Adidas, Billie Eilish, New Balance: Ist Colors X Studios aus Berlin das neue, coole MTV?

Torben Lux17.7.2023

Die minimalistischen Videos von Colors X Studios kommen alleine auf Youtube auf 2,5 Milliarden Aufrufe

Colors X Studios Billie Eilish
Sängern Billie Eilish in einem Colors-Video Anfang 2018 Foto: Youtube-Kanal „COLORS“).

Beim Gedanken an die größten Youtube-Kanäle aus Deutschland denkt man schnell an die üblichen Verdächtigen: Animierte Erklärvideos von „Kurzgesagt – In a Nutshell“, raffinierte Fußballtricks mit den „freekickerz“ oder Fitness-Trainings mit Pamela Reif. Die wenigsten dürften in diesem Zusammenhang an „Colors“ denken, dabei steckt der Kanal aus Berlin mit 2,5 Milliarden Aufrufen alle drei genannten in die Tasche. Seit 2016 veröffentlicht die Plattform Musik-Videos in einem sehr minimalistischem Design teils aufstrebender, teils bereits international bekannter Künstler*innen. OMR erklärt das Konzept des Hidden Champions aus Berlin.

Superstar Billie Eilish, R&B-Legende Alicia Keys, US-Rapper Gunna – eine Aneinanderreihung solcher Künstler*innen liest sich wie das Lineup eines ziemlich großen, internationalen Musik-Festivals. Klar, die Saison ist ja auch in vollem Gange. Die Namen sind allerdings nicht Teil eines Lineups, sondern tauchen alle, teilweise mehrfach, in der Playlist des Youtube-Kanals „Colors X Studios“, – oder kurz: „Colors“ – auf. Seit Februar 2016 ist dieser Channel bereits aktiv. Und konnte mit den seitdem über 800 hochgeladenen Videos rund 6,8 Millionen Abos und mehr als 2,5 Milliarden Views generieren. 

Das Konzept hat sich seit dem am 19. Februar 2016 ersten hochgeladenen Clip nicht wirklich geändert. Schon Emilio Mercuri, ein eher unbekannter australischer Sänger, ist damals in einem minimalistischen, einfarbigen Setting zu sehen. Keine Effekte, keinerlei Animation, der Fokus liegt zu 100 Prozent auf dem Künstler. Auf knapp 170.000 Aufrufe kommt die Videopremiere von Colors zu seinem Song „Sienna“ bis heute. Emilio Mercuri bekommt in der Folge noch zwei weitere „Colors Shows“, die jeweils um die 100.000 Abrufe erzielen. 

Colors: Eine Plattform für Künstler*innen aus der ganzen Welt

Das waren schon damals und sind auch heute für die Musikbranche nicht die ganz großen Zahlen. Und gerade in Relation zu den insgesamt über 2,5 Milliarden Views des Youtube-Kanals von Colors wirken sie noch einmal kleiner. Für den Australier Emilio Mercuri hingegen dürften diese Werte dennoch gigantisch gewesen sein. 6.500 monatliche Hörer*innen verzeichnet sein Spotify-Profil aktuell. Die Single „House of the Holy Maids“, die als einzige seiner drei Colors-Performances auch auf der Streaming-Plattform abrufbar ist, erzielte da bis heute über eine Million Abrufe. 

Dass Colors mit Emilio Mercuri – und vergleichbare Beispiele gibt es so einige – einem eher unbekannten Künstler eine digitale Bühne gibt, ist Kern des Konzeptes. „Colors X Studios“ sei eine „einzigartige, ästhetische Musikplattform, die außergewöhnliche Talente aus der ganzen Welt präsentiert“, heißt es in der Beschreibung des Kanal. Der Fokus liege auf markanten, neuen Künstler*innen mit einem originellen Sound, die in der „zunehmend fragmentierten und gesättigten Musik-Szene“ sonst vielleicht unentdeckt blieben. Das minimalistische Design solle den vollen Fokus auf die Acts lenken. 

Unbekannte Talente, aufstrebende Newcomer – und Superstars

Sortiert man die Videos des Youtube-Kanals von Colors nach den Aufrufen, wird man schnell auf zahlreiche Videos mit enorm hohen Abrufzahlen von international längst bekannten und erfolgreichen Künstler*innen stoßen, die heute durchaus das Prädikat „Superstar“ verdienen. Ganz oben mit dabei: Billie Eilish. Ihre im April 2018 veröffentlichte Performance zur Single „idontwannabeyouanymore“ hat über 180 Millionen Plays und ist damit bis heute das erfolgreichste Video des Channels. Bereits fast ein Jahr zuvor hatte sie für Colors ihren Song „watch“ performt; das Video wurde bis heute 30 Millionen Mal abgerufen.

Zwar war Billie Eilish schon bei ihrer ersten Colors-Performance keine gänzlich Unbekannte mehr. Soundcloud-Erfolge, erste Singles, gut laufende Youtube-Videos und einen Plattenvertrag mit Interscope Records konnte die damals nicht einmal 16-Jährige schon vorweisen. Von ihrem heutigen Weltstar-Status war sie trotzdem noch ein wenig entfernt. Deshalb – und wegen ihres musikalischen und optischen dem Mainstream nicht angepassten Stils – ein ziemlich guter Fit für die Ziele der Musik-Plattform Colors. (2019 war die vierfache Grammy-Gewinnerin übrigens im OMR Podcast zu Gast. Klingt irgendwie absurd, aber hört selbst.)

Egal woher, egal welches Musik-Genre

Insgesamt ist die Auswahl der Künstler*innen, die ihre eigene „A Colors Show“ bekommen, extrem vielfältig. Spanischer Rap von Kidd Keo, Afrobeats von Oxlade aus Nigeria, südafrikanischer Sound von Sho Madjozi, argentinische Rhythmen von Nathy Peluso – die Aufzählung ließe sich noch lange so weiterführen. 

