Diese Teenies generieren Milliarden von Views mit AR-Effekten auf Instagram und Snapchat

Kommt Augmented Reality jetzt auch im Marketing-Mainstream an?

Animiertes GIF mit Instagram Effekten
Drei Instagram-Effekte nebeneinander: Beauty3000 von Johanna Jaskowska (links) lässt die Haut der User wie von einem Plastikfilm überzogen wirken, mit "Flying Face" von Mikhail Murtazin (alias dvoshansky) können die Nutzer durch Blinzeln eine Variante des Mobile-Games "Flappy Bird" steuern, und bei dem Effekt "Brie Pearls", den der Designer Christian Venables für die Schauspielerin und Sängerin Brie Larson entwickelt hat, wird das Gesicht der User virtuell mit einem Perlenschmuck versehen (Montage: OMR)
Inhalt
  1. Ein Instagram-AR-Effekt generiert Millionen von Youtube-Views
  2. Aus Berlin auf die Bühne der F8 in San Jose
  3. Die Effekt-Entwickler werden selbst zu reichweitenstarken Influencern
  4. „Ich bin seit einem halben Jahr mit AR-Projekten durchgebucht“
  5. Popstars und High-Fashion-Marken nutzen AR fürs Marketing
  6. 17 Milliarden Views mit virtuellen Aufhübschungen
  7. Niedrigere Eintrittsbarrieren lassen die Preise sinken
  8. Für die Plattformen sind die Effekte Nutzergewinnungshebel

Eine 18-jährige US-amerikanische Influencerin verzeichnet mit rund 30 Augmented-Reality-Linsen bei Snapchat insgesamt 17 Milliarden Views. Ein russischer Teenager hat auf Instagram mit einem einzigen AR-Effekt, bei dem die Nutzer „Flappy Bird“ mittels Blinzeln steuern können, in nur zwei Wochen mehr als eine Milliarde Views angesammelt. Kein Wunder also, dass immer mehr Marken und Unternehmen aktuell auf das Thema AR aufspringen und entsprechende Effekte, Linsen und Filter im Marketing einsetzen. OMR hat mit einer der erfolgreichsten Instagram-AR-Entwicklerinnen gesprochen, zeigt Zahlen und den aktuellen Stand des Marktes.

„Wow, mein Effekt ist total durchgedreht und hat in nur zwei Wochen eine Milliarde Views bekommen“, schreibt Mikhail Murtazin (auf Instagram unter dem Namen „dvoshansky“ aktiv) Anfang Juni in einer Facebook-Gruppe für Spark-AR-Entwickler – und belegt seine Aussage mit einem Screenshot. Spark ist die Augmented-Reality-Plattform, die Facebook 2017 erst als „Camera Effects Platform“ angekündigt und im Oktober 2018 dann unter neuem Namen für externe Entwickler geöffnet hat, und die seitdem allen AR-Anwendungen auf Facebook und Instagram zugrunde liegt. Facebook stellt die Software Spark AR Studio für jeden Interessierten, der eigene Effekte entwickeln und zur Verfügung stellen will, kostenlos zum Download bereit.

WOW.My effect got crazy and have reach 1 billion views (355m views in camera and 663m views in stories) in just 2 weeks.Thanks you all❤❤❤Effect: https://www.instagram.com/a/r/?effect_id=323953918270039

Posted by Mikhail Murtazin on Sunday, June 2, 2019

 

Ein Instagram-AR-Effekt generiert Millionen von Youtube-Views

Murtazin war Teilnehmer an einer geschlossenen Beta-Phase, in deren Rahmen sich unabhängige Entwickler bei Facebook dafür bewerben konnten, auf Spark-Basis Effekte für Facebook und Instagram zu entwickeln. Der junge russische Entwickler (geht man von seinen Instagram-Fotos aus, dürfte er noch im Teenager-Alter sein) implementierte das Mobile Game Flappy Bird, das 2013 ein enormer viraler Erfolg war, einfach als Effekt in Instagrams Story-Kamera und nannte diesen „Flying Face“. Mit dem Effekt können die Nutzer im Story-Kamera-Modus auf Instagram Flappy Bird spielen und den kleinen Vogel mittels Blinzeln (!) durch eine Säulenlandschaft steuern.

