Dieser Bot scrapet tausendfach LinkedIn-Profile und verkauft sie als Buch bei Amazon
Wie Techies automatisiert bei Amazon Geld verdienen wollen
- Von „Alex Medvedev“ und „Ronald Russell“ finden sich auf Amazon Tausende von Büchern als Book-on-Demand. Ihre Titel sind alle nach demselben Schema gebildet und bestehen lediglich aus einem Namen und der beruflichen Position der genannten Person. Die Informationen darüber wurden offenbar automatisiert bei LinkedIn und anderen Plattformen ausgelesen. OMR wirft einen Blick auf einen der absurdesten Auswüchse einer zunehmend von Automatisierung, Plattformen und Algorithmen beherrschten Welt.
- Content-Müll als Taschenbuch verkauft
- Systematische Abzocke im großen Stil?
- Automatisiert erstellte Wortmüll-Rezensionen
- Nahezu null Risiko für „algorithmische Autoren“
- Wiederholt sich auf Amazon der SEO-Goldrausch?
- Professor „schreibt“ automatisiert eine Million Bücher
- Konkurrenz für „Medvedev“ und „Russell“
Von „Alex Medvedev“ und „Ronald Russell“ finden sich auf Amazon Tausende von Büchern als Book-on-Demand. Ihre Titel sind alle nach demselben Schema gebildet und bestehen lediglich aus einem Namen und der beruflichen Position der genannten Person. Die Informationen darüber wurden offenbar automatisiert bei LinkedIn und anderen Plattformen ausgelesen. OMR wirft einen Blick auf einen der absurdesten Auswüchse einer zunehmend von Automatisierung, Plattformen und Algorithmen beherrschten Welt.
Jono Bacon ist aufgebracht: „Zu Eurer Information: Kauft bloß nicht dieses oder vergleichbare bei Amazon angebotene Bücher! Die haben nur die Biographie von Leuten aus Wikipedia geklaut. Was für eine Abzocke“, warnt der Entwickler und Autor Anfang November in einem Tweet.
FYI: Don't buy https://t.co/B7Zp0jUAw9 or similar books on @amazon – they are just ripping people's biographies off @Wikipedia – what a con. pic.twitter.com/Kdw7I49KXw
— Jono Bacon (@jonobacon) November 3, 2017
Content-Müll als Taschenbuch verkauft
Was war passiert? Bacon war auf eine angebliche Biographie von sich selbst bei Amazon gestoßen (mittlerweile ist diese nicht mehr verfügbar). Schon ein längerer Blick auf die Produktseite bei Amazon legt die Vermutung nahe: Die angebliche Biographie ist von den angeblichen Autoren „Ronald Russell“ und „Alex Medvedev“ (ob dies ihre wirklichen Namen sind, ist unklar) nicht händisch verfasst worden. Vielmehr liest sich die Inhaltsangabe, als habe eine Software für das Buch diverse Inhalte aus diversen im Netz verfügbaren Datenbanken automatisiert ausgelesen („gescrapet“) und zusammengestellt.
The book is mostly about San Francisco too, it seems. pic.twitter.com/I1j6W8lofQ
— Dr. Matt Lee (typing one handed 🩹👋) (@mattl) November 3, 2017
So stammen die Inhalte für Bacons „Biographie“ möglicherweise von seinem Wikipedia-Eintrag, vielleicht auch von seinem LinkedIn-Profil. Und weil diese Informationen alleine noch nicht reichen dürften, um ein ganzes Buch zu füllen, haben die „Autoren“ noch Informationen über die Bedeutung des Vornamens Jono (im Netz beispielsweise auf Seiten wie Babynames.com verfügbar) sowie die Region und das Land, in dem Bacon lebt („Interessante Fakten über das Land: Vereinigte Staaten“), hinzugefügt.
Systematische Abzocke im großen Stil?