Auch deutsche Künstler*innen tauchen beim Scrollen durch die über 800 Videos starke Playlist immer mal wieder auf. Mit dabei waren inzwischen unter anderem größere Namen wie Rin, Cro, Trettmann und Luciano, aber auch im Mainstream weniger bekannte Künstler wie OG Keemo, Kwam.E und Chefket. Was hier auf jeden Fall auffällt: ein ziemlich männlicher Einschlag in der Rap-Szene. 

Internationale Bühne, Berliner Gründer

Was man beim insgesamt sehr internationalen Anstrich von Colors vielleicht nicht sofort ahnt: Der Youtube-Kanal und das gesamte Projekt „Colors X Studios“ stammen aus Deutschland; Sitz der COLORSxSTUDIOS GmbH ist Berlin. Schon 2016 soll Colors als Zwei-Personen-Startup starten. Die Gründer sind damals laut einem Artikel auf time.com von 2019 Philipp Starcke und Felix Glasmeyer. Laut Eintrag im Handelsregister halten beide mit insgesamt rund 69 Prozent der Anteile die Mehrheit am Unternehmen. Ein Name der im Time-Artikel nicht auftaucht, laut aktuellem Colors-Impressum aber ebenfalls als Gründer geführt wird, ist Steve Legrand. Dem Handelsregister-Eintrag zufolge hält er heute einen Anteil im mittleren einstelligen Prozentbereich. 

Philipp Starcke soll mit seinem damaligen Job in der Hamburger Werbebranche unzufrieden gewesen sein. Seinem Freund Felix Glasmeyer, der als Fashion-Fotograf in New York arbeitete, gefällt die Idee einer Musik-Plattform im minimalistischem Design, die ein Gegengewicht zur Schnelllebigkeit und Effekthascherei der Social-Media-Welt sein sollte. „Wir wollten Menschen, Länder und Kulturen auf einer kreativen und emotionalen Ebene miteinander verbinden“, wird Starcke zitiert. Felix Glasmeyer gefällt die Idee und sie fangen einfach mal an. Beziehungen in die Musikindustrie: Fehlanzeige. 

Wie erste virale Erfolge Colors Türen öffnen

Dass die Pläne trotz dieser fehlenden Beziehungen in der Folge trotzdem irgendwann aufgehen, soll laut Time sowohl am Durchhaltevermögen, als auch an einem glücklichen Händchen der ersten Künstler*innen gelegen haben. So wird unter anderem der US-Rapper Goldlink zitiert, der Ende 2016 seinen Song „Rough Soul“ für Colors performt – und 14 Mal so viele Aufrufe wie das eigene Video damit erreicht haben soll. „Er ging alle drei Monate viral. So haben wir es geschafft, unsere ersten Live-Shows auszuverkaufen.“ Auf Spotify hat er heute rund 5,7 Millionen monatliche Hörer*innen; unter anderem für seinen Song „Crew“ wurde er für einen Grammy nominiert. 

Erfolge wie diese sprechen sich in der Musikindustrie und unter aufstrebenden Künstler*innen schnell herum. Plötzlich musste sich Philipp Starcke nicht mehr selber auf die Suche nach den Rising Stars machen, sein Postfach sei laut Time ab dann voll mit tausenden Bewerbungen gewesen. 2018 bekommt das Team dann auch Verstärkung direkt aus der Industrie. Jonas Weber, vorher unter anderem Director Strategic Development bei Universal Music Group, steigt Anfang 2018 als CO-CEO und Mitgesellschafter ein. Und anders als seine was Öffentlichkeitsarbeit angeht extrem zurückhaltenden Mit-CEOs Philipp Starke und Felix Glasmeyer, tritt er auf Linkedin auch in der Position auf. 

Wenn schon Kooperationen, dann mit den ganz Großen

Auf der Business-Plattform ist er es dann auch, der besondere Projekte oder aber auch Kollaborationen mit Brands kommuniziert. Trotz der enormen Reichweiten und vermutlich vielen Anfragen seitens Marken, die von der Aufmerksamkeit profitieren wollen, scheint Colors hier sehr wählerisch, fast schon vorsichtig unterwegs zu sein. Im Frühjahr dieses Jahres ging eine vierteilige, gemeinsame Video-Serie mit Adidas Originals live. Außer, dass die Künstler*innen ausschließlich in Klamotten des deutschen Unternehmens zu sehen sind, unterscheiden sich die Videos zu organischen Colors-Videos nicht. Eine ähnliche Kollabo gab es bereits zweimal mit Burberry.

Weitere Koops ist das Berliner Unternehmen außerdem mit der Sneaker-Brand New Balance, der Sample-Plattform Splice, Reebok und dem Basketball-Videospiel „NBA 2K22“ eingegangen. Vogue Business hat Colors in dem Zusammenhang zuletzt mit dem Online-Radiosender NTS verglichen. Marken, allen voran Fashion Brands, würden immer häufiger auf authentische Musik-Plattformen wie diese setzen, um kulturelle Relevanz aufzubauen – immer häufiger auch durch Offline-Events. Die digitale Grundlage hat Colors aus Berlin auf jeden Fall. Auch wenn die ganz großen viralen Erfolge auf Youtube schon ein wenig her sind, hat die Plattform einen riesigen Katalog. Und der Content scheint auch in anderen Formaten auf Plattformen wie Tiktok zu funktionieren. Die Hashtags #colorsxstudios und #acolorsshow kommen hier auf 60 und 41 Millionen Aufrufe. 

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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