Wie die Flappy-Bird-App vor etwa sechs Jahren ging nun auch der Instagram-Effekt viral – offenbar vor allem in Südostasien. Wer auf Youtube nach „Flying Face“ sucht, stößt auf Videos aus Indonesien, Malaysia und Singapur mit sechs- bis siebenstelligen Abrufzahlen. Der Effekt selbst verzeichnete auf Instagram also innerhalb von nur zwei Wochen mehr als eine Milliarde Impressions. Vermutlich zählt Instagram hier auch Mehrfach-Kontakte – schließlich dürfte nicht jeder der aktuell rund eine Milliarde Instagram-Nutzer schon einmal mit „Flying Face“ in Kontakt gekommen sein. Trotzdem sind die Zahlen beeindruckend.

Aus Berlin auf die Bühne der F8 in San Jose

Johanna Jaskowska, verfremdet durch ihren eigenen AR-Effekt Beauty3000

Und Murtazin ist nicht der einzige, der mit AR-Effekten auf Instagram Reichweiten dieser Größenordnung verzeichnet. Johanna Jaskowska, polnisch-französische „Digital Creatorin“ mit Wohnsitz in Berlin, hat mehrere Filter entwickelt, mit denen sie nach eigenen Angaben insgesamt ebenfalls rund eine Milliarde Views verzeichnet. „Die Zahlen sind wirklich verrückt“, so Jaskowska im Gespräch mit OMR. Die Filter der 27-Jährigen sind weniger verspielt und eher futuristisch bis dystopisch; lassen die Nutzer wie ein künstliches Wesen wirken. 

Ihr bislang erfolgreichster Filter mit dem Namen Beauty3000 wurde ebenfalls ein viraler Erfolg, über den namhafte Medien wie Vogue, Vice und The Verge berichteten. Im Frühjahr wurde Beauty3000 in der Keynote auf Facebooks Entwicklerkonferenz F8 gefeatured; Jaskowska selbst nahm an einer Panel-Diskussion teil. Bis heute hat der im Januar 2019 eingestellte Filter rund 419 Millionen Views angesammelt, wie ein Screenshot zeigt, den Jaskowska OMR zur Verfügung gestellt hat.

Der Beauty3000-Filter verzeichnet bislang mehr als 400 Millionen Impressions, 13,3 Millionen aufgenommene Storys und 1,7 Millionen geteilte Storys (bearbeiteter Screenshot)

Die Effekt-Entwickler werden selbst zu reichweitenstarken Influencern

Die Impressions, die Instagram für die jeweiligen Filter zählt, speisen sich aus zwei Quellen. Zum einen gibt es Story Impressions: Wird ein Effekt von einem Instagram User verwendet und die damit entstandene Story gepostet, werden der Filtername und dessen Entwickler am oberen Bildschirm (antippbar) aufgeführt. Camera Impressions werden gezählt, wenn Nutzer im Story-Kamera-Modus die verfügbaren Filter durchsuchen und sich den jeweiligen Filter in diesem Bereich anschauen. 

Während der geschlossenen Betaphase von Spark AR mussten die Instagram-Nutzer noch den jeweiligen Effekt-Creatorn folgen, wenn sie deren Filter nutzen wollten. Viele von ihnen gewannen infolgedessen rasant Follower hinzu. Johanna Jaskowskas Instagram Account folgten noch zu Anfang des Jahres Freunde und Bekannte aus ihrem beruflichen Umfeld; mittlerweile sind es 821.000 Menschen. Mikhail Murtazin („dvoshansky“) verzeichnet gar fünf Millionen Follower. Seit dem 13. August ist nun die Beta-Phase zu Ende, jeder kann Effekte für Spark AR entwickeln und die Instagram-Betreiber haben in der App einen eigenen Bereich eingerichtet, in dem die Nutzer alle verfügbaren Filter durchstöbern können.

