Gegen den Drop-Hype: Dieser Skateshop trickst Bots aus und verkauft ihnen Sneaker-Bilder

Wie die Frankfurter von Bonkers Reseller ausbooten wollen

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Martin Schreiber (zweiter von rechts) mit dem Skate-Team Dshild vor dem Bonkers Ladenlokal in Frankfurt am Main (Foto-Quelle: Bonkers auf Instagram)

700.000 Seitenaufrufe in der Minute – viele wären vermutlich froh, wenn sie Traffic dieser Größenordnung auf ihrer Website hätten. Nicht so der Frankfurter Skateshop Bonkers. Wenn dessen Betreiber exklusive und in begrenzter Stückzahl verfügbare Schuhmodelle in ihren Online-Shop einstellen, erleben sie regelmäßig einen Ansturm von Bots, die in der Vergangenheit häufig den Shop-Server lahmlegten. Nun wehrt sich der Händler, indem er Käufern, die Bot-Software nutzen, unbemerkt digitale Bilder der Produkte verkauft – und damit in der Regel mehr verdient, als mit dem Verkauf des wirklichen Produktes.

„Das sind Wichser, die es in Kauf nehmen, dass meine Website tagelang nicht läuft, die es in Kauf nehmen, dass Leute, die den Schuh tatsächlich anziehen wollen, den nicht kriegen, während sie ihn einfach nur verkloppen wollen, um ihren Reibach zu machen“, sagt Martin Schreiber, Mitgründer von Bonkers, in einem lesenswerten, ungeschminkten Interview mit dem Skate-Magazin Solo über so genannte Reseller.

Milliarden-Industrie rund um Reselling

Reseller profitieren von der zunehmenden künstlichen Verknappung im Mode- und Lifestyle-Bereich. Mittlerweile vertreibt nicht mehr nur die Upscale-Streetwear-Marke Supreme (hier im ausführlichen OMR-Porträt) ihre Produkte mittels so genannter Drops (hier ein OMR-Artikel über „Drop Marketing“), sondern auch viele andere Mode-Labels und Lifestyle-Marken. „Mit Drops habe ich weniger Probleme“, so Schreiber am Telefon gegenüber OMR. „Es wird zwar ein bisschen viel mit den ganzen Drops, aber ich verstehe schon, dass die Leute individuelle Produkte wollen. Und für mich als Shop ist es ja auch cool, wenn ich ein Produkt an einem Tag komplett wieder los werde.“

Schreiber hadert wohl mehr mit den Begleiterscheinungen der Drop-Manie. Denn rund um Mode-Artikel mit begrenzter Stückzahl ist innerhalb der vergangenen zwei Jahre eine komplette Sub-Ökonomie entstanden: Ein Resell-Markt mit Glücksrittern, die die Produkte nur kaufen, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen, mit speziellen Marktplätzen wie Grailed und StockX (letzterer mittlerweile schon mehr als eine Milliarde US-Dollar wert), sowie mit Software-Anbietern, die den Resellern Bots verkaufen, mit denen diese automatisiert im Sekundentakt immer wieder Bestellversuche unternehmen können. Ein kanadischer Teenager, der den einzig verfügbaren Supreme-Bot im App-Format entwickelt hat, hat mit dem Verkauf desselben in einem halben Jahr geschätzt rund eine Viertelmillion US-Dollar eingenommen.

„Das System verliert den Überblick über den Bestand“

Der Ansturm, der bei Drops entstehen kann, hat den Online-Shop von Bonkers immer wieder in die Knie gezwungen. „Wir hatten irgendwie 700.000 Aufrufe in der Minute – Welcher Server soll damit klarkommen?“, so Schreiber gegenüber Solo. „Wir sind ja ein kleiner Laden und haben nicht die Möglichkeit, uns da einen ganze Serverfarm hinzustellen.“ Die Bot-Käufer seien Kunden, die keine Rücksicht auf den Laden nähmen. „Die schauen sich ja auch nicht auf unserer Website um, und bestellen dann mal wieder was, weil sie es bei uns entdeckt haben. Sondern die kommen nur für ganz bestimmte Produkte.“

Hinzu kommt, dass wegen des hohen Ansturms immer wieder mehr Artikel verkauft würden, als auf Lager seien – offenbar bis zum Doppelten dessen, was an Stückzahlen eigentlich vorhanden sei. „Wenn 50.000 Bots gleichzeitig einen Schuh bestellen, dann verliert das System eben den Überblick über den Bestand. Dann musst Du das Geld zurückzahlen, und die Leute sind angepisst. Und eigentlich kannst Du nichts dafür“, sagt Schreiber.