Auf knapp 50 Seiten haben die Ersteller des Werkes auf diese Weise die dünnen Inhalte offenbar ausgedehnt. 14 US-Dollar, also knapp 12 Euro, sollte das Buch kosten. Mittlerweile ist es nicht mehr verfügbar. Auch das Produkt-Listing ist gelöscht – möglicherweise, weil Amazon durch die Diskussion auf Twitter auf den Fall aufmerksam geworden war.
Die angebliche Biographie von Jono Bacon war jedoch kein Einzelfall: Immer noch lassen sich für den „Autoren“ Alex Medvedev mehr als 3.800 Produktseiten mit Büchern bei Amazon finden. Und zwar nicht nur auf Amazon.com, sondern auch auf der deutschen, der britischen sowie anderen internationalen Plattformen von Amazon. Möglicherweise ist Amazon jedoch auch hier schon tätig geworden, denn aktuell sind nur noch zwei der Bücher überhaupt zum Kauf verfügbar: die „Biographie“ des Venturebeat-Journalisten Paul Sawers sowie jene des Computer-Wissenschaftlers Amit Sheth. Letztere weist CreateSpace als Buchverlag aus – die Self-Publishing-Plattform von Amazon selbst.
Automatisiert erstellte Wortmüll-Rezensionen
Alle 3.800 noch bei Amazon abrufbaren Produkt-Seiten weisen dasselbe lieblose Cover auf, versehen mit dem Namen und Berufstitel des oder der „Porträtierten“. Eine stichprobenartige Überprüfung ergibt, dass alle der Personen auch über ein Profil bei LinkedIn verfügen, die Daten vermutlich dort ausgelesen wurden und automatisiert per Software in ein „Buch“ umgewandelt wurden. Alle Buchtitel tragen Vornamen mit A als Anfangsbuchstaben: Ob die Hintermänner nicht alle LinkedIn-Profile scrapen, oder sie nicht alle so erstellten „Bücher“ bei Amazon hochladen konnten, ist von außen nicht zu ermitteln.
Möglicherweise haben die Ersteller der Bücher auch damit begonnen, automatisiert Rezensionen zu ihren Werken bei Amazon zu posten. Das potenzielle Ziel: die Sichtbarkeit und die Wahrscheinlichkeit, in Amazons Suchergebnissen weit oben zu landen, zu steigern. Diese Vermutung legt zumindest eine der noch einsehbaren Rezensionen nah, die sich wie automatisiert erstellter Wortmüll liest:
Wer kauft so etwas?
Aber wer soll diese Bücher kaufen? Lässt sich mit solch offensichtlich lieblos zusammengeschusterten Werken wirklich Geld verdienen? Verlässlich beantworten lässt sich diese Frage nicht. Aber es ist durchaus vorstellbar, dass nicht jeder Nutzer, der auf ein Buch stößt, auch automatisch alle anderen des Autors anschaut und das System dahinter erkennt – und ein Bruchteil von ihnen dann eines der Bücher kauft.
Denkbar ist, dass die Macher der „Biographien“ dabei auch auf Glückstreffer gehofft haben: Dass also unter den vielen automatisch ausgelesenen und in Bücher transformierten Profilen auch solche von „Nischenprominenten“ sind, nach denen im Netz wirklich gesucht wird. Jono Bacon ist beispielsweise solch ein Fall: Der Brite hat durch seine Arbeit für Linux in der Entwicklerszene eine gewisse Prominenz erlangt. Bei Twitter folgen ihm derzeit 22.000 Nutzer. Menschen, die akademische Arbeiten verfassen, fühlen sich vielleicht sogar dazu verpflichtet, jedes Werk über einen bestimmten Wissenschaftler oder ein bestimmtes Thema gelesen zu haben.