„Ich bin seit einem halben Jahr mit AR-Projekten durchgebucht“

Wer sich in Instagram Story Modus durch alle Effekte durchgewischt hat, stößt auf die Option, weitere Effekte zu durchstöbern und gelangt dann in eine Gallerie

Wenig verwunderlich, dass dieses Feature die Sichtbarkeit der AR-Effekte nochmals steigert. Danny Franzreb aus Neu-Ulm hat mehrere Instagram-Effekte entwickelt. „Frame Filter“, mit aktuell rund einer Million Impressions nach eigenen Angaben Franzrebs erfolgreichster Filter, ermöglicht es den Nutzern, in ihre Bilder oder Videos unterschiedliche Rahmen einzufügen. „160.000 Impressions davon sind Camera Impressions. 143.000 stammen aus den vergangenen sieben Tagen“, so Franzreb gegenüber OMR – wurden also generiert in dem Zeitraum, seitdem es die Filter-Übersicht im Story-Kamera-Modus gibt.

Die Zahlen zeigen das Reichweitenpotenzial von AR-Effekten auf Instagram, das mittlerweile auch immer häufiger von Marken und Unternehmen erkannt wird. Johanna Jaskowska, die davor als Angestellte einer Agentur und zuletzt als Freelancerin eine Vielzahl von digitalen Projekten entwickelt und umgesetzt hat, setzt nach eigenen Angaben seit ihrem Viral-Erfolg Beauty3000 ausschließlich AR-Projekte im Kundenauftrag um. „Es dauert in der Regel drei, maximal sechs Wochen, einen Instagram-AR-Effekt zu entwickeln, je nachdem, wie komplex dieser sein soll“, so die 27-Jährige. Davon abhängig sei der Preis: „Die Kosten können zwischen 7.000 und 25.000 Euro liegen.“ 

Popstars und High-Fashion-Marken nutzen AR fürs Marketing

Bei ihrer letzten Tätigkeit für eine Agentur hat Jaskowska beispielsweise einen Filter für Mercedes-Benz entwickelt. Seitdem sie als Freie arbeitet, war sie u.a. für Burberry sowie mehrfach für Musik-Labels tätig. So hat sie beispielsweise eigene Instagram-AR-Effekte für Pop-Shooting-Star Billie Eilish und zuletzt für den kolumbianischen Reggaeton-Sänger J. Balvin (32 Millionen Follower auf Instagram) entwickelt. Darüber, welche Reichweiten diese erzielt haben, hat sie keine Informationen, weil die Instagram Accounts naturgemäß von den Kunden selbst betrieben werden. Wer über Google nach weiteren Instagram-AR-Cases sucht, stößt auf namhafte Unternehmen und Marken wie Adidas, Disney, Gucci und Kylie Cosmetics von Super-Influencerin Kylie Jenner.

Wie Facebook (inklusive Instagram) ist auch Snap schon sehr lange im Bereich AR aktiv. Die Produkte des Unternehmens aus Venice Beach dienten dem Marktführer aus Menlo Park ja schon bei der Einführung des Story-Formats auf Intagram als „Inspiration“. Seit Dezember 2017 stellt Snap das „Lens Studio“ zur Verfügung, eine Software, mit der jeder Nutzer eigene AR-Linsen, wie sie bei Snap heißen, erstellen und selbst verwenden kann. 

