6PM: Wie ein 25-Jähriger seine Kollektionen in Minuten ausverkauft – ohne Paid Marketing

Martin Gardt15.4.2021

Achraf Ait Bouzalim gründet neben seinem BWL-Studium ein Modelabel – heute ist 6PM ein Millionen-Business

Achraf Ait Bouzalim – Gründer von 6PM
Achraf Ait Bouzalim hat 6PM zu einem der hippsten deutschen Modelabel geformt
Inhalt
  1. Mit Smoothies das Unternehmen finanzieren
  2. Eine Hose und ein Investment bringen den Erfolg
  3. Reingerutscht in die Verknappungs-Strategie
  4. Die Nähe zur Community macht den Unterschied
  5. Mit Codes noch mehr Druck erzeugen
  6. Große Musiker sind Freunde – keine Influencer
  7. Die Vision von der Weltmarke

Nichts funktioniert im Klamotten- und Sneaker-Business gerade besser als Drops begehrter (und verknappter) Produkte. Eines der derzeit wohl beeindruckendsten Beispiele dafür liefert in Deutschland das Frankfurter Label 6PM. Gründer Achraf Ait Bouzalim verkauft jede Kollektion in Minuten aus – ohne bisher Geld für Marketing ausgegeben zu haben. Uns hat er erzählt, was ihm nach Jahren der Erfolglosigkeit den Durchbruch beschert hat, wie seine Drops genau funktionieren und warum seine Instagram-Community sein wichtigster Hebel ist.

Vor weniger als einer Woche, es ist ein Freitag, bringt Achraf Ait Bouzalim die neueste Kollektion seines Labels 6PM auf den Markt – nur auf der eigenen Webseite. Es wird nicht viel Zeit vergehen, bis alle zehn Stücke, von Daunenwesten bis Jeans, vergriffen sind. „Drops verlaufen eigentlich immer gleich: Anderthalb Stunden vorher gehe ich ins Office und checke, ob alles steht. Dann kommen um 17:30 Uhr die Leute mit Codes [Kunden mit Codes erhalten schon früher Zugriff auf die Kollektion, Anm. v. OMR] und um 18 Uhr kommt die Masse“, erzählt der 25-Jährige gegenüber OMR. „Das ist dann immer ein kurzes Schlachtfeld. Am Freitag hat es 19 Minuten gedauert, bis das letzte Produkt ausverkauft war. Dann gibt’s einen Instagram-Post, eine kurze Rede vor dem Team und dann konzentrieren wir uns schon auf den nächsten Drop.“ In diesen 19 Minuten bis zum Ausverkauf mache er einen guten siebenstelligen Umsatz. In diesem Jahr seien insgesamt sechs bis sieben Kollektionen geplant. Aber wie kann jeder 6PM-Drop so erfolgreich sein?

6PM-Webseite

Die aktuelle 6PM-Kollektion ist komplett ausverkauft

Mit Smoothies das Unternehmen finanzieren

Die Geschichte von 6PM beginnt vielleicht schon im Kinderzimmer der Familie Ait Bouzalim in Frankfurt am Main. „Ich war schon sehr früh verrückt nach Klamotten. Schon im Kindergarten habe ich mir meine Outfits selbst rausgesucht“, erzählt der Label-Gründer. „Später bin ich nach der Schule immer in Einkaufszentren zum Klamotten-Gucken mit Freunden.“ Achraf Ait Bouzalim behält die Liebe zur Mode immer im Blick – auch als er bereits BWL studiert. „2016 habe ich mir gedacht: Wie geil wäre es, einfach Klamotten für mich selbst zu machen. Und aus der Schnapsidee wurde ein Business“, sagt er. Als er 6PM gründet, ist er gerade 21 Jahre alt.

Doch der Start läuft mehr als holprig. „Ich und ein Partner haben jeweils 12.500 Euro investiert. Aber die ersten Jahre hat es einfach so gar nicht funktioniert“, so Ait Bouzalim. „Ich habe immer neben der Uni Smoothies verkauft und andere Nebenjobs gehabt, um mir die Modesucht und das Business zu finanzieren.“ Nach zwei erfolglosen Jahren steigt sein Geschäftspartner aus. In der Zeit habe er viel damit gehadert, so viel Geld und Zeit in das Projekt gesteckt zu haben. Während seine Kommilitonen ihren BWL-Bachelor machen, hängt er noch mittendrin. Auch erste Versuche Drops und Verknappung einzusetzen, bringen nicht besonders viele Kund*innen. Das gehe nicht einfach so ohne begehrenswerte Marke.

Eine Hose und ein Investment bringen den Erfolg

2019 kommt dann der große Umschwung. „Erst mit Investoren an Bord konnte ich mich in der Planung komplett auf den Style der Kollektion konzentrieren, ohne ständig an Geld denken zu müssen“, erzählt der 6PM-Macher. Die „PAPA OSCAR Fashion Group“ (heute „PAPA OSCAR Ventures“) investiert einen nicht öffentlich bekannten Betrag in 6PM und hält heute laut Handelsregisterauszug 25 Prozent der Anteile am Unternehmen. Gründer und CEO des Ivestors ist Christian Ogait, der lange Jahre in der Fashion-Branche tätig war – für Diesel, Levi’s und VF Corporation (die im vergangenen Jahr die Streetwear-Marke Supreme aufgekauft hat).

Die neue Freiheit mit dem Investoren im Rücken habe dazu geführt, dass Achraf Ait Bouzalim keine Abstriche mehr bei seinen Ideen und den Materialien machen musste. Die erste so produzierte Kollektion „Push to Exit“ habe erstmals einen roten Faden gehabt. Es habe zwar damals noch zwei Monate gedauert, bis das letzte Stück vergriffen war – erstmals habe der 6PM-Gründer aber wirklich Geld mit seiner Mode verdient. Die folgende Kollektion „Logo Fall“ verkauft er dann in Minuten aus.

„Was mich wirklich groß gemacht hat, waren Trackpants. Ich fand Jogginghosen schon immer gut, damit bist du nur nicht in den Club gekommen. Mit Trackpants aus Nylon geht das heute“, erzählt Ait Bouzalim. Die schwarzen Freizeithosen mit verstellbarem Bund seien bis heute sein größtes Erfolgsprodukt. Insgesamt steht die Mode von 6PM vor allem für lässige Schnitte, grelle Farben, große Logos. Ein Hoodie der aktuellen Kollektion kostet 94 Euro, ein Shirt 60 Euro. Die Zielgruppe sei vorrangig männlich, zwischen 14 und 28 Jahre alt – auch wenn immer mehr Frauen 6PM-Hoodies kaufen würden. Und sie hören Rap, orientieren sich an den Styles aus der Hip-Hop-Szene.

Kleidung von 6PM

Die Designs von 6PM sind oft laut, bunt, ausgefallen – genau wie das Storytelling

Reingerutscht in die Verknappungs-Strategie

Nach seiner ausverkauften „Logo Fall“-Kollektion habe der Label-Gründer so richtig gemerkt, wie Drops und Verknappung zum Hype um seine Brand beitragen. „Ich bin in die künstliche Verknappung so ein bisschen reingerutscht. Eine Kollektion war ausverkauft und da haben die Leute direkt gefragt, wann die nächste kommt. Damit war die Strategie gesetzt“, erzählt er. In der Folge habe er dann seine Stückzahlen vervierfacht und trotzdem sei in vier Minuten alles weggewesen. Die nächste Vervierfachung des Inventars habe den nächsten schnellen Ausverkauf auch nicht aufhalten können.

Wie viele Produkte 6PM heute während eines Drops verkauft, will Ait Bouzalim nicht verraten – er habe mittlerweile aber im Gefühl, was sich gut verkauft und schraube bei einzelnen Pullovern, Hosen, Jacken die Stückzahl höher als bei anderen. Derzeit hadere er übrigens noch mit der Entscheidung, ob er zwar seine besonderen Designs weiter über Drops verkauft, gleichzeitig aber eine Basics-Linie kreieren sollte, die dauerhaft und in großen Stückzahlen verfügbar wäre. Die deutsche Streetwear-Marke Peso, hinter der Fashion-Youtuber Justin Fuchs steht (hier im OMR Porträt), ist gerade einen vergleichbaren Schritt gegangen.