Auch alleiniger Verkauf übers Telefon löst das Problem nicht

Irgendwann hätten er und sein Team dann über bald erscheinende Sondermodelle auf der Website nur noch informiert, ein altes Handy angeschafft, um Bestellungen telefonisch aufzunehmen und die Schuhe nur noch im Laden verkauft. „Das Problem war, auch wenn wir den Schuh nicht online hatten, kamen trotzdem noch die Bots, der Server war drei Tage lang down und wir konnten unsere Website nicht nutzen.“ Es musste also eine andere Lösung her.

„Also haben wir gesagt, dass wir jetzt auch mal den Mittelfinger zeigen und digitale Bilder von den Schuhen verkaufen“, erzählt Schreiber.  Die Bonkers-Macher stellten zum Verkaufsstart eines neuen Nike SB Sneakers zu jeder Schuhgröße 3.000 Mal Bilder des Schuhs in den Shop, mit dem Artikelnamen „Bild von Schuh XY“. Die Produktbeschreibung ergänzten sie um den ausdrücklichen Hinweis, dass es sich nicht um einen Schuh handele, sondern um sieben Produktbilder des Schuhs zu je zehn Euro. „Aber das erkennt so ein Bot natürlich nicht. Der sucht ja einfach nur nach dem Produktnamen und denkt dann: ‚Kaufen. Kaufen. Kaufen.'“, so Schreiber.

„Wir wollten auch mal den Mittelfinger zeigen“

Zuletzt hätten die Nutzer am Ende des Checkout-Prozesses einen Haken setzen müssen und damit bestätigen, dass sie sich im Klaren darüber seien, dass sie ein digitales Produkt kaufen und keinerlei Rückgaberecht haben – eine Regelung, die bei digitalen Käufen vollkommen rechtmäßig ist.

Die Folge der Aktion: Die Bonkers-Macher setzten mit dem Verkauf der Bilder mehr Geld um als mit dem Verkauf des eigentlich Schuhs. Einer der Bot-nutzenden Kunden habe für insgesamt 7.000 Euro Bild-Dateien gekauft. „Einen, der bei uns im Abstand von 15 Sekunden immer wieder bestellt hat, habe ich mal angerufen und gefragt, ob er sieht, was er da die ganze Zeit kauft. Der hatte das noch überhaupt nicht mitbekommen“, so Schreiber. „Wir haben niemanden getäuscht. Jeder hätte sich vorher informieren können.“ Trotzdem habe Bonkers einigen Kunden („denen, die echt korrekt waren“) einen Gutschein über 70 Euro ausgestellt.

Die Bots strömen weiterhin in den Shop

Wie viel sie mit dem Verkauf der Bild-Dateien genau umgesetzt haben, will Schreiber nicht beantworten. Geht man davon aus, dass das Modell in mindestens zehn Größen verfügbar war, und alle 3.000 „Exemplare“ der Bilder verkauft worden sind, könnte der Umsatz sogar in den siebenstelligen Bereich hineinreichen – aber das bleibt reine Spekulation. „Wir haben damit mehr Geld verdient als erwartet“, sagt Schreiber gegenüber OMR. „Das ist natürlich ein netter Zusatzverdienst, aber eigentlich wäre es mir lieber, niemand würde die Bilder kaufen, und ich könnte einfach meine Website ohne Probleme betreiben, ohne, dass ich am Wochenende mit Leuten über Instagram schreiben muss, wann wir wieder online sind.“

Mittlerweile habe Bonkers drei Mal von einem Schuh auch Bilderdateien verkauft. „Ob wir von einem Schuhmodell auch Bilder in den Online-Shop einstellen, hängt davon ab, wie viele Exemplare wir bekommen“, so Schreiber. Bislang sei kein Lerneffekt zu erkennen: „Die Zahl der Bilderkäufer ist nicht weniger geworden. Im Gegenteil: Bei Modellen, die besonders begehrt sind, waren es dann sogar mal mehr als vorher. Das sind ja auch immer wieder neue Bot-Käufer, die da in den Online-Shop kommen.“

Positives Feedback aus dem Nike Hauptquartier

Das Einkommen aus dem Bilddateien-Verkauf will Schreiber nach eigener Darstellung in die Skate-Szene reinvestieren: „Wir können davon neue Shop-Klamotten machen, oder mal ein Event hier in Frankfurt mehr pushen. Wir können unseren Teamfahrern vielleicht mal ein bisschen mehr geben.“ Aus der Szene habe er viel positives Feedback auf den Bilderverkauf erhalten. „Ich habe jetzt, nachdem das Interview erschienen ist, sogar positives Feedback aus dem Nike Headquarter in Portland bekommen. Mit den Leuten hatten wir vorher gar nicht direkt zu tun“, so Schreiber gegenüber OMR.

Der Skate-Fan und -Shop-Betreiber hofft, dass andere Händler dem Beispiel von Bonkers folgen. „Ich glaube, es wäre für viele Shops cool, wenn die das machen würden“, sagt Schreiber. „Dann lernen vielleicht auch mal die ganzen Bot-Spackos, dass die halt andere Wege finden müssen.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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