17 Milliarden Views mit virtuellen Aufhübschungen

Auch in der Snapchat-App gibt es einen umfangreichen Gallerie-Bereich für Linsen

Ambitioniertere Entwickler können sich außerdem um die Aufnahme ins „Lens Creator“-Programm bewerben. Die Linsen der offiziellen Creator sind dann in einem eigenen Bereich für alle Nutzer der App verfügbar. Aktuell gibt es rund 100 offizielle Partnerentwickler, darunter auch der deusche Medienkünstler Aaron Jablonksi (auf Snapchat unter dem Namen „exit simulation“ aktiv) 

Die Reichweiten der AR-Linsen sind ebenfalls beeindruckend: Die 18-jährige Ana Casciello hat seit Oktober 2018 rund 30 AR-Linsen für Snap entwickelt. Mit diesen können die Snap-Nutzer sich u.a. virtuelle Sommersprossen in Stern- Herz- und Blumenform ins Gesicht malen lassen. Laut einem lesenswerten CNN-Artikel hat Casciello bislang 17 Milliarden Views mit ihren Linsen angesammelt.

Niedrigere Eintrittsbarrieren lassen die Preise sinken

Wie die AR-Entwickler auf Instagram werden auch die Linsen Creator auf Snap nicht von den Plattformen für ihre Entwicklungen vergütet. Auch die auf Snap aktiven Entwickler werden jedoch offenbar immer häufiger von Marken und Unternehmen angesprochen und für die Entwicklung eigener Linsen gebucht. Der von CNN zitierte Entwickler Ben Knutson beispielsweise hat nach eigenen Angaben bereits für Nike, Red Bull und die norwegische Schokoladenmarke Freia gearbeitet.

Laut CNN kann der Preis für die Entwicklung einer solchen AR-Linse für Snapchat zwischen 1.000 und 30.000 US-Dollar liegen. Der nun offene Weg über unabhängige Entwickler ist für die werbenden Unternehmen deutlich günstiger als noch vor einigen Jahren die Buchung von AR-Linsen bei Snap selbst: Im Dezember 2017 berichtete Digiday, dass Snap zwischen 500.000 und einer Million US-Dollar pro Tag (!) für solche Linsen aufgerufen haben soll.

Für die Plattformen sind die Effekte Nutzergewinnungshebel

Der Weg über unabhängige Entwickler kann laut einem Business-Insider-Artikel aus dem September 2018 sogar noch weitere Vorteile haben: Laut Artikel hat beispielsweise die Gaming-App Plato zwei Influencer im Teenager-Alter dazu verpflichtet, AR-Linsen zu kreieren und über die eigenen Snapchat Accounts zu distribuieren. „Das war nicht nur günstiger, sondern hat auch dabei geholfen, genau jene Zielgruppe zu erreichen, die wir erreichen wollten“, so Joe Wagner von Plato. Die Linsen hätten 2,1 Millionen bzw. 3,1 Millionen Views generiert; der gesamte Prozess habe 50.000 US-Dollar gekostet.

Auch, wenn nun Werbebudgets an Snap vorbeifließen: Möglicherweise wird sich für das Unternehmen die Entscheidung, die Erstellung von AR-Linsen für alle Nutzer zu öffnen, aus strategischer Sicht noch auszahlen. Snap hat ein unruhiges Jahr hinter sich, indem die Snapchat-App nach einem umstrittenen Redesign sogar erstmals einen Nutzerrückgang verzeichnete. Virale Linsen waren in der Vergangenheit des Unternehmens immer wieder ein probates Mittel, um neue Nutzer in die App zu ziehen. Im gerade zu Ende gegangenen Quartal entwickelten sich die „Gender Swap“-Linse (mit der sich die Nutzer auf dem Bildschirm ins jeweils andere Geschlecht verwandeln konnten) und die Baby-Linse zum viralen Erfolg. Alleine diese beiden sollen zwischen sieben und neun Millionen neue Nutzer eingebracht haben, schätzte Finanzchef Derek Andersen im jüngsten Earnings Call. Mit einem breiten Stamm an unabhängigen Entwicklern im Rücken dürften die Chancen auf weitere virale Linsen deutlich steigen.

Augmented RealityInstagramSnapchat
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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