Nahezu null Risiko für „algorithmische Autoren“
Vielleicht haben die „Autoren“ der Biographien darüber hinaus auch auf Käufe durch „Vanity Searcher“ und „Ego-Googler“ spekuliert: Wer seinen eigenen Namen sucht und bei Amazon auf eine Biographie über sich selbst stößt, der gibt möglicherweise 12 Euro aus, um aus Spaß gegenüber dem Freundeskreis prahlen zu können.
Die Chance auf diese Weise wirklich viel Geld zu verdienen, dürfte zwar nicht gerade groß sein. Doch die Eintrittshürden und Kosten sind demgegenüber äußerst gering: Amazon produziert die Bücher auf Anfrage und kümmert sich um die komplette logistische Abwicklung. Bei automatisiert erstellten Büchern fallen für die „Autoren“ somit nur die „Entwicklungskosten“ der Software an. Darüber hinaus ist das geschäftliche Risiko nahezu gleich null. Schon zuvor hatten findige „Buchautoren“ über Amazons Self-Publishing-Plattform mit fragwürdigen Methoden Geld verdient („Black-Hat-Methoden bei Amazon: Dieser Selfpublisher will mit E-Books 250.000 verdient haben„)– doch hatten sie den Content in der Regel nicht automatisiert erstellt.
Wiederholt sich auf Amazon der SEO-Goldrausch?
Die „Buchautoren“ erhalten über Amazon eine massive Reichweite quasi gratis. In den USA starten auf der E-Commerce-Plattform bereits 55 Prozent ihre Produktrecherche; in Deutschland sind es 45 Prozent. Dieser Effekt strahlt sogar auf Google ab: Weil Amazon eine so hohe Relevanz für Verbraucher besitzt, ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering, dass bei einer Google-Suche nach dem jeweiligen Namen das Amazon-Produkt-Listing der „Biographie“ auf der ersten Suchergebnis-Seite erscheint.
Die Entwicklung auf Amazon erinnert in Ansätzen auch an die Anfänge der Goldrauschzeit rund um Google SEO. Auch damals hatten findige Seitenbetreiber im Netz automatisiert Datenbanken zusammengeklaut, etwa mit Songtexten („Songlyrics-Seiten im Web: Einmal Goldrausch und wieder zurück“) oder Babynamen, und diese über eine Website öffentlich zugänglich gemacht. Jene, denen es gelang, ihre Seite so zu optimieren, dass sie zu häufig gesuchten Begriffen bei Google weit oben erschienen, konnten damit zeitweise sehr viel Geld verdienen.
Professor „schreibt“ automatisiert eine Million Bücher
Der Fall der automatisiert erstellten Biographien ist aber auch ein weiteres Beispiel für die absurden Auswüchse einer immer stärker von Plattformen, Algorithmen und Automatisierung geprägten Welt. Erst vor wenigen Monaten berichtete OMR über das Projekt „My Handy Design“ der deutschen Firma ToasterNet („Kurioser Amazon-SEO-Case: Ein Bot erstellt Handyhüllen mit den merkwürdigsten Stockfotos„). Das Unternehmen lizensiert Stockfotos von Fotolia und bedruckt damit on Demand Handyhüllen, die es an Amazon verkauft. Darunter befinden sich teilweise verstörende Motive wie Zehennagelpilz, masturbierende oder kranke Menschen.
Immerhin sind „Alex Medvedev“ und „Ronald Russell“ nicht die ersten, die automatisiert Bücher „schreiben“. Der US-Universitäts-Professor Philip M. Parker hat bereits im Jahr 2012 ein Programm geschrieben, das automatisiert Bücher auf Basis von öffentlich verfügbaren Quellen zusammenstellt. In einem Youtube-Video demonstriert er den Prozess:
Konkurrenz für „Medvedev“ und „Russell“
Bereits 2013 behauptete Parker, mit dieser Methode mehr als eine Million Bücher geschrieben zu haben. Aktuell sind noch mehr als 100.000 davon bei Amazon verfügbar.
Vielen Dank an Andre Alpar für den Hinweis auf das Thema!