastik beiliegt, er kommentiert wie immer den Geschmack des Käses mit „absolute delicious!“ und trinkt Champagner.

Online wegen, offline trotz Corona

All das passiert natürlich mit einem klaren Ziel: Roland Ludomirska will durch das Einbetten von ungewöhnlichen Käsesorten in den Luxus-Kontext seine Marke aufladen, Begehrlichkeiten erzeugen und letztendlich Menschen davon überzeugen, sehr viel Geld für das Milcherzeugnis auszugeben. „Es kommt immer darauf an, wie man sich vermarktet und seine Begehrlichkeit erhöht“, sagt er dazu im österreichischen Gourmet-Magazin Falstaff. „Und wenn ich nicht diese Preisschiene wie heute fahre, dann habe ich es verpasst mich richtig zu präsentieren. Dann stimmt die Produkt­präsentation auch nicht.“

Dass diese heute auch online stattfindet, war vorerst allerdings gar nicht geplant. Dann kam der Corona-Shutdown und Ludomirska habe während drei Tagen, an denen es in Strömen geregnet hatte, den Online-Shop aufgebaut. „Es war perfektes Timing“, sagt er im Gespräch mit Falstaff. „Wir haben den Umsatz im Vergleich zu Vorjahr ohne Messen verdoppelt.“ Der österreichischen Tageszeitung „Heute“ verrät er, innerhalb von neun Wochen über 20.000 Pakete verschickt zu haben. Das dürfte sich, bei einem vermutlich recht hochmargigen Produkt, schon einigermaßen lohnen. Setzt man einen durchschnittlichen Warenkorb von 25 Euro an, wären das bereits 500.000 Euro Umsatz. Bei 50 Euro, die schon ganz schnell mit jeweils 100 Gramm von drei Sorten erreicht werden, wäre es bereits eine Million Euro.

Schon bald 200 Stores weltweit?

Den ursprünglichen Plan hat Roland Ludomirska aber trotzdem durchgezogen. Mitten in die Krise hinein eröffnete er Anfang März seinen Flagship Store im Einkaufscenter „Shopping City Süd“ in Vösendorf bei Wien. Seitdem sind noch fünf weitere Filialen dazugekommen. Und es sollen noch deutlich mehr werden. Das Ziel sei, weltweit 200 Stores zu eröffnen. „Nach den Shopping-Centern gehen wir 2021 in die österreichischen Innenstädte, danach stehen München, Berlin und Hamburg auf dem Plan“, sagt er gegenüber dem Portal bezirkmoedling.at. Das langfristige Ziel seien die USA. „Wenn wir uns in Amerika etablieren, können wir zu einer Weltmarke werden. Ich denke, dass unser verrücktes Konzept noch viel besser nach Amerika passt als zu uns in Österreich.“

Roland Ludomirska und sein Käse stoßen allerdings nicht nur auf Gegenliebe. Auf Google häufen sich schlechte Rezensionen. Bei rund 350 Bewertungen kommt „Crazy Cheese“ aktuell auf nur 1,9 Sterne von 5. Häufige Vorwürfe: In den Läden würde immer wieder viel mehr Käse vom Laib abgeschnitten, als gewünscht – und so die Rechnung künstlich in die Höhe getrieben. Die Rede ist außerdem von Abzocke, schlechtem Kundenservice sowie überteuertem und nur mittelmäßigem Käse. Auch zu seiner vorherigen Marke „Käsehimmel“ lassen sich noch ähnliche Vorwürfe im Netz finden. Die wenigen 5-Sterne-Bewertungen bei ansonsten größtenteils 1-Sterne-Bewertungen seien Fakes, so einige Kritiker.

Käse als Leidenschaft und Walt Disney als Vorbild

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert reagiert Roland Ludomirska recht entspannt. Er kenne die Kritik und werde sehr oft darauf angesprochen. „Ich schätze, dass 60 Prozent der negativen Rezensionen von Milchbauern und Landwirten kommen, die einfach nicht verstehen können, wie man einen Kilo Käse um 200 Euro verkaufen kann“, sagt er bei bezirkmoedling.at. Es sei Blödsinn, ihn als Betrüger zu bezeichnen. Die Rezepturen seien einzigartig und schließlich werde niemand gezwungen, bei ihm Käse zu kaufen.

Den negativen Kritiken auf Google stehen außerdem deutlich positivere Bewertungen auf Trusted Shops gegenüber. Hier kommt „Crazy Cheese“ auf 4,52 von fünf Sternen bei 165 Rezensionen. Und das Urteil eines Tests auf dem Youtube-Kanal „Video Check“ fällt ebenfalls alles andere als negativ aus. Roland Ludomirska hat derweil ganz andere Gedanken. „Ich habe zwei große Leidenschaften: Käse und Champagner. Meine Vision ist es, Käse als Lifestyle-Produkt zu verkaufen. Käse soll Menschen nicht nur satt, sondern auch glücklich machen“, sagt er. Und im Gespräch bei Falstaff setzt er noch einen drauf: Er habe immer außergewöhnlich und einzigartig sein wollen. „Mein Vorbild ist Walt Disney, ich möchte unsterblich sein.“ Auch wenn er schon lange verstorben sei, präge seine Marke noch immer viele Menschen und Generationen. „Wenn ich das erreiche, dann habe ich es gut gemacht. Daher möchten wir auch in die USA expandieren. Ich möchte eine Marke erschaffen, die auch nach mir funktioniert.“

Danke an Thomas Schöfbänker für den Hinweis!

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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