Manipulieren Get-Rich-Quick-Typen und Personality Coaches gezielt Apples Podcast-Charts?

Martin Gardt15.10.2018

Haben US-amerikanische und deutsche Podcaster einen Weg gefunden, sich in die Top 10 zu schummeln?

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Inhalt
  1. Die Podcast-Szene glaubt an Manipulation
  2. Verdachtsmomente und clevere Strategien
  3. Wie wichtig ist die Output-Frequenz?
  4. Stecken Klickfarmen dahinter?
  5. Apple versucht das Problem zu beheben

Für Podcast-Macher ist eine Platzierung auf den oberen Rängen von Apples Podcast-Charts eine sehr attraktive Möglichkeit, die eigene Show in die Köpfe vieler Menschen zu bekommen. Welche Metriken Apple für die Erstellung der Rangliste heran zieht, verrät der Konzern nicht. Offenbar haben einige geschäftstüchtige Podcast-Macher jedoch Mittel und Wege gefunden, um den eigenen Podcast in den Charts mehr oder minder künstlich nach oben zu katapultieren. Wie sie dabei vorgehen, und ob Apple dagegen steuert, lest Ihr hier.

In den USA rieben sich viele Podcast-Fans in den letzten Wochen beim Blick auf die Apple-Podcast-Charts verwundert die Augen. In den Top 10 fand sich zum Beispiel nicht der bislang überaus erfolgreiche und populäre Real-Crime-Podcast Serial, der gerade in die dritte Staffel gestartet ist. Stattdessen war Anfang Oktober zeitweise der bis dahin kaum bekannte Podcast „Bulletproof Real Estate With Andy Dane Carter“ auf Platz 1. Carter stellt sich auf seiner eigenen Website als erfolgreichen Immobilienmakler dar und verkauft ebenfalls Coaching-Module für ein „erfolgreiches Mindset“.

Ebenfalls in den US-Podcast weit vorne vertreten waren zuletzt: „15 Minutes to Freedom“ mit Ryan Niddel (selbst ernannter „Warrior“ und Selbst-Optimierungs-Coach) und „Kickass News“ von Ben Mathis. Mathis ist nach eigener Darstellung ehemaliger Hollywood-Produzent und macht sich nun mit seinem Podcast einen Namen als Medien- und Politikberater. Die Facebook-Seite des Podcasts hat 3.561 Fans.

Die Podcast-Szene glaubt an Manipulation

Dermaßen hohe Podcast-Charts-Platzierungen von eher wenig bekannten Playern sind für einen Markt wie den in den USA, wo Podcasts schon einen höheren Stellenwert haben und große Medienhäuser und bekannte Gesichter mit eigenen Programmen unterwegs sind, sehr erstaunlich. Entsprechend häuften sich in den vergangenen Monate in der dortigen Podcast-Szene die Vermutungen über eine mögliche Manipulation der Charts. Nicholas Quah, Autor des Podcast-Newsletters des Nieman-Labs, hat einige solcher Äußerungen dokumentiert.

Der US-Podcast-Experte Kevin Goldberg hat sich vor allem die Zahlen von Kickass News angeschaut. Sein Fazit: Der Podcast rangiert in Apples Charts seit Anfang 2017 stabiler in den Top 10 als Erfolgs-Formate wie „This American Life“ oder „The Daily“ von der New York Times. Und das, obwohl die beiden letztgenannten Podcasts jeden Monat Millionen von Abrufe verzeichnen. Goldberg kommt zu dem Schluss, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann. Aber wie schafft es Kickass News so erfolgreich zu ranken?

Verdachtsmomente und clevere Strategien

Um dies zu verstehen, muss man wissen, wie Apple die Podcast-Charts erstellt. Zwar gibt es vom Unternehmen selbst dazu keine Angaben. In der Podcast-Szene gibt es jedoch eine übereinstimmende Vermutung: „Wir gehen davon aus, dass Apple die Platzierung in den Podcast-Charts von der Zahl neuer Abonnenten abhängig macht“, sagt Vincent Kittmann, Head of Podstars by OMR. Auf diese Weise könnten auch neuen Podcasts hohe Chart-Einstiege gelingen. Und wer eine hohe Platzierung verzeichnet, erhält auch mehr Plays, so Kittmann. „Gleichzeitig kommt dabei aber auch kein klares Bild wirklicher Beliebtheit von Shows heraus.“ Neben dem „Gesamt-Ranking“ führt Apple auch ein Ranking der beliebtesten einzelnen Folgen von Podcasts. Hier kann eine Show also gleich mehrfach vertreten sein. Die Platzierungen der jeweiligen Einzelepisoden hängen von der Zahl ihrer Play ab, so der Konsensglaube in der Szene.