Die Nähe zur Community macht den Unterschied

„Instagram ist der Kanal, über den wir mit den Kunden kommunizieren“, sagt Achraf Ait Bouzalim. „Ich habe mir meine Community organisch aufgebaut und bin sehr eng mit ihnen. Deshalb ist 6PM jetzt so groß geworden.“ Seit Jahren arbeitet er am Wachstum der 6PM-Reichweite. Der Instagram-Account des Labels kommt aktuell auf über 126.000 Abonnenten – im April 2020 waren es noch 35.000. Mindestens genauso wichtig: Sein persönlicher Account mit 143.000 Followern. „6PM ist Achraf und Achraf ist 6PM. Mein eigener Instagram-Account ist sehr wichtig, weil die Leute direkt mit mir schreiben wollen“, sagt er. „Ich habe mich nie als krassen Typen hingestellt, sondern habe immer gesagt, jeder soll sich melden, wenn er Probleme hat. Ich habe lange Zeit auch Größenberatung in den Instagram-Kommentaren gemacht.“

Followerwachstum von 6PM auf Instagram

Das Follower-Wachstum des Instagram-Accounts von 6PM (Quelle: Ninjalitics)

Diese Nähe zu seiner Community scheint sich jetzt auszuzahlen. Auf dem 6PM-Kanal lässt er bewusst immer nur die neuesten Posts zu den aktuellen Kollektionen stehen. Und den Hype rund um seine Drops löst er fast komplett über organische Posts bei Instagram aus. „Ich gebe keinen einzigen Cent für Marketing aus“, so Ait Bouzalim. Zur jüngsten, vor wenigen Tagen gedroppten Kollektion „Records“ finden sich zum Beispiel gerade einmal drei Posts, die Lust auf das machen sollen, was da kommt. Aber das scheint zu reichen. Die zwei Beiträge, die einige Kleidungsstücke zeigen, landen bei rund um 20.000 Likes und 24.000 Kommentaren. Das Video zur Kollektion ist aber das eigentlich zentrale Content-Stück: Die kurzen Clips sind mittlerweile Tradition. Hier erzählt der Designer die Geschichte hinter seiner Kollektion mit Musik, schnellen Schnitten, ausgefallenen Stilelementen. Das Video zu „Records“ bringt es auf über 90.000 Views und vor allem 277.000 Kommentare.

Daneben trommelt Ait Bouzalim über seinen persönlichen Account für kommende Kollektionen und teasert diese immer wieder in Instagram Stories an. Und in den Kommentarspalten des Marken-Accounts zeigt sich auch die enge Bindung zwischen ihm und seiner Community. Er ist immer wieder mit seinem privaten Profil in den Kommentaren unterwegs. Zusätzlich kümmere sich jetzt auch ein kleines Team um Fragen rund um die kommende Kollektion. Insgesamt schafft es 6PM so mit den knappen auf Instagram verfügbaren Infos, die oft erst wenige Tage vor dem Verkaufsstart auf der Plattform landen, den Hype ordentlich anzuheizen. Achraf Ait Bouzalim selbst unterstützt das mit seiner auf Instagram zur Schau gestellten übergroßen Persönlichkeit. Auf seinem privaten Account präsentiert er sich oft mit riesigen Sonnenbrillen, ausgefallenen Outfits und teuren Autos. Und auch hier explodieren die Kommentarspalten, wenn er zehn Tage vorher den nächsten Drop ankündigt.

Mit Codes noch mehr Druck erzeugen

6PM Codes auf Instagram

Achraf Ait Bouzalim verteilt selbst Codes auf Instagram

Wie Drops genau ablaufen, hat der er ja schon ganz zu Beginn erklärt – und das kennt man so auch von anderen Brands wie Supreme & Co.: Hype auf Social Media erzeugen, knappe Stückzahlen vorhalten, schnell ausverkauft sein und das Spiel beim nächsten Drop von vorn beginnen. Der 6PM-Gründer hat einen doppelt cleveren Kniff gefunden, noch mehr Druck zu erzeugen.

„Ich verschicke selbst einzelne Codes über Direktnachrichten auf Instagram. Da streiche ich auf einer Liste jeden Code händisch ab. Das sind aber oft Kunden, die viel bestellen wollen und auch mal 500 bis 1.000 Euro ausgeben“, erzählt er. Unter Beiträgen zur aktuellen Generation ruft er die Community dazu auf, nach Codes zu fragen. Wer das tut, bekommt ein Passwort und kann bereits eine halbe Stunde vor dem Verkaufsstart shoppen. Warum doppelt clever? Auf der einen Seite erzeugt Ait Bouzalim extrem hohes Engagement auf die Posts und Zehntausende Kommentare. Und auf der anderen Seite züchtet er sich VIP-Kunden heran, die in aller Ruhe größere Warenkörbe erzeugen können.

Große Musiker sind Freunde – keine Influencer

Was 6PM zusätzlich einen Schub verpasst hat, ist die Unterstützung bekannter Musiker – vor allem aus der deutschen Rap-Szene. So trägt Rapper und Produzent Reezy (bürgerlich Raheem Heid) immer wieder 6PM-Klamotten in Videos und Social-Media-Posts. Ihn habe der Label-Chef schon 2019 kennengelernt und es sei ein Zufall gewesen, dass die beiden gemeinsam gewachsen seien. Reezy arbeitet regelmäßig mit Bausa zusammen und war gemeinsam mit RIN auf Tournee. „Wenn Rapper oder Influencer meine Klamotten tragen, ist das für die Leute da draußen nur Bestätigung für die Qualität des Produkts, nachdem sie es schon gekauft haben. Ich sehe das gar nicht so sehr als Werbung“, sagt der 6PM-Gründer. „Viele große Künstler in Deutschland sind mittlerweile Freunde und die fragen auch mal nach einzelnen Teilen aus der Kollektion. Ich schicke meine Klamotten aber eigentlich immer erst nach dem Release an sie und will sie nicht für ihre Reichweite ausnutzen.“

Ein besonderes Verhältnis hat Ait Bouzalim zum mittlerweile weltbekannten Schweizer Musikproduzenten Ozan Yildirim, kurz „OZ“. Der produziert bereits seit 2014 für US-Hip-Hop-Größen wie Travis Scott, Drake und DJ Khaled – und landete mit ihnen mehrere Nummer-1-Hits. In Deutschland hat er schon mit Bushido, Shindy und RIN gearbeitet. Und genau dieser OZ ist auch seit 2019 als Gesellschafter bei 6PM an Bord. Die Zusammenarbeit führt etwa dazu, dass der Schweizer den Song des aktuellen Kollektionsvideos produziert und die beiden Kollektionen zusammen erdenken. Und OZ scheint 6PM auch immer wieder bei seinen Freund*innen aus der Musikszene zu platzieren. Auf dem Instagram Account des Labels sind in einem Story-Highlight Sfera Ebbasta (italienischer Rapper), DJ Khaled, Loredana und andere in 6PM-Klamotten zu sehen.

Die Vision von der Weltmarke

Ausruhen wolle sich Achraf Ait Bouzalim jetzt auf keinen Fall. „Ich will dieses Jahr sechs bis sieben Kollektionen machen. Da muss ich schon viel parallel arbeiten, weil ich Konzepte immer wieder verwerfe und die Entwicklungszeit echt lange dauert“, erzählt er. Der Label-Chef wolle aber auch langfristig auf keinen Fall das Design-Zepter aus der Hand geben und jedes Stück selbst erdenken. Trotzdem ist das 6PM-Team in den letzten Jahren natürlich gewachsen. Er beschäftige einen Fotografen, Videographer, sechs Angestellte im Support, mehrere Grafiker und Lagerarbeiter. Außerdem könne er auf das Team von Investor „PAPA OSCAR“ zurückgreifen.

Was soll da also noch kommen? Wenn wir an große Brands denken, fehlen vielleicht noch Collabos im Portfolio von 6PM. „Ich habe voll Lust auf Collabos, aber das muss auch passen“, sagt Ait Bouzalim dazu. „Der nächste Drop ist eine Collabo mit OZ und bald kommt eine Zusammenarbeit mit einem internationalen Unternehmen, das wirklich jedes Kind kennt.“ Mit wem genau 6PM da zusammenarbeiten wird, dürfen wir noch nicht verraten. Darüber hinaus hat der Label-Gründer den Rest der Welt in den Blick genommen. Derzeit geht ein Großteil der Lieferungen in den DACH-Raum. „Meine Drops sollen bald auch international funktionieren und ich will 6PM zu einer weltbekannten Marke machen. Und ich denke da sind wir jetzt auf einem guten Weg, das auch zu schaffen.“

DropDrop MarketingDTCInstagramInstagram MarketingSupreme
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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