Dementsprechend macht sich nach Ansicht von Experte Kevin Goldberg jeder Podcast verdächtig, dank Growth Hacking in den Charts oben gelandet zu sein, der zwar in den Gesamt-Charts auf den oberen Rängen vertreten ist, nicht aber in den Top 200 der beliebtesten einzelnen Episoden. Laut Goldberg hat es Kickass News noch nie geschafft, auch nur eine Episode in den Top 200 zu platzieren. Das würde dafür sprechen, dass Kickass zwar irgendwoher neue Abonnenten gewinnt, diese dann aber nur selten auch wirklich einzelne Episoden hören. Ein weiteres Beispiel für eine solche Diskrepanz ist „Bulletproof Real Estate with Andy Dane“. Auch dieser Podcsat taucht immer wieder in den Top 10 auf, obwohl er keine Folge in den Top 400 platzieren konnte. Der Gründer des Analyse Tools Chartable Dave Zohrob hat eine Liste erstellt, mit der er zeigt, dass der Podcast von Andy Dane zwar zum Teil auf Rang 2 der US-Charts lag, aber eben kaum wirklich gehört wird und auch nur 43 Bewertungen hat.

Wie wichtig ist die Output-Frequenz?

Denkbar ist, dass die Frequenz der Veröffentlichung neuer Folgen sich ebenfalls auf die mögliche Platzierung eines Podcasts in Apples Charts auswirken kann. Denn der Output von Kickass News und anderen Podcasts ist enorm hoch. Kickass hat seit dem Start im August 2015 alle drei bis vier Tage eine neue Folge veröffentlicht. So kommen schon über 300 Episoden zusammen. „Life-Coach“ Ryan Niddel veröffentlicht sogar jeden Tag eine neue Folge von „15 Minutes to Freedom“ – so kommt er auf über 100 Episoden seit Juli 2018.

Woher sollen aber die immer neuen Abonnenten für solche Nischen-Podcasts kommen? Kickass News hat auf Twitter zwar 66.000 Follower, laut dem Analyse-Tool Twitter Audit sind jedoch nur 22 Prozent dieser Follower echte Menschen. Ryan Niddel hat es nicht einmal darauf angelegt, Reichweite einzukaufen. Auf Twitter folgen ihm 133 Nutzer, bei Facebook sind es knapp über 6.000. Alles keine Zahlen, die solche Kanäle als Abonnenten-Vervielfacher nahe legen. Deshalb vermutet US-Experte Goldberg, dass die Macher hinter Podcasts wie Kickass-News entweder Abonnenten einkaufen oder Bot-Scripte nutzen, um immer wieder künstlich neue Abonnenten zu gewinnen und so in der Charts zu klettern.

Podcast-Promotion Fiverr

Ein Angebot für Podacst-Promotion auf Fiverr.

Stecken Klickfarmen dahinter?

Wer nach „Podcast Promotion“ auf der Freelancer-Plattform Fiverr sucht, wird schnell fündig und erkennt, wie die Podcast-Macher vorgegangen sein könnten. Zwar hat Fiverr in den letzten Tagen vermehrt Promotion-Angebote, die offenbar vor allem aus Südostasien kommen, gelöscht, trotzdem ist noch das ein oder andere zu finden. Hier wird dann versprochen, an die Spitze der iTunes-Charts in der jeweiligen Kategorie zu führen.

Die Anbieter auf Fiverr behaupten, sie würden echte Hörer durch Social-Media-Promotion generieren. Zwei Tage kosten dann etwa 4,50 Euro, 29 Tage Promotion knapp 200 Euro. Ob am Ende ein Dienstleister aus Bangladesh es schafft, echte US-Hörer über Social Media zu generieren, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass Klickfarmen vor Ort über US-Accounts immer neue Abos abschließen und den Podcast so pushen. Ein Twitter-Account aus Bangladesh verkündet immer wieder stolz, dass er Podcasts wie Kickass News oder „15 Minutes to Freedom“ in den Charts nach vorne gebracht hat.

Apple versucht das Problem zu beheben

Zumindest in den USA hat Apple auf die Unregelmäßigkeiten in den Charts offenbar bereits reagiert. Zuletzt lagen hier wieder Formate wie Serial ganz weit vorn. Trotzdem hält sich Kickass News auch hier weiter in den Top 20. Was Apple also wirklich geändert hat, bleibt das Geheimnis des Konzerns. Was am Ende bleibt, ist die Erkenntnis, wie viel Macht das Unternehmen immer noch über die Podcast-Industrie hat und wie wenig Transparenz hier noch herrscht.

Podcaster, die sich in die Charts tricksen, zeigen einfach nur, wie einfach es möglich ist, Apples System zu manipulieren. Ihr Vorteil: Die Podcast-Macher können am Ende behaupten, sie hätten einen der größten Podcasts der Welt und sie tauchen womöglich als Vorschlag unter anderen Formaten auf („Menschen, die das hörten, abonnierten auch“). Solange in das Ranking also nicht viele weitere Faktoren einbezogen werden, dürfte sich an der Situation nicht viel ändern.

Hinweis aus Transparenzgründen: Mit dem Schwesterunternehmen Podstars produziert und vermarktet OMR selbst Podcasts. Wir haben noch nie Abonnenten eingekauft, um die Platzierung unserer Podcasts in den Charts zu manipulieren.

